Avignon Cotes du Rhone

36 Grad und es wird noch heißer…

Deutschland ist ein Wein-Land, in dem die Auswirkungen des Klimawandels ambivalent sind. Bisherige Rieslingskeptiker greifen bei warmen Jahrgängen wie 2018 beherzt zu. Die Rotweine werden immer besser. Lediglich erfahrene Deutschweinfreaks bedauern die nivellierende Kraft der Wärme. Für den Weinbau als Wirtschaftszweig läuft es ziemlich gut (die Ahrtal-Katastrophe logischerweise ausgenommen).

Wie sieht es da aus, wo die Erderwärmung keinerlei positive Auswirkungen hat? Das interessiert mich persönlich sehr. Deswegen nahm ich eine Einladung zu einer Pressereise an die Rhone an. Die Rhone – das habe ich vorher geahnt und auf der Reise gelernt – ist schon jetzt so heftig vom Klimawandel betroffen, dass ganze andere Diskussionen als bei uns geführt werden. Die Auswirkungen beschränken sich auch nicht bloß auf Erwärmung. Das wurde mir überdeutlich, als ich in einem hundert Jahre alten Weinberg stand, in dem 40 Prozent der Rebstöcke keine Triebe ausgebildet hatten, weil sie letztes Jahr von Hagel erschlagen worden waren – dem schlimmsten Wetterereignis der (logischerweise) letzten hundert Jahre.

Viel Wein für wenig Geld

Die Reise gehörte zu den bestorganisierten Trips, an denen ich je teilnehmen durfte. Die Reiseleitung war kompetent, die Auswahl der Weingüter exquisit, die besuchten Restaurants formidabel. Die Dankbarkeit für so viel Gastfreundschaft soll aber nicht den Blick auf die Fakten trüben. Die puren Daten des Weinbaus an der Rhone sind keine Erfolgsgeschichte. 2021 standen im Rhonetal 66.400 Hektar im Ertrag. Die Fläche schrumpft zwar kontinuierlich, aber lediglich um wenige Hundert Hektar pro Jahr. Die erzeugte Menge lag bei 2,56 Millionen Hektoliter. Davon wurden 60 Prozent als Fassware verkauft. Und die Fassweinpreise sind ein Witz, obwohl der Hektarertrag halb so groß ist wie in Deutschland – die Fass- also keine Massenware ist. Natürlich wird alles irgendwann von irgendwem auf Flaschen gefüllt und 340 Millionen Flaschen Rhone-Wein fanden schließlich einen Abnehmer. Der Durchschnittspreis im französischen Supermarkt für eine Flasche Côtes du Rhône beträgt 3,50 Euro inklusive Steuer, die Village-Weine kratzen immerhin an 5 Euro. Wenn sie jetzt an die edlen Crus wie Châteauneuf oder Hermitage denken: die machen nur ein paar Prozent der Gesamtproduktion aus.

Die Probleme sind teils hausgemacht. Die Welt erlebt eine Verschiebung des Konsums zu Lasten des Rot- hin zu Weiß-, Rosé und Schaumwein. Die Winzer der Rhone haben diesen Trend verschlafen. Die Welt hat außerdem das Thema Leichtwein und alkoholreduzierter Wein für sich entdeckt. Das passt (derzeit) gar nicht an die Rhone. Lediglich den Wunsch nach Qualität kann das Tal bedienen. Das Image der Weine im Ausland ist gut. Im hiesigen Supermarkt stehen Weine der Herkunft Côtes du Rhône im gehobenen Segment. Für die Leser dieses Blogs freilich sind sie eher Notnagel, wenn gerade kein Weinladen in der Nähe ist – oder sie sind nostalgische Erinnerung an Zeiten, als man noch zu Jacques’ Wein-Depot ging, um einen Karton vom vollmundigen Roten zu kaufen, weil der Funke noch nicht so übergesprungen war.

Damit sind insbesondere Côtes du Rhône Village-Weine unter Wert geschlagen. Wie gut die sein können, durfte ich mir letztes Jahr bei einer Verkostung von 40 Weinen als Vorauswahl für dieses Video vor Augen führen. Ein paar Lieblinge von damals begegneten mir auf dieser Reise wieder und sollen in Teil zwei ausführlich gewürdigt werden.

