Ich habe ein Problem, ein Luxusproblem oder, wie man neudeutsch sagt: ein First World Problem. Der VDP hat mich zur Premiere der großen Gewächse nach Wiesbaden eingeladen. Die Einladung verdanke ich Dirk Würtz, der mich Anfang des Jahres fragte, ob ich Lust auf die Veranstaltung hätte und gegebenenfalls auch darüber berichten würde. Danke, Dirk, auch für das Problem.
Was ist denn bitte das Problem daran, zu der Verkostung eingeladen zu sein, die viele professionelle Weinkritiker als die bestorganisierte ihrer Art bezeichnen, mögen Sie jetzt denken. Ganz einfach. Gefühlt eine Million Mal habe ich in diesem Blog kundgetan, dass ich Verkostungen dieser Art für wenig aussagekräftig halte. 5 Zentiliter und fünf Minuten mit einem Wein führen zur Beschreibung genau dieser fünf Zentiliter in genau diesen fünf Minuten – nicht viel mehr. Nun werde ich also geschätzt 400 Weine an zwei Tagen verkosten, was zu gerade einmal drei Minuten pro Wein führen dürfte. Die schärfsten Kritiker der Elche …
Aber ich geb’s zu: ich fühle mich geschmeichelt, diese Fachverkostung besuchen zu dürfen und sogar noch eine Hotelübernachtung und eine Abendveranstaltung spendiert zu bekommen (soweit die Offenlegung, die Anreise trage ich selbst). Also grüble ich seit einiger Zeit, wie ich mich dem Thema nähern soll. Auf jeden Fall werden Sie am Montag und Dienstag von mir auf Instagram (Nutzername Schnutentunker), Twitter (@schnutentunker) und auf der Facebookseite des Blogs (Sie dürfen gerne Fan werden) in Echtzeit über meine Eindrücke berichten. Eine Zusammenfassung hier im Blog sei hiermit ebenfalls versprochen.
Rieslinge, die sich mir im ersten Moment als großartige Weine präsentieren, sind im Zweifelsfall genau das: großartige Rieslinge (für mich). Wenigstens bei diesen mag ich ausschließen, dass ich mich von ‚Verkostungsweinen‘ blenden lasse, also den vinophilen Equivalenten zum Energy Drink, die einen beim ersten Schluck begeistern, nach einem halben Glas aber satt und der Macht überdrüssig machen, was man in Ermangelung eines halben Glases und ausreichend Zeit bei Kurzproben nicht merkt. Da ich extrem empfindlich auf ‚mastige‘ Rieslinge reagiere und hohen Alkohol in diesem Weintyp nicht ausstehen kann, gehe ich diesen Weinen selten auf den Leim. Beim Weiß- oder Spätburgunder allerdings kann mir das durchaus passieren.
Schwieriger sind die Weine, bei denen ich mir nicht sicher bin, ob ich sie grandios oder grottig finden soll. Ein typisches Beispiel wäre der Ress’sche Rottland 2011 vom bereits erwähnten Dirk Würtz. Bei dem wusste ich zunächst auch nicht, was ich davon halten soll und erst nach einer ganzen Flasche über drei Tage war ich mir sicher, der polarisiert zwar, ist für mich aber großartig. Ich musste dann entsprechend viele Worte machen um zu formulieren, was dieser Wein in mir auslöst. Rückblickend war es das wert, denn ich bin seitdem vielen Menschen begegnet, die mein Urteil nicht teilen, aber niemandem, der nicht verstanden hat, wie es zustande gekommen ist und was ich an dem Wein liebe. Diese Form der Erkundung kann ich in Wiesbaden nicht leisten.
Also werde ich eine Kategorie ‚vorbehaltlos großartig‘ nennen und eine ‚Wiedervorlage‘. Vielleicht gelingt es mir ja einige der Weine aus letzterer Kategorie für eine genauere Begutachtung zu ergattern und dann in einer weiteren Geschichte aufzulösen, ob im Langtest der Funken überspringt. Die beiden weiteren Kategorien ergeben sich fast von selbst: gut und nicht gut. Erstere ist das Töpfchen, in das ich alles sortieren werde, was ich als eines GGs würdig aber nicht sensationell befinde. Letztere ist das Kröpfchen für alles, was mich mindestens ratlos lässt. Eine Einordnung in diese Kategorie kann aber auch einfach bedeuten, dass ich den Wein nicht verstanden habe.
Berichten werde ich dann über alles, was ich großartig finde, alles, was mich fasziniert, sich aber einem präzisen Urteil entzieht sowie über alle Weine aus der Kategorie gut, die entweder ein besonders gutes Preis-Leistungsverhältnis bieten oder von eher unbekannten Erzeugern stammen. Was in meinen Betrachtungen nicht auftaucht, kann also trotzdem sehr gut sein, Verschweigen heißt nicht Verdammen, Rückschlüsse auf negative Eindrücke lassen sich nicht ziehen – so viel Feigheit nehme ich mir heraus. Aber ich will kritisch und anspruchsvoll sein. Deswegen habe ich meinen Gaumen mit einem Riesling GG kalibriert, der in den meisten Jahren Maßstäbe setzt.
Wittmann, Morstein, Riesling Grosses Gewächs, 2007, Rheinhessen. In der sehr reifen Nase mürber Apfel, Marzipan und, etwas ungewöhnlich, grüner Spargel. Am Gaumen ist der Wein sehr voll, jahrgangstypisch mit einer zwar kräftigen aber sehr reifen Säure. In der aromatischen Entwicklung finde ich diese Flasche schon weit: würzige Reifenoten, vollreife Aprikose, Mirabelle, sehr dicht und lang. Das ist eher die wuchtige Interpretation des Morstein, vergleichbar mit 2005, deutlich voller als 2008. Der Abgang ist sehr lang und von Mineralik/Phenolik getragen, 13 Prozent Alkohol sind spürbar aber nicht dominant. Ein beeindruckender Wein, der ein bisschen satt macht und nach Essen verlangt: helles Fleisch oder eher kräftig gewürzter Fisch.