An der Heizdeckenfront

Letztes Wochenende habe ich mich mal wieder aus dem Elfenbeinturm getraut und die Berliner Weinmesse besucht. Das ist an sich nichts Besonderes, habe ich das doch auch im Vorjahr getan – allein: diesmal habe ich etwas gewagt, was ich schon längst hätte machen sollen, ich habe Wein verkauft. Genau genommen half ich einem befreundeten Winzer beim Dienst an Stand und Kunde. Doch bevor ich mich am Samstag zur nachmittäglichen Rush Hour in die Schlacht warf, genoss ich die Veranstaltung am Freitag noch als Besucher.

Die Berliner Weinmesse ist eine Massenveranstaltung mit fast 25.000 Besuchern an drei Tagen. Mehrere Hundert Winzer stellen aus – Spitzenwinzer machen sich rar. Da aber in Deutschlands zweiter und dritter Liga hervorragender Wein gekeltert wird, lohnt sich der Besuch auch für den anspruchsvollen Weinfreund. Immerhin stößt man auf einige alte Bekannte wie etwa das von mir seit dem letzen Jahr so geschätzte Sekthaus Solter und Entdeckungen lassen sich ebenfalls machen. Eine besondere Freude war mir die Verkostung der Kollektion des mir bis dato nicht geläufigen Weinguts Loersch aus Leiwen. Das war ein richtig großer Wurf, was der Winzer präsentierte – und da man uns die Freude offensichtlich ansah gab es zum Abschluss noch einen hervorragenden Eiswein und eine fast außerirdische Trockenbeerenauslese zu naschen. Diesen Betrieb sollte man wohl im Auge behalten.

Und dann kam der Samstag. Da stand ich also hinterm Stand des Weinguts Ludwig Thanisch und Sohn und sah die Massen anbranden. Die gezeigten 2012er Riesling Spätlesen aus dem Lieser Niederberg Helden (trocken, feinherb, fruchtsüsß) waren mir bestens vertraut, ebenso wie die Auslese aus der Brauneberger Juffer. Also gab es noch einen Crashkurs  von Winzer Jörg Thanisch zu den gezeigten Weinen des Jahrgangs 2013 (Rivaner, Spätburgunder Rosé, Weißburgunder und Basisriesling ‚1648‘), dann ging es los.

Es ist ein grundsätzliches Problem vieler Weinmessen, dass das Geschäftsmodell Missverständnisse auslöst. Die Winzer bezahlen eine Ausstellergebühr um Zugang zu Konsumenten zu erhalten, die Wein kaufen wollen. Die Besucher zahlen Eintritt um Zugang zu Winzern zu erhalten, die kostenlos Wein ausschenken. Dass sie auch welchen kaufen sollen, steht nirgends geschrieben. Also mischen sich im Publikum diejenigen, die sich durch Sortimente probieren und die wohlschmeckendsten Weine für daheim erwerben wollen mit solchen, die sich für kleines Geld mal ordentlich die Lampe anzünden. Die Winzer versuchen letzteren zu entgehen und erstere zu umwerben, dazu kommen in Berlin eher selten echte Weinfreaks, die zwar viel Ahnung haben und für gute Gespräche sorgen, leider aber sehr selektiv und in kleinen Mengen kaufen.

Meine Aufgabe wurde mir schnell klar: Den Interessierten möglichst rasch ein paar Weine ins Glas füllen, auf dass sie sich mit dem Produkt beschäftigen, den Kegelclubs die kalte Schulter zeigen, ohne allzu unhöflich zu wirken, weil das die Interessierten, die ja direkt daneben stehen, irritieren könnte. Dann waren da noch die Informierten, die mir als Weinenthusiast ja eigentlich die meiste Freude machten. Als ich mit dem ersten ins Gespräch kam, bat mich mein ‚Chef für einen Nachmittag‘ doch solche Diskussionen zu vermeiden, das koste über Gebühr Zeit und bringe nichts.

