Die Weinwelt ist voller alter Säue. Keine Sorge, ich werde hier jetzt weder persönlich noch vulgär. Es geht um meinen (wie immer verspäteten) Jahresrückblick. Sinnierend, was im letzten Jahr wichtig war, stellte ich fest, dass all die ‚neuen Säue‘, die in verschiedenen Diskussionen durch das globale Dorf getrieben wurden, eigentlich schon ganz schön alt sind. Sogar die Naturweinsau hat schon ein paar Jahre auf dem Buckel (und muss deswegen bis zum dritten und letzten Teil dieses Jahresrückblicks warten). Die Korksau scheint gar an Altersschwäche gestorben zu sein. Hurra. Die Sau ist tot! (Hätte mir nie träumen lassen, dass ich sowas mal öffentlich schreibe…)
Als Dauerbrennersau abgelöst hat sie die Kritikersau, mithin jene Diskussion, wer sich wann wie Weinkritiker oder -profi nennen und als solcher betätigen darf oder ernstgenommen werden muss. Der werde ich mich irgendwann mal separat widmen, weil ich sie so herrlich sinnlos finde (Dumme Sau!). Hier erwähnt sei sie nur, weil sie meinem Jahresrückblick das Leitmotiv spendiert hat. Die Diskussion endet meist damit, dass irgendein weithin anerkannter Kritiker die Diskutanten wissen lässt, es sei ziemlich egal, wie viel man über Wein wisse, denn selbst der versierteste Profi lerne jeden Tag dazu. Also, egal was ich als Weinblogger bin, ich habe auch im abgelaufenen Jahr viel gelernt – zum Beispiel über Riesling.
Im Jahr 2015 wurde meine Vorstellung von Harmonie im Riesling auf den Kopf gestellt. Exemplarisch dafür waren die großen Gewächse der Familie Allendorf, die mir eigentlich nicht hätten schmecken dürfen, es aber auf geradezu unverschämte Art taten. Ich wusste das spontan nicht in Worte zu fassen, flüchtete mich im August in die Aussage ‚Wir müssen über Allendorf reden.‘ Also – reden wir über Allendorf.
Allendorf Riesling – knochentrocken
Bei einer Veranstaltung einiger rheingauer VDP-Weingüter am Wochenende vor der GG-Präsentation in Wiesbaden konnte ich die GGs der Gastgeber verkosten und mich mit deren Machern unterhalten. Anwesend war auch Ulrich Allendorf und sein Neffe und Kellermeister Max Schönleber, die ihre drei Riesling GGs vorstellten. Die waren richtig gut, aber das war nicht das Wichtigste. Ihre Analysewerte waren weit außerhalb meiner Komfortzone. Nun zitierte mein Freund Peter neulich den legendären Graf Matuschka-Greiffenclau sinngemäß, dass seinen Riesling nach Analysewerten auszusuchen ähnlich sinnvoll sei, wie die Ehefrau nach dem Röntegenbild zu erwählen, aber ich habe einen Mainstream-Gaumen, kann bei bestimmten Weinen von mir auf andere – vor allem die breite Masse – schließen und behauptete aus Erfahrung stets, Riesling mit einer Acht vor dem Komma bei den Säurewerten und drei oder weniger beim Zucker funktioniert nicht (für mich und den Gelegenheitsweintrinker). Natürlich bestätigen Ausnahmen die Regel, aber die vielen Normalos, die ich kenne, fingen bisher ab 8 Promill Säure an einen Riesling sauer zu nennen (und abzulehnen), wenn nicht mindestens 4 Gramm (eher deutlich mehr) an Zucker als Puffer im Wein vorhanden waren. Die Allendorf-Weine bewegen sich teils deutlich außerhalb dieses Korridors, haben mehr Säure und weniger Restzucker. Sie sind nicht allein. Es gibt einen ‚Rheingauer Riesling Rat Pack‘ um die Winzer Alex Jung, Achim von Oetinger und Dirk Würtz, die derzeit Einfluss ausüben. Es ist müßig zu spekulieren, wer von den Dreien den Sinatra gibt (sie sehen alle eher aus, wie Dean Martin zu später Stunde) – entscheidend ist, dass sie Kollegen um sich scharen, stilbildend wirken und den Rheingauer Riesling gerade deutlich verändern – weg vom Restzucker aber auch hin zu einer fordernden Säure. Dass das funktioniert, mag am Klimawandel liegen, denn die Säure ist extrem reif und gefühlt bedarf es weniger Zuckers, weil auch eine schon fortgeschrittene Traubenreife mehr pufferndes Extrakt für den Wein bereit hält – vielleicht. Ich habe 2015 auch gelernt, weniger auf theoretische Zusammenhänge zu achten und selbst bei der Probe den Genuss in den Vordergrund zu stellen. Also egal warum, es schmeckt.
