(Wie) kann man mit Weinbloggen seinen Lebensunterhalt verdienen?

Heute geht es hier nicht um Wein; zum ersten Mal, seit es dieses Blog gibt. Es geht ums Bloggen an sich und um einige wirtschaftliche Zusammenhänge. Ich dokumentiere damit meine Session vom Vinocamp. Wen das nicht interessiert, dem bin ich nicht böse, der kommt einfach nächste Woche wieder.

Vorweg ein Hinweis: Ich arbeite in der e-commerce-Branche bin aber mit keinem der erwähnten Unternehmen wirtschaftlich verbunden. Ich gönne jedem Neugeschäft, verlinke aber trotzdem auf keine Firma oder Website. Man findet sie alle sehr leicht über Google. Und: ich blogge aus Spaß und folge selbst keinem der hier gegebenen Ratschläge. 

Doch nun zur Sache:

Kann man mit einem Weinblog seinen Lebensunterhalt verdienen?

Die Einnahmequellen aus einem Blog sind beschränkt: Werbung, Affiliate-Provisionen sowie SEO-Gelder aus dem Verkauf von Links. Mehr gibt es eigentlich nicht – wenn wir mal von Spenden absehen.

Werbung:

,Auf meinem Weinblog tummeln sich ganz viele Menschen mit viel Geld, die alle BMW fahren und Markenklamotten tragen. Das ist für Markenartikler doch hochgradig relevant. Die müssen eigentlich alle bei mir werben.‘ So lautet die gängige Vorstellung vieler Blogger. Relevanz ist Romantik, Reichweite ist King, das ist die Realität. Online Werbung ist ein Milliardenmarkt. Große Werbetreibende platzieren in einer Kampagne Millionenbeträge, in einem Flight (das ist eine zusammenhängende Werbeperiode) sind es meist noch über Hunderttausend Euro. Abgerechnet wird nach Tausendkontaktpreis (TKP), der irgendwo im einstelligen, manchmal niedrigen zweistelligen Bereich liegt. Angenommen ein Weinblog erzielt einige Hunderttausend Pageimpressions im Monat, dann kann es für einige Hundert Euro Werbung an einen Werbetreibenden verkaufen. Dieser macht sich aber nicht die Mühe seinen sechsstelligen Werbeetat auf etliche Hundert Werbeträger zu verteilen. Das ist viel zu mühsam und die Verwaltung kostet bald mehr als die Medialeistung. Reichweite in der falschen Zielgruppen ist auch nicht zielführend, aber es gibt ausreichend Plattformen mit Reichweite und hochwertiger Zielgruppe. Da kommen Blogger nicht mit, auch weil sie nicht die nötigen Daten für die Mediaplanung liefern können. Die werden von einer Organisation namens Agof erhoben und die Mitgliedschaft ist so teuer, dass es sich für kleinere Sites nicht lohnt. Bleibt also doch nur Werbung in der Weinbranche.

Affiliate-Provisionen:

Ein lukrativer Weg der Werbung, der nicht immer aussieht wie Werbung: der Blogger meldet sich bei einem Affiliate Netzwerk wie Zanox an und sucht sich die Kampagnen und Produkte selbst aus, die er bewerben will. Bei Weinen kann er sogar noch über die Weine schreiben und direkt im Artikel zum Shop verlinken. Am Link klebt hinten ein kleiner Zusatz, der sicherstellt, dass das Blog als Kundenwerber erkannt und entlohnt wird. So lässt sich teilweise recht ordentlich verdienen. Ein gutes Beispiel findet sich auf Michael Lieberts Blog, wenn man mal nach seinen diversen Artikeln über Weine des Internetversenders Wine in Black sucht.

Restplatznetzwerke etc.

Seine Werbeplätze in Netzwerke einzubinden und sich von dort auf Erfolgsbasis bezahlen zu lassen, klingt nach leicht verdientem Geld. Es bringt aber lediglich ein paar Euro und müllt die Seite mit teils anrüchiger Werbung zu.

SEO Gelder

Tragen auch ein wenig bei, sind aber bei einem einzelnen Blog ebenfalls sehr beschränkt. Warum das so ist, ist weiter unten ein Thema.