Also galt es die Informationstiefe dem Publikum und Geschäftszweck anzupassen, der Rivaner – knochentrocken aber trotzdem fruchtig und für einen Müller-Thurgau ganz schön gut – wurde zum ‚Spargelwein‘, der Rosé – mit zehn Gramm Restzucker zwar halbtrocken aber keinesfalls limonadig – firmierte als ‚fruchtiger Sommerwein für die heißen Tage‘, der Basisriesling gab den ‚leckeren Alltagswein‘: wenn ich in meinem Blog so schriebe wie ich Samstag geredet habe, ich hätte binnen kürzester Zeit keine Leser mehr – oder zehnmal so viele …

Viel könnte man noch schreiben, über die verschiedenen Arten von Messebesuchern, aber das hat Bernhard Fiedler vor Jahren schon mustergültig getan, (wenngleich die Berliner eher simpler sind als die von Bernhard geschilderten Typen). Also verweise ich auf seinen Artikel und merke lediglich noch an, dass ich mich zwar für einen guten Verkäufer halte, dieses Talent sich jedoch nicht auf Wein und Endverbraucher erstreckt. Ich habe keine Kosten verursacht, die ich hätte wieder einspielen müssen, viel mehr als ein paar Euro war ich aber nicht wert. Den harten Tag beschloss ich mit einem Gläschen Wein. Von welchem Weingut der war, dürfte den werten Leser kaum verblüffen.

Thanisch_Alte_Reben_2008Thanisch (Ludwig Thanisch & Sohn), Riesling ‚Alte Reben‘ (Lieserer Niederberg Helden), 2008, Mosel. In der Nase relativ schwer: Aprikose, mürber Apfel, Aloe Vera, leicht süßlich. Am Gaumen deutlich halbtrocken aber das ist nicht nur Zucker, sondern eine Mischung aus Restzucker und viel Frucht (vor allem Apfel), leicht cremiges Mundgefühl, erste – noch zarte – würzige Alterstöne, stoffig, viel Druck der aber von einer kräftigen Säure und dezent spürbaren 11,5 Prozent Alkohol in die richtigen Bahnen gelenkt wird. Klassisches Rieslinggefühl stellt sich ein, einerseits wie ein Pfälzer Dickschiff, andererseits wie ein mineralisch-filigranes Moselchen. Der lange Abgang ist sehr saftig. Wird mir als schickes Cool-Climate-Schiefer-Geschoss in Erinnerung bleiben, dass zwei Stilistiken vereint, die selten so angenehm zueinander finden.

A Night to Remember

Der Tiefpunkt meiner Karriere als Organisator von Weinreisen war an einem Samstagabend um neun erreicht, im Herbst des Jahres 2007. Wir hatten gerade einen Weiß- und Grauburgunder von Stefan Steinmetz probiert und sechs Augenpaare richteten sich auf mich. Blicke sprachen Bände und die Nachricht war eindeutig: Wo hast Du uns hier hingeschleppt? Glücklicherweise konnte mich der sympathische Winzer in den folgenden Stunden rehabilitieren – aber der Reihe nach.

Meine frühen Schritte in der Weinwelt tätigte ich im Kreis einer fröhlichen Runde in Hamburg. Viele Proben und Messebesuche bestritten wir zusammen und so war es nur logisch, dass die Idee einer gemeinsamen Weinreise entstand. An die Mosel sollte diese führen und mir fiel die Organisation zu. Als Herausforderung entpuppte sich der Samstagabend. Welcher Winzer würde ‚Wetten, dass..?‘ gegen eine Weinprobe mit Privatkunden eintauschen? Einer fiel mir ein: Jörg Thanisch vom Weingut Ludwig Thanisch und Sohn. Leider hatten aber alle die 2006er Kollektion bereits probiert und im Keller, weswegen der Vorschlag keinen Anklang fand.

Also rief ich Thanisch an, um ihm erstens zu erklären, dass wir zwar eine Moselreise planten, auf dieser aber nicht bei ihm Station machen würden und zweitens zu fragen, ob er nicht einen Kollegen für eine samstagabendliche Soiree empfehlen könne. Der Mann ist unkompliziert, war nicht beleidigt, sondern lieferte wie aus der Pistole geschossen einen Namen und eine Handy-Nummer: Stefan Steinmetz vom Weingut Günther Steinmetz in Brauneberg. Als ich diesen anrief, stand er gerade mitten im Weinberg, hatte keinen Kalender dabei, sagte aber sofort zu.