Und es gibt mehr zu berichten über Hasensprung, Jesuitengarten und Berg Roseneck als bloß ‚schmeckt großartig‘. Die Weine sind kompromisslos und mutig, zwei Wörter, die ich eigentlich für albernes Bullshit-Bingo halte, wenn es um Wein geht. Doch Allendorf hatte seinem erst 28 Jahre alten Neffen Schönleber freie Hand gegeben und der hatte nach der Blüte den Ertrag in den GG-Weingärten auf zwei Trauben pro Trieb reduziert und diese dann später auch noch teilen lassen. Das ist deswegen mutig, weil der Traubenbestand damit quasi Ende Juni schon auf die Erntemenge reduziert war. Jede Traube die danach noch Schaden nahm war direkte Ertragseinbuße. Häufig lassen Winzer ein bisschen mehr hängen, wissend, dass bis zur Ernte noch das eine oder andere Fäulnisnest auszuheben ist oder Trauben anderweitig kaputt gehen. Geerntet hat die Allendorf-Mannschaft dann bei forschen Säurewerten, weil die Reife richtig schien. Im Keller passierte sehr wenig und das Ergebnis waren wie beschrieben Weine die ein wenig an Hummeln erinnern, deren Analysewerte ja angeblich belegen, dass sie nicht fliegen können. So wie die Hummel trotzdem fliegt, entwickeln die Allendorf GGs den Trinkfluss, den sie eigentlich nicht haben können.
Doch bevor das Lied in Heldenverehrung kippt: Allendorfs hatten allen Grund für ihre Offensive. Die Familie hat 70 Hektar unter Waffen, das finanzielle Risiko ein paar halbe Hektar für GGs am Limit zu pflegen ist überschaubar. Der Lohn der Mühe ist groß: die Weinwelt bekommt das Talent des Kellermeisters präsentiert und das Weingut findet dort Erwähnung, wo sonst nur die Kollegen Weil und Co erscheinen: auf der Liste der hervorzuhebenden GGs des Jahrgangs. Ganz oben angekommen sind die drei Weine noch nicht, aber sie sind mehr als nur Achtungserfolge. Legen die Allendorfs nächstes Jahr nach, wird das Echo vermutlich unüberhörbar sein.
Allendorf, Riesling GG Jesuitengarten, 2014, Rheingau. Unmittelbar nach dem Öffnen erst mal quietschbunte (aber nicht zu süße) Frucht, Gummibärchen, mächtige aber nicht beißende Säure, eher zu laut. Schon nach einer Stunde zeigt sich eine tolle phenolische Struktur, man möchte den Wein ein bisschen kauen vor dem runterschlucken, die Frucht wird ernsthafter, quasi konservativ mit Apfel und Aprikose. Der will entweder noch in der Flasche bleiben oder eine Speise begleiten. Nach 24 Stunden ist das eine etwas unheilige Allianz aus Gerbstoff und Säure, die Frucht tendiert zur Grapefruit. Ich würd’ gern ein bisschen Zucker drüber streuen, aber beim konzentrierten Verkosten schmeckt der Wein faszinierend stoffig nach einem Versprechen auf die Zukunft. Was für ein monströs würzig-phenolischer und trotz der Säure warmer Abgang. Man kann sich eingrooven in diesen Kosmos, dann geht die Hand zum Glas, ziemlich schnell, allerdings nicht für das Mundgefühl, den ‚Antrunk‘ (bescheuertes Weingeschwafel, aber hier muss diese Unterscheidung sein), sondern für diesen Abgang. Das wird mir zu gefährlich. Schluss für heute. Am dritten Tag Weinpause. Am vierten und letzten Tag entwickelte der Wein reichlich Trinkfluss: die Phenolik etwas gemildert, das Mundgefühl etwas weicher, nach wie vor große Tiefe und Länge aber auch große Leckerei – und vor allem nicht zu schwer oder bombastisch. Ich trink den jetzt aus.
Allendorf, Riesling GG Hasensprung, 2014, Rheingau. Anderes Einsatzgebiet: Am Ende der ‚Erstes Gewächs‘-Probe kamen Zweifel auf: ‚Aber angeblich ist 2014 im Rheingau doch so ein tolles Jahr?‘ fragt einer der Mitverkoster, der nicht in Wiesbaden war. Ich gehe zum Lagerschrank und hole den Hasensprung. Zu warm und ohne Belüftung eingeschenkt beantwortet er trotzdem die Frage. Pures Potential: sehr viel, sehr reife Säure, komplexe Struktur, sehr verschlossen aber enorm stoffig ohne fett zu sein. Muss man jetzt nur trinken, wenn man sowas noch nie jung getrunken hat. Der Kollege ist beruhigt: ‚Ach, solche Weine konnte man 2014 auch im Rheingau machen? Na dann verstehe ich…‘
Allendorf, Riesling GG Rüdesheimer Berg Roseneck, 2014, Rheingau. Wenn dieser Artikel Ihre Neugier weckt, dann trinken Sie diesen hier, denn er ist offen wie ein Scheunentor (trotzdem ruhig 24 Stunden belüften). In einer eher verhaltenen Nase weißer Pfeffer, ein bisschen Pfirsich und leichte Röstnoten. Am Gaumen Saft und Stoff, so viel Saft, dass man die Flasche an den Hals setzen will, dazu Röstaromen und Boskop. 13 % Alkohol verbreiten mollige Wärme, die aber nicht mastig wirkt, weil wenig Zucker vorhanden und die Säure kräftig ist. Leichte Mineralik/Phenolik, enorme Tiefe, jetzt aber noch ein bisschen poppig bunt. Wunderbar.