Sherry

Jerez & El misterio del Palo Cortado (Weinrallye #83)

Wein in Film und Fernsehen ist das Thema der Weinrallye im Februar und der Zufall wollte es, dass ich letzte Woche im Rahmen des kulinarischen Kinos auf der Berlinale zur Premiere einer Dokumentation über Sherry eingeladen war. Damit kann ich zum Thema beitragen, was ich hiermit tun will. weinrallye-logo-gros-mit-text.thumbnailWer nicht weiß, was eine Weinrallye ist, der liest beim Gastgeber nach, wo sich spätestens Freitag auch Links zu allen anderen Beiträgen der Rallye finden.

Wenn ich nach dem Besuch der Premiere eines Dokumentarfilms als erstes mein Smartphone zücke und das Thema des Filmes bei Wikipedia recherchiere, dann war der Film entweder sehr gut oder sehr schlecht, aber auf jeden Fall ‚sehr‘ und nicht ‚ein bisschen‘. Aber was war er nun – oder anders und näher am Thema gefragt: war das Glas halbleer oder halbvoll?

Palo Cortado
Titelbild und dieses Bild: Filmszene aus Jerez & El misterio del Palo Cortado © lopez-li films/ Zampa audiovisual

Jerez & El misterio del Palo Cortado heißt ein Dokumentarfilm (Spanisch mit englischen Untertiteln) über Sherry und seine gemeinhin als edelste Ausprägung betrachtete Spezialität, den Palo Cortado. José Luis López Linares geht in seinem Film auf Spurensuche … nein, das täte wohl ein deutscher Dokumentarfilmer. Das wäre zu einfach. Drehte ein Deutscher einen Film über den Palo Cortado, dann hätten wir eine ständige Stimme aus dem Off, die (von Ingenieuren für Ingenieure) all das erklärt, was ich später bei Wikipedia suchen musste. Je nach Talent des Regisseurs wäre das mehr oder weniger unterhaltsam. Das Hauptkriterium zur Bewertung wäre aber klar: ist das Geheimnis des Palo Cortado beschrieben und gelöst?

Linares geht emotionaler an sein Thema. Er lüftet das Geheimnis nicht und das einzige, was an diesem Ansatz stört, ist die Tatsache, dass er es auch nicht richtig beschreibt. Palo Cortado ist ein Sherry, der anfänglich reduktiv und später oxidativ reift. Die ersten Palo Cortados waren wohl Produkt des Zufalls und mangelnder Kontrolle. Die schützende Flor-Schicht im Sherry-Fass starb ab und der Kellermeister bemerkte es zu spät. Den Plan einen guten Fino zu erzeugen musste er aufgeben. Die Fässer mit potentiellem Fino waren mit einem senkrechten Strich markiert. Diesen strich der Kellermeister durch und dieser Querstrich gab dem Cortado seinen Namen. Dass das Geheimnis die ursprünglich unkontrollierte Entstehung ist, kann ich nur mutmaßen. Die Striche kommen im Film durchaus vor, aber was die älteren Herren dazu erzählen, konnte ich erst mit dem Smartphone entschlüsseln.

Jerez
Filmszene aus Jerez & El misterio del Palo Cortado © lopez-li films/ Zampa audiovisual

Ältere Herren gibt es eine Menge in diesem Film; spanische Sonne, lachende Landarbeiter im Weinberg, dunkle Keller – kein Klischee fehlt. Doch wer sich ein bisschen mit Wein beschäftigt, der weiß, dass vieles gar kein Klischee ist. Wein wird in Kellern gemacht, die Sherry-Region hat ein Nachwuchsproblem, weswegen viele Herren auch nach Erreichen diverser Altersgrenzen immer weiter arbeiten und die Heiterkeit der Weinbergsarbeiter wird im Film sehr freimütig mit dem Glas (oder zwei oder drei) Sherry für die Belegschaft unter sengender Mittagssonne erklärt. Doch was fröhlich beginnt, kippt irgendwann, wenn klar wird, dass der Sherry ein Nischenprodukt geworden und immer schwerer zu vermarkten ist. Die Verantwortlichen reagieren. Sie machen das sehr geschickt, indem sie nicht einfach Geld in Werbung stecken, sondern versuchen das Produkt in der gehobenen Küche zu verankern. Sie arbeiten mit den besten Köchen und Sommeliers des Landes, trainieren diese im Umgang mit dem Produkt und machen sie zu Botschaftern des Sherry. Auch das zeigt der Film. Es verbreitet Hoffnung und Zuversicht, wenngleich eher in den Gesichtern der älteren Herren, nicht so sehr bei mir als Zuschauer, dafür ist meine emotionale Bindung zum Thema nach 60 Minuten Doku noch nicht innig genug.

Der emotionale Ansatz verleiht dem Film einen gewissen Zauber. Ich habe keine Ahnung von Sherry, weil mich gespritete Weine nicht reizen. Also war ich ein guter Testzuschauer. Am Ende des Filmes wusste ich ein bisschen mehr über Sherry aber immer noch nicht wirklich viel. Ich fühlte mich aber 90 Minuten gut unterhalten. Dass eine gewisse Weinaffinität nicht schaden kann, stellte ich beim Blick auf die Kritiken anderer fest. Mindestens ein Kritiker, der den Film allein aus filmkünstlerischer Perspektive beurteilte, fand ihn sterbenslangweilig. Das überrascht mich. Denn um zur Ursprungsfrage zu kommen: das Glas war halbvoll. Ich fand den Film sehr gut, gerade weil er kein Wikipedia-Wissen vermittelte. Mit tollen Bildern von wunderschönen Landschaften und interessanten Menschen weckte er Neugier, die so stark war, dass ich nicht bis zur Heimkehr warten mochte, um das Geheimnis des Palo Cortado auf die deutsche Art zu ergründen. Da es im kulinarischen Kino auch ein anschließendes Menü mit jeder Menge Sherry gab, konnte ich dem Geheimnis aber auch auf die beste aller Arten nachspüren: mit Nase und Gaumen. Und das versöhnte mit den kleinen Schwächen, die Jerez & El misterio del Palo Cortado zweifellos hat. Daher die Empfehlung: Wenn Sie sich für Wein interessieren (ein bisschen reicht vollkommen) schauen Sie diesen Film, aber achten Sie auf geeignete Weinbegleitung – Palo Cortado böte sich wohl an.

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