Guter Auftakt mit aktuellen Themen

Den Auftakt meiner Rhone-Vertiefung machte die demeter-zertifizierte Domaine de la Mordorée in Tavel. Und dieser Besuch setzte eigentlich schon sämtliche Themen für die nächsten Tage. Der erste Wein der Reise war der (ich erlaube mir im Folgenden Côtes du Rhône gelegentlich abzukürzen) CdR Rosé 2021 des Gutes, Er besteht überwiegend aus Grenache, dazu Cinsault und Syrah. Ein sehr schöner Wein mit mehr Struktur, als man bei der auf den ersten Blick leichten Anmutung in der Nase erwarten würde. Leicht fleischig, ordentliche Säure, dann bauen die 14,5 Prozent Alkohol Druck auf. 

Domaine de la Mordorée Kollektion

Beim roten CdR 2020 ging das Spiel andersherum. Die kräutrige Nase versprach mehr Struktur, als der Wein mit der eher marmeladigen Frucht am Gaumen schließlich einlösen konnte. Lecker, aber kein Riese. Der Côtes du Rhône 2021 wirkte kühler, zeigte einerseits auch sehr reife Frucht, aber dann etwas mehr Struktur, weil auch mehr sehr feines Tannin da war, bei nicht störenden 15 Prozent Alkohol. Als viertes kam ein ‚Mystery-Wine‘ ohne Etikett. Dass das ein gereifter CdR war, verstand sich von selbst. Deutlich gereift, aber noch sehr am Leben, schöne Lakritznote, Reste von süßer Frucht, ordentliche Säure. Vergnüglich. Es war der 2005er. Der hatte nur 14 Prozent Alkohol. Natürlich stellte ich die Frage nach dem Zusammenhang von Erderwärmung und zunehmender Schwere der Weine.

Bei biodynamisch arbeitenden Winzern habe ich in der Vergangenheit bei verschiedensten Gelegenheiten den Satz gehört: ‚Diese Probleme betreffen uns nicht, denn wir arbeiten biodynamisch‘. Dabei waren die Probleme austauschbar. Was mich dabei skeptisch macht: in der Biodynamik lösen auf wundersame Weise ständig alte Mittel neue Probleme, während im Rest der Welt neue Probleme fast immer auch nach neuen Lösungen/Mitteln verlangen.

Wenn die Besten zum Problem werden

Alte Reben Rhone

Die Behauptung man bekäme die zunehmenden Reifeunterschiede vor der Ernte prima mit der Anwendung eines alten biodynamischen Präparats in den Griff, liefen für mich schon in die befürchtete Richtung, als unsere Gastgeber eine konventionelle Bombe zündeten. ‚Wir roden unser Weinberge früher und halten den Anteil jüngerer Reben hoch‘ hieß es. Auf Nachfrage, um einen Übersetzungsfehler auszuschließen, wurde es konkreter. ‚Unsere hundertjährigen Grenache-Reben liefern mittlerweile regelmäßig Moste mit 17 und mehr Prozent potentiellem Alkohol.‘ Geschmacklich fantastisch seien die, aber das wolle kein Mensch trinken.

Zur Erläuterung: Alte Reben liefern häufig niedrigere Erträge, weil sie sich entweder die eine oder andere Krankheit im Laufe ihres langen Lebens eingefangen haben, oder weil der regelmäßige Rebschnitt Spuren hinterlässt. Der Zucker in der Traube wird durch die Photosynthese-Leistung der Blätter produziert. Die Laubwand hundert Jahre alter Buschreben lässt sich nicht maschinell bearbeiten und entsprechend entfällt bei dieser Art Produktion viel Photosynthese-Leistung auf wenige Trauben, was hohe Mostgewichte und entsprechend viel Alkohol mit sich bringt. Eine frühere Ernte verringert zwar das Mostgewicht, birgt aber das Risiko physiologisch unreifer Trauben mit grünen Tanninen und unangenehmen Bitterstoffen.

Neben dem hohen Alkohol bergen solche Trauben noch ein weiteres Problem: Ihr Most gärt selten trocken durch. Die meisten Hefen sterben in Milieus mit mehr als 15% Alkohol ab. Insbesondere bei demeter-zertifizierten Betrieben, die keine nach Gärstärke selektierten Tütenhefen zum Einsatz bringen dürfen, wird die Gärung zum Glücksspiel. Der Kellermeister kann den Most vor der Gärung mit zuckerärmeren Mosten verschneiden um die Gärung abzusichern. Dies limitiert dann hinterher die Variationsmöglichkeiten bei der Cuveétierung verschiedener Partien.