Fazit

Beim Zusammenstellen eines Geschäftsplans für ein Blog geht es nicht darum sich die schönste Kennzahl zu suchen, und dann an ihr festzuhalten, bis einen der Gerichtsvollzieher vom Gegenteil überzeugt. Die niedrigste Zahl zählt! Ein Beispiel: Wenn ich dem Weinhandel Werbung verkaufe und als erfolgreicher Blogger unfassbare 500.000 Seitenaufrufe im Monat produziere, könnte ich mir das folgendermaßen schönrechnen: Einen Banner oben mit einem TKP von 5€ einer an der Seite (2€) drei schicke Buttons in der dritten Spalte (je 1€) macht summasummarum 10€ pro tausend Impressions oder 5000€ im Monat. Klingt nach einem erfolgreichen Geschäftsplan.

Die Kennzahl, die ich dabei außer Acht lasse ist der ARPU oder Average Revenue Per User. Nehme ich realistisch an, dass ich 10.000 ständige Leser habe (die hochaktiv sind, weil meine Kommentarspalte von Einträgen nur so platzt), dann erlöse ich 0,5€ pro Nutzer und Monat. Ich muss davon ausgehen, dass meine Werbekunden alle mit dem Verkauf von Wein Ihr Geld verdienen und bereit sind zirka 10% ihres Umsatzes in Werbung zu stecken. Somit muss jeder meiner Leser jeden Monat über die bei mir gesehene Werbung für 5€ Wein kaufen. Wissend, dass ein Drittel zwar gerne mal mitliest, aber dann doch die günstigen Weine bei Jacques Weindepot kauft und von den verbleibenden mehr als die Hälfte Wein aus Vertrauensgründen nicht online kauft (die Email-Bestellung beim bekannten Weingut zählt nicht), lande ich schnell bei schwindelerregenden Transaktionsvolumen, die meine e-commerce-affinen Leser nicht einmal, sondern Monat für Monat über meine Seite anschieben müssen – keine Chance (ich hätte auch kürzer argumentieren können: Ein Weinblog mit einem höheren ARPU als facebook, das immerhin 15% der Onlinezeit seiner Nutzer abbekommt??? Eher unwahrscheinlich…). Ich will aber nicht abstreiten, dass man ein paar Händler und Weingüter zu niedrigeren Preisen in der Seite einbinden kann und damit vielleicht die Miete bezahlt ist.

Von einem Blog kann man nicht leben. Man kann in zwei Stunden täglich ein respektables Blog aufbauen, das vielleicht die Miete zahlt. Aber der Tag ist ja noch lang…

Kann man mit Weinbloggen seinen Lebensunterhalt verdienen?

Ganz einfach wird es, wenn man mit seinem eigentlichen Blog so viel Ruhm und Ehre erwirbt, dass man als eine Art Branchenprominenter seinen Namen versilbern kann. Das funktioniert aber höchsten zwei oder drei Mal pro Branche. Dirk Würtz war der erste, der diesen Status erreicht hat, er zeigt sein Gesicht für Stern.de, moderiert Veranstaltungen auf der Prowein und gibt seinen Namen für Amazon. Da klingelt die Kasse so laut, dass man davon leben kann. Planbar ist es nur bedingt. Wein ist gerade ein hippes Thema. Ein halbes Dutzend mit Risikokapital ausgestattete Internet-Unternehmen aus der Weinbranche will werben, die großen Medien heben das Thema in die Redaktionspläne (um genau diese Umfelder für die Werbetreibenden Startups zu schaffen). Das kann eine ganze Weile so weitergehen, muss es aber nicht. Der Weinkaiser ist der zweite, der sich anschickt, sich so als Marke zu positionieren, dass er mit der Vermarktung seiner Person die Einkommenslücke zwischen Anspruch und Wirklichleit des Weinbloggens schließt. Anders als Dirk Würtz ist Ralf Kaiser vor allem als Berater in Sachen Social Media unterwegs. Gerade Ralf, der nur alle paar Wochen einen Beitrag auf seinem Blog veröffentlicht, zeigt aber deutlich: mit Weinbloggen hat das nur wenig zu tun, das Geld stammt aus anderen Tätigkeiten.

Kann man den nun vom reinen echten Bloggen leben – und wenn ja wie?

