Gran Reserva

Carsten Sebastian Henn, stellvertretender Chefredakteur des Gault Millau, hat einen neuen Krimi geschrieben, einen Weinkrimi. Weinkrimis machen mir Angst, wie alle Themenkrimis (Golfkrimis, Kochkrimis etc.). Zu häufig erhoffen sich schwache Krimiautoren, dass sie nur die Hobby-Neigungen einer Zielgruppe in ihren Plot einbauen müssten, dann verzeihe ihnen die entzückte Hobbyistenschar dramaturgische Defizite. Dazu verkaufen sich solche Bücher prima als Geschenk, weil Weinfreunde (Golfspieler, Hobbyköche) meist als solche bekannt sind und Freunde diese Art von Krimi als ideales Geschenk betrachten.

Ich hatte also Manschetten, als ich ,Gran Reserva‘, so heißt Henns neuestes Werk, in Händen hielt. Sein Verlag Piper hatte mich freundlicherweise bemustert. Glücklicherweise ist Henn ein Krimiautor mit Weinfimmel, kein Weinautor, der zur Aufbesserung der Urlaubskasse schlechte Krimis schreibt. Die Handlung lebt nicht in erster Linie von Wein oder Geschichten rund um seine Produktion.

Die Story: Max ist Fotograf, erfolgreich aber gelangweilt, auf der Suche nach dem Sinn des Lebens und fest entschlossen, aus seinem Alltag auszubrechen. Er verlässt seine Heimatstadt Köln in Richtung Rioja, um bei einem alten Studienfreund unterzuschlüpfen. Dort angekommen trinkt er Wein, besucht die Bodegas Faustino, verliebt sich, stolpert zufällig über eine Leiche, hilft bei deren Beseitigung, trinkt mehr Wein, übersteht allerlei Irrungen und Wirrungen, trinkt noch mehr Wein, findet eine weitere Leiche, trinkt sehr viel Wein und sieht am Ende doch erstaunlich klar.
Wie bei jedem guten Krimi schadet es nur, vorher zu viel über die Handlung zu wissen. Also konzentrieren wir uns auf die wesentlichen Fragen:

Ist das Buch spannend?
Durchaus. Es erzeugt vielleicht nicht die Art von Spannung, die einen vor dem Schlafengehen nachschauen lässt, ob die Haustür verschlossen ist, aber es ist ja auch ein klassischer Krimi, kein Thriller. Bis spät in die Nacht lesen will man allemal.

Sind die Charaktere gut gezeichnet?
Unbedingt. Bei den handelnden Personen kommt Henns Buch nicht ohne Klischees aus. Das stört aber nicht, denn es sind fröhliche Klischees: der Spanier ist ein Womanizer und Chaot, der Amerikaner bemisst den Wein in Dollar und Punkten, der alte Mann ist sentimental, die Frau emanzipiert und feurig, der Protagonist auf Sinnsuche.

Liest sich der Krimi flüssig?
Definitiv. Henn hat einen ausgesprochen angenehmen und gut zu lesenden Schreibstil: Klare Sprache, kurze Sätze, eine Portion Humor und Distanz zu seinen Helden. Beschreibungen von Land, Leuten und Weinen erzeugen Atmosphäre, ohne den Erzählfluss ins Stocken zu bringen.

Geht‘s denn arg viel um Wein?
Entwarnung. Jedem Kapitel ist ein kleiner Exkurs vorangestellt, der einen historischen Jahrgang der Rioja beschreibt. Der Bezug zur Handlung ist nicht ersichtlich aber die Zeit, die das Lesen in Anspruch nimmt, ist überschaubar. Der Rest des Textes kann des Autors Liebe zum Wein nicht verhehlen, so weinlastig, dass es nervt, wird es aber nie.

Wie schaut‘s mit dem Ende aus?
Durchwachsen. Die Königsdisziplin – Henn meistert sie, wenngleich nicht mit Bravour. Seine Herangehensweise ist Old School, Hommage an die British Crime Ladies, denn in der Schlussszene finden sich alle im Laufe der Handlung aufgetauchten Charaktere überraschend an einem Ort ein. Der Showdown erinnert derart an Agatha Christie oder Dorothy Sayers, dass ich dachte, jeden Moment kämen Hercule Poirot und Lord Peter Wimsey Arm in Arm hinter den Barriquefässern der Bodega hervor.  Die Handlung erfährt eine bodenständige Auflösung.