Einer war zu spät, einer musste die Kamera bedienen: fünf von sieben in der Trittenheimer Apotheke
Einer war zu spät, einer musste die Kamera bedienen: fünf von sieben in der Trittenheimer Apotheke

Wir fielen pünktlich um halb neun am verabredeten Abend bei ihm ein. Das Weingut ist ein kleiner Betrieb, ohne jedes Chichi aber mit etwas Patina. Guido, ein Mitreisender, fasste es wunderbar zusammen: ‚Die Probierstube machte einen prototypischen Eindruck für diese Art von Familienbetrieben, bei denen man immer den Eindruck hat, sich ein bisschen weiter in die Privatsphäre der Winzerfamilie zu begeben, als dies für Erstbesucher angemessen wäre.‘

Er habe Zeit und er würde sich freuen, wenn wir die ganze Kollektion probierten. Da diese auch einige Schatzkammerweine enthalte, gereifte Beerenauslesen und TBAs, schlage er vor, wir zögen die Rotweine vor, da nach einer TBA der Gaumen jungen Rotwein nicht mehr beurteilen könne. Diese Regel kannte ich nicht, befolge sie seitdem aber auch bei anderen Proben, denn der Mann hat Recht.

Starten wolle er aber mit seinen beiden weißen Burgundern. Er schenkte uns die Weine mit dem Hinweis ein, bei Weiß- und Grauburgunder durchlaufe er einen Entwicklungsprozess. Er sei mit dem Ergebnis noch nicht hundertprozentig zufrieden. Das war zwar von entwaffnender Ehrlichkeit, machte die Weine aber nicht besser. Sie waren recht alkoholisch, zu süß und insgesamt mastig. Es folgten die angespannten Blicke der Kollegen.

Doch dann ging es Schlag auf Schlag. der Winzer präsentierte uns seinen Schwarzriesling, den Pinot Meunier * ‚im Barrique gereift‘. Das war eine Ansage, nicht nur weil es in Deutschland so wenig guten Wein aus der Müllerrebe gibt, sondern auch weil er für diesen eleganten Wein sechs Euro pro Flasche aufrief. Es folgte Merlot:, Steinmetz hat ihn in der Steillage stehen und beweist seit Jahren, dass das sinnvoll ist. Eine 2005er Auslese, geerntet mit 115 Grad Oechsle ohne jede Fäulnis war das beste, was ich bis dahin an deutschem Merlot getrunken hatte (und vielleicht bis heute habe) – zum Preis von achteinhalb Euro. Ich will nicht jeden Wein aufzählen, finden sich die Spätburgunder doch an anderer Stelle in diesem Blog. Die Runde war begeistert, lediglich einer maulte die ganze Zeit, er sei vor einer Woche an der Ahr gewesen und habe bei einem Spitzenbetrieb für vergleichbare Qualitäten das fünf bis achtfache bezahlt.

Es folgten die Rieslinge und auch die fand ich sehr ordentlich. Bis heute reißen die Steinmetz’schen Rieslinge mich nicht zu Begeisterungsstürmen hin, was nicht heißt, dass sie nicht sehr gut sind, sie sind nur nicht meine Favoriten. Die Mehrheit der Runde war enthusiastisch. Gegen Mitternacht gaben wir noch Bestellungen ab, die wir am nächsten Tag abholen wollten, da der Winzer nicht mehr packen und wir nicht mehr fahren konnten. Dass wir über tausend Euro auf die Zettel bekamen klingt unbedeutender als es ist – bei durchgängig einstelligen Flaschenpreisen.

Spannend zu beobachten waren die Spätfolgen dieses Besuchs. Die Reisegruppe bestand aus dem, was man im Zeitalter der sozialen Netze als ‚Influencer‘ bezeichnet. Michael schrieb zwar noch nicht für den Weinwisser, war aber schon ein Vielreisender in Sachen Weinproben und brachte seine Steinmetz-Erfahrung nach Frankfurt, Düsseldorf und Berlin, Guido war als Nutzer ‚Einzelflaschenfreund’ in diversen Weinforen aktiv, Ole war und ist ein blendend vernetzter Weinprobengastgeber, Joachim, den alle nur Pasta nannten (und heute Jacob Ashley Schmalz, aber das führte jetzt zu weit), gehörte unter anderem zu den Juroren der ersten Twitter Wine Awards und meine Wenigkeit bloggt immerhin seit 2009 über die Weine des Gutes. So manche huldigende Erwähnung des Betriebes in der Internet-Weinszene lassen sich mit nur kleinen Umwegen zu diesem Abend zurückverfolgen.

