Die Mehrheit der Befragten gibt in Umfragen regelmäßig zu Protokoll, immun gegen Werbung zu sein. Gleichzeitig geben die Interviewten an, dass Werbung ihrer Meinung nach auf andere Menschen wirken würde. Das ist ein amüsantes Phänomen, denn tatsächlich muss man Konsumenten, an denen Werbung spurlos vorbei geht, mit der Lupe suchen. Es gibt sehr wohl eine gewisse Zahl von Menschen, die lautstark beworbene Produkte bewusst und aus Protest meiden, aber selbst das ist eine Form der Werbewirkung – woher sollten die Protestler sonst wissen, was sie boykottieren müssen?
Ganz ähnlich verhält es sich vermutlich mit Weinwettbewerben. In meinem Freundeskreis gibt es nur Menschen, die Kammerpreismünzen müde belächeln, Mundus Vini für eine Marketingveranstaltung halten, bei der jeder einen Preis gewinnt, der nicht bei drei auf den Bäumen ist und gern und deutlich kundtun, dass Robert Parkers Punkteurteil nicht Maßstab für sie ist. Ich selbst äußere mich auch regelmäßig in diese Richtung.
Doch völlig immun bin ich natürlich nicht. Mundus Vini Medaillen beeindrucken mich tatsächlich nicht im Mindesten und auch die Bronzene Kammerpreismünze lockt mich nicht hinterm Ofen hervor (die gefühlten zwölf Millionen Staatsehrenpreise von Kees-Kieren nötigen mir allerdings Respekt ab). Doch internationale Vergleichswettkämpfe bei denen möglichst teure Weine renommierter Erzeuger blind mit Newcomern (die natürlich viel billiger sind) verglichen und von diesen geschlagen werden, erzielen Wirkung bei mir. Dabei ist mir bewusst, dass die Newcomer als weniger wertige Weine oft einfach früher genussreif und die Wettbewerbe der Vergleich von Äpfeln und Birnen sind.
Meine Liebe zu deutschem Spätburgunder ist solchen Wettbewerben geschuldet. Denn in den letzten zehn Jahren hatten die Deutschen beim Pinot die Rolle des Newcomers inne. Und es war die Kunde von mehreren Wettbewerben und Vergleichswettkämpfen, die ein Wein des Weingutes Knipser gewonnen hatte, die mich veranlasste, mich intensiver mit heimischem Spätburgunder zu beschäftigen. Und daraus wurde dann innige Leidenschaft.
Besagter Wein war ein 2003er Kirschgarten GG. Der Wein war längst ausverkauft, als mich die Kunde von seinem Erfolg erreichte. Ein großzügiger Weinfreund ließ mich später an einer Flasche teilhaben und das Erlebnis war ernüchternd. Wie viele andere 2003er auch, hatte der Wein eine Entwicklung genommen, die hinter meinen Erwartungen zurück blieb.
Das ändert nichts daran, dass der Kirschgarten für mich ein besonderer Wein ist. 2004 war ganz ohne gewonnene Wettbewerbe ein Riese und auch 2005 ist mit das Beste, was ich für unter 40€ an Spätburgunder kenne.
Knipser, Spätburgunder Kirschgarten GG, 2005, Pfalz. In der Nase Himbeere, Holz, Rauch und Lakritz. Das alles findet sich auch am Gaumen, wenngleich dort die Frucht die Hauptrolle spielt. Voll und fruchtig ist der Kirschgarten, mit noch leicht spürbarem Holz, deutlicher Mineralik, milder Säure, perfektem Tannin und dieser interessanten Lakritz-Note. Der Abgang ist extrem lang. Tief, komplex und wahnsinnig harmonisch – das ist Spätburgunder auf Weltklasseniveau.
