Immer wieder dreht es sich in diesem Blog um die Frage, was denn nun ein Weinkritiker, Weinkenner oder selbsternannter Weinexperte alles können muss und können kann. Und weil ich einen Artikel gelesen habe, der mir Denkanstöße bot, müssen meine Leser an einer weiteren Etappe meines ewigen Grübelns teilhaben (Sie können diesen Artikel auch überspringen, noch haben Sie die Chance zur Flucht). Glücklicherweise tauchte in dem Artikel auch ein Wein auf, der mich daran erinnerte, dass ich hier dringend noch kürzlich getrunkene Weine besprechen muss. Wer bis zum Ende durchhält, wird deshalb mit zwei semifreakigen Weinempfehlungen belohnt.
Dan Rosenheck ist im Hauptberuf ein ‚Data Editor‘ – also jemand, der (politische) Umfragedaten und Meinungsforschungsergebnisse in Reportagen und Artikel übersetzt. Er macht das für den britischen ‚Economist‘. Vermutlich weil das eine ziemlich trockene Beschäftigung ist, schreibt er nebenbei für die alle zwei Monate erscheinende Lifestyle-Zeitschrift des Hauses, die ‚1843‘ und dort über das Thema Wein. Nun hat er sich dem alljährlich stattfindenden Wett-Verkosten der Universitätsmannschaften von Oxford und Cambridge gewidmet. Dabei untersucht er hauptsächlich die Frage, ob das ganze eine gigantische Zeitverschwendung ist, oder ob Menschen tatsächliche Wein verkosten trainieren und zu einer gewissen Perfektion bringen können.
Der englischsprachige Artikel ist online hier verfügbar. Er ist ziemlich lang, aber sehr lohnend. Denn Rosenheck ist eben Profi in Sachen Statistik. Er kennt den Unterschied zwischen Kausalität und Korrelation, oder wie er es sagt: keinen Beweis für eine Fähigkeit (bei einer Probanden-Gruppe) zu finden, ist nicht das gleiche wie der Beweis, dass es die Fähigkeit nicht gibt. Neben seiner Beobachtung vor und während des Oxford-Cambridge-Tastings stellte er deswegen eigene Versuche an.
Versuchsaufbau mit Ahnung
Diese eigenen Verkostungen haben erklärtermaßen das Ziel, die Verkoster ‚gut aussehen‘ zu lassen, denn seine Hauptkritik an der bisherigen wissenschaftlichen Überprüfung verkosterischer Fähigkeiten lautet: der Wissenschaftler verdirbt den Versuch, wenn er selber keine Ahnung von Wein hat. Es gäbe eine Menge Merlot, der wie Syrah schmecke und wenn man diesen einem geübten Verkoster vorsetze, würde der mit seinem falschen Tipp auf Syrah eigentlich sein Können unter Beweis stellen, wo der Wissenschaftler vermeintliche Unfähigkeit protokolliert. Rosenheck bezieht sich implizit auf Artikel wie diesen hier, die er ‚Schadenfreude-laden stories about the latest “Gotcha!” study‘ nennt.
Ich gestehe, dass ich diesen ‚Gotcha!-Studien eine Menge abgewinnen kann, wenngleich ich die Schadenfreude weglasse. Rosenhecks Ansatz überzeugt mich allerdings auch, weswegen ich jetzt erst mal eine Weile darüber nachdenken muss, ob und gegebenenfalls wie sich diese Geschichte auf meine Ansichten auswirkt.
In jedem Fall werde ich vor meinem geistigen Auge bei der Veranstaltung künftiger Blindverkostungen verstärkt versuchen, die Verkoster ‚gut aussehen’ zu lassen. Ich mache es dann, wie die Jury in Rosenhecks Artikel: Wer Corvina für Gamay hält, kriegt bei Oxford vs. Cambridge noch Punkte, wer Albariño für Riesling hält hingegen nicht. Als ich das las, fiel mir ein, dass ich neulich zwei wahnwitzig spannende spanische Weißweine (darunter ein Albariño) getrunken habe, die ich hier unbedingt noch beschreiben wollte.
Galicien fortgesetzt
Norrel Robertson, gebürtiger Schotte, ist derzeit Spaniens einziger Master of Wine und mit seiner Firma ‚El Escoces Volante‘ (der fliegende Schotte) so eine Art Kellernomade, der in verschiedensten Ecken Spaniens in Kleinstauflagen aus besonderen Hängen besondere Weine zaubert. Zu seinem Portfolio gehören auch ein Godello (DO Monterrei) und ein Albariño (DO Rias Baixas) die unter dem Label ‚The Cup and Rings‘ gefüllt sind – warum verwirrend viele Eigennamen im Spiel sein müssen ist mir ein Rätsel, zumal solcherlei Gebaren in vielen Ländern das Abfüller-Gespenst samt jeder Menge Mistrauen beschwören. Beide Weine sind ziemlich aufwändig produziert – im Sinne von Selektion, Batonnage, partiellem BSA und ähnlichen Kniffen aus der Wir-machen-eigentlich-nix-Kiste. Heraus kommt ziemlich genialer Stoff, der mich in meinem Bemühen, die wilden weißen Weine Galiciens zu erkunden, deutlich weiter gebracht hat.
El Escoces Volante, The Cup & Rings, Albariño sobre lias, 2013, DO Rias Baixas, Spanien. In der Nase sehr würzig, Birne, getrocknete Kräuter, Wachs, Pistazie, eher ungewohnt. Am Gaumen fleischig, stoffig, zum kauen, kräftige Säure, Sternfrucht und Naschibirne, leichte Phenolik. 24 Monate Hefelager schmecken hier deutlich nach Brotkruste, speicheltreibend, sehr lang. 13 % Alkohol sind defintiv präsent, der Wein hat Bumms. Gefällt mit seiner pointierten Art vermutlich vor allem Rieslingfreunden, wenngleich ich auch keine Verwechslungsgefahr sehe. Großartig.
El Escoces Volante, The Cup & Rings, Godello sobre lias, 2015, DO Monterrei, Spanien. Sechs Monate Batonnage und der erste Eindruck ist: viel Holz, was Quatsch ist, weil der Wein 80% Edelstahl und 20% altes, großes Holz gesehen hat, aber Batonnage erzeugt diesen Effekt gelegentlich – und hier exzessiv. Richtig ‚rocken‘ tut er am dritten Tag: saftige Birne, eher nussig als röstig, dezent grasig, mit moderatem Gerbstoff, körperreich, aber mit Zug, Alkohol (13,5%) durchaus spürbar, feine Phenolik im Abgang. Könnte auch aus Südfrankreich sein, denn das ‚Holz‘ verwischt Typizität, aber das ist extrem gut und vermutlich schaut die Typizität in wenigen Monaten wieder durch.
Offenlegung: die beiden Flaschen wurden mir von Invisus Wines kostenlos als Reaktion auf diesen Artikel zur Verfügung gestellt.