Dass David Schildknecht kurze Zeit später Steinmetz das erste mal im Wine Advocat erwähnte und einige Jahre darauf die erste und dann weitere Trauben im Gault Millau kamen – geschenkt. Und natürlich ist herausragende Weinqualität die wichtigste Vorraussetzung für den Erfolg eines Winzers. Die Bereitschaft sich den Samstagabend mit ein paar Bekloppten um die Ohren zu schlagen, sollte man als Erfolgsstrategie in der Weingutsführung aber auf gar keinen Fall unterschätzen …

Steinmetz_Graacher_HimmelreichGünther Steinmetz, Graacher Himmelreich, Spätburgunder Auslese * trocken, 2007, Mosel. In der Nase ein erdiger Ton mit einigem Holz, dazu Himbeere und Vanille. Am Gaumen ist das Holz dezenter, ein paar Röstaromen, Lakritze aber auch viel Frucht: Kirsche und Himbeere. Der Alkohol von 13,5% ist spürbar und das ist angenehm. Was den Wein aber eigentlich auszeichnet ist seine Struktur: perfekte, leicht pikante Säure, feines Tannin, süße Frucht, mittleres Volumen aber einiges an Druck und enorme Länge. Ich muss bei einem Wein mit diesen Eigenschaften immer an Fußball denken: der hat Zug zum Tor. Grandioser Stoff.

Höllisch gut

Frohes neues Jahr, allerseits.

Das abgelaufene Jahr war für mich als Blogger ein sehr aufregendes. Ich konnte viele Menschen treffen, die etwas über Wein zu erzählen haben und viele Weine trinken, die horrende Summen kosten oder nicht auf offiziellen Preislisten stehen. Das bot einerseits Stoff für pompöse Geschichten, die vielen Lesern gefallen haben, andererseits war es dem Alltag entrückt, dem Blog wesensfremd.

Im neuen Jahr will ich versuchen wieder häufiger über Weine zu schreiben, die ich mir aus dem Keller geholt und glücklich genossen habe. Zwar werde ich nicht zu kommentarlosen Verkostungsnotizen zurückkehren, aber es muss auch mal ein Anekdötchen reichen.

Den Anfang macht ein Wein, dessen Anekdötchen ich mir bisher verkniffen habe. Es handelt von meiner ersten Begegnung mit den Weinen von Chat Sauvage, jenem Rheingauer Gut, das vermutlich als einziges im Anbaugebiet keinen Riesling produziert, sondern ausschließlich auf Spätburgunder und Chardonnay setzt. Es war 2008 beim Hamburger Weinsalon, als mir schon beim Betreten des Gebäudes ein Fremdkörper auf dem Ausstellerparkplatz auffiel: zwischen all den Mercedes Sprintern und Kombis mit süddeutschem stand ein Ultraluxusgefährt (Bentley, Rolls Royce oder so) mit Hamburger Kennzeichen. Drinnen ließ sich dann sofort erkennen, wem der gehören musste. An allen Präsentationstischen standen Winzer und Weingutsverwalter, die genau so aussahen, wie man sich Winzer und Weingutsverwalter gemeinhin vorstellt. Nur hinter dem Tisch des erstmals ausstellenden Gutes Chat Sauvage saß ein in auffallend edlen Zwirn gekleideter offensichtlich branchenfremder Herr. Neben ihm stand ein junger Mann.

