Bernhard Rheinhessen

Hintertupfinger Sankt Dingenskirchen

Am Vorabend der ProWein war ich auf der Falstaff BigBottle Party. Die litt sehr darunter, dass es trotz Ankündigung nicht wirklich etwas zu essen gab, was die meisten Menschen, so auch mich, vom Trinken abhält. Vor der Party stand aber die Tischpräsentation und Verkostung mit 100 Weingütern, darunter so klangvolle Namen wie Angelo Gaja oder Tenuta San Guido. Sassicaia 2008 aus der Magnum war großartig, junger Barolo von Gaja auch. Und dann war da noch der Wolfsheimer Sankt Kathrin Silvaner. Nein, das steht nicht synonym für ein Heer belangloser Weine als vinophiles Äquivalent zu ‚Hintertupfing‘ – den Wein gibt es wirklich und mich (als bekennenden Silvanerfan) hat er fast so berührt wie die großen Roten aus Italien. Martina Bernhard ist nach abgeschlossener Winzerlehre vor kurzem ins elterliche Gut eingestiegen und bringt ein paar neue Ideen ein. Aus denen entstand dieser besondere Silvaner. Ein Teil der Trauben ist maischevergoren, der Rest gepresst und zum Teil im Stahl, zum Teil im Holz vergoren. Am Schluss wurde cuvetiert. Das Ergebnis begeisterte mich nachhaltig.

Also stand ich am nächsten Morgen auf der Messe beim bekennenden Silvanerfan Lukas Kraus und hielt ihm mein Handy mit dem hastig gemachten Foto des Weines (Etikett leider nur halb lesbar) ins Gesicht, während ich auf seiner Scheurebe TBA rumkaute – was ein gigantisches Vergnügen war, also die Scheu, nicht das Fotoinsgesichthalten, denn der Herr Kraus hat bei Müller-Catoir gelernt und beim Thema edelsüß besonders gut aufgepasst, was man gerne mal vergisst, wenn man zu lange auf seine Pornfelder-Etiketten stiert. Und beim Mittagessen hielt ich dem bekennenden Silvanerfan Dirk Würtz mein Handy mit dem Foto ins Gesicht, während wir beide auf dem VDP-Burger rumkauten – was auch ein Vergnügen war, wenn auch nicht mit der Scheu von Herrn Kraus zu vergleichen – und schmatzte ihn an, er müsse diesen Wolfsheimer Sankt Dingenskirchen probieren, von diesem Weingut, das genau so heißt, wie sein bekannter VDP-Kollege aus Schweigen, aber nicht Becker (ich will schon länger eine Geschichte über mein schlechtes Gedächtnis schreiben, vergesse ich nur immer wieder).

Demkumpelseinklassenkameradseinetochterihrwein

Am Abend war ich mit Jörg Thanisch, einem befreundeten Moselaner, und seiner Frau zum Essen verabredet. Auf dem Weg nach draußen holten wir noch einen rheinhessischen Winzer ab und der stand mit seinem Weingut ganz in der Nähe des Weingutes Bernhard, an deren Stand noch Menschen weilten. ‚Von denen habe ich gestern einen großartigen Silvaner probiert‘ merkte ich an und deutete mit dem Kopf in Richtung des Standes. ‚Den kenne ich‘ entgegnete Winzer Thanisch, ‚mit dem war ich auf der Technikerschule.‘ Jörg ist ein Jahr jünger als ich. Jetzt präsentieren mir also schon die Kinder seiner Klassenkameraden ihre ersten eigenen Weine. Alt werden ist scheiße, aber leider die einzige Alternative zum Sterben.

Um mich abzulenken und die Wartezeit zu verkürzen marschierte ich zu Vater Bernhard und bat um eine Probe seines Lagensilvaners. Während er mir den ausschenkte, erzählte ich von meiner Begegnung mit seiner Tochter und dass sie mir erzählt habe, dass sie da gemeinsam Neues ausprobiert hätten. ‚Naja‘, entgegnete er, ‚um ehrlich zu sein, bei diesem Wein habe ich ein bisschen beratend zur Seite gestanden, wenn überhaupt‘ und sein Gesichtsausdruck war diese faszinierende Mischung aus Vaterstolz und Angst vor dem Altenteil, den Winzer erfunden zu haben scheinen. Tja, alt werden ist… – das hatten wir schon.

Ich nahm das Glas mit zurück zu Jörg, bei dem sich mittlerweile auch der Kollege eingefunden hatte. Beide probierten und Jörg stimmte zu: das ist ein tolles Erstlingswerk. Der ‚Rhoihesse‘ drehte hingegen auf: ‚Ach, ich schick Dir mal meinen aktuellen Silvaner, der bombt den weg!‘ – Nee, darum geht es gerade nicht. Weil das aber in Deutschland wohl die Unterstützung ist, die ein junges Talent vom arrivierten 400.000-Flaschen-Nachbar erwarten kann (eigentlich ist der sehr nett, es muss der lange Messetag gewesen sein), reifte in mir die Erkenntnis: Ich muss darüber schreiben. Also ging ich noch mal zum Stand, wo die Jungwinzerin mittlerweile aufgetaucht war, drückte ihr meine Karte in die Hand und sagte, dass ich mich sehr freuen würde, wenn Sie mir ein Verkostungsmuster des Weines schicken würde. Sie schickte.

Wolfsheimer St Kathrin BernhardWeingut Bernhard, Wolfsheimer Sankt Kathrin, Silvaner trocken, 2014, Rheinhessen. In der Nase und am Gaumen alle Silvaner-Klischees bedient: Apfel, Birne, Quitte, Heu, Rauch, Holz – Haken hinter gemacht; was eigentlich fasziniert ist die parallele Existenz: da ist die Ahnung vom leicht dropsigen Stahltanksilvaner mit Limo-Ambition, der Holzfasswuchtbrumme und dieser ungewöhnlichen Mischung aus Oxidation und gerbender Frische, die den guten Orange-Wein auszeichnet (und den schlechten untrinkbar macht), die nebeneinander existieren, miteinander ringen, abwechselnd die Oberhand gewinnen und alle Sinne bespielen. Gleichzeitig ist das ‚Zeuch‘ so lecker, dass man die Flasche an den Hals setzen möchte, obwohl die 13% Alkohol die meiste Zeit nach 14 schmecken, was aber nicht stört, sondern gerade richtig erscheint. Den Abgang messen wir in Minuten – ein berührender Wein. Da ich ihn jetzt das dritte Mal im Glas habe, erlaube ich mir den Luxus, ihn nicht über Tage zu beobachten, sondern mache mir einen schönen Abend. Einen sehr schönen Abend!

Orange als Stilmittel, nicht kompromisslos anders, sondern dezent in einen Wein hineinverschnitten, kein Restzucker, vollständig fokussiert auf das Spannungsfeld Frucht, Würze und Textur mit den Stellschrauben Stahl, Holz, Hefelager und Maischegärung, angewandt auf die heimische Sorte, die das am besten abbildet, den Silvaner. Die 20-jährige (!) Martina Bernhard hat ideologiefrei rumprobiert und vorgemacht, was für genialer Stoff daraus werden kann. Das müssen andere erst mal so gut hinbekommen.

Könnte eine Weile dauern.

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