‚Ihr müsstet mehr über die Kombination von Wein und Speisen schreiben‘, höre ich immer wieder, wenn ich als Weinblogger auf die Kollegen Koch- und Foodblogger treffe. Nur Wein sei langweilig und sehr für Freaks, die Kombination von Wein mit passenden Speisen und umgekehrt sei hingegen ein Massenthema. ‚Das wollt Ihr nicht wirklich‘, entgegne ich meist, ‚so viel Riesling könnt Ihr gar nicht trinken.‘
Hintergrund ist, dass deutsche Weinfreaks sowieso alles mit Riesling begleiten. Analog zu Godwins Gesetz – jener Regel, die besagt, dass mit zunehmender Länge einer Online-Diskussion die Wahrscheinlichkeit, dass jemand einen Nazi-Vergleich oder Hitler ins Spiel bringt, gegen 100% tendiere – darf man auch eine Weinregel – gestatten Sie mir den Insiderwitz sie das Heroldsche Prinzip zu nennen – formulieren, dass auf eine im Internet platzierte Frage nach der idealen Weinbegleitung zu einer Speise in den ersten fünf Kommentaren mindestens ein Mal Riesling empfohlen wird, völlig unabhängig davon, was es zu essen gibt.
Junger Riesling in den Ausprägungen trocken bis feinherb sowie gereifter in feinherb oder süß (nur selten trocken/reif oder jung/süß) halten Hardcore-Rieslingtrinker für universell einsetzbar, selbst zu Gulasch oder Sauerbraten. Ich bin zwar Ersteres (Hardcore-Rieslingtrinker, nicht Gulasch), zweifele aber an Letzterem. Irgendwann vor sieben oder acht Jahren saß ich bei einem kommentierten Winzerdinner des Weingutes Max Ferd. Richter am Tisch des Winzerehepaares, als es gereiften Riesling zum Filetsteak gab. Es war okay, nicht mehr. Als ehrlicher Mensch murmelte ich leicht verlegen, diese Kombination zeige für mich doch die Grenzen der Kombinierbarkeit von Riesling auf. Der Winzer nickte verstohlen zustimmend, seine Gattin sprach es deutlich aus: ‚Zuhause würden wir dazu auch einen Rotwein trinken‘. Es wurde ein langer und sehr netter Abend.
Das vorweggeschickt darf ich von der Ausnahme berichten. Vor ein paar Wochen erwartete ich Gäste zu einem sommerlichen Abendessen. Ich hatte mich für ein etwas raffinierteres Grillgericht entschieden, einen hawaiianischen Braten mit Orangensauce. Das Rezept verlangt eigentlich nach dem Pastorenstück, welches ich aber aus der Not heraus durch ein größeres Stück Huftsteak ersetzte. Dieses gilt es mit einer Marinade aus frischem Ingwer, Olivenöl, Knoblauch, Zucker, Salz und asiatischer Chili-Knoblauch-Sauce zu bestreichen, ziehen zu lassen und dann im ganzen medium zu grillen. Die zugehörige Sauce besteht aus Orangensaftkonzentrat, Apfelessig und Sojasauce, die gemeinsam mit etwas Zucker noch um ein Drittel einreduziert gehört. Das klang sehr lecker – aber auch nach zwei großen Problemen. Für meinen Gaumen sind Ingwer, Chili und Sojasauce die natürlichen Feinde des Rotweins (übertrumpft höchstens von Senf), doppelt konzentrierter Orangensaft und vor allem Essig machen aber noch mehr Ärger, sie schlagen jeden Wein in die Flucht.
Christina Fischer hatte uns beim VinoCamp den Tipp gegeben, dass Gerichte mit Essig manchmal doch zu Wein passen, nämlich dann, wenn dieser weiß und schon etwas müde sei – dann könne die Speise zu einer Frischzellenkur für den Wein werden. Allein, mein Vorrat an müden Weinen ist nicht existent. Und dann fiel es mir wieder ein. Mein Freund Charlie (der mit den Weinlagen) hatte mir vor kurzem ein Mitbringsel mit den Worten überreicht: ‚Schau mal, ob der noch was ist, sonst machst Du Essig draus‘ (wir pflegen einen zwanglosen Umgang). Es war ein fruchtsüßer Riesling Kabinett von 1971 aus dem Winkeler Jesuitengarten vom Weingut Schloss Schönborn. Ich hatte somit genau eine Kugel im Lauf. Dazu erwartete ich Gäste, die sich nicht viel aus Wein machen. Also zog ich vorsichtshalber noch einen leichten Rotwein auf, einen Frühburgunder von Fürst aus dem Jahr 2005. Den Kabinett stellte ich kalt und öffnete ihn erst ein paar Minuten vor dem Essen.
Wer jemals versucht hat erst den optimalen Garpunkt seines Grillgutes zu erwischen und dieses dann fernab der Küche auf der Terrasse dünn aufzuschneiden und noch warm an die Gäste zu bringen, der weiß, nach diesem Kraftakt geht es nur noch ums Essen, der Wein ist dann Nebensache. Doch diesmal war es anders. Beim ersten Schluck war die Strapaze für mich vergessen, denn erstens war der Kabinett sehr gut – nicht ‚erstaunlich trinkbar für einen 43 Jahre alten Wein‘, sondern ‚Wow, vielleicht war der nie besser als heute‘. Und zweitens passte er zum Essen wie die Faust aufs Auge. Das sah nicht nur ich so. Auch die Gelegenheitsweintrinker, die bei der Ankündigung eines 71er restsüßen Rieslings vorsichtshalber ihre Wassergläser randvoll geschüttet hatten, vergaßen ihre guten Manieren und lobten mit vollen Mündern, kauend und schmatzend den Wein und die Kombination. Der Frühburgunder wurde nicht mal probiert.
Eine Verkostungsnotiz zu einem 43 Jahre alten Wein ist eine sinnlose Sache, erst recht, wenn er mit Kork verschlossen ist, denn jedes Exemplar schmeckt dann unterschiedlich. Eine Verkostungsnotiz zu einem Wein, der zu einem stark gewürzten Essen getrunken wird, ist ebenfalls wertlos. Außerdem hatte ich gar keine Zeit und als guter Gastgeber habe ich mir auch keinen Schluck für später auf die Seite geschafft. Meine Gäste durften den Wein im Eiltempo niedermachen und das taten sie auch. Da es hier aber immer eine Kostnotiz geben soll, hielt ich mich an den Frühburgunder. Da blieb mehr als genug übrig, sogar noch für den nächsten Tag.
Fürst, Frühburgunder Centgrafenberg, 2005, Franken. Am ersten Tag sehr röstig, am zweiten perfekt balanciert. In der Nase etwas Tee, Schuhcreme, Blut, rote und schwarze Beeren, Zigarrenkiste und leichte Reifenoten. Am Gaumen präsentierte er Aromen von Rauch, Kirsche und Himbeere, ganz viel süße Frucht und eine kräftige Säure, was ihn sehr saftig machte. Der Frühburgunder zeigte rebsortentypisch nur mittleres Volumen aber reichlich Druck, der aber nicht vom Alkohol stammt: 13,5% sind genau richtig. Dezentes Holz und eine spürbare Mineralik/Phenolik sorgen für eine tolle Struktur, der Abgang ist extrem lang und von süßer Frucht getragen. Großartig (nur nicht zu Ingwer, Chili, Essig oder Sojasauce).
Wer mich besucht, darf mir ab sofort gerne müden Riesling mitbringen. Der nächste hawaiianische Braten kommt bestimmt. Zu Gulasch trinke ich weiterhin Rotwein.