Berührungsängste sind mir fremd, also ließ ich meiner Neugier freien Lauf. Es stellte sich heraus, dass der jüngere, leicht nervös wirkende Mann der Gutsverwalter und der sitzende Herr der Besitzer des Weingutes war. Das Bild war gewöhnungsbedürftig. Chat-Besitzer Günter Schulz war mit allen Insignien finanzieller Potenz ausgestattet, von der brillantbesetzten Krawattennadel bis zur sehr großen und sehr goldenen Bulgari Uhr, saß schweigend da, ließ den jungen Mann seine Weine präsentieren und streute lediglich hier und da Bemerkungen der Art ein, man wolle das ,deutsche Romanée-Conti’ werden. Sein Weißwein trug den Namen ‚Clos de Schulz‘. Geschmäcker sind verschieden und manche Menschen verspüren einen stärkeren Drang als andere ihren Erfolg in der Welt zu präsentieren. Die Weine waren aber gut und ich bestellte mir ein paar.

Sollte dem geneigten Leser jetzt der Gedanke kommen, dass solcherlei Lästerei diesem Blog und seinem Autor schlecht zu Gesicht stehen, so will ich stante pede einlenken. Ich halte Häme als Stilmittel auch für deplatziert außer in einem Fall: in Verbindung mit sofortiger Abbitte. Und die will ich leisten. Denn dieser Tage machte ich mir nach längerer Pause einen der Chat. Sauvage Pinots auf und es war um mich geschehen.

Ein Bekannter sagte einmal, es gäbe Weine, die seien so gut, dass man sich das Hemd vom Leib reißen, auf die Knie sinken und erst dem Herrgott und dann dem Winzer danken möchte, dass es so was in Flaschen zu kaufen gibt. Solches spielte sich in meiner Küche ab – mit zwei Änderungen. Das Hemd ließ ich an und ich dankte als drittem noch Herrn Schulz, dass er dieses Weingut gegründet hat. Wer einen Teil seines Reichtums für so ein Projekt aufwendet, der kann sich für den Rest seiner Kohle meinetwegen den Koh-I-Noor-Diamanten auf seine Bulgari nieten lassen, das tut meinem Respekt keinen Abbruch.

Chat_Sauvage_HöllenberChat Sauvage, Assmannshäuser Höllenberg, Spätburgunder Erstes Gewächs, 2006, Rheingau. In der Nase ein Riesenpaket: Kirsche, Rauch, Thymian und Rosmarin, Brot, Blut und dann sagt das Hirn: hör auf zu suchen, schnuppere und sei glücklich. Am Gaumen die gleiche Prozedur: Pflaume, Kirsche, Himbeere, Speck, Rauch, Holz und rohes Fleisch, Bleistiftspäne und Schluss (vorzeitig). Das Mundgefühl ist voll aber saftig – und fest, ich will die Zähne zusammenbeißen um den Wein zu knacken, so stramm ist er. Der Abgang ist sehr lang und steht Nase und Gaumen in Nichts nach, der eigentlich moderate Alkohol (13%) entfacht ein tolles Feuer. Wahnsinn! Vor 18 Monaten hatte ich schon einmal eine positive Begegnung mit diesem Höllenberg. Damals notierte ich ‚Um groß zu sein mangelt es dem Spätburgunder an Tiefe‘ – die hat er jetzt und ich finde ihn groß. Zum Niederknien.

Strategischer Wein

Vor vielen Jahren leitete ich in einer großen Vertriebsorganisation die Abteilungen, die nicht direkt am Kunden agierten, also was man neudeutsch Operations sowie Strategie&Planung nennt. Dabei lernte ich, dass die besten Verkäufer sich häufig dadurch auszeichnen, dass sie keine rechte Lust zum verkaufen haben. Viele von denen, die besonders talentiert im absatzorientierten Umgang mit Menschen waren, standen regelmäßig bei mir auf der Matte, um die Möglichkeit eines Wechsels zu diskutieren. Sie wollten ‚irgendwie strategisch‘ arbeiten.

Seit einiger Zeit lerne ich durch mein Blog regelmäßig Weinmacher kennen, also jene Spezis Werktätiger, die als angestellte Betriebsleiter oder Kellermeister in fremden Gütern Trauben in Wein verwandeln. Dabei lerne ich – liebe Weinmacher, Ihr müsst jetzt ganz tapfer sein – dass es deutliche Parallelen zwischen der Weinwelt und dem Vertrieb gibt. Ich treffe vermehrt Menschen, die das ‚Weinmachen‘ aufgegeben haben um ‚irgendwie strategisch‘ zu arbeiten. Und wenn ich mal das Vergnügen habe einen Wein zu trinken, den diese in ihrer noch aktiven Zeit auf die Flasche brachten, denke ich: auch hier scheint es einen Zusammenhang zwischen Talent und Unwillen zu geben.