Die wichtigste Eigenschaft einer Internetseite mit kommerziellem Hintergrund ist heutzutage die Auffindbarkeit über Google. Deswegen fließt ein immer größerer Teil der Werbegelder in die Suchmaschinenoptimierung. Früher war die suchmaschinenfreundliche Gestaltung der Seite ein wichtiger Aspekt dieser Disziplin, doch dieser wird immer weiter zurückgedrängt. Die perfekte Struktur und Befüllung einer Seite machen heute noch 10% des SEO (Search Engine Optimisation) Erfolges aus. 90% hängen von externen Links ab. Beispiel gefällig? Wer einmal nach dem Englischen Wort ,here‘ oder auch dem Deutschen ,hier‘ sucht, der wird auf Platz Eins oder Zwei der Resultate die Downloadseite des Adobe Acrobat finden, obwohl das Wort ,here‘ oder ,hier‘ auf den Seiten kein einziges Mal auftaucht. Aber Millionen von Links auf unzähligen Webseiten sind halt betitelt: ,Wenn Sie keinen Adobe Reader haben, können Sie ihn hier herunterladen‘.

Also schreiben wir für unser Projekt ,Vom Bloggen leben‘ zukünftig Artikel mit vielen relevanten Keywords und platzieren mitten hinein einen Link zu jemandem, der dringend auf den Ergebnisseiten von Google nach vorne klettern will und deswegen dafür bezahlt. Leider mag Google es nicht, wenn wir unser Blog mit externen Links zupflastern, das Verhältnis Text zu Links muss stimmen. Deswegen reicht ein Blog nicht. Neben unserer bürgerlichen Fassade des geistreichen Weinblogs erschaffen wir noch eine ganze Reihe weiterer Blogs, die ich einmal Zombieblogs nennen will (ich erhebe Anspruch auf Urheberschaft). Zombieblogs liefern allgemeine Texte zu Wein (das lässt sich auf beliebige andere Branchen übertragen) und haben einen griffigen Namen und URL (unbedingt mit Worten wie Rotwein, Weisswein oder einfach Wein). Leider mag Google keinen gespiegelten Content, also müssen wir die Texte immer wieder variieren (aber nicht gänzlich neu schreiben). Wenn wir das nicht selber machen wollen, können wir auch für 5€ pro Text selbige bei der Firma Textbroker oder einem ihrer Mitbewerber bestellen. Im Gegenzug können wir uns auch selber bei Textbroker als Autor verdingen. 5€ klingt zunächst nach Hungerlohn, aber wenn wir unsere Textbausteinbibliothek perfektioniert haben, sitzen wir auch nur noch 7 Minuten an so einem Text. Außer Google soll den ja niemand lesen.

Besonders viele Texte brauchen wir auch nicht. Zwei pro Blog und Woche reichen, um den Pagerank (Googles Maß für Relevanz) auf drei oder vier zu halten. Wenn wir unsere 20 Zombieblogs gepflegt haben, ist es an der Zeit fürs Mittagessen. Danach müssen wir unsere Links auch noch verkaufen. Wie gut, dass es rund ein halbes Dutzend Agenturen gibt, die das für uns machen, beispielsweise die Berliner eFamous (wunderschöner Name für das Geschäftsmodell, finde ich). Die wollen dafür eine Provision aber wir haben den Nachmittag frei. Den können wir mit weiteren vertrieblichen Aktiviäten füllen (damit auch wirklich alle Links verkauft werden), mit lustigen Weinveranstaltungen, zu denen man uns ob unseres einen seriösen Blogs vielleicht einlädt (und auf denen wir so tun, als ob wir von diesem Blog leben könnten) oder mit wirklich zielführenden Aktivitäten wie einer Umschulung auf einen vernünftigen Job. Aber wenn man will, kann man vom Weinbloggen seinen Lebensunterhalt bestreiten.

Als ich zur Welt kam, dachten die Menschen, die galoppierende Technisierung unserer Gesellschaft würde einmal dazu führen, dass Maschinen selbständig Werke zu unserer Unterhaltung produzieren. Als ich Abitur machte, philosophierte Joe Weizenbaum darüber, dass den Menschen die Arbeit ausgehen könnte, weil Maschinen fast alles erledigen. Zwanzig Jahre später gebe ich Bloggern eine Anleitung, wie sie ihren Lebensunterhalt verdienen, indem sie Texte zur Unterhaltung einer Maschine schreiben! Soylent Green ist Menschenfleisch…

Tagebuch eines Klassentreffens

Das war es also: das zweite Vinocamp Deutschland, für mich persönlich das erste, nachdem ich die Premiere aus beruflichen Gründen verpasst hatte. Gespannt war ich: auf die Menschen, auf die Fachhochschule Geisenheim, auf die Partylocation ,Winebank‘ und nicht zuletzt auf das Veranstaltungsprogramm.

