Am 27. November findet die zweite RAW Wine Berlin statt, die Messe für Naturweine. Und weil man über die Messe nicht mehr ideologiefrei diskutieren kann, reden wir doch mal über deren Besucher. Und wenn wir gerade dabei sind, klären wir auch gleich die Frage, wer hipper ist: London oder Berlin.
Ob ich vielleicht eine Messeankündigung im Blog schreiben könne, fragte mich eine Bekannte vor kurzem, die nebenbei die PR für die Raw macht. Eigentlich eine gute Idee: ich bin dem Thema bekanntlich etwas zugetan. Aber was sollte ich schreiben? Mein Weinjahr 2015 wäre perfekt gewesen, hätte mich nicht diese fiese Erkältung vom Besuch der ersten Raw in der Berliner Markthalle Neun abgehalten. Über Hörensagen berichten?
Raw Wine Berlin – wie wird’s?
Andererseits zeigte mir das: ich habe keine Ahnung, was mich dieses Jahr auf der Raw erwartet. Also rief ich einen Winzer an, der es mir erklären konnte. Und weil der ein Raw-Veteran mit London-Erfahrung ist und ich neugierig, hatten wir schnell ein Gesprächsthema: Was ist eigentlich der Unterschied zwischen dem Londoner und dem Berliner Raw-Publikum?
Er sei ein Raw-Fan der ersten Stunde und auf der allerersten Messe noch als Besucher gewesen, schickt Michael Völker von 2Naturkinder vorweg. ‚Ich habe damals in London gelebt. Ohne die Diskussionen und Tastings der ersten Raw gäbe es die 2Naturkinder wohl nicht.‘ Die Unterschiede beim Publikum kann er klar benennen. Nach den äußeren Merkmalen gefragt, hebt er Alter und Geschlecht hervor. ‚Das Londoner Publikum ist jünger und weiblicher‘, erzählt Völker. ‚Das Naturweinthema ist generell so, und in London ist das sehr deutlich zu sehen.‘ In Berlin letztes Jahr sei das nur teilweise zu beobachten gewesen. ‚In Berlin gab es eine nicht zu übersehende Anzahl von Mittfünfzigern mit Seidenschals, die ihre Gläser betont professionell schwenkten und den Eindruck machten, als befänden sie sich in Feindesland und müssten jetzt mal schauen, was diese komischen Menschen da so treiben.‘
Doch neben den älteren Herren fielen ihm auch einige ganz junge auf. ‚Da waren viele von unseren Technikerschulen und aus Geisenheim, die haben Fahrgemeinschaften gebildet und sind extra für die Raw nach Berlin gekommen. Ich hatte den Eindruck, die waren auf der Suche nach Mittel und Motivation für die Revolte gegen die Altvorderen.‘ Dass das Premierenpublikum dieses Jahr wiederkommt ist natürlich nicht gesagt.
Raw Berlin – absolute Beginner
Aber Äußerlichkeiten sind nebensächlich, die eigentliche Frage lautet doch: Wie unterscheiden sich die Berliner von den Londoner Besuchern, wenn es um die Verkostung von und Kommunikation über Naturweine geht? ‚Das ist einfach‘, kommt Völkers Antwort wie aus der Pistole geschossen. ‚Die Berliner hatten vielfach keine Erfahrung mit Naturweinen, ganz viele Besucher tasteten sich erst an das Thema heran.‘ Und es gab noch einen anderen wichtigen Unterschied: ‚Die Londoner Raw dauert zwei Tage und ist unterteilt in Zeiten für Fachbesucher und Endverbraucher‘, erklärt der Franke. In Berlin hatten wir ungefähr die gleiche Anzahl Besucher binnen eines Tages.’ Das führt zu spannenden Situationen. ‚Ich hatte Leute in zwei Reihen vor dem Stand stehen, fünf Verkostungen gleichzeitig, einer wollte den letzten Wein, andere waren noch beim ersten, mit zwei ging’s auf Englisch, die anderen auf Deutsch – und dann taucht in der dritten Reihe der Sommelier vom NOMA auf…‘
Ich stelle mich also auf eine gewisse Enge und leichte Hektik ein, wenngleich es dieses Jahr eine dreistündige Fachbesucher-Zeit gibt.
Zum Abschluss muss ich doch noch ideologisch werden. 2Naturkinder hat Bacchus, Domina, Regent und Müller-Thurgau im Programm. Kann man aus Neuzüchtungen Naturwein machen? Und wie reagiert das Publikum? ‚Das frage ich mich schon lange und ich habe keine Antwort. Wir wollten damals halt so schnell wie möglich loslegen und die ersten Bio-Weinberge, die uns zur Verfügung standen, waren teilweise mit Neuzüchtungen bestockt.‘ Dabei sei Müller-Thurgau ungemein geeignet für die Naturweinproduktion, denn ‚den kannst du stehen lassen, wie Du willst, der wird und wird nicht braun‘, so Völker. Die Reaktion auf seinen Sortenspiegel ist sehr unterschiedlich. Bacchus gehört in England zu den meistangebauten Sorten. Die Rebsorte ist bekannt und eher positiv besetzt. ‚Die anderen Rebsorten sind halt irgendwelche eher unbekannten Rebsorten für das Londoner Publikum, genau so wie für das klassische Naturweinklientel in Berlin.‘ Viele wissen nicht, was eine Neuzüchtung ist und welche der Rebsorten gar keine traditionellen sind. Die Seidenschalträger hingegen sind doppelt skeptisch, der Winzernachwuchs auch. ‚Dafür ist die Überraschung umso größer, wenn unsere Weine dann im Glas sind.‘
Nun weiß ich bescheid. Es gilt nur noch das Ganze zusammenzuschreiben. Damit mir dabei nicht langweilig wird, schickt Völker mir eine Flasche seines ‚Fledermaus‘ – Müller und Silvaner ungeschwefelt. Der sorgt für den nötigen Rhythmus beim tippen.
2Naturkinder, Weißweincuvée ‚Fledermaus‘ 2015 (Silvaner&Müller-Thurgau), Deutscher Landwein Main (Franken). Es gibt Raw-Weine, die funktionieren trotz und solche, die funktionieren wegen ihrer Stilistik. Letztere rufen meiner Erfahrung nach nur bei Fans Begeisterung hervor, Normalmenschen finden sie relativ schaurig. Erstere verursachen Verblüffung (und oft Zustimmung) bei denen, die beim Stichwort Raw/Natur mit dem Schlimmsten rechnen, während Freaks sie trotzdem goutieren. Um so einen Wein handelt es sich hier. Die Stilistik macht sich optisch und sensorisch bemerkbar, überdeckt aber nicht alles. In der Nase (unter anderem) der Muskatton des Müllers, am Gaumen die noble Birne eines guten Silvaners, staubtrocken aber dafür etwas cremig, die Frische eines guten Hefeweizens und die animierenden Gerbstoffe eines feinen grünen Tees. Das klingt nicht immer nach Wein, trinkt sich aber wie einer. Sehr frisch, ziemlich leicht, mit gutem Zug. Spaß und Naturwein gehen auch gleichzeitig, zum Beispiel hier.
Kommen Sie zur Raw Wine Berlin am 27. November! Probieren Sie Weine wie die Fledermaus! Sie werden ein Lächeln im Gesicht tragen! Kein Feindesland!
Aber lassen sie den Seidenschal zuhause und schwenken Sie ein bisschen ungelenk, dann ist Berlin bald so hip wie London…