Einer dieser ‚Strategen‘ ist mein Freund Peter W., den ich – seit mein erster Artikel über einen seiner Weine ihn auf Platz eins der Google-Ergebnisse für die Suche nach ‚arroganter Sack‘ gehievt hatte – hier nicht mehr mit vollem Namen nennen mag. Er hatte sich bei unserem Kennenlernen gerade als Leiter der Weinabteilung eines Lebensmittelgroßhändlers verdingt. Vor einigen Tagen schickte Peter mir ein paar Flaschen seines 2007er ‚Hausweins‘. Er habe damals zu viel produziert und nachdem er gelesen hatte, dass mir der Jahrgang 2007 zusagt, wollte er mir etwas davon überlassen. Wenn er mir gefiele, ginge die Gastrorechnung bei unserem nächsten Zusammentreffen auf mich.

Ich war gespannt auf diesen Wein, der – wie bei Peter nicht anders zu erwarten – ohne jedes Etikett bei mir eintrudelte. Immerhin schickte er mir ein Pdf mit Etiketten zum selber drucken per E-Mail. Das verriet leider nicht mal die Rebsorte. Was soll’s: Es hat auch was gutes, einen Wein vollkommen blind zu probieren mit nichts als dem Jahrgang und der Farbe als Anhaltspunkt.

Ohne Etikett aber mit original Rheingauer Kellerstaub – De Brevitate Vitae
Ohne Etikett aber mit original Rheingauer Kellerstaub – De Brevitate Vitae

De Brevitate Vitae, Deutscher Tafelwein, 2007, Peter W. (Rheingau). In der Nase zunächst ein angenehm gereifter Riesling mit Aprikose und Aloe Vera. Eine leichte Honignote legt eine falsche Fährte in Richtung Botrytis und Süße. Nach einer Stunde wandelt sich das Bild, es treten deutliche Holz- und Raucharomen in den Vordergrund, die erst am dritten Tag wieder dezenter werden. Am Gaumen dauerhaft eine harmonische aber deutliche Säure (2007er Säure eben) und dazu ganz viel Schmelz, satte Frucht (mürber Apfel und gebratene Ananas), volles Mundgefühl mit leichten Röstaromen und etwas Gerbstoff. Peter hat mit einem neuen Barrique und einem ‚selbstgebastelten Solera-Verfahren‘ experimentiert (bevor Riesling und Barrique zur Mode wurde), dabei nur Lesegut ohne Botrytis verwendet und ein paar Effekte hinbekommen, für die ich mangels ausreichendem Wortschatz einfach ‚crazy‘ in mein Notizbuch schrieb. Der Alkohol ist mit 12,5% unauffällig, der Abgang sehr lang und spannend.

Als ich am dritten Tag den letzten Schluck getrunken hatte, machte ich etwas, was ich seit fünf Jahren nicht gemacht habe: vom gleichen Wein eine weitere Flasche auf. Mehr Begeisterung geht bei mir nicht.

Peter hat seinen Job im Handel wieder aufgegeben. Er arbeitet jetzt als Verwalter einer kleinen Genossenschaft, die nach rasanter Talfahrt nur noch eine Hand voll Mitglieder und außer ihm keine Angestellten hat. Das ist eine durch und durch strategische Aufgabe. Zum Glück muss er dabei auch wieder Wein machen. Und vielleicht lernt er sogar das Etikettieren…

Viel Erfolg, Peter!

Wachwechsel

Mit Höchstgeschwindigkeit nähere ich mich einem Tag des Schreckens. Ich kann ihn kommen sehen. Ich könnte noch abbremsen, kriege aber den Fuß nicht vom Gas. Sehenden Auges fahre ich gegen die Wand. Anfang des Jahres bemerkte ich die Probleme erstmals aber ich habe nichts dagegen unternommen: Meine 2007er Rieslinge gehen zur Neige. Ich verdränge die Bedrohung, trinke einfach weiter, tauche immer tiefer in die Regale, um noch was zu finden und stoße immer seltener auf Beute.

