Ich war zum Weingipfel Österreich eingeladen. Mit Schreibern, Gastronomen und Händlern aus 38 Nationen erkundete ich Österreich und seine Weine. Zu so einem Spektakel gehören immer Money-can’t-buy-experiences (toller Anglizismus), also etwa Wanderungen in wunderschöne Steilhänge, wo unsereiner (tolles deutsches Wort) dann mit berühmten Winzern längst vergriffene, manchmal unbezahlbare Weine verkosten darf, weil das unsereinem enorm schmeichelt und unsereinen irgendwie in die Pflicht nimmt hinterher schwelgerisch darüber zu berichten.
Bei meinen Lesern lösen solche Berichte gemischte Gefühle aus. Was nützt die Beschreibung des unerreichbaren Weines, gelobt von einem, der eher sich selbst als den fraglichen Wein feiert? Ich spare sie mir also und rede über das, was ich zwischen den Zeilen gelernt habe, denn ich halte es für wichtig: es ist ein Zustand, den wir in Deutschland auch herstellen sollten. Nur erwähnen muss ich den Luxus-Schnickschnack – um Transparenz herzustellen (und mich ein bisschen selbst zu feiern).
Österreichs Weinszene: offen für Orange
Die österreichische Weinwelt ist ein untypischer Repräsentant des Landes. Wer die Wiener Boulevardzeitungen anschaut, die Wahlergebnisse der FPÖ (und die öffentlichen Äußerungen ihres Spitzenpersonals) hört, der denkt eher nicht an Toleranz, Interesse an Impulsen von Außen, Mut zum Fehler, Meinungsvielfalt und Austausch zwischen gegensätzlichen Strömungen. Aber genau das charakterisiert die österreichischen Winzer und Weine, die mir auf meiner Reise begegneten.
Der zweite Wein meines Weingipfels war ein Chardonnay mit dem schönen Namen ‚Bambule‘. Für gebildete Schichten mag das ein afrikanischer Trommeltanz sein, für mich ist das gelebte Anarchie auf und Straßenschlachten um einen Bauwagenplatz meiner Geburtsstadt und ich wette, Winzerin Judith Beck hatte eher den im Sinn, als sie sich entschloss diesen maischevergorenen Weißwein unfiltriert auf die Flasche zu bringen. Da war er, der ‚Naturwein‘, den ich suche: einer der nicht trotz, sondern wegen seiner Machart gut ist. Er war ein Zufallsfund, denn er war nicht weiter gekennzeichnet in der Liste. Und so sollte es die nächsten Tage weitergehen. Wo immer wir zu Verkostungen an die Flaschen schritten, waren Orange (maischevergoren) und Natural (maischevergoren, unfiltriert, ungeschwefelt) Wines mit am Start, ohne dass sie besonders gekennzeichnet waren.
Doch es war nicht nur das geringe Aufhebens, welches die Organisatoren um die Freak-Weine (denn das sind sie) machten, es war vor allem der Umgang unserer konventionellen Gesprächspartner damit, der mich verblüffte. Auch wenn die Naturweinvorreiter wahlweise als ‚unsere Wilden‘ oder ‚unsere Verrückten‘ bezeichnet wurden, zollten ihnen die Konventionellen durchaus Respekt. Es scheint Konsens in Österreich zu sein, dass die Arbeit der Radikalen die Weinwelt auch der Konservativen langfristig befruchten wird. Nur unter Inkaufnahme des Irrtums komme man weiter, hieß es allenthalben. In den wirklich wichtigen Fragen sind sich intelligente Menschen eben meistens einig – nur in Deutschland leider nicht. Wer das jetzt für Polemik hält: die meisten der Naturweine hatten keine Daseinsberechtigung auf unserer Reise. Veranstalter war die ÖWM, ein dem Deutschen Wein Institut (DWI) vergleichbares Konstrukt, das über eine Umlage finanziert ist. Laut Statut ist sie nur für Qualitätsweine zuständig. Die allermeisten (in der Regel trüben) Natural Wines werden aber als Landwein gefüllt. Indem es uns zirka 4 Dutzend dieser Weine in das Verkostungsprogramm einbaute, überschritt die ÖWM klar ihre Kompetenzen. Das sollte das DWI einmal wagen. In Österreich ist man da lockerer.
Bio als Baukasten: weg mit den Herbiziden
Und in noch einer Hinsicht sind die Österreicher ungezwungener als die Deutschen. Bei unserem Workshop ‚Biodynamik‘ standen Mitglieder gleich zweier Biodynamik-Verbände (demeter und ‚Respekt‘) mit einem geschätzten Kollegen vor uns, der damit kokettierte, dass er keinem Verband angehöre, weil ihm das zu anstrengend sei. Ein Winzer, der von sich behauptet biodynamisch zu arbeiten, aber sich nicht überprüfen lässt (lediglich die gesetzlichen Öko-Normen sind zertifiziert): Toni Söllner hätte in Deutschland wohl weniger Freunde. Die Anerkennung für ehrliches Bemühen um nachhaltige Wirtschaftsweise wird aber auch denen zuteil, die ihr Augenmerk nur auf Teilbereiche richten. Der Verzicht auf Herbizide ist in Österreich bei den Konventionellen ein großes Thema, das Festhalten am synthetischen Pflanzenschutz ebenfalls.
