Die Berliner Sektion des Drunkenmonday Weinblogs hatte neulich zu einer Probe geladen, die für mich ein absolutes Novum werden sollte: erstmals fand ich eine Verkostung großartig, bei der mich die Mehrzahl der Weine eher nicht vom Hocker haute. Der Grund war der ebenfalls anwesende Winzer, denn der berichtete in einer Offenheit von seinem (Quer-)Einstieg in das elterliche Weingut, die ich vermutlich kein zweites Mal erleben werde.
Johannes Hasselbach ist der Junior im Weingut Gunderloch. Dieses gehört zu den international bekanntesten Deutschen Weingütern. Der Hausherr unseres Probenraumes, Billy Wagner von der Weinbar ,Rutz‘, wusste zu berichten, dass ausländische Riesling-Fans, die sein Haus besuchen, in der Regel vier deutsche Weingüter kennen: Robert Weil, Egon Müller, J.J. Prüm und eben Gunderloch. Grund dafür ist, dass Johannes‘ Vater dereinst mit einer Beerenauslese drei mal hintereinander 100 Punkte in der Zeitschrift Wine Spectator für aufeinanderfolgende Jahrgänge des gleichen Weines erzielte – eine Leistung, die nicht einmal Güter wie Petrus oder d‘Yquem erbringen konnten. In der Rekord-affinen angelsächsischen Welt taugt das zur Legendenbildung.
Doch vom Export edelsüßer Spitzen allein kann kein Weingut leben. VDP-Betriebe wie Gunderloch werden mehr und mehr an ihren trockenen Weinen gemessen – allen voran den GGs. Mehr trocken, mehr Inland, das sind die Herausforderungen und da hat Gunderloch noch Hausaufgaben zu erledigen, wie Hasselbach Jr. ganz offen einräumte. Die Jahrgänge 2005 und 2007 bescherten Gunderloch in der Vorzeigelage Nackenheim Rothenberg schwierige Weine mit Spuren von Sonnenbrand und Trockenstress, das ergab ein ziemlich geteiltes Echo in der hiesigen Rieslingszene.
Ich habe ein Problem mit den trockenen Gunderloch‘schen Rothenberg-Weinen. Die sind in der Aromatik und vor allem im Abgang allesamt von einer Note dominiert, die der Winzer ,erdige Töne‘ nannte, bei mir immer die Assoziation von braun auslösen und von manchen Weinbeschreibern als ,rauchige Mineralik‘ bezeichnet werden. Während ich das in kleinen Dosen sehr schätze, spielen die Rothenberg-Rieslinge die Karte so fulminant, dass es mir zu viel ist. Bei Gunderlochs Pettenthal GG ist dieses Aroma nie ein Problem. Ich habe bekanntlich einen Durchschnittsgaumen und so ist es denkbar, dass auch andere ihre Probleme mit den Weinen haben. Johannes Hasselbach jedenfalls startete vor zwei Jahren Experimente in alle Richtungen, um Veränderungen im Weingut zu erzielen. Das fängt bei der Bewirtschaftung der Weinberge an und geht nahtlos bis in den Keller.
Die Art wie er davon berichtet, auch von Fehlschlägen und Fragen, auf die er einfach keine Antwort findet, ist imponierend ungeschminkt. Kostprobe gefällig? ,Ich habe Parzellen im Portfolio, die liegen nah am Rhein, der jeden morgen Nebel in den Weinberg schwemmt, wenn ich die Traubenzone vollständig entblättere, bekommen die Trauben ob der totalen Südausrichtung einen Sonnenbrand, tue ich es nicht, habe ich sehr früh alles mit Botrytis infiziert. Also entblättere ich teilweise und spritze Botrytizide, obwohl ich es nicht möchte. Die Weingärten sehen nicht so schön aus, wie meine ökologisch bewirtschafteten und ich fühle mich damit unwohl, aber ich habe halt noch keine andere Lösung gefunden.‘ Solche Sätze kriege ich selten zu hören und wenn, dann nur mit der Maßgabe, das sei vertraulich und bitte nicht für mein Blog bestimmt.
Noch spannender aber sind die Geschichten über gelungene Veränderungen. Da ist zum einen der Riesling ,Als wär‘s ein Stück von mir‘ – benannt nach einem Zitat Zuckmayers, des bekanntesten Sohnes Nackenheims – der mit seiner mittleren Dichte und schönen Struktur eine perfekte Balance zwischen Spritzigkeit und Anspruch präsentiert. Und da kamen zwei Experimentalweine auf den Tisch mit dem simplen Namen ,Riesling im Weinberg vergoren‘. 2011 startete Hasselbach einen Versuch: wie würde wohl ein Riesling schmecken, der den elterlichen Keller nie zu Gesicht bekommt (beziehungsweise erst als fertiger Wein). Im ersten Anlauf ging es schief, da der vor Ort im Weinberg angesetzte Most nicht durchgären wollte und später ins warme Büro des Juniors umziehen musste. Doch im zweiten Jahr rüstete Hasselbach auf. Er baute sich einen isolierten Gärbehälter, zweigte bei diversen Lesegängen Trauben ab und bereitete einen Wein vollständig im Weinberg, vergoren wirklich nur mit weinbergseigenen Hefen, durchgegoren ohne jeden Einfluss der Kellerflora – sogar die mobile Presse beschaffte er aus anderer Quelle. Jeden Morgen, wenn die Sonne kam, wurde das Gärgefäß frei gelegt, um Wärme zu tanken und für die Nacht dann mit Thermofolie wieder abgedeckt. Das Ergebnis ist verblüffend, denn der Wein zeigt keinerlei malzige Noten, ist duftig-blumig wie man es von keinem anderen Gunderloch-Wein kennt.
