Weingläser beeinflussen den Geschmack des Weines. Es ist faszinierend, wie viele Menschen das glauben – meist, weil sie es ja selber jeden Tag erleben. Wir müssen mal über die Studienlage reden. Die ist vernichtend.
Ollie ist nach langer Pause mal wieder mit von der Partie und hat ebenfalls fleißig Studien gewälzt. Ausnahmsweise sei hier noch einmal kurz die Geschichte aus dem Podcast wiederholt, um etwas Kontext in die Links zu bringen. Angefangen hat die ganze Geschichte mit den Gläsern der Riedel Vinum Serie. Mehr als ein Jahrzehnt waren das die einzigen Gläser auf der Welt, deren Produzent behauptete, sie würden den Geschmack des Weines verändern.
Die Zunge ansteuern
Das Wirkunsgprinzip beruhte auf den Geschmackszonen der Zunge. Mit diesen begründet Riedel noch heute den angeblichen Effekt. Hier findet sich ein entsprechender Text im Shop des Unternehmens. Sollte sich das ändern anbei der Screenshot aus dem Juni 2024. Das Problem mit den Zungenzonen ist: es gibt sie nicht. Wie hier schon einmal erzählt, entspringen sie einem Übertragungsfehler. Eine alternative Erklärung für die Wirkung der Gläser hat bis heute kein Produzent angeführt.
Da die Wirkung auf einem Prinzip beruht, das gar nicht existiert, hat sich die Wissenschaft lange schwer getan mit Forschung zum Thema. In einer recht aufwändigen Glas-Studie von 1999 entschieden sich die Autoren aus genau diesem Grund gegen Geschmackstests. Hier kann man die Studie herunterladen. Sie kommt allerdings zu dem Schluss, dass die Form eines Glases den Geruchseindruck beeinflusst. Leider korreliert dieser Effekt mit dem Füllstand. Eine einheitliche Wirkung hätte ein Glas nur, wenn man es nach jedem Schluck nachfüllt und immer den gleichen Pegel hält sowie es immer im gleichen Winkel zur Nase führt. Eher unpraktisch.
Die Wissenschaft hat festgestellt …
Einige Jahre später, als Riedel vor allem in den USA mit seiner Glas-Story punkten konnte, folgten dann doch Forschungen zum Thema Geschmack. In diesem Artikel sind etliche davon erwähnt und deren Autoren befragt. Am Ende kommt auch das Unternehmen zu Wort und man darf die Situation wohl so beschreiben: 2005 war eigentlich alles zum Thema gesagt. Doch 2006 erschien die Firma Zalto auf dem Markt und führte die Legende auf das nächste Level. Denn auf einmal konnte sogar ein einzelnes Universalglas mit der immer gleichen Form die verschiedensten Weine positiv beeinflussen. Alle Welt war begeistert und überzeugt, dass das funktioniert.
Wie würde man die Behauptung ein bestimmtes Glas könne aufgrund seiner Form den Geschmack eines Weines positiv beeinflussen am besten verifizieren oder falsifizieren? Zum einen, indem man einen Blindtest mit Gläsern mehrfach durchführt. Die Erwartung wäre dann, das ein Glas immer gewinnt (wahr) oder in einem Test gewinnt und im nächsten unter ferner liefen landet (falsch). Die zweite Methode wäre, zwei Mal die gleiche Form in den Test zu bringen. Dann hieße Falsifikation, dass das Glas völlig unterschiedlich bewertet wird und Verifikation, dass beide Gläser sehr ähnlich abschneiden.
Auch im Praxistest falsifiziert
Etliche Gläsertests hat es seit 2009 gegeben. In jenem ersten, von der Zeitschrift Stern durchgeführt, gewann Zalto in allen Kategorien. 2016 bei der Zeitschrift Vinum landete dann aber das Zalto Universal außerhalb der Top 6. Das Gabriel, das den Vinum-Test gewann, war in jenem zwei Mal angetreten, in der maschinell und handgefertigten Variante, die sich in der Form allerdings nicht unterscheiden. Neben dem ersten gab es auch einen der hinteren Plätze. Damit haben – unabhängig von der im Artikel von 2005 zitierten Laborforschung – auch die Praxistests die These klassisch falsifiziert. Das wird aber sicher nichts daran ändern, dass eine Mehrheit der Weinfreaks weiter an die Geschichte der geschmacksoptimierenden Gläser glauben wird. Davon geht die Welt nicht unter.
Künstler in Perfektion, Bolivien in da House
Wein gibt es auch zu trinken in dieser Episode. Das Riesling GG Rüdesheimer Schlossberg 2021 von Künstler ist Rheingau in absoluter Perfektion. Ollie muss sich erst noch eingrooven, weil der Wein eben nicht über Wucht oder Konzentration kommt, sondern über Tiefe und Länge. Startet wie ein süffiger Schoppen und dreht dann auf bis an den Anschlag. Das ist großer Riesling.
Ollie schenkt Felix einen Wein aus Bolivien ein. Der Negra Criolla Jardín Oculto 2022 von Finca San Roque ist weiß gekeltert aus schwarzen Trauben. Das ist im schwarzen Glas besonders schwer zu bewerten, denn das hat auch viel von Rotwein. Insgesamt ein schöner Wein, wenngleich zwei bis drei Ligen unter dem Riesling spielend.
Viel Spaß bei einer neuen Episode unseres Podcasts.
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Danke für die sehr gelungene Entmystifizierung der Weinglas-Thematik! Ich finde das Thema immer noch sehr spannend, und gebe gern zu, dass ich einigen Mythen früher auch erlegen bin. Sehr gut finde ich vor allem, das ihr hier den Unterschied zwischen Riechen und Schmecken herausgearbeitet habt. Vor allem, das ein Glas nicht andere bzw. mehr oder weniger Aromen aus dem Wein herauslöst, weil das vordergründig eine Eigenschaft des Weins ist, aber das ein Glas durch seine Form und sein Volumen die Aromen schon anders transportieren oder halten kann – ich hoffe zumindest, dass ich das so richtig verstanden habe?
Unabhängig von den wissenschaftlichen Fakten, finde ich es aber spannend, dass gerade Profis wie z.B. Sommeliers das Thema Glas trotzdem sehr sehr ernst nehmen und auch da die Meinung vertreten, dass unterschiedliche Gläser den Wein vollkommen anders präsentieren. Ich höre gerade auch ab und zu den Sommelier-Podcast (spannend, aber teilweise auch sehr sehr lang), und in einer Folge sagte Billy Wagner dort z.B.:
„Ich finde, das Glas ist wie eine Box, wie eine Musikbox. Und du kannst mit der guten Musikbox, mit dem gesuchten Soundsystem ganz viel rausholen, verstecken, körperlich machen, das Getränk, wie auch immer. […] Das Glas ist super wichtig. Deswegen haben wir auch nur mundgeblasenes Glas.“
Findet ihr, dass in diesem Bereich dann teilweise auch ein wenig entmystifiziert werden müsste? 😉
Wir haben den aktuellen Kenntnisstand und einige hartnäckige Mythen beleuchtet und dazu Quellen geliefert. Wenn Du daraus ein Wissen ziehst, das Dich beim Hören von Podcasts an der einen oder anderen Stelle stutzig werden lässt, haben wir unsere Punkte anscheinend verständlich transportiert. Ich wüsste nicht, was ich dem hinzufügen sollte.
cheers
Felix