Geschmack ist nicht alles

Das war ein ziemlicher Paukenschlag, den wir in der Folge noch mit weiteren (aber nicht allen) besuchten Winzern verifizieren konnten: Die ‚Alten Reben‘ mutieren im Klimawandel vom heiligen Gral zu Problembären. Junge Reben in Spaliererziehung mit hohen Erträgen (teils Dank Bewässerung) müssen den alten über die Straße helfen. Das ist fachlich keine Sensation, aber was passiert jetzt mit den ganzen schönen und romantischen Geschichten von den Vorvätern mit ihren nicht alles der Effizienz unterordnenden An- und Ausbaumethoden, die natürlich viel besseren Wein ergeben, als die bösen bösen in der Industrialisierung entwickelten ‚modernen‘ Massenproduktionsverfahren?

Dazu kommen ganz profan Verschiebungen bei den Rebsorten. ‚Wir pflanzen Clairette für den Tavel und Cinsault für den CdR‘ hieß es ergänzend, bevor wir unseren ersten ‚Cru‘ zu probieren bekamen. Der Tavel 2021 war ein starker Wein. Grenache, Syrah, Clairette und Cinsault, sehr würzig und fruchtig und dann feines Tannin, aber auch Rosé-Leichtigkeit. Fleischig und sehr lang. Der Lirac ‚La Damme Rousse‘ 2019 präsentierte sich extrem dicht, dunkel, leicht lakritzig aber auch fett in der Überreife mit 15,5% Alkohol. Fantastischer Sirup. Der Lirac ‚La Reine des Bois‘ 2019 war dann die etwas ‚hellere‘ Ausgabe des Vorgängers mit mehr Frische, mehr Struktur und etwas leichterer Anmutung – trotz ebenfalls 15,5% Alkohol.

Zum Abschluss gab es den Châteauneuf du Pape 2020, ‚La Reine des Bois‘. Hier roch der Grenache anfänglich fruchtiger, wurde dann aber am Gaumen auch blumig/kräutrig. Das Tannin ist  schon megafein, die Frucht derzeit üppigst, die Säure fällt extrem sparsam aus. Das wird mal wunderbar, aber immer eher breit bleiben.

Faulpelz als Hoffnungsträger?

Nur ein paar Minuten weiter befand sich die zweite Station unserer Tour: Chateau de Manissy. Das ehemalige Klosterweingut ging Anfang des Jahrhunderts in private Hände über, weil die Mönche keinen Nachwuchs fanden. Sechs Pensionäre leben mit lebenslangem Wohnrecht noch auf dem Gehöft. Den jüngsten trafen wir bei seinem täglichen Spaziergang durch die Weinberge. Er ist 86. Der älteste verlässt dem Vernehmen nach nur noch selten das Haus. Er ist 103.

Chateau de Manissy Kollektion

Auch hier hing die demeter-Plakette am Eingang, aber es stand auch ein Vollernter auf dem Hof, neben allem anderen, was die Maschinenbaukunst dem Weinbau an Hightech anzubieten hat. Inhaber Florian André war verhindert, doch sein Team führte uns kompetent durch die Verkostung. Das Thema Erderwärmung brachten unsere Gastgeber von sich aus und als erstes. Es dominiert hier die Agenda. Die Werkzeuge sind die gleichen: veränderter Rebsortenspiegel und höhere Erträge. ‚Wir haben viel Grenache Blanc gepflanzt um Säure zu behalten‘, erklärte mir unser Gegenüber und schenkte den ersten weißen Côtes du Rhône der Reise ein. CdR blanc 2021, 85% Grenache Blanc und 15% Clairette weiß und rosé; viel Frucht (grüner Apfel), ausreichend Zug, etwas schmelzig, etwas ölig, zum Abgang hin eine lustige Süßholznote. Gute Länge, etwas dropsig, angenehme 13 Prozent Alkohol, ganz schön.

