Wenn mein Lieblingswirt mir erzählen würde, er habe gestern eine riesige Knolle in seinem Garten ausgegraben und heute auf die Speisekarte gesetzt, es gäbe wohl Kartoffelsalat. Im Piemont – und da ist das Piemont Berlin irgendwie überlegen – gibt es Trüffelpasta. Und wenn der Wirt dann noch erklärt, er habe einen Deal mit dem Trüffelhundbesitzer, dieser würde keine Pacht für die Schürfrechte zahlen, sondern einfach die Hälfte der Beute abliefern, dann ist klar: das Finanzamt sitzt heute nicht mit am Tisch und also darf gehobelt werden, bis die Arme schmerzen.
Der zweite Unterschied zwischen meinem Lieblingswirt (Damian, Du musst jetzt ganz tapfer sein!) und seinem piemonteser Konkurrenten sind die selbst gemachten Getränke. Während Damian einen prima Kaffee kocht, stellt der Piemonteser seinen eigenen Wein auf den Tisch.
Piemont jenseits der Giganten
Ich war im Piemont auf aaBB-Reise. Das steht für alles außer Barolo und Barbaresco, und bedeutete, dass Thema meiner Exkursionen und Verkostungen eher weniger bekannte autochthone Rebsorten sein sollten, wovon das Piemont einige zu bieten hat.
Am ersten Abend trafen wir uns nach der Anreise erst mal zum Kennenlernen in Vignale Monferrato im Restaurant (und Weingut) Il Mongetto. Der Wein von Wirt und Winzer Carlo Santopietro war ein Rotwein, ein Grignolino, der im Piemont als Grignolino del Monferato Casalese und als Grignolino d’Asti den DOC-Status genießt. Carlo holte ihn aus dem Kühlschrank und schenkte ihn mit dem Hinweis ein, der sei jetzt etwas zu kalt, solle aber deutlich kühler als ein ‚normaler‘ Rotwein genossen werden.
Was mir spontan gefiel, war die süße Frucht des Grignolino, die in ihrer (für mich) schönsten Form in der Nase Erdbeere und am Gaumen eine Mischung aus saftigem Apfel und süßem Granatapfel bietet. Während mein erster Grignolino damit punkten konnte, war er insgesamt eher rustikal. Ohne das Drumherum bliebe er als ‚lecker aber unspektakulär‘ in Erinnerung, was für Weine dieser Preisklasse (einstellig ab Hof) schon Plansoll ist. Lediglich die 13,5% Alkohol stehen dem Einsatz als Zechwein etwas im Weg. Das sei früher auch anders gewesen, erklärte mir der ebenfalls am Tisch sitzende Mauro Gaudio, der mittlerweile einen gänzlich anderen Stil bei seinem Grignolino pflegt. ‚Die Mostgewichte im Piemont sind mit der Erderwärmung in die Höhe gegangen, bei einigen Rebsorten weniger, beim Grignolino aber mehr als bei irgendeiner anderen Sorte.‘ erklärte er. Noch in den 90ern seien 11,5% beim Grignolino normal gewesen, davon sei man heute weit entfernt. Gaudios Wein probierte ich erst beim Tasting am nächsten Tag. Er liest seine Trauben recht spät, produziert einen dichten Rotwein mit Anspruch bei dem auch Holz im Spiel ist. Seiner sollte der einzige diesen Stils sein, der mir bei unserem großen Tasting gefiel.
Grignolino – es ist kompliziert
Der ganze nächste Tag stand dann im Zeichen des Grignolino. Erst Verkostung, dann Treffen und Gespräch mit dem Präsidenten des Konsortiums. Der erklärte uns, ab demnächst gäbe es auch eine Riserva vom Grignolino. Das Ziel ist gesetzt: Schluss mit den gekühlten Weinchen. Abends trafen wir ein halbes Dutzend Produzenten zum Abendessen. Einige sagten ganz offen, dass sie die Riserva für einen Irrweg halten. ‚Als ernsthaften, langlebigeren Wein haben wir schließlich den Barbera‘ argumentieren sie.
Rund 20 Grignolinos kriegte ich auf der Reise ins Glas. Insgesamt gefallen mir persönlich die leichten Versionen besser, das was Sabine Ehrmann ihren ‚Brotzeitwein‘ nennt. Sie ist die Betreiberin des Weingutes Tenuta Tenaglia und eine der Grignolino-Produzentinnen, die wir trafen. Ihre Weinberge liegen an den Hängen des Sacro Monte di Crea, wo sich die seltene Gelegenheit bietet mit einem Bein in dem einen UNESCO Welterbe (die Sacri Monti des Piemont und der Lombardei, auf dem Foto oben die Kapelle ‚Il Paradiso‘) zu stehen und mit dem zweiten in einem anderen (Weinbergslandschaften und Weinarchitektur in Langhe, Roero und Monferrato). Wer Kultur, Bewegung und Wein miteinander verbinden will, findet am Monte di Crea die ideale Gelegenheit dazu und sollte einen Besuch im Weingut Tenaglia in seine Pläne einbeziehen (Kontaktinfos hier).
Beim mittäglichen Tasting passierte indes etwas, was ich noch nie erlebt habe, obwohl unsere Gruppe heterogener kaum sein konnte: ein Pole, ein Israeli, ein Russe, ein Australier, ein Holländer und zwei Deutsche, und wir die Weine nicht besprochen hatten, stand am Ende bei fast allen der gleiche Favorit auf dem Zettel: ‚Primo Canato‘ vom Weingut Canato. Wir nahmen uns eine Flasche mit ins Hotel um in Ruhe nachzuverkosten. Der ist stilistisch irgendwo in der Mitte zwischen allem angesiedelt, was die Sache nicht leichter macht.
Es ging dem Consorzio um eine PR-Offensive, sonst hätte man uns nicht eingeladen. Vielleicht kam die Veranstaltung verfrüht, hätte man erst das stilistische Konzept des Weines glatt ziehen sollen. Andererseits hätte ich dann nur von Trüffeln schreiben können, nicht von leicht gekühlten Brotzeitweinen, die mir so viel Spass gemacht haben.
Canato, ‚Primo Canato‘, Grignolino del Monferato Casalese DOC, 2010, Italien. Sehr intensive Nase mit viel Kirsche, Granatapfel und jeder Menge roter Beeren, dazu etwas Leder und Schuhcreme. Am Gaumen von wunderbarer Struktur mit sehr viel Frucht und genau der richtigen Dosis Tannin, damit das nicht dropsig wirkt. Feine Säure, mittlerer Körper und gut maskierte 13,5% Alkohol ergeben einen Wein mit viel Trinkfluss, der die Frucht betont, aber keinesfalls simpel ist. Sehr langer Abgang.