Ab wann kann man eigentlich einen Jahrgang beurteilen? Wie lange muss man sein Urteil beschränken auf die Weine, die man getrunken hat, wie weit dürfen Schlüsse und Abstraktionen gehen, die man daraus zieht oder davon ableitet? Diese Frage beschäftigt mich, seit ich beim diesjährigen BerlinGutsrieslingCup am letzten Freitag teilgenommen habe. Aus dem Jahr 2013 hatte ich vorher nur ein paar Weine probiert – so wenige, dass ich mir keine Gedanken machte, ob diese spärlichen Beispiele Aussagekraft für den Jahrgang haben. Doch letzte Woche hatte ich immerhin die Gutsrieslinge von 33 deutschen Erzeugern im Glas, von denen wohl 20 zu den Granden Deutschen Rieslings zu zählen sind.
Der Gutsriesling ist das Aushängeschild der meisten Betriebe und mit ihm erzielen diese auch ein Großteil ihres Umsatzes, so versichern mir zumindest alle Winzer, mit denen ich mich über das Thema unterhalte. Insofern sollten Gutsrieslinge einiges über die Qualität eines Jahrgangs aussagen. Andererseits lesen die meisten Betriebe die Trauben für den Gutsriesling Wochen vor denen für die besten Qualitäten, zwischen der Ernte für den Gutsriesling und der für das GG kann bei manchen Betrieben ein Monat liegen. In der Zeit kann sehr viel passieren. Deswegen sollte ich von der Qualität des Gutsrieslings nicht auf die höheren Qualitäten schließen. Aber dann war da noch die Ernte 2013: so viele Wochen Zeit zu warten hatten die meisten Betriebe eigentlich nicht. Kann man also vielleicht doch …?
Falsches Jahr? Hier sind die anderen Berichte
Berlin Gutsriesling Cup 14/15
Berlin Gutsriesling Cup 15/16
Was sagt der BerlinGutsrieslingCup über den Jahrgang 2013?
Ich mache mir die Gedanken aus einem ganz einfachen Grund. Der BerlinGutsrieslingCup hat einige sehr schöne Weine in mein Glas gespült. Richtige Schönheiten waren dabei – gemessen an der Qualitätsstufe und vor dem Hintergrund meines Geschmacks betrachtet. Der BerlinGutsrieslingCup spülte aber auch erschreckend schwache Gutsrieslinge bekannter Erzeuger in mein Glas. Das allein ist kein Problem, ich gehöre schließlich zu den eher snobistischen Weintrinkern, die selten auf einfache Qualitäten zurückgreifen. Allein: es ist das Verhältnis. Erst beim fünften Wein im Wettbewerb notierte ich mir auf meinen Jurorenbogen ‚ist unfallfrei trinkbar‘ und insgesamt war es knapp die Hälfte der Weine, die ich als hochproblematisch einstufte, also eben nicht unfallfrei trinkbar, sondern irgendwo zwischen ‚das kriege ich gar nicht runter‘ und ‚einmal eingeschenkt, tränke ich das Glas aus, bäte aber nicht um ein zweites‘ (der Konjunktiv rührt daher, das wir beim BerlinGutsrieslingCup selbstverständlich nur Probeschlucke erhalten und die brav ausgespuckt haben).
Einige der gezeigten 2013er präsentierten eine Säure, die so aggressiv war, dass ich um meinen Zahnschmelz fürchtete. Von den entsäuerten hatte einer zu wenig Säure um die brutal grünen Noten unreifen Leseguts im Wein zu überdecken. Ob ich daraus schließen soll, dass die mit heftiger Säure diese grünen Noten auch haben, sie aber im Säuresturm untergehen? Ich weiß es nicht. Auch weiß ich nicht, wie die besseren entsäuerten bei mir abgeschnitten hätten, wenn Sie entweder alle hintereinander oder in einem separaten Feld hätten antreten müssen. Denn die besseren entsäuerten erschienen mir als Inseln der Glückseligkeit im Meer der aggressiven Säure. Ich war froh sie zu erreichen und dort etwas Deckung nehmen zu können. Und wie gefielen mir wohl die mit dienender Restsüße (nie hat diese mehr gedient als heute, möchte man dazwischenrufen), tränke ich sie gegen einige 2012er mit gleichem Spiel bei halbem Zucker?
Kaum eine dieser Fragen ist rhetorischer Natur. Gäbe ich die Antworten selbst, es wäre reine Spekulation. Ich spare mir die Spekulation. Immerhin, nach 33 Gutsrieslingen höchst unterschiedlicher Qualität kann ich eines sagen: Die Sieger und unbedingt empfehlenswerten Gutsrieslinge finden Sie hier. Eine Schlussfolgerung habe ich noch für Sie: Kaufen Sie keine 2013er ohne sie vorher zu probieren (naja, bei den drei Erstplatzierten des BerlinGutsrieslingCups dürfen Sie eine Ausnahme machen). Und als letztes vielleicht noch: Versuchen Sie es mal mit dienender Restsüße.
Thanisch (Ludwig Thanisch & Sohn), Lieser Niederberg Helden, Riesling Kabinett feinherb, 2013, Mosel. In der Nase jung und von Hefe geprägt, Aprikose, Gummibärchen – eine typische Thanisch Jungweinnase. Am Gaumen mit ultraknackiger Säure aber nicht zu aggressiv, Grapefruit, ebenfalls jung und hefig, schlank, sehr schönes Spiel, bei aller Säure auch ein bisschen cremig. Ein knackiger Riesling mit gutem Trinkfluss und langem Abgang. Die Säure dominiert aber so, dass ein mineralischer/phenolischer Eindruck eher nicht entsteht.
Wäre eine Angabe möglich, welche Weine entsäuert waren und welche nicht?
Um es deutlich zu sagen: Ich finde es schade, dass entsäuern in der allgemeinen Wahrnehmung eine Sünde ist und deswegen kaum einer offen sagt, wenn er es tut und beleidigt ist, wenn man es ihm unterstellt. Deswegen lehne ich mich da aber nicht aus dem Fenster, denn beweisen kann man es nicht und in Ausnahmefällen wirkt ein Wein entsäuert, hat aber nur eine malolaktische Gärung durchgemacht und stammt ansonsten aus glücklicherweise doch recht reifen Trauben. Meine persönliche Vermutung ist jedoch, dass alle einfachen Weine des Jahrgangs, die nur verhaltene Säure zeigen, auch entsäuert sind.