Wie immer mit Verspätung: ein Jahresrückblick (Teil 1).
2014 stand für mich im Zeichen des Orange-Mainstreamings. Wen das jetzt an Gender-Mainstreaming erinnert – soll es auch, denn ich sehe strukturelle Parallelen (was eine verquaste Formulierung dafür ist, dass ich beides ein wenig verquast finde). Orange hat sich als Trend nicht durchgesetzt (man verzeihe mir, dass ich wider besseren Wissens orange jetzt für den ganzen ‚Natural Wine‘-Zirkus in Sippenhaft nehme), aber es hat aufgrund einer sehr aktiven Anhängerschaft einen erheblichen Einfluss auf die Weintrinkerszene gehabt. Guter Wein musste 2014 zwar nicht orange, wenigstens aber ‚wild‘ sein. Unter wild verstanden nicht alle das gleiche, aber die Tendenz war klar: irgendwelche nicht einzuordnenden Aromen, Gerbstoffe, Bitterstoffe, Lösungsmitteltöne, Fruchtferne, keine dienende Restsüße, Gärnebenprodukte – alles das, was Tante Lotta niemals trinken würde.
Die Mehrzahl der 2014 in sozialen Medien veröffentlichten Weinbeschreibungen klang martialisch, das Wort ‚dreckig‘ ist sehr in Mode, ‚Frucht-Trinker‘ dafür die vinophile Entsprechung des Warmduschers. Verkostungsnotizen klingen nach erlebtem Urinstinkt. ‚Echte Kenner‘ ist scheinbar nicht nur phonetisch nah bei ‚echte Männer‘. In Zeiten, da Bemerkungen über die sexy Kurven der Kollegin aus der Buchhaltung gesellschaftlich inakzeptabler als Türkenwitze sind und der 300 PS Audi ohne Typenschild auskommen muss, um keine bösen Blicke umweltbewusster Nachbarn zu provozieren, definiert mancher seine Männlichkeit über den Mostvorklärungsgrad seines Lieblingsrieslings. Not macht erfinderisch!
Die arrogante Position wäre zu sagen: Wein demokratisiert sich gerade und es reden halt jede Menge Menschen mit, die den Unterschied zwischen wild und unsauber nicht erkennen können. Aber diese Sicht ist falsch. Ich hatte diverse Proben mit Weinprofis im letzten Jahr, die mit Begeisterung die gereichten Sachen tranken, die ich schlicht fehlerhaft fand. ‚Klar hat der ein bisschen Brett/flüchtige Säure/Ethylacetat/Lieblingsfehlerbittehiereinsetzen, aber mit Deiner Einstufung, er sei untrinkbar, schießt Du über das Ziel hinaus‘ war ein Satz, den ich 2014 mehr als einmal zu hören bekam – von Menschen, deren Urteil ich respektiere.
Der Standpunkt, wir wären in einer Zeit angekommen, in der die Lust auf das Naturnahe uns zu Toleranz gegenüber den damit einhergehenden Qualitätsschwankungen bewegt, reicht nicht weit genug, denn da ist nicht Billigung, da ist Begeisterung. Wir bewegen uns in eine Richtung, in der alles im Wein als Aroma durchgeht – und zu jedem Aroma gibt es auch eine Fangemeinde. 2014 war das Jahr, in dem wir die Weinfehler abgeschafft haben. Irgendwer trinkt’s immer. Und so wird aus dem Mangel eine Tugend. 2014 war auch das Jahr, in dem mir ein Winzer, der gerade wieder die bösen Schönungen geächtet hatte, auf meine Frage, was er denn tue, wenn er thermolabiles Eiweiß im Wein habe, einen Wein mit den Worten eingoss: ‚Hier, der ist so ein Problemfall, aber nur ein bisschen und das haben die Qualitätsweinprüfer zum Glück nicht gemerkt, geschmacklich ist der doch super!‘ Ich mag den Mann, ich habe mir auf die Zunge gebissen und nichts gesagt. Die amtliche Weinprüfung, die in Deutschland so wunderbar funktioniert, wird ganz langsam zum Buhmann aufgebaut, unter Beifall eben jenes Konsumenten, dessen Schutz ihr einziges Ziel ist. Mal gucken, wo diese Entwicklung hinführt.