Das wirft Fragen zur Theorie vom Terroir auf. Um sie zu beantworten benötigt man sicher mehr als einen Wein. Aber spekulieren kann man ein wenig. Die Kellerflora des Weingutes allein kann die erdigen Töne nicht erzeugen, dann müssten auch die Weine aus der Lage Pettenthal davon gekennzeichnet sein. Doch sind die meisten Weinaromen schon als gebundene Rohstoffe in der Traube enthalten. Die Hefen lösen sie in der Gärung aus, danach ermöglicht der im Wein anwesende Alkohol zusätzliche Aromabildung durch sogenannte Veresterung. Es wäre also denkbar, dass die Weinbergshefen – nennen wir sie mal ,Blumenkinder‘ – im Most die duftigen Aromen abspalten, während die Kellerhefen – bezeichnen wir sie völlig wertneutral mal als ,Orks‘ – die dunklen Aromen freisetzen. Den Rohstoff für beide Ausprägungen hat die Traube der Lage Rothenberg zu verdanken. Welches wäre dann der ,wahre‘ Terroirwein?
Wäre ich Winzer, würde ich den Keller kärchern, den Orks den Garaus machen und so lange Moste im Weinberg angären und dann ins Gewölbe verlagern, bis die Blumenkinder ihn vollständig erobert haben. Aber vielleicht werden aus Blumenkindern Orks, wenn man sie in den Keller sperrt? Fragen über Fragen! Zum Glück muss ich sie nicht beantworten. Ich muss nur Wein trinken. Experimentalwein. Von Blumenkindern.
Gunderloch, Riesling ,Im Weinberg vergoren‘, 2012, Rheinhessen. In der Nase duftig wie eine Blumenwiese aber nicht opulent, dazu wenig Frucht (ein Hauch Grapefruit) und ein bisschen Aloe Vera. Am Gaumen ist der Wein furztrocken, schmeckt ein bisschen nach Grapefruit und ganz viel Kreide, von erdigen Tönen keine Spur. Ich habe schon mehrfach sehr trockene, spontanvergorene Weine in so jungem Stadium und dann später gereift getrunken und war manches Mal überrascht, wie viel Frucht da noch kommen kann, insofern mag ich das nicht ausschließen. Aber der Wein hat eine gewisse Strenge und Ernsthaftigkeit, die er sich vermutlich erhalten wird. Das macht ihn nicht einfach zu trinken aber zu einer echten Erfahrung. Die Leichtigkeit der Aromen bildet dazu einen schönen Kontrast zur Straffheit am Gaumen und als Essenbegleiter ist er großartig. Um den Trinkfluss geht es bei dem Wein letztlich weniger, sondern um das Experiment und das ist in jeder Hinsicht außergewöhnlich.
Der guten Ordnung halber: Der Riesling war eine freundliche Spende von Johannes Hasselbach, der mir einen halben Liter frisch abzapfte, damit ich ihn zuhause in Ruhe über mehrere Tage probieren kann. Von ihm stammen auch die Fotos. Der Wein ist nicht käuflich zu erwerben. Wer beim Weingutsbesuch ganz lieb fragt, darf ihn vermutlich mal probieren.
Eigentlich….ist (oder war) die Kenntnis des Uhland-Gedichtes und insbesondere des zitierten Abschnittes bei Inhabern mittlerer Bildungsabschlüsse ohne weiteres geläufig :-). Etwa wie die Kenntnis der beiden Weinarten Rot und Weiß. Aber: tempi passati.
Muss man halt auch wirklich nicht kennen und mit Bier kommt man so weit wie mit Wein 🙂
Das Gedicht hat übrigens durch missbräuchliche Verwendung eine traurige Vergangenheit. Kann man aber auch vergessen.
Beste Grüße
Heinz Magnus
Klitzekleine Anmerkung zum Text, der mir wie immer sehr gut gefällt: das Zitat zum Wein „Als wär’s ein Stück von mir“ hat Zuckmayer Uhlands „Lied vom Guten Kameraden“ entnommen. Für die (übrigens sehr spannende) Autobiographie mag das hingehen, als Zitat eines Zitates für einen Wein zeugt es eher von nicht allzu stark ausgeprägtem Fingerspitzengefühl. Oder kennt man die Wörter davor nicht mehr?
Beste Grüße
Heinz Magnus
Tja, wie viel Literaturkenner muss in einem Winzer stecken? Ist allerdings was dran: wenn es als Name für einen Wein dient, sollte das Zitat 100 Prozent vom Sohn des Dorfes sein. Wie verbreitet ist diese Erkenntnis denn? Geheimwissen von Spezis oder Standardbestandteil des humanistischen Bildungskanons (bei dem ich Lücken eingestehen muss, dafür kann ich WordPress bedienen ;-))?