Die Frage, ob es so etwas wie ‚mutige Winzer‘ gibt, ist quasi eines der Leitmotive dieses Blogs (Leitmotiv ist die etwas hochtrabende Bezeichnung dafür, dass Sie gelegentlich beim Lesen der ersten Sätze eines Artikels denken: ‚Fängt der schon wieder damit an…‘). Ich glaube, dieser Tage habe ich einen gefunden, oder zumindest bin ich einer für mich sinnhaften Definition näher gekommen. Die hat mit der Fallhöhe zu tun.
Etwas lediglich anders zu machen, hat wenig mit Mut zu tun. Schließlich fällt so etwas gelegentlich einfach in die Kategorie ‚Übung‘ und die macht bekanntlich den Meister und nicht den Helden. Die meisten großen Ankündigungen, Winzer XY verzichte zukünftig auf dieses oder nutze fortan wieder jenes (ersteres modern, letzteres tradiert) sind nichts als die behutsame Weiterentwicklung eines eigenen Stils. Selbst diejenigen, die behaupten, sie machten ihren Wein künftig radikal anders, erklären dies meist, nachdem der erste Jahrgang gefüllt, der Nachweis der Machbarkeit also bereits erbracht wurde.
Viel Feind, viel Ehr
Solch betriebsinterne Neuerungen erzeugen keine externe Fallhöhe, schließlich ruiniert der Winzer im schlimmsten Fall seinen Betrieb, den Nachbarn kann das kalt lassen, oder mitleidig stimmen, betreffen tut es ihn nicht. Anders ist das, wenn man eine stille (oder gar offizielle) Übereinkunft bricht. Riesling gehört nicht in Barriques, lautete eine solche bis vor wenigen Jahren. Dann kamen ein paar Mutige (so würde ich die mittlerweile nennen) und machten es trotzdem. Hätten die Weine nicht funktioniert, es hätte laute Häme von allen Seiten gegeben. Das meine ich mit Fallhöhe.
Dabei ist nicht jeder Bruch der Konvention eine mutige Tat, Manches wird als öffentliches Experiment wahrgenommen, das darf dann schief gehen (das einzelne Beton-Ei in gefühlt jedem dritten Deutschen Weingut zähle ich dazu). Und manches ist schlicht ein Gag. Einem solchen bin ich neulich begegnet, einem Wiener Gemischten Satz in Rot, 21 Rebsorten vom Barbera bis zum Regent. Der schmeckte ziemlich vorhersehbar: wenn man alles, was rot und nicht bei drei auf den Bäumen ist in einen Wein schmeißt, dann schmeckt der wie ein Wein, in den man alles was rot und bei drei nicht auf den Bäumen war geschmissen hat, die banalen Seiten des Trollinger und Dornfelder überlagern die schönen Seiten des Sangiovese und Cabernet Franc. Es fehlt die Fallhöhe, niemand erwartet etwas und das Weingut behauptet auch nichts. Die Gagschreiber waren in diesem Fall das Weingut Fuchs-Steinklammer.
Anders sähe die Sache aus, wenn jemand einen klassischen Wiener Gemischten Satz als Orange-Wein ausbaute. Denn der WGS ist eine riesige Erfolgsgeschichte. Winzige Menge und trotzdem weltberühmt, erzielt traumhafte Preise, ist als einfacher DAC-Zechwein und als gehobener DAC-Lagenwein so definiert, dass alle Trauben verwertbar sind: Die meisten Wiener Produzenten denken vermutlich im Stillen ‚einen Wiener Gemischten Orangesatz brauch‘ ich so dringend wie eine dritte Schulter’. Das ist Fallhöhe, wer es wagte den zu machen, der müsste ihn wirklich gut machen, denn sonst hagelte es vermutlich Häme.
Rot, Orange – same but different
Das waren meine Gedanken, als ich meinen ersten orangenen WGS probierte, auf der Prowein, am Tisch eben jenes Weingutes Fuchs-Steinklammer auf der Aktionsfläche ‚Same But Different‘. Denn ulkige Sachen wie ein roter gemischter Satz sind vielleicht nicht besonders mutig, sie werden aber mit Einladungen auf die Sonderfläche der ProWein belohnt. Doch lästern wir nicht über den Roten, reden wir vom Orange. Den fand ich nämlich mutig und sehr gelungen. Als ich zwei Wochen später die Anfrage von Stefan Fuchs erhielt, ob er mir seine drei gemischten Sätze mal schicken dürfe, denn er habe gerade meine Geschichte über Orange Wein gelesen, da willigte ich gerne ein.