Elf Jahre habe das Team an der Entwicklung von Carignan blanc gearbeitet und Pflanzmaterial für die eigenen Böden selektiert. Jetzt sei der erste Hektar gepflanzt. schildert man uns die weiteren Pläne für den Erhalt der Leichtigkeit im Weißwein aus der Region. Wunderwaffe Cariñena, das hört man oft im Mittelmeerraum. Egal ob in rot oder als weiße oder graue Mutation, die faulste Rebsorte der Welt soll es richten. Dabei geht es nicht um Fäulnis, sondern um Faulheit. Die Rebe hat keine Lust auf Arbeit, bietet eine der schwächsten Photosynthese-Leistung aller Rebsorten und ist auch ineffektiv bei Wandlung und Abbau der Säuren. Deswegen lieferte sie noch zu Beginn der spürbaren Erwärmung oft Weine mit 11 Prozent Alkohol und heftiger Säure. Also rissen die Winzer sie raus. In den letzten 50 Jahren schrumpfte der Bestand in Frankreich von über 200.000 Hektar auf gut 30.000 jetzt propfen Winzer wieder zurück und pflanzen neu.

Counoise vor dem Comeback?

Während Chateau de Manissy beim Weißwein also auf Carignan setzt, soll beim roten CdR Counoise aus hohen Erträgen als Retter der Frische auftreten. Doch zunächst verkosteten wir den Star der Region, den Rosé der AOP Tavel.

Tavel ‚Trinité’ 2021: Grenache, Syrah, Clairette, Cinsault 12 bis 24 Stunden Maischestandzeit, alles einzeln vinifiziert. Sehr beerig, sehr fruchtig, sehr schön, aber nichts Besonderes. Ganz anders der Tavel ‚Tete de Cuvee‘, mit Holz, nach dem Rezept der Mönche von 1915, ohne Syrah, etwas leichtere Farbe. Wunderbar schmelzig, leicht rotfruchtig, etwas Tannin, unglaublich harmonisch, leicht und beschwingt, dann kommt die Tiefe des Holzes. Das ist toll und kostet nur 12,50 Euro.

Danach die roten Côtes du Rhône: CdR ‚Oracle‘ 2019, 60 Grenache, 30 Counoise, 10 Syrah/Carignan. 13,5% Alkohol und ansprechende Säure; die kräutrige Counoise ist allerdings ziemlich kräftig und bringt noch mehr Lavendel als der Grenache, dann Blaubeere ohne Ende, feines Tannin, schöne Frische. Eigenwillig und ausdrucksstark. 2018 CdR ‚Elzeard’, benannt nach dem Mann, der Bäume pflanzte (pro verkaufter Flasche pflanzt das Gut einen Baum). GSM plus Carignan, und es ist einiges an abgestuften Fässern vom Lirac dabei. Viele Beeren, gute Tiefe, etwas Bleistift. Im Abgang sind die 14,5 Prozent Alkohol nicht ganz unauffällig, aber der Wein hält die Balance sehr gut.

Flexible Regel-Auslegung

Wenn die Verkostung nicht mittags im Sommer stattgefunden hätte, der Alkohol hätte bei diesem Wein nicht zur Debatte gestanden. Generell sind die Geschmäcker verschieden. Es gibt Weintrinker, die auch im Sommer Amarone mögen und unser Reiseleiter Valentin, der mit den Weinen der Region sozialisiert wurde, versicherte glaubhaft, dass ihm bei Weißen von der Loire regelmäßig der Gedanke kommt, das ist doch Schorle! Für mich Riesling-Bubi sind diese mächtigen Geschütze allerdings eine Herausforderung. Zum Glück nicht immer:

Lirac Trinite, 2020, 80 Grenache, 20 Syrah, 14,5%, Sehr fruchtig (im positiven Sinne, weniger Lavendel als einige der vorherigen Weine, was meinem Geschmack entgegenkommt), trinkreif, feines Tannin, ausreichend Frische, tolle Balance, toller Wein für wenig Geld. Lirac ‚Avant Gout Du Paradis‘ 80/20 Syrah/Grenache, fleischig, dunkel, saftig, vom Plateau Tavel/Lirac, schönes Tannin, satte Frucht. Das ist ein Wow-Wein. Auch hier sind 14,5% wunderbar integriert.

Kleine Anekdote am Rande: die Rebsortenkombination dieses Weines ist eigentlich illegal, da Lirac mindestens 40 Prozent Grenache enthalten muss. Das AOC-Statut ist allerdings so formuliert, dass man diskutieren kann. Chateau de Manissy legt es so aus, dass diese Vorgabe über alle AOC-Weine eines Gutes und Jahrgangs zusammen gelten muss. Da vom Trinite deutlich mehr Flaschen produziert werden und dort 80% Grenache drin sind, schafft das Raum für 3.000 Flaschen ‚Avant Gout Du Paradis‘ mit nur 20 Prozent Grenache. Die Kontrollbehörden lassen diese Interpretation gelten (ob die AOC-Ausformulierung gewollt dehnbar oder einfach schlampig war, weiß heute keiner mehr).