Bei den Kollegen von NEPV hat er neulich in einem kleinen Wettbewerb fürchterlich abgestunken. Aber so ist das mit Spätburgunder. Und mit Wettbewerben…
Lieber Guido, wie in diesem Blog ja fast Mantra-mäßig wiederholt, ist – selbst wenn Du alle Besonderheiten des Verkosters und der Verkostungssituation einrechnest – der wichtigste Unterschied ja ein ganz simpler: Verkosten versus Trinken, Schlucken versus Spucken. Oft komme ich zum gleichen Ergebnis, manchmal aber auch nicht. Vermutlich hätte ich als Teilnehmer Eurer Probe den Wein auch nicht gut gefunden, ich bin da eigentlich immer sehr mainstreamig. Insbesondere (vermeintlich) hohen Alkohol kann bei mir je nach Vorgängerwein in einer Verkostung eine ganz andere Wirkung entfalten als beim gemütlichen schlürfen. Dabei geht es nicht um richtig oder falsch, denn was ist jetzt besser, wenn ich mir eher hohen Alkohol schöntrinke oder z. B. durch eine Probenreihenfolge übermäßig stark sensibilisiert bin?
Blind versus offen sehe ich eher nicht als Faktor, da ich noch nie Probleme hatte, teure oder berühmte Weine schwach zu finden. Ich bin blind sogar eher toleranter 😉
Lieber Felix,
auch wenn Dein Post schon lange zurück liegt, möchte ich heute noch ein paar Gedanken dazu schreiben.
Du hast in Deiner Aufzählung „Aber so ist das mit Spätburgunder. Und mit Wettbewerben…“ zwei wichtige Komponente nicht genannt – nämlich den Verkoster – und seine Verkostungssituation.
Punkt 1: Der Trinker
Ich glaube, Du wirst mir mit folgender These beipflichten:
„Manch Weintrinker reagiert weniger kritisch auf gewisse Komponenten im Wein als ein anderer. Was für den Einen total gelungen erscheint, mag dem Nächsten schon nicht mehr gefallen – weil schlicht die Toleranzen/Vorlieben/Empfindlichkeiten unterschiedlich sind.“
Das gilt nicht nur für – wie hier – bei der Alkoholwarnehmung, vergleichbares erlebe ich zB auch oft in Sachen „flüchtiger Säure“ und – nicht zuletzt – dem Wahrnehmen des TCA-Fehltons.
Da entfachen spontane Glaubenskriege…
Punkt 2: Die Verkostungssituation
In unserer Veranstaltung kam der Wein blind auf den Tisch – vor Dir stand offen ein Wein Deiner Kategorie „Lieblingswein“. Bei uns war es somit allein der Wein, der auf unsere Wahrnehmung einwirken konnte – und dem wir auch gute Zeit hierfür gegeben haben.
Versteh mich bitte nicht so, dass ich sagen will: wer offen trinkt, kann nicht kritisch hinterfragen.
Der Vorteil des Offentrinkens ist nach meiner Meinung: der Wein erklärt sich vielleicht besser (Besonderheiten der Lage oder des Jahrgangs), er wird damit aber nicht zwingend besser.
Zudem, ich vermute, Du hast an diesem Tag „nur“ mit diesem einen Wein beschäftigt – auch dass kann vielleicht erklären, weshalb der Wein in Sachen Alkohol nicht so auffällig wurde; weil vielleicht der direkte Vergleich gefehlt hat, der dies vielleicht besonders herausgearbeitet hätte… alles Spekulation und – bitte – nicht als Kritik an Deiner Verkostung zu verstehen.
Im Zweifel ist es vielleicht einfach: Punkt 1 :=)
Viele Grüße und stets einen guten Schluck im Glas wünscht
Guido
P.S. Der Ansatz unseres Kraftaktes ist übrigens nicht ein „wer bringt den schönsten Wein mit“ im Sinne eines Wettbewerbs mit – sondern: „jeder bringt nur schöne Weine mit“ .
Dass es am Ende dann doch eine Kür der drei schönsten Weine des Abend gibt, liegt allein darin begründet, dass diese Biester unsere Erwartungen nicht immer erfüllen wollen.
Aber genau so ist das mit Spätburgundern… 😉