Sauber ist das neue Schund
Was über keinerlei Fehltöne verfügt, ist verdächtig. Wenn ‚nett‘ die kleine Schwester von scheiße ist (pardon my French, please), dann ist ‚sauber‘ der große Bruder von langweilig – gestern als blitzsauber gelobt heißt heute als ‚glattgebügelt‘ verdammt. Harte Kerle trinken (Ihrlieblingsrebellhier), Weicheier trinken Robert Weil. Das war noch eine Erkenntnis aus 2014. Drei ziemlich identische Diskussionen durfte ich in sozialen Medien erleben, die alle eine Mehrheit sahen, die Weils Weine als überteuerten Etikettentrinkerschund abtaten. Selbst eine Phalanx aus Menschen, die man im Social-Media-Sprech als ‚Influencer‘ bezeichnet, angeführt von Wilhelm Weils Ex-Kellermeister Dirk Würtz, die sich bei solchen Gelegenheiten die Finger pro-Weil blutig tippen, kann nicht verhindern, dass er in Teilen der Szene schlicht nicht satisfaktionsfähig ist. Ich gehörte mit zu den Unterstützern, zunächst moderat, ab Herbst dann vehement. Das lag daran, dass ich kaum einem Wein im Jahr 2014 so intensiv begegnet bin wie dem Gräfenberg EG/GG. Im Keller des Weinguts, bei der Vorpremiere in Wiesbaden, entspannt zuhause: ich konnte im letzten Jahr fast alle Gräfenberg-EGs und GGs der letzten zehn Jahre probieren und zwar meist mehrfach, mal zu warm, mal aus großen Flaschen, mal ganz gewöhnlich. Ich habe den Wein jetzt verstanden und sage: großartig. Für mich ist der Gräfenberg daher mein Weißwein des Jahres. Der guten Ordnung halber die Offenlegung, dass ich zu Weihnachten eine Flasche vom Weingut geschenkt bekam.
Doch geöffnet habe ich für meinen Jahresrückblick eine aus meinen eigenen Beständen. Die erinnerte mich dann unsanft daran, dass es doch noch einen Minimalkonsens zu Weinfehlern gibt: den Korkfehler. Lasch und weich war der Korken, der Wein zum Glück nicht TCA-verseucht, das Trinkvergnügen von etwas vorzeitiger Reife aber leicht eingeschränkt. Gut war er trotzdem.
Robert Weil, Kiedrich Gräfenberg, Riesling Erstes Gewächs, 2008, Rheingau. In der sehr angenehmen Nase Pistazie, Melone, Aloe Vera und dezente Alterstöne. Am Gaumen typische Riesling-Aprikose. Was auffällt, ist die wunderbare Balance, die Säure wirkt für den Jahrgang recht mild, was vermutlich am etwas höheren Alkohol von 13,5% liegt, der seinerseits nicht negativ auffällt, weil der Riesling trotz vollem Körper sehr straff wirkt. Ich fand den Wein nur dezent mineralisch/phenolisch, was aber kein Mangel war. Den fand ich im Abgang: zwar sehr lang aber auch mit einer Aromatik, die an Brottrunk erinnert, was beim Riesling für mich zeigt, dass der Wein auf dem absteigenden Ast ist. Dafür begleitete er ein Rindfleischcurry (rote Paste) sehr gut, dessen hoher Anteil an grünen Bohnen dem Wein viel Frische zurückgab. Das war eine perfekte Paarung und schöner Ausklang eines spannenden Weinjahres.
Frohes Neues Jahr!
Danke für die, wie ich finde, sehr klare Analyse der vermeintlichen Weinkennerszene.
In vielem haben sie genau meine Gedanken wiedergegeben.
Für die Zukunft freue ich mich über den Trend zu Vielfalt, Eigenwilligkeit, Eigenheiten. Gegen Megastars, hin zu Herzblut.
Und was bleibt ist immer wieder die Frage:
Was sagt uns der Wein, welche Impressionen bleiben haften, welche Eindrücke dringen tiefer?
Da wirken auch für mich die Anklänge von, wie sie so schön schreiben, Brett, flüchtige, ichweissnichwas, kein bisschen als störend.
Sie sind sogar des öfteren hilfreich und zielführend!
Hallo Herr Wolf, vermeintliche Weinkenner sollen eigentlich nicht Gegenstand des Artikels sein, denn das sind ja welche, die in Wirklichkeit keine sind. Wie hoffentlich im Text hervorgehoben, beziehe ich mich auf diverse Erlebnisse mit Menschen, deren Weinkennerschaft für mich über jeden Zweifel erhaben ist. Die Feststellung, dass wir Weinfehler quasi abgeschafft haben, ist entsprechend wertneutral zu verstehen. Lediglich den Trend zu Intoleranz gegenüber sauberen Weinen bewerte ich – und finde ihn doof (um es mal deutlich zu sagen).
Hallo Felix, danke Dir für den schönen, treffenden, dreckigen Rückblick. 🙂 Interessant ist Deine Verkostung des Kiedricher Gräfenbergs. Vor einem knappen Jahr hatten wir den Wein in einer Vertikale am Weingut und da haben wir ihn ganz anders erlebt: „große Struktur, noch ein Baby, viel Zug am Gaumen, große Länge, schon jetzt schön zu trinken, viel Potenzial“. Ich will den jetzt sofort nochmal probieren. Verdammt, nur wo krieg ich jetzt Flasche her?
http://toaster.wordpress.com/zwei-vertikalen-aus-dem-kiedricher-grafenberg-mit-wilhelm-weil/
Thorsten, ich hatte ihn letztes Jahr auch aus der Doppelmagnum und da war er noch ‚jung‘ aber gut trinkbar. Wie gesagt, die Flasche hatte einen erkennbar schwachen Korken und war definitiv die reifste von drei Flaschen, die ich im letzten Jahr hatte.