Unbegründete Ängste

Ich hatte Manschetten vor dem VinoCamp, das sei deutlich gesagt. Wie Kollege Utecht bin ich auch ein reiner Weintourist. Ich habe beruflich nichts mit Wein zu tun. Um Abbitte zu leisten, hatte ich mich vorab als Organisator einer der nachmittäglichen Weinproben verpflichtet.

Soziale Weinverkostung
Tod durch Verdursten – eher kein Risiko in Geisenheim

So konnte ich wenigstens etwas beitragen und kam nicht nur zum Lauschen und Schnutentunken (sic!). Doch meine Angst war unbegründet. Selbst reine Hobbyblogger sind auf dem VinoCamp gern gesehen. Und aufgrund meines beruflichen Hintergrundes in Online-Marketing und -Anzeigenverkauf konnte ich am Sonntagmorgen spontan eine Session anbieten, die zwar nichts mit Wein zu tun hatte aber trotzdem positive Resonanz fand. Neben Wein geht es auf dem VinoCamp auch um (elektronische) Medien und digitale Trends. Die Kritik, dass dem Camp ein wenig Sinnlichkeit fehlt, ist vielleicht nicht unberechtigt.

Das Vorglühen

Ich kam bereits am Freitagnachmittag an, da ich mich als freiwilliger Helfer zum Aufbau gemeldet hatte. Als ich eine Stunde nach Beginn des Arbeitseinsatzes mit der Bahn in Geisenheim eintraf, war bereits alles erledigt, was für Freitag anstand. Zur Feier der erfolgreichen Vorbereitung gab es ein Glas eines 2010er Ersten Gewächses des Weinguts der Forschungsanstalt, Villa Monrepos. Sehr erfrischend.

Die informelle Zusammenkunft aller Frühangereisten im Restaurant Altes Rathaus (ein Restaurant mit allen drei Entdeckerweinen auf der Weinkarte) in Oestrich begann noch bei strahlendem Sonnenschein im Innenhof des gemütlichen Gemäuers mit einem Glas des brandneuen Rieslingsektes ,Z‘ vom Weingut Balthasar Ress, genau genommen war es ein immervolles Glas, denn neben Dirk Würtz zu sitzen, während er seine Weine ausschenkt, hat einen konstanten Füllstand im Glas zur Folge. Wie oft bei Zero Dosage Pricklern fand ich den Wein anfangs hart, um ihn mit jedem Schluck angenehmer und weicher zu finden. Guter Stoff.

Fass 161 war besonders gut
Definitiv ein verwackeltes Foto wert: Pfaffenberg Riesling Auslese trocken 2007

Im Laufe des Abends gab es noch viele gute Weine, wobei mein Hauptaugenmerk darauf lag, meinen persönlichen Füllstand niedrig zu halten, um am nächsten Tag fit für das Camp zu sein. Bemerkenswert waren die Fassproben aller vier Ersten Gewächse von Ress. Da wird für jeden was zum mögen und ablehnen dabei sein, so unterschiedlich sind sie. Am Abend mein Favorit: der Rottland.

Ebenfalls in guter Erinnerung blieben der Spätburgunder Cuvée Daniel von Georg Müller Stiftung (2009?) sowie der Riesling Pfaffenberg (2007, Auslese trocken Fass 161) von Schloss Schönborn, vor allem aber interessante Begegnungen und Gespräche mit Menschen, die eines eint: Weinbegeisterung.