Klingt nach Drama, ist ein Drama. Ich habe diesen Jahrgang geliebt. Trockene und halbtrockene Kabinette und Spätlesen meine ich: wie gut oder schlecht die Großen Gewächse sind, kann ich nicht sagen, davon habe ich noch nicht so viel getrunken. Meine Mängelanzeige bezieht sich auch nur auf die mittelgewichtigen Rieslinge. Die GGs teste ich derzeit gelegentlich an und habe nicht den Eindruck, dass sie schon alles zeigen, was sie können – vielleicht nächstes Jahr.

2007 ist bestimmt kein Überjahrgang. Eine Sache aber macht ihn für mich besonders. Seit ich dieses Blog schreibe, trinke ich 2007er Rieslinge der mittleren Qualität; im Juni 2009 machten die schon Spaß und seither präsentieren sich Zwei-Sterne-Weine von Laible aus Baden, trockene Spätlesen von Thanisch von der Mosel oder ‚PC‘ Lagenweine von Bürklin-Wolf aus der Pfalz einheitlich zugänglich. Nach zwei Jahren der Reife halten sich die Weine seit mittlerweile vier Jahren in einem wunderbaren Schwebezustand aus Frische und Reife, zeigen eine akzentuierte Säure, die niemals beißend ist und machen einfach Freude.

Damit halten sie sich nicht an die Theorie, nach der Rieslinge in immer gleichen Mustern reifen und in bestimmten Jahren quasi ungenießbar sind, weswegen man sie dann bitte niemals öffnen soll. Der Regeln gibt es viele. Gehört habe ich schon: nicht im dritten Jahr, nicht im verflixten vierten, sechsten, siebten oder achten – und in den ersten beiden sowieso nicht.

Und jetzt? Ich kann versuchen mich zu trösten: der Winter naht, Zeit für Rotwein. Aber ich trinke auch bei Minusgraden Riesling. Ersatz muss her. Ich habe probiert. Bei den ganz leichten 2008ern stellt sich jetzt Wonne ein. So wie bei diesem hier:

Thanisch (Ludwig & Sohn), Riesling Kabinett trocken, 2008, Mosel. In der Nase sehr klar, nur ein Hauch Reifenoten; es dominieren die üblichen Verdächtigen: Aprikose, Aloe Vera, tropische Früchte und Malz. Am Gaumen schlank im besten Sinne, kräftige Säure, die aber nichts spitzes oder anstrengendes hat, im Gegenteil, trotz der Säure leicht cremiges Mundgefühl, schmeckt sehr trocken, leicht und beschwingt, im recht langen Abgang mit schöner kreidiger Phenolik/Mineralik, 11% Alkohol sind völlig unauffällig.

Thanisch_Molitor_Riesling

2009er sind viel reifer. Ich werde also 2009 vorziehen und in den kommenden Monaten vereinzelt 2008er einsprenkeln, wenn ich es etwas knackiger haben möchte. 2007 werde ich in liebevoller Erinnerung halten, als den Jahrgang des verlässlichen Vergnügens und der tiefen Erkenntnis: alle Regeln, die in der Weinszene kursieren, wann man einen Riesling zu trinken hat, sind Quatsch.

Zum Abschied ein leises Servus:

Molitor, Graacher Domprobst, Riesling kabinett (tr.), 2007, Mosel. In der Nase volle Frucht: Aprikose und mürber Apfel, dazu Karamell und eine schöne Reifenote. Am Gaumen spürbare, harmonische Säure, etwas mehr Restzucker als nötig, was dem Wein einerseits Schmelz verleiht, andererseits eine Fülle, die man von einem Kabinett kaum erwartet. Aber Molitors Einschätzungen der verschiedenen Prädikate ist eh nicht vergleichbar mit der anderer Erzeuger. Die satte Frucht mit Aprikose und Grapefruit dominiert, etwas Malz und ein leichter Bitterton ergänzen gut. Der Abgang ist lang, schmelzig und eher wenig mineralisch. Unkompliziert und lecker – seit Jahren schon…