Das führt zu interessanten Mischungen. Bei unserem Besuch im Weingut Weinrieder führten uns die beiden Junioren erst stolz ihre neueste Errungenschaft vor, eine mechanische Unterstockbürste als Glyphosat-Ersatz um dann auf das benachbarte Weizenfeld zu zeigen und zu erklären, dass sie am Beginn der Weizenernte sofort mit konventionellen Mitteln gegen echten und falschen Mehltau spritzen, weil ihnen Kupfer allein dann nicht reicht.
https://www.youtube.com/watch?v=C_L7ahZNiYE?rel=0&showinfo=0
Bei der Verkostung berichteten sie später von ihren ersten Experimenten mit Kompost nach Bio-Methode um im gleichen Atemzug stolz zu erklären, dass sie kein einziges Holzfass im Keller hätten. Ich war drauf und dran in den Keller zu gehen und nachzuschauen, denn wer die ‚Alten Reben‘ von Weinrieder im Glas hat, der schwört Stein und Bein, dass sie aus einem großen Holzfass kommen. Die Lösung heißt Grüner Veltliner. Die Sorte reagiert nach meinem Empfinden extrem auf Maischestandzeit, Maischegärung, Hefelager und Filtration. Das mag auch das Interesse der konventionellen Winzer an den Experimenten der Freaks erklären. Gute Orange und Natural Wines aus Weißburgunder und Chardonnay hatte ich ein paar im Glas, die herausragenden waren allesamt Veltliner.
Naturwein: Bitte schütteln (den Wein, nicht den Trinker)
Meinen Liebling unter den Naturweinen fand ich bei der großen Abschlussverkostung im Palais Niederösterreich. Nur hier waren die orangenen in einer eigenen Kategorie gruppiert und hier traf in rascher Folge Großartiges auf Untrinkbares. Meinen Favoriten besorgte ich mir anschließend als Verkostungsmuster, denn das ist das einzige, was auf derlei Events immer zu kurz kommt: das gemächliche Trinken und Beobachten über einen längeren Zeitraum.
Claus Preisinger ErDELuftGRAsundreBEN, Grüner Veltliner, 2013 Österreichischer Landwein (Burgenland). Der Edelgraben (so die Lage und Abkürzung) trägt auf der Rückseite den Hinweis, man möge ihn vor dem Servieren schütteln. Endsprechend trüb kommt er ins Glas. Und er stinkt erst einmal. 30 Minuten kann man dem Saft bei der Weinwerdung zusehen. Das sollte man tun, aber nicht in die Wertung einfließen lassen – das ist einfach so bei dieser Art Wein. Danach ging’s los. Ich musste dem Veltliner sofort das zweitgrößte Kompliment in meinem Repertoire machen: er ist ein Laufwein. Das ist kein Saufwein mit Rechtschreibschwäche, das ist ein Wein, der mich so packt, dass ich ihn nicht im Sitzen trinken kann. 80 % des Weines trank ich, während ich in meiner Küche auf und ab lief und mit meinem Glas sprach wie Hamlet mit dem Schädel. Der Wein wurde saftig und die Struktur unglaublich, manch konventioneller wäre da gerne: voll aber nicht opulent, eher intensiv als fett, es kam Klarheit in der Frucht und unglaubliche Tiefe. Alles, was man als Fehlton interpretieren kann, zog sich zurück ohne ganz zu verschwinden, blieb als Nebengeräusch, fügte Komplexität hinzu – also immer ein bisschen Sauerbier-Spontistinker-Brottrunk-Alarm, aber auf dem Niveau, auf dem man das auch in jedem wirklich guten Champagner hat (jaja, nicht alles, was hinkt, ist ein Vergleich). Dann kam ein irres Aroma von Toffifee (ohne Süße). Die kräftige Säure, die eigentlich mit den vielen Gerbstoffen aus der Maischegärung eine unheilige Allianz eingehen müsste, schlug dem Lehrbuch ein Schnippchen und ging stattdessen mit der Opulenz des langen Hefelagers eine Liaison ein, bei der mir erst Hören und Sehen und dann das Bedürfnis über Lehrbücher nachzudenken verging. Am Ende des zweiten Tages war der Edelgraben groß, hatte sich endgültig für mein größtes Kompliment qualifiziert: Er kam in die Lampe.
Als ich am letzten Abend des Weingipfels bei einer weiteren, besser in diesem Blog zu verschweigenden Veranstaltung im Garten eines Wiener Palais den Klängen eines Streichquartetts lauschte und bei einem Gläschen Wein mit dem Schweizer Grandseigneur des Weinschreibens, Othmar Stäheli, darüber plauderte, was unsere Erkenntnisse aus der Veranstaltung waren, schilderte ich meine Eindrücke von der ganz eigenen ‚Bio-Dynamik‘ Österreichs. Er lächelte verschmitzt und entgegnete, ja, das sei teilweise schon ganz schön heilig. ‚Aber haben Sie Wein 3 in Flight 22 heute probiert?‘ schloss er, ‚Das war schon ein ganz besonders guter Wein.‘
Wein 3 in Flight 22 war der Edelgraben von Preisinger.
In den wirklich wichtigen Fragen sind sich intelligente Menschen meistens einig.
Vielen Dank für diesen interessanten Bericht. Eine kurze Rückfrage: War der ErdeLuftGrasundReben wirklich ein grüner Veltliner? Weil der Wein mich nach Deiner Beschreibung sehr interessiert, habe ich beim Händler meines Vertrauens nachgeschaut und der bietet unter diesem Namen nur einen Weißburgunder an. Und auch auf der homepage von Preissinger erscheint nur der Weißburgunder.
Beste Grüße, Christopher
Hi Christopher, ja, das war der Grüne Veltliner, durch ein kleines GV auf dem Etikett gekennzeichnet (kannst Du in der Großansicht vielleicht erkennen). Ich weiß, es gibt auch einen Weißburgunder und ich glaube, der GV ist sehr viel schneller ausverkauft. Aber wenn Du mal Preisinger Grüner Veltliner Erdeluftgrasundreben googelst, findest Du noch ein paar Shops, die ihn haben.