Das Barcamp – Tag 1

Der Themenmost eines Barcamps vergärt überwiegend spontan. In einer eigenen Community bei mixxt gab es einen Gäransatz in Form einer Wunschliste aber die endgültige Planung eines Tages erfolgt morgens vor Ort. Eine Art Keynote gab es von Rémy Gresser, dem Vorsitzenden des Winzerverbandes Elsass. Er sprach in der Session ,Quo Vadis, Elsass?‘ ungewohnt offen über die Fehler seines Anbaugebietes in den letzten 30 Jahren. Das war sehr unterhaltsam, wenngleich es mit meinem Zugang zu und Umgang mit Wein wenig zu tun hat. Es ist bei einem Barcamp nicht wichtig, dass sich in jeder Session diejenigen zusammenfinden, die am meisten über ein Thema wissen oder den gleichen Zugang dazu haben. Über den Tellerrand zu schauen und zu hören, was andere umtreibt, macht auch viel Spass.

Natürlich gab es auch Themen, die mich kalt ließen. Aber dafür finden immer gleichzeitig mehrere Sessions statt. Und wenn alle Stricke reißen, macht man einfach mal Pause oder nutzt die Zeit, um eine eigene Session vorzubereiten. Im Foyer der Hochschule standen zudem Stände einiger Sponsoren, an denen man interessante bis sensationelle Weine probieren konnte. Sehr gut: ein 2007er Riesling Grand Cru von eben jenem Rémy Gresser sowie die gehobenen Qualitäten einer Madeira-Session des Sponsors ,Rindchens Weinkontor‘. Weitere Weine, die ich erinnern werde, waren Andreas Dursts interessante Spätburgunder Fassprobe (weit unter Wert geschlagen), sowie die Pinots von Eser und Tiefenbrunner aus meiner im letzten Artikel beschriebenen Probe.

Die Party

Menschen die Wein mögen
Die Dame von der Dachmarke und der Händler mit dem charmanten Akzent

Am Abend fand sich die bunte Schar von rund 150 Teilnehmern zu einer Party in der Winebank ein. ,Keine Angst vor altem Wein‘ war das Motto, und jeder Teilnehmer hatte eine Flasche dazu mitgebracht, die mindestens zehn Jahre auf dem Buckel hatte. Die hatte er oder sie bei der morgendlichen Anmeldung mit seinem Namen beklebt und abgegeben, um sie abends gegebenenfalls gekühlt und geöffnet in der Winebank wieder entgegennehmen zu können. Man kann den vielen fleißigen Helfern vom Orga-Team gar nicht genug für die perfekte Organisation danken.

Nachdem der Tag schon viel Wein mit sich gebracht hatte, schaffte ich noch einen Probeschluck aus ein paar Flaschen, bevor ich die Segel strich und mit einigen Gleichgeschädigten ein Reparaturbier in einem fiesen Irish Pub in Rüdesheim zu mir nahm. Zu viele hatten den Aufruf, einen alten Wein mitzubringen, zur Entsorgung von Kellerleichen genutzt – mein eigener von Othegraven 2001er Bockstein machte in meinen Augen keine Ausnahme. Echte Altweinliebhaber kamen auf ihre Kosten, alle anderen konnten sich ein für alle mal davon überzeugen, dass alter Wein nicht automatisch guter Wein ist.

Der zweite Tag

Diszipliniert erschien der Großteil der Teilnehmer auch am zweiten Tag pünktlich zum Camp. Für mich Höhepunkt des Sonntags war die Fehlerweinprobe mit im Geisenheimer Labor präparierten Weinen. Bereits die Kork-Station im Foyer, bei der sich jeder an seine persönliche TCA-Schmerzgrenze heranschmecken konnte, hatte mich begeistert. So etwas kann ich als Hobbyblogger nur beim VinoCamp genießen.

Nach dem gemeinsamen Aufräumen am Nachmittag ging es an das Verteilen überzähliger Weine und wer wollte, konnte mindestens so viele Flaschen wieder mit nach Hause nehmen, wie er mitgebracht hatte. Ich griff mir nur eine – und so gebar das tolle VinoCamp 2012 noch als letzte Premiere meine erste geschnorrte Flasche Wein:

