Mein Freund Peter ist eine wichtige Quelle für dieses Blog. Nicht nur, dass ich ihn gelegentlich bei kniffligen Detailfragen zum Winzerhandwerk konsultiere, er liefert auch spannende Weine und lustige Anekdoten – letzteres durchaus unfreiwillig, was daran liegt, dass er sein Herz auf der Zunge trägt. Das hat ihm schon den Spitznamen ‚arroganter Sack’ eingebracht (dass er das aber nicht ist, können Sie hier sehen, wenn er erklärt, was eine Winzergenossenschaft ist). Als ich Ihn jetzt bei der Schluck-Party traf, lag wieder mal besonders viel Herz auf der Zunge, als er mir seinen Begleiter mit den Worten vorstellte: ‚Felix, kennst Du schon unseren Türken?’
Bilder entstanden vor meinem geistigen Auge: Bahnhof Rüdesheim an einem Herbsttag im Jahre 1964, als Ergebnis des frisch mit der Türkei abgeschlossenen Vertrages über die Anwerbung von Arbeitskräften, entsteigt dem soeben eingefahrenen D-Zug ein erster türkischer ‚Gastarbeiter‘. Eine Kapelle empfängt den schüchternen Mann mit einem kleinen Tusch, der Ortsvorsteher begrüßt den Neuankömmling und führt ihn herum. Der Ortsvorsteher sieht in meiner Fantasie aus wie Peter und er stellt den Neuankömmling überall mit den Worten vor: ‚Kennen Sie schon unseren Türken?‘
Was ich mir denn unter ‚unserem Türken‘ vorzustellen hätte, war denn auch meine eher belustigte denn entsetzte Antwort, denn Peter ist über jeden einschlägigen Verdacht erhaben. Und die Antwort war entsprechend harmlos: ‚Das ist Ahmet Yildirim, der einzige türkische Weinmacher Deutschlands und einziges türkischstämmiges Mitglied der Rheingauer Weincommunity.‘
Ahmet Yildirim hat tatsächlich einen türkischen Pass und er sieht südländisch aus. Das war es aber auch schon. Er ist in Deutschland geboren und er ist ein international erfahrener Sommelier, der obendrein als ehemaliger Betriebsleiter eines Weingutes auch eine Menge vom Weinmachen versteht. Da aber aufgrund der kulturellen und vor allem religiösen Hindernisse die Kombination Türke/Wein eher selten, in Deutschland vermutlich sogar einmalig ist, nutzt Yildirim das Thema als Marketinginstrument, er spricht selber von ‚türkischem Riesling‘ – allerdings nicht ohne Anführungszeichen in die Luft zu malen.
Türkischer Riesling aus dem Rheingau
Ahmet Yildirim macht Wein als Nomade. Er hat seine eigene Weinmarke entwickelt mit dem simplen Namen ‚Y‘ und einer Nummerierung von 1 bis 5. Y1 ist der einfache Riesling, Y2 der trockene Kabinett, Y3 die trockene Spätlese, einen Rosé und einen Sekt gibt es obendrein. Doch die Prädikate stehen nicht im Vordergrund, Ahmet Yildirim ist Sommelier, seine Weine unterscheiden sich auch in der Speisenkompatibilität, der Kabinett ist nicht einfach die schlankere Ausgabe der Spätlese.
Manche seiner Weine sind einfach nur Zukauf, Fassware seines Vertrauens sozusagen. Doch bei der Mehrzahl der Weine begleitet er den Weg der Traube vom Weinberg auf die Kelter ebenso wie die komplette Vinifikation bis zur Füllung. Er ist im Rheingau verankert, mit einer Rheingauerin verheiratet und er nutzt sein Netzwerk um ein gutes Produkt zu erschaffen, immer wo es gerade geht und wo man gerade die Kapazität hat, einen Teil der Fläche gemäß seinen Vorgaben zu bearbeiten und die Trauben gemäß seinen Wünschen zu verarbeiten. Gutes Marketing steuert er selber bei, angefangen bei der sehr zeitgemäßen Optik und Ausstattung der Y-Serie.
Ahmet hatte Wein im Gepäck, wie gefühlt jeder zweite bei der Schluck-Party Wein im Gepäck hatte. Es war die 2014er Riesling Spätlese trocken, mithin Y3. Den hat Ahmet mit Trauben und im Keller des Weinguts Altenkirch gemacht – das sind die, die vor einigen Jahren berechtigterweise ihre Kellermeisterin mit den Worten ‚kennen Sie schon unsere Japanerin’ hätten vorstellen können, waren sie doch das erste Rheingauer Weingut mit japanischer Kellermeisterin (über die in eben jenem partyverursachenden Schluck-Magazin ein schöner Artikel steht und die bei Altenkirch Peter abgelöst hatte – die Welt ist ein Dorf). Was der Türke im ehemals japanischen Keller zuwege gebracht hat, gefiel mir so gut, dass ich dankbar annahm, als er anbot mir ein paar Probeflaschen zu schicken. Es kam dann noch der aktuelle Y1 sowie die 2013er Version des Y2-Kabinetts. Der Vollständigkeit halber sei erwähnt, dass mir letzterer nicht besonders gefiel, weil ich ihn zu süß fand. Aber reden wir nicht über die Vergangenheit. Die 2014er sind beide sehr gelungen.
Y1, Riesling trocken, 2014, Rheingau. Unmittelbar nach dem Öffnen sehr karg, wird im Laufe von drei Tagen immer fruchtiger und weicher und auch körperreicher; am dritten Tag sehr gefällig. Aber schon ab dem zweiten Tag ist der Y1 ein sehr süffiger Riesling, offenbart, dass 2014 in manchen Ecken tatsächlich ein ziemlich warmes Jahr war. Aromatisch ganz klassisch: Aprikose und Melone, ein Hauch Honig, vielleicht steckt etwas Botrytis mit drin? Wenn ja, dann ist sie aber nicht aufdringlich; schöner Schmelz und für einen einfachen QbA ziemlich körperreich, langer, minerliasch/phenolischer Abgang.
Y3, Riesling Spätlese trocken 2014, Rheingau. Umgekehrte Vorzeichen bei der Spätlese: direkt nach dem Öffnen eher breit, mollig und süß, nach einer halben Stunde kommen die Konturen. In der Nase grüner Apfel, etwas Hefe, leicht grasig. Am Gaumen ziemlich üppig, viel süße Frucht, kräftige, reife Säure, die Struktur gibt. Kein Leichtgewicht, kein vibrierendes Spiel, eher kraftvoll aber konturiert, reifer Apfel, etwas Malz, etwas kandiert, aber nicht over the top. Der Wein soll erkennbar ein würziges Essen begleiten. Kraftvoll, sehr langer Abgang, ich finde den Wein ausgesprochen gelungen, würde ihn jetzt mindestens eine Stunde belüften oder idealerweise noch ein bisschen liegen lassen.