Wein- und Sprachtalente am Abend

Ein spannender erster Tag ging zu Ende, bei dem das Niveau der Weine nicht ganz an den Nachrichtenwert des Gelernten heranreichte. Doch es blieb ja noch das Abendessen. Das begann mit einer Überraschung. Unsere beiden Tischgenossen, die Winzer Marin Lefebvre und Florent Chenivesse waren zwar beide aus der kleinen Gemeinde Sabran, hatten sich aber erst als Teenager kennengelernt – in der Vorbereitung ihres Schüleraustauschs nach Deutschland. Ob es für uns in Ordnung wäre, den Abend über langsam zu sprechen, damit sie ihr eingerostetes Deutsch auffrischen könnten. Das war aber gar nicht besonders rostig, das Gespräch sehr angeregt.

Gruppenbild mit Wirt
vlnr. Autor, Marin Lefebvre, Wirt, Florent Chenivesse

Die Rhone ist lang, das Anbaugebiet ist groß, die Geologie vielfältig und die Höhenunterschiede signifikant. Marin und Florent erzeugen teils extrem elegante Weine und haben auch Lagen im Portfolio die sehr moderate Alkoholwerte zulassen. Das ging gleich bei Marins erstem Wein los: Lefebvre d‘Anselme, CdR L‘Art d’être heureux 2021; Ugni Blanc und Clairette, 50/40 Jahre alt, stehen auf eher armen Sandböden, Säure vom Ugni Blanc, Bitterstoffe vom Clairette. Spontan vergoren, 12,5% Alkohol: staubtrocken, feine Phenolik, etwas Kräuter, leicht blumig, verhaltene Frucht (grüner Apfel), ordentliche Säure, leicht und erfrischend, aber alles andere als banal. Schöne Länge, genau mein Beuteschema zur dafür perfekten Tageszeit.

Wein zwei war ein weißer von Florent, dessen Weingut den etwas sperrigen Namen Domaine ‚La Photo de Famille‘ Jean-Marie Chenivesse & Fils trägt. Der Wein hieß L’éclairette und war zu 100% aus Clairette. Sehr fruchtige Pfirsichnase, am Gaumen schmelzige Textur, aber anstatt Zucker kickt dann Phenolik/Gerbstoff und schöne Säure rein. Das macht wahnsinnig viel Spaß, weil das (kaum schmeckbare) Holz noch ein bisschen breitere Schultern gibt. Dass dieser wunderbare Wein nur 12,3 Prozent Alkohol hat, mag man kaum glauben. 

Tolle Vielfalt, verwirrende Vielfalt

Es folgte Lefebvre d‘Anselme, CdR L‘Art d’être heureux in rot und aus 2020; spontan, ungeschönt, unfiltriert, 30 Milligramm Schwefel zugesetzt. Eher buntfruchtig, leicht kräutrig, semi-carbonique Gärung und prompt erinnert mich das ein bisschen an Beaujolais, mit Veilchen und Lavendel. Nicht so meins, aber die anderen sind glücklich.

Dann Florent Chenivesses Cuvée Papillon 2018 mit relativ heftiger Lagerfeuernase, aber kein Holz, eher Reduktion, darunter schöne Frucht, etwas einfach, aber das kostet auch nur 7 Euro. Leicht gekühlt und ab dafür – zumal das hervorragende Essen im Restaurant Le 46 in Avignon gerade sehr gut dazu passte. Die Weine stehen in Deutschland unter anderem bei der Weinhandlung Suff im Regal.

Derzeit nur bei vereinzelten, stationären Händlern in Deutschland gelistet sind Marin Lefebvres Weine, wie etwa der Côtes du Rhône ‚Trilogie‘. Grenache/Syrah im tiefen Sand, relativ alt, relativ niedrige Erträge, der Grenache als Ganztraube im Beton verarbeitet, spontan vergoren, unfiltriert und ungeschönt. Fruchtbombe, aber die Frucht ist sehr fein, sehr sauber und strahlt wie kaum eine an diesem Verkostungstag; schöne Säure, dunkel und fleischig dabei, eher würzig als kräutrig. Ganz toll.