Guter RoterGrenzhof Fiedler, Leithaberg DAC (Blaufränkisch, Mörbischer Goldberg), 2009, Burgenland. In der Nase und am Gaumen unmittelbar nach dem Öffnen erst mal fröhliche Konsenskirsche. Ich wähne mich in Italien, wo ich mich nicht so heimisch fühle. Doch schon mit wenig Luft kommt Zigarrentabak, Pflaume und etwas Holz dazu, wieder selten einmütig in der Nase und am Gaumen. Nach einer Stunde ist der Wein da, wo er vermutlich sein soll: sehr saftig mit ordentlich Säure, feines Holz, schöne Frucht. Ich mag die Struktur, weil er nicht so fett ist. Die Säure spielt die erste Geige. Ein Blaufränkisch für Spätburgunderliebhaber (gemacht von einem Cabernet-Trinker, aber das sei ihm verziehen). Der Abgang ist mittellang, der Alkohol (13,5%) unauffällig. Gefällt mir sehr gut – nicht nur, weil er ,für umme‘ ist.

Blick zurück im Zorn

Der Dezember ist der Monat der Jahresrückschauen. Hier also mal eine von mir.

Schubert, Pinot Noir ‚Block B‘ 2004. Ziereisen Spätburgunder ‚Tschuppen‘ 2005. Philipps-Eckstein Riesling Kabinett ‚Alte Reben‘ 2006. Tinhorn Creek, Merlot 2002. Molitor, Zeltinger Sonnenuhr Riesling Auslese** trocken 2001. Rebenhof, Ürziger Würzgarten Riesling Spätlese trocken 2006. Künstler, Riesling ‚Kirchenstück‘ 2004. Pirramimma, Shiraz ‚White Label‘ 2001. Rosch, Riesling ‚JR Junior‘ 2007. Molitor, Zeltinger Sonnenuhr Riesling Spätlese* trocken 2004. Mosbacher, Forster Pechstein Riesling Großes Gewächs 2004.

Alle Weine zerstört, alle in diesem Jahr, alle durch einen fehlerhaften (TCA-verseuchten) Korken.

Wer jetzt sagt: ‚das sind aber wenige für ein ganzes Jahr‘, dem sei gesagt, dass das nur die Weine aus meinem Keller waren. Auf Proben und bei Freunden habe ich noch weitere Korker erlebt, die teilweise richtig weh taten (weil richtig teure Weine betroffen waren).

Es war ein gutes Jahr, die vermaledeite Rinde hat mich nur rund 160€ gekostet. Weniger als in den Jahren zuvor. Das liegt allerdings nicht an der angeblich global verbesserten Korkenqualität. Die Fehlerquote ist unverändert – der Anteil alternativ verschlossener Weine steigt bei mir. Weniger mit Korken verschlossene Weine bedingen geringere Verluste. Und dann hat es dieses Jahr durch Zufall vor allem preisgünstige Weine erwischt.

Wer dieses Blog regelmäßig liest, wird etliche Namen kennen: es waren fast ausschließlich Weine betroffen, die ich mehrfach im Keller hatte. Ich konnte also eine Konterflasche öffnen und musste mich lediglich ärgern, dass der Weingenuss doppelt so teuer wie ursprünglich geplant war.

Einer hat richtig weh getan, der letzte: Von Mosbachers Pechstein hatte ich im Herbst 2005 nur eine Einzelflasche erwischt. Die lag seitdem in meinem Keller, ich hatte sie schon mehrfach in der Hand aber immer wieder zurückgelegt: ‚Den lasse ich reifen‘. Tja, da war er dann: gereift und kaputt. Total frustriert zog ich einen Lagennachbarn aus 2005 auf. Der war ein großer Trost. Ich musste meine Verkostungsnotiz ein paarmal überarbeiten, damit sie nicht in einer ‚jetzt erst recht‘ Trotzreaktion zu euphorisch ausfällt.

Reichsrat von Buhl, Forster Ungeheuer, Riesling Großes Gewächs, 2005, Pfalz. In der Nase Aprikose, Muskatnuss, getrocknete Kräuter; am Gaumen Pfälzer Barock, voll und saftig aber nicht zu fett oder breit. Der Wein zeigt Aromen von Aprikose, Mango, Kemmschen Kuchen, leidet ein ganz bisschen unter seinen 13% Alkohol, zeigt aber schönes Spiel aus Säure und süßer Frucht, bietet ein echtes ‚Maul voll Wein‘. Nach hinten raus ist der Wein prickelnd mineralisch und etwas pfeffrig. Der Abgang ist sehr lang. Viel Freude für einen im GG-Kontext moderaten Preis. (Ich konnte gerade noch widerstehen, ihm im Geiste die 21€ für den Mosbacher zuzuschlagen.)