Ich habe mich mit dem Thema gemischter Satz vor einiger Zeit etwas beschäftigt, war aber ganz glücklich, dass ich den einfachen und den Lagenwein zur Auffrischung meiner Kenntnisse hatte, denn ich urteile lieber über Weine, mit denen ich eine gewisse Erfahrung habe. Es hat einen Grund, warum ich gerne über mutige Winzer, jedoch nie über mutige Blogger schreibe. Fallhöhe, Sie wissen schon…
Fuchs-Steinklammer, Wiener Gemischter Satz DAC, 2015, Österreich. In der Nase wenig Frucht, am ehesten gelbe Pflaume und Aprikose, Heu, leicht blumig und etwas würzig. Am Gaumen eher schlank, Apfel und Quitte, saftig bei milder Säure, leicht und beschwingt bei dezent spürbaren 12,5% Alkohol. Langer Abgang mit leichter Phenolik, vollkommen trocken. Das ist ein Schoppen mit Anspruch, der keine Rebsorte in den Vordergrund stellt. Riesling und Veltliner lassen sich erahnen, der Sauvignon Blanc bleibt angenehm verdeckt, der Welschriesling nervt nicht weiter. Großes Vergnügen auch in diesem jungen Zustand.
Fuchs-Steinklammer, Wiener Gemischter Satz ‚Jedlersdorf‘ DAC, 2015, Österreich. Unmittelbar nach dem Öffnen zurückhaltende Nase und am Gaumen total von den 14% Alkohol dominiert. Nicht schön, am 2. Tag zum Essen ebenfalls zu alkoholisch und dadurch bitter. Am vierten Tag mit viel Luft wird der Wein harmonischer, wird die Bürde der Spritigkeit aber nicht ganz los: in der Nase deutlich Sauvignon Blanc, obwohl ich nicht weiß, ob welcher drin ist (Achtung: Fallhöhe), dazu leicht hefig, aber selbst jetzt noch ziemlich verschlossen. Am Gaumen eher cremig, verhaltene Säure, buttriges Mundgefühl, das extrem an Chardonnay erinnert (auch hier weiß ich nicht, ob welcher drin ist, Gemischter Satz ohne Beipackzettel macht irre viel Spaß, wenn einem nichts peinlich ist). Wenig Frucht, am ehesten Apfel, sogar etwas gemüsig-nussig, ich würde ja jetzt Topinambur schreiben, wenn das nicht nach einem albernen Angeber-Aroma klänge. Der Abgang ist mittellang. Ich empfehle den Wein zwei Jahre wegzulegen, will aber ehrlich sein: weit weg vom Glanz der anderen beiden.
Fuchs-Steinklammer, Orange gemischter Satz, 2013, Österreich. In der Nase nach dem Öffnen sehr frisch und hefig. Diese tolle Frische gelungener Orange-Weine dominiert am ersten Tag auch den Gaumen, wenngleich ich da schon komplexere Weine im Glas gehabt habe. Am zweiten Tag zum Essen, Spargel mit Bärlauchbutter und paniertem Hühnerschnitzel zeigt er tolle Kompatibilität, ist der einzige der drei Weine, der zu jeder Komponente etwas beizusteuern weiß (der einfache WGS passt aber auch ordentlich). Mittlerer Körper, unauffälliger Alkohol, feine Gerbstoffe mit mittlerer Säure und zu gleichen Teilen Frucht und Würze, ein rundum gelungener Wein mit toller Mineralik/Phenolik im Abgang. Am vierten Tag in der Nase abgestandene Gemüsebrühe, eher böse. Am Gaumen jetzt buttrig, aromatisch erst sehr unangenehm, aber der Wein kommt aus dem Kühlschrank, der Hinweis auf dem Etikett, ihn bei 12-14 °C zu trinken hat seinen Sinn. Warmgeschwenkt erinnert das an guten, gereiften Burgunder, solange ich mir die Nase wegdenke. Im Abgang sehr lang und schön strukturiert, die letzte Feinheit fehlt, sonst würde ich ein Tänzchen wagen.