Der Jahrgang 2003 war in Weindingen in fast ganz Europa ein außergewöhnlicher. Einen so heißen Sommer – er forderte über 10.000 Todesopfer, vorwiegend unter Europas Senioren – hatte der Kontinent noch nicht gesehen.
Da alle ganz großen Jahrgänge des 20. Jahrhunderts, zumindest in Deutschland, als Hitzejahre in den Chroniken stehen, war das erste Urteil schnell gefällt: Jahrhundertjahrgang! Kauft, was ihr kriegen könnt. Doch schon nach einem Jahr dämmerte den meisten Fachleuten, dass der Terminus ‚Heißes Jahr‘ im 21. Jahrhundert eine andere Bedeutung hat, als im 20.: ‚zu heiß‘ geht mittlerweile auch. Die Meinung der Profis schlug um: ein Jahrgang zum Weglaufen, lautete die neue Devise.
Kehrtwende nach der Kehrtwende?
Mittlerweile ist der Jahrgang aus dem Fokus und es finden sich nur noch vereinzelte Meldungen. Die zeichnen abermals ein Zerrbild: Wenn heute noch jemand einen 2003er Riesling irgendwo in den sozialen Medien bespricht, dann meist mit Phrasen wie ‚viel zu früh abgeschrieben‘, ‚besser als erwartet‘, ‚der Jahrgang kommt wieder‘ und ähnliches, leider oft garniert mit meiner Meinung nach überflüssigem Weinkritiker-Bashing. Es wäre also an der Zeit, ein etwas breiteres Feld von 2003ern zu verkosten, wenn man denn noch Flaschen hätte – zum Glück war der Pigott in New York!
Weinjournalist Stuart Pigott hatte sich vor vielen Jahren eine kleine Phalanx trockener 2003er Rieslinge in eine Ecke seines Kellers geräumt, um sie für eine Zehn-Jahre-danach-Probe aufzuheben. Doch dann ging Pigott für einige Jahre nach New York und seine Weine blieben in Berlin. Aus den USA zurück sortierte er dieser Tage seinen Weinkeller, fand die Flaschen und brachte die Rieslinge in einen geselligen Abend ein, dem auch ich beiwohnen durfte.
Riesling 2003 – nachprobiert
Der Spender hatte einen vermeintlichen Underdog als Pegelwein vorgesehen: der ‚R’ von Zimmerling legte die Latte allerdings unerwartet hoch: wie erwartet würzig, kräftig und wuchtig, aber mit ausreichend Frische und Pikanz um Spass zu machen; ein schöner Start. Der folgende Schlossberg Alte Reben von Leitz zeigte dann schon in der Nase die erwartete Aromatik. Die einen nannten es UTA, die anderen verbranntes Gummi, angenehm fand das keiner. Am Gaumen setzte sich das Problem fort, wurde auch nicht von Säure im Zaum gehalten. Trinkbar, aber schwach. Der Pettenthal von St. Antony setzte dem Jahrgangston zwar etwas Frucht und Säure entgegen, letztere war aber nicht harmonisch – und dann spülten 14% Alkohol jede Finesse weg. Mäßig.
Großes Pech hatten wir mit dem Leckerberg -S- von Winter, denn der hatte Kork, allerdings einen eher verhaltenen, der es erlaubte, den Wein wenigstens mal kurz zu probieren und festzustellen, dass dieser Riesling aus einer korrekten Flasche vermutlich ein Vergnügen darstellt. Das hat vielleicht auch Bürklin Wolffs Kirchenstück GC mal getan, denn er zeigt immer noch eine eigentlich schöne Frucht und feine Mineralik, gestört aber von einem sehr nach malolaktischer Gärung schmeckenden Jogurt-Ton und einer Firne, die andeutet: der Wein hat’s hinter sich. Ganz anders dann Rebholz’ ‚Im Sonnenschein‘: ziemlich typische, üppige, 15 Jahre gereifte Riesling-Nase, der am Gaumen reichlich Wucht folgte, aber – und da blitzt Klasse auf – gezähmt von einer präsenten Säure. Im sehr langen Abgang von würziger Tiefe getragen. Hätte er nicht einen rosinigen Ton, wäre das groß. Mein Favorit. Die anschließende Schwaigener Rute von Graf Neipperg war leider bitter, flach und vom Jahrgangston dominiert. Der konnte niemanden glücklich machen.
Das gelang dem Heerkretz von Wagner Stempel dann umso mehr. Etliche am Tisch waren geplättet: Schöne Frische, dann sehr würzig und anschließend viel süße Frucht, enorm stimmig. Doch für einige, zu denen ich gehörte, verflog der Zauber mit dem dritten Schluck und die süße Frucht wurde immer süßer, bis sie zu süß war. Geschmackssache, wenngleich das mindestens ein sehr schöner Riesling ist. Der etwas außer Konkurrenz laufende, weil deutlich halbtrockene ‚Am Turm‘ von Wittmann hatte meiner Meinung nach Kork, denn ich habe den vor gar nicht so langer Zeit viel besser im Glas gehabt. Hier präsentierte er sich eher flach.
Eine Schwalbe macht keinen Sommer
Insgesamt lagen die Kritiker mit ihrer revidierten Meinung also richtig. Dass sie zunächst auf die jungen Weine ‚hereingefallen‘ waren, lag vermutlich auch daran, dass der Stil neu war – 2003 war in einigen Regionalverbänden des VDP der Premieren-Jahrgang für das ‚Große Gewächs‘. Zudem fällt bei jungen, frisch geschwefelten Weinen Säuremangel geschmacklich nicht so stark ins Gewicht und dazu hatten einige Weine erheblichen Restzucker – für das GG waren damals noch 12 Gramm erlaubt. Obendrein spielte die Mode eine Rolle: Wachauer Smaragde mit 14% Alkohol und schmeckbarer Botrytis waren international damals weit angesehener als die erst im Werden begriffenen GGs. Ich schreibe das übrigens nicht zur eigenen Ehrenrettung. In Sachen Wein lag ich damals noch in den Windeln.
Andererseits zeigen die Weine auch: keine Regel ohne Ausnahme. Egal wie schwierig das Jahr ist, irgendeine Lage in irgendeinem Dorf bleibt immer verschont und irgendein Winzer fährt immer eine Ernte ein, aus der er dann – mit Glück oder Geschick – tolle Weine gegen den Trend keltert. So gut, dass man sich auf die Suche nach ihm machen sollte, war allerdings keiner der probierten Weine.