Ich steh auf Schraubverschlüsse!

Mein Bewertungssystem

Es gibt einen einfachen Grund, warum dieses Blog viele Tage ohne standardisiertes Bewertungsschema auskommen musste: ich schreibe lieber über Wein als über mich. Andererseits ist es vermutlich ganz sinnvoll, einmal aufzuschreiben, was ich mir denke, wenn ich einem Wein eine Punktzahl gebe. Nun denn, so bringe ich es hinter mich. Mein Bewertungssystem weiterlesen

Bullerei, Hamburg – Tim Mälzers neues Restaurant

Eines gleich vorweg: von Restaurantkritik habe ich noch weniger Ahnung als von Wein. Diese Notiz hat also keinen anderen Anspruch als den, meine gestrige Erfahrung zu beschreiben.

Ich durfte gestern im Hamburger Schanzenviertel Platz nehmen – an einem Tisch in Tim Mälzers Restaurant ‚Bullerei’. Das war ein sehr lohnender Ausflug. Wir bestellten das Vier-Gang-Überraschungsmenü. Mit 44 Euro ist das in meinen Augen zurückhaltend bepreist. Es bestand aus einem gebackenen Ziegenfrischkäse mit Garnele auf Babyspinatsalat, einem Brombeer-Pfifferling-Risotto, Lammrücken im Kräutermantel mit einem gebratenen Kräutergnocchi und einer leckeren Nachspeise mit einer Ziegenkäseschnitte, Mohneis und marinierten Beeren. Keine überedlen Rohstoffe aber ein sehr ordentliches Preisleistungsverhältnis. Herr Mälzer wirbelt durch Küche und Gastraum und versucht überall mit anzupacken. Einen der vier Gänge servierte der Meister persönlich.

Das Interieur des Hauses muss jeder selber beurteilen. Mir hat es gefallen, manchem mag es zu schedderig daher kommen, um mal ein Wort aus der Sprache der Einheimischen zu verwenden. Das wichtigste zum Essen in zwei Worten: Es schmeckt! Natürlich kann man hier und da etwas kritisieren, aber im großen und ganzen ist das Essen so gut, wie man es ob der vielen positiven Meldungen zum Start des Restaurants erwarten durfte.

Und nun das für dieses Blog wichtigste: Die Weinkarte! Offene Weine werden in 0,15l-Portionen ausgeschenkt, was ich persönlich klasse finde. 0,1l ist mir oft zu wenig, bei 0,2l wäre ich nach vier Gängen hinüber. Sinnvolle Ausnahme ist der Dessertwein, den es in 0,1l gibt. Ich hatte einen sehr süffigen Grauburgunder von Alexander Laible (mit zwei Sternen, um genau zu sein), dann den Saar Riesling von van Volxem, den ich eigentlich nicht haben muss, aber es gab keinen anderen offenen Riesling und einen offenen 2007er Spätburgunder von Holger Koch (wollte ich schon immer mal probieren, wirkte gestern etwas sehr rustikal für mich). Gekrönt wurde der Abend dann mit einem Glas Monzinger Halenberg Riesling Auslese 2007 von Emrich-Schönleber. Der ist auch so jung schon eine Wonne. Die Preise für den offenen Wein sind ambitiniert (ab 5€ für 0,15l) aber noch im Rahmen, die Auslese haut mit 9 Euro ziemlich rein. Die Flaschenpreise sind okay aber vor allem ist die Auswahl so zusammengestellt, dass nicht der Eindruck des abgehobenen entsteht. Es sind eher Basis- und Mittelsegmentweine, die dann auch mit Gastroaufschlag noch zweistellig bepreist sind.

Im Gesamtpaket Essen/Wein kommt man auf einen sehr guten Gegenwert für das Geld, hat Spaß an der Örtlichkeit und kann einen rundum schönen Abend verbringen.

Ich möchte die Bullerei uneingeschränkt empfehlen.

P.S. Da dieser Artikel mittlerweile um die 500 Leser durch Suchmaschinen gefunden hat, möchte ich eine Bitte äußern: Ich freue mich über Kommentare mit Erfahrungsberichten von allen, die die Bullerei ebenfalls besucht haben…