Manche Erlebnisse verbinden sich in meinem Gedächtnis mit einem einzelnen Wort. So erging es mir auch bei meinem Besuch des Mosel-Weinguts Weins-Prüm. ‚Aufgeräumt‘ kam mir in den Sinn und hat sich dort seitdem festgesetzt. Nicht weil die Winzerstube besonders sauber gewesen wäre – das war sie auch, aber diese Bedeutung des Wortes ist nicht gemeint. Selten bin ich einem Winzer begegnet, der so aufgeräumt wirkte, in sich ruhend, freundlich, mit sich und seiner Umwelt im Reinen. Aber der Reihe nach.
Kurz vor meinem Moseltrip trank ich eine Flasche Wein mit meinem Freund Charlie, der, wie mehrfach erwähnt, in meinem Leben für die Altweinerlebnisse zuständig ist. Es handelte sich um einen fruchtsüßen Kabinett aus der Lage Wehlener Sonnenuhr aus dem Jahrgang 2001 vom Weingut Weins-Prüm (oder Dr. F. Weins-Prüm, wie der exakte Name lautet). Es war ein Altwein aus der Kategorie ‚war vermutlich nie besser als heute‘, einer, den auch Menschen verstehen und mögen, die Riesling lieber frisch trinken. Ich merkte an, dass Weins-Prüm zu den Gütern gehört, die ich lediglich dem Namen nach kenne. Das solle ich ändern meinte Charlie und bot an, mir ein Entree bei Bert Selbach zu machen, dem Inhaber des Weinguts.
Also besuchte ich Weins-Prüm auf meiner Moselreise. Das Gut ist in einer klassischen Moselschiefer-Kastenvilla untergebracht – das Haus links neben dem berühmten Vetter J.J. Prüm und wie dieses auch aus der Erbteilung der Prüm’schen Besitztümer 1911 hervorgegangen. Herr Selbach ist ein direkter Nachfahre und der letzte seiner Art. Mangels Nachkommen hofft er auf einen Sinneswandel bei Nichte oder Neffe, allerdings scheint ihm das keine Sorgenfalten auf die Stirn zu treiben. Er begrüßte uns mit der Bemerkung, er sei eben gerade im Keller gewesen und habe mal gezählt, er habe noch genau 640 Flaschen Wein zu verkaufen – Ende August! Aber auch das schien ihn nicht zu zermürben. Ja, die Ernte sei sehr klein gewesen. Man habe daraufhin die Preisliste ausschließlich an Kunden verschickt, die in den letzten zwei Jahren etwas gekauft hätten (Marketing auf moselanisch) und dieses Jahr würde er eine kleine Portion des Gutsrieslings vielleicht schon im Dezember füllen, für die amerikanischen Kunden. Er wirkte dabei – wie erwähnt – völlig aufgeräumt.
Weins-Prüm: Riesling aus Top-Lagen
Weins-Prüm ist Mitglied im VDP und die Weine tragen den Adler auf der Kapsel. Auf die Verwendung der anderen Insignien wie VDP.Große Lage verzichtet das Weingut. Selbach berühren die heißen Themen Lagenverbrauch und GG nicht, er macht eh nur süße Weine mit Ausnahme eines trockenen Gutsrieslings. Den probierten wir als erstes und er gefiel mir ausnehmend gut, dabei war ich doch wegen der süßen Weine gekommen. Während wir probierten, erzählte Selbach von seinem Weingut. Die 4,5 Hektar Weinbergsfläche liegen in Top-Lagen, darunter dem Kernstück des Erdener Prälat und dem Ürziger Würzgarten. Selbach arbeitet weitgehend allein, im Frühjahr kommen Helfer für das Binden, im Sommer für die Laubarbeit und dann ein Team von Lesehelfern. Den Rest macht er selbst und wenn die Ernte wie 2013 kleiner ausfällt, dann gibt es halt weniger Wein, Zukauf gehört nicht zum Plan.
All diese Informationen vermittelte Selbach binnen kürzester Zeit. Er redete in normalem Tempo und noch nicht einmal besonders viel; trotzdem hatte ich nach einer Stunde den Eindruck, ich wüsste alles Wissenswerte über das Weingut und die Weine. Dabei zeigte der Winzer eine manchmal unheimlich anmutende Fähigkeit Gedanken zu lesen: mehrfach kamen mir Fragen in den Sinn, die er mit dem nächsten Satz beantwortete, noch bevor ich sie stellen konnte. Und es schien sehr glaubhaft, was Selbach erzählt, denn wer will, findet Ansatzpunkte zur Kritik. Er habe 2013 Botrytizide gespritzt und er sei heilfroh drum, denn erstens hätte er sonst noch weniger Wein und zweitens habe er damit seine Trauben bis in die allerletzte Sonnenscheinperiode gerettet, was zumindest qualitativ zu einem Happy End führte. Wir rochen in unser Glas und konnten nur zustimmen. Und ja, er habe entsäuert, auf jede Kelter ein Kilo Kalk, damit es keines separaten Filtrationsvorgangs bedürfe. Meine jüngeren Winzerfreunde schlagen bei so einer Aussage die Hände vors Gesicht: ‚Damit extrahierst Du Bitterstoffe, das wird seit zwanzig Jahren gelehrt, dass man das nicht macht‘. Wie gut, dass das niemand den Trauben von Herrn Selbach erzählt hat, denn vermehrte Bitterstoffe finden wir in keinem der Weine – grau ist alle Theorie. Auch das Thema Vergärung streiften wir: Er lese jedes Jahr zu Beginn eine Fuhre ausgesucht gesunden Traubenmaterials und bringe dies spontan zur Gärung. Aus diesem Fuder beimpfe er dann jede neue Partie. Wie man das nun nennen soll, überließ er uns – er war da ganz aufgeräumt.
Nach einer guten Stunde waren wir wieder raus und Herr Selbach hatte deutlich weniger als 640 Flaschen zum Verkauf übrig. Aber auch das nahm er mit fröhlichem Gleichmut. Dass er auf seinen Weinen sitzen bleibt, muss er eh nicht befürchten – angesichts einer Preisgestaltung, die bei 6,80 Euro für den Gutswein beginnt und bei 14,50 Euro für die Auslese aus dem Prälaten endet. Die süßen Kabinette werde ich für viele Jahre weglegen. Dass sich das lohnt, weiss ich von Charlie und 2013 schmeckt nach enormen Reifepotential. Ich werde ein Eckchen im Keller finden – müsste halt mal wieder aufräumen.
Weins-Prüm, Gutsriesling trocken, 2013, Mosel. In der Nase fruchtig mit Grapefruit und süßlich-mürbem Apfel – etwas süßer und malziger als der Wein sich am Gaumen präsentiert. Denn da findet sich vor allem Zitrus (Grapefruit), etwas Aprikose und viel grüner Apfel. Der Wein ist ziemlich trocken, sehr mineralisch/phenolisch mit kräftiger Säure, die aber nicht zu heftig daherkommt. Der Wein ist gefällig, verleugnet aber den Jahrgang nicht. Er ist nicht sehr kräftig, ein klassischer Mosel-Gutsriesling, mit viel Saft und gut integrierten 12% Alkohol – das ergibt wunderbaren Trinkfluss. Der Abgang ist mittellang. Das war mein Lieblingsschoppen in der zweiten Sommerhälfte.