Das fehlende Viertel

Bevor sie losgeht, die große Live-Berichterstattung aus Wiesbaden, fasse ich hier noch kurz die Rahmenbedingungen zusammen. Wie verkoste ich? Wie werte ich? Was hat es zu bedeuten, wenn ein Wein nicht erwähnt wird?

Die Wiesbadener GG-Vorpremiere gilt als bestorganisierte Großverkostung der Weinwelt. Das liegt daran, dass das Team des VDP um Alexia Putze einfach perfekte Arbeitsbedingungen schafft. Bei der Verkostung selbst, schenken fleißige Helfer die Weine in thematischen Flights aus, meist sechs Weine, gelegentlich weniger, beispielsweise: Flight 12, Rieslinge von der Saar mit den Weinen aus Ayl, Ockfen und Schoden (Kupp und Schonfels von Lauer, Bockstein von von Othegraven und St. Urbans-Hof, Saarfeilser von Lauer und St. Urbans-Hof). Der Verkoster hat in seiner Liste (die vorab per E-Mail verteilt wird) die Flights, notiert die Flightnummer auf einen Zettel und hält diesen hoch. Ein dienstbarer Geist schnappt ihn sich, holt den Korb mit den Flaschen des Flights und schenkt ein. Es handelt sich entsprechend nicht um eine Blindverkostung. Allerdings blende ich mir die Weinnamen auf meiner Exceltabelle meist aus und schaue beim Einschenken nicht so genau hin, weiß häufig also nicht genau, welcher Wein welcher ist, während ich mein Urteil fälle, decke dann hinterher auf (innerhalb des Flights gibt es auch noch eine Reihenfolge der Weine, so dass Verwechslungen ausgeschlossen sind).

Ich bewerte in einem einfachen Schema. Note 1 heißt, der Wein begeistert mich sofort. Note 2 heißt, der Wein vermittelt mir sofort einen Qualitätseindruck, der eines GGs würdig ist, Note 3 heißt, ich frage mich spontan, warum das als GG anerkannt wurde und Note 4, eine recht häufig vergebene Note, bedeutet, dass ich mehr Zeit und einen größeren Probeschluck bräuchte, um ein seriöses Urteil zu fällen. Alles was 2+ oder besser abschneidet, findet sich in den Texten der Live-Berichterstattung wieder. Bei Weinen, die mich umhauen, probiere ich manchmal zu einem späteren Zeitpunkt nach.

Ich diskutiere manche der Weine vor Ort mit meinen Nachbarn (zum endlos guten Service des VDP gehört auch die Möglichkeit der Wunsch-Sitznachbarn, weswegen die Kollegen Truszkowski, Würtz und Hofschuster in unmittelbarer Nähe sitzen). Negative Urteile tauchen in den Texten eher nicht auf, außer wir sitzen da zu viert und verstehen die Welt nicht mehr.

Die No-Show-Liste für Wiesbaden

Wenn ein Wein in der Berichterstattung nicht auftaucht, gibt es also folgende Möglichkeiten: Am wahrscheinlichsten: Ich finde ihn ordentlich, eines GG würdig, aber mehr nicht und deswegen fällt mir nicht viel ein, was ich über ihn schreiben sollte. Vielleicht aber auch: Ich finde ihn schwach. Häufig eher: Ich finde ihn kompliziert, bräuchte mehr Zeit um ein Urteil mit Substanz zu fällen. Oder er steht in Wiesbaden gar nicht auf der Probenliste. Das betrifft immerhin 150 Weine, die Sie unten aufgelistet finden. Man kann darüber diskutieren, ob dieser Trend bedenklich ist. Einerseits ist es unerheblich, da die Zahl von 440 präsentierten Weinen mehr ist, als ich verkosten kann. Ich kann die zwei Tage komplett sinnvoll mit Weinen füllen. Andererseits weiß ich, dass viele Leser gerne einen Überblick hätten, was der jeweilige Verkoster ihres Vertrauens denn für die besten Weine des Jahrgangs hält. Und die besten Riesling GGs der Pfalz zu ermitteln, wenn von Winnings Jesuitengarten, Bürklin-Wolfs Pechstein und von Buhls Kirchenstück nicht ins Glas kommen, wird schwer. Ein Teil der Weine wird ein Jahr später gezeigt, aber lange nicht alle. Gut Hermannsbergs Kupfergrube 2014 beispielsweise kommt jetzt auf den Markt, wird aber nicht gezeigt. Andersherum gibt es auch Winzer, die Weine zeigen, sie aber trotzdem erst nächstes Jahr in den Verkauf bringen: von Oetingers GGs erscheinen erst zum nächsten Frühjahr, in Wiesbaden zu verkosten sind sie trotzdem. Ein großes Fass muss man nicht deswegen aufmachen, die Diskussion über Sinn und Unsinn einer einheitlichen Politik sollte der VDP aber beizeiten führen, denn die Zahl der No-Show-Weine steigt von Jahr zu Jahr.