Einige Jahre der Kommunikation mit eingefleischten Bordeaux-Aficionados ließen in mir die (nicht ganz ernst gemeinte) Erkenntnis reifen: Es gibt kaum schlechte ‚klassische‘ Bordeaux, es gibt nur unfachmännische Verkoster/Trinker. Denn wenn man einem wahren Bordeauxfreund nahelegt, dass etliche der ‚SuperSeconds‘, Dritt-Crus oder Premier-Gewächse ziemlich durchschnittlich munden, gibt es meist einen Hinweis retour, dass man einen solchen Wein ja auch nicht so trinken soll, wie man es gerade gemacht hat.
Nach allem, was ich von den Profis gelernt habe, durchschreiten Bordeauxweine ihr Dasein auf einem immer gleichen Pfad: Sie sind zunächst zu jung, so dass nur echte Experten sie einzuschätzen wissen, dann sind sie in einer Rückzugs- oder Tiefschlafphase, in der sie im Glas mit Aromen geizen, danach sind sie in einer ersten Reifephase, in der aber die allerwenigsten Genießer wissen, die richtige Dekantier-Zeit zu wählen, bevor sie in einer zweiten Dämmerphase nur von solchen Menschen entkorkt werden, die ‚selber schuld‘ sind. Zum Schluss kommt dann nahtlos der Lebensabschnitt, in dem es keine guten oder schlechten Weine, sondern nur noch gute oder schlechte Flaschen gibt (damit umschreiben Freaks ein Alter, in dem unterschiedliche Korken, Lagerbedingungen etc. zu unterschiedlich entwickelten Weinen geführt haben). Von ‚schlechten Flaschen‘ liest oder hört man bevorzugt dann, wenn sich Bordeaux-Weine mit mehr als 20 Jahren auf dem Buckel in Blindproben nicht so präsentieren, wie es Robert Parker einst voraussagte oder man angesichts des Preises erwarten würde.
Wenn der Bordeaux nicht mundet – selber Schuld
Obendrein sind diese Weine – unabhängig vom Lebensalter – zu jeder Zeit bedroht, aus dem falschen Glas oder mit oder ohne die nicht empfehlenswerte oder höchst nötige Speisenbegleitung gemeuchelt zu werden. Zwielichtige Einkaufsquellen und warme Keller sind sowieso eine nicht zu unterschätzende Bedrohung. Alles dies sind Gründe, warum der erhoffte Genuss beim Trinken eines dieser edelsten und gesuchtesten Rotweine der Welt ausbleibt. Es ist eigentlich immer die Schuld der Trinkenden selbst.
So können fast alle Weine dieser Gattung zu jeder Zeit ihre mittlerweile exorbitanten Preise rechtfertigen. Das ‚fast‘ muss fairerweise als Einschränkung angefügt werden, denn es gibt Jahrgänge bei denen keiner behauptet, die Weine würden jemals durch die korrekte Behandlung zu Glanz gelangen – 1992 ist so einer – und dann gibt es auch Weine, deren Kläglichkeit Legende ist, etwa wenn ein Super Second wie Pichon Comtesse in einem Jahrhundertjahrgang wie 2005 aus unerfindlichen Gründen nichts gescheites auf die Flasche bringt. Überhaupt hat das Weingut immer wieder mal beste Gelegenheiten versemmelt, für den 1990er gab es 79 Parker-Punkte.
Chateau Pichon Longueville Comtesse de Lalande, Pauillac 2e Grand Cru Classe, 1994. Nase: schwarze Johannisbeere und Kirsche, etwas Zeder und Nelke, Rauch/Holz, am Gaumen mittelgewichtig, saftig, etwas holzig, die Frucht ist sehr zurückgezogen, ohne dass komplexe Reifearomen übernommen hätten, Nelke und Süßholz aber nicht sehr druckvoll; im Abgang sehr geschmeidiges Tannin, ziemlich lang. Der Alkohol (12,5%) ist perfekt integriert. 86-88 Punkte, wobei er mir zum Essen am besten gefiel.
Um eine Vielzahl der möglichen Fehlerquellen auszuschließen, habe ich ihn über zwei Tage getrunken, direkt nach dem Öffnen probiert, zwei Stunden karaffiert, dann zu einem nicht zu stark gewürzten Rinderfilet die eine Hälfte der Flasche genossen. Am nächsten Tag gab es die zweite Hälfte über mehrere Stunden. Zum Einsatz kamen ein Riedel-Bordeaux- und ein kleineres Glas. Ich habe vor Jahren 50€ für den Wein bezahlt, was damals etwa marktüblich und heute vermutlich relativ günstig ist. Das Preis-Genuss-Verhältnis ist unterirdisch. Der Wein hat 91 Parker-Punkte. Also bleibt nur eine Schlussfolgerung:
Muss eine schlechte Flasche gewesen sein…