Parallel dazu der ‚Edmond‘ 2019 von Florent: Syrah und Grenache separat vinifiziert, 12 Monate Holz. Mittlerer Körper, noch frischer, die Frucht geht in Richtung Schwarzkirsche, feine Tannine und feine Mineralik/Phenolik. Gute Länge mit etwas Holzwürze. Ein wunderbarer Abschlussflight.

Die stilistische Vielfalt der Rhone ist bekannt. Die stilistische Vielfalt allein unter dem Dach der AOP Côtes du Rhône wird nach meiner Erfahrung allerdings oft unterschätzt. Von opulent bis knackig, von buntfruchtig über blumig bis hin zu fleischig/würzig und von süffig bis tanningeprägt reicht das Spektrum. Das zu erkunden macht naturgemäß Freude, das unter einem Dach zu vermarkten eher weniger. Zum Glück ist ersteres mein Metier. Wie hoch hinaus es unter dem Dach der Côtes du Rhône gehen kann, beschreibt dann der zweite Teil meines Berichtes.

6 Gedanken zu „36 Grad und es wird noch heißer…“

  1. Sehr guter Bericht. Seit Jahren fahre ich in die Provence und beobachte die hohen bis sehr hohen Alkoholwerte in den Weinen der südlichen Rhône. Ich bin schon froh, wenn nicht die 15% auftaucht.
    Ausnahme scheint der 2020 (und wahrscheinlich auch 2021) zu sein. Grundsätzlich aber kann ich die Einschätzung im Bericht voll und ganz bestätigen. Chateauneuf-du-Pape und Gigondas sind mittlerweile so alkoholstark, dass ich mich wundere zu welcher Gelegenheit diese Weine gut getrunken werden können. Vielen Dank für den tollen Bericht. Wer diese Weine (der südlichen und nördlichen Rhône) mag, sollte nach den 2020ern ausschau halten.
    🙂

    PS. Ich warte sehr ungeduldig auf den nächsten Podcast. Die Sommerpause ist schon wirklich sehr hart wenn der Lieblingspodkast nicht gesendet wird.

  2. Die Rebsorten zu verändert und alte durch neue Reben zu ersetzen ist doch bestimmt auch sehr teuer? Es fehlt ja dann der Ertrag, neue Reben müssen gekauft und gepflanz werden und dann dauert es ja noch 2-3 Jahre bis der erste, neue Ertrag da ist.
    Können sich das nicht nur große Betriebe leisten?
    Inwiefern ist denn die Bewässerung ein Thema: Ich habe die Tage bei der Zeit einen Artikel gelesen, dass die an der Rhone gelegenen AKW teilweise runterfahren müssen, weil der Fluss aufgrund der Dürre nicht mehr genug Wasser führt (Kühlung). Sind junge Rebstöcke da nicht eher anfälliger, weil die Wurzeln nicht sehr tief gehen?

    1. Das sind ganz schön viele Fragen auf einmal 😉 Das Rhonetal darfst Du Dir nicht wie das Moseltal vorstellen. Die Reben stehen überall, nur nicht am Flussufer (im Norden ist das anders, aber da stehen ja nicht mal 10 Prozent der Reben). Also muss das Wasser auch nicht aus der Rhone entnommen werden, sondern stammt aus Brunnen, Zisternen und sicher auch Nebenflüssen. Und ja, jüngere Reben muss man eher bewässern als alte. Was das Neupflanzen angeht: Jeder Betrieb muss nachpflanzen. Reben gehen kaputt. Auch in einem ‚hundert Jahre alten‘ Weinberg sind vielleicht gerade die Hälfte der Reben wirklich so alt. Vieles ist zwischendurch mal ersetzt worden. Wenn es dann zu bunt wird, pflanzt man lieber gleich den ganzen Weinberg neu. An der Rhone hat vor allem die Rebkrankheit Esca diesen Prozess zuletzt beschleunigt. Man muss übrigens nicht zwangsweise neu Pflanzen, manchmal kann man auch einfach umpfropfen. Kostet zwar mehr, aber man ist sofort wieder im Ertrag. Ansonsten: teurer als einen Weinberg neu anzupflanzen ist einen Weinberg zu pflegen, die Erzeugnisse dann aber nicht verkauft zu kriegen. Was die Kosten angeht, Pflanzen zwischen 1 und 5 Euro, Pflanzdichte vor Ort 2500 bis 6000 Stöcke, also von 2500 bis 30.000 Euro pro Hektar plus Arbeitszeit und drei Jahre Ernteausfall.

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