Bleiben Fragen offen?
Eine. Warum heißt es die Rioja? Genus feminin bei Landschaften ist so selten. Ich hatte mir erhofft, aus diesem Buch zu lernen, warum die Rioja weiblich ist. Die Herkunft (Rio Oja) wird zwar erklärt, aber das steht auch in Wikipedia

Da liegt zusammen, was zusammen gehört.Und was trinkt man dazu?
Rioja natürlich. Am besten Gran Reserva. Wenn man so was nicht hat, entweder eine Nummer kleiner oder größer. Ich hatte noch einen neumodischen Angeberwein aus der Rioja im Keller. Die Notiz ist etwas verkürzt, ich habe mich schließlich auf das Buch konzentriert.
Telmo Rodriguez, Altos de Lanzaga, 2003, Rioja, Spanien. In der Nase edel: der Wein riecht nach Kirsche, Zigarrenkiste, Alkohol und Lakritz. Am Gaumen begeistert er mit toller Struktur und herrlichen Aromen: Holz, Schokolade und Kirsche (und ja, das erinnert sehr an Mon Chéri), sehr feines Tannin, kräftige Säure (trotz des heißen Jahres). Der Abgang währt ewig. Ich bin hin und weg: wahnsinnig guter Wein!

Neben unterhaltsamer Lektüre war Henns Buch auch rechtzeitiger Anlass diesen Wein zu trinken, der wunderbar gereift und vielleicht jetzt auf dem Höhepunkt ist. ,Gran Reserva‘ hat sich also doppelt gelohnt.

Carsten Sebastian Henn, Gran Reserva, Piper, 2012, Deutschland. Im Antrunk feine Noten von Mord und Totschlag. Der komplexe Mittelbau ist voluminös, ohne fett zu sein, glänzt mit straffer Federführung und einem bunten Strauß an falschen Fährten. Der Abgang ist im besten Sinne klassisch, wenngleich den Fan rasanter Action die zarten Noten von Talkumpuder stören könnte – mich nicht, ich fand ihn lecker.

Der Gipfel der Anmaßung

Seit ich ein Weinblog schreibe, bin ich immer wieder mit der Frage konfrontiert, was wohl zum Schreiben eines Weinblogs befähigt. Eigentlich ist es ziemlich anmaßend, sich öffentlich zu Wein äußern zu wollen, bloß weil man gern und regelmäßig welchen trinkt. Diesem Prinzip folgend, könnte man auch beim ZDF anrufen und einen Platz im literarischen Quartett einfordern, bloß weil man gerne liest.

Da das mit dem Weinbloggen mittlerweile niemanden mehr aufregt, dachte ich mir im Dezember, ich könnte Spannung in mein Leben bringen und genau das tun: unter die Literaturkritiker gehen mit keinerlei Qualifikation als meiner Fähigkeit zu lesen. Um die Hybris ein wenig weiter zu treiben, tat ich etwas, was ich bei Wein noch niemals getan habe: ich bestellte mir ein kostenloses Rezensionsexemplar mit dem Hinweis auf eine Besprechung in diesem Blog (meine Reichweite habe ich verschwiegen, hätte nur die Chancen tatsächlicher Bemusterung ruiniert). Dass ich die Bestellung überhaupt aufgeben konnte, lag daran, dass das fragliche Buch entfernt mit Wein zu tun hat. Es handelt sich um Carsten Sebastian Henns neuen Roman ,Gran Reserva‘ – einen Weinkrimi. Er spielt, wie Experten schon erraten haben, in der Rioja, Heimat des Gran Reserva.

Ich hatte mir das alles ganz einfach vorgestellt. Ich hole mir einen Gran Reserva aus dem Keller, lese den Krimi, mache mir ein paar Notizen und schreibe dann eine beschwingte Kritik. Aber es kam natürlich anders. Mein Kellerbuch verzeichnet im Kapitel Spanien ganze vier Weine und keiner ist ein Gran Reserva. Es war auch nur einer aus der Rioja da und an einem Abend würde ich den Wälzer niemals durchlesen. Also galt es, die Lektüre mit einer Annäherung an einen Gran Reserva zu beginnen. Ich wählte einen ziemlich alten Cabernet aus Kalifornien – ist ja fast das gleiche. Ähnlich kompetent mutete an, was ich mir als Notizen zum Krimi machte. Aber aus der Nummer komm ich nicht mehr raus. Also teile ich meinen Bericht in zwei Hälften. Dieser erste Teil schildert die Entstehung und Begleitumstände meiner Literaturkritik. Er ist nur für Eingeweihte, Stammleser, quasi eine vorweg genommene Entschuldigung, also bitte nicht bei facebook teilen oder gar twittern. Zum zweiten Teil, den ich hochseriös verfassen werde, sobald ich meine nervösen Zuckungen in den Griff kriege, werde ich den Link dann auch an den Verlag schicken, in der Hoffnung, dass die Printheinis keine Ahnung haben, wie man durch ein Blog navigiert oder schlicht zu beschäftigt sind, mehr als die Headline zu lesen. Soviel sei aber schon an dieser Stelle verraten: Ich habe Henns Weinkrimi sehr genossen, genau wie den kalifornischen Gran Reserva.

Hätte man auch mal abstauben können, bevor man ihn fotografiertRobert Mondavi, Oakville, Cabernet Sauvignon 1999, Napa Valley, Kalifornien. In der Nase   dominieren schwarze Johannisbeere und Holz, es riecht aber auch ein wenig nach einem Spaziergang im Viehstall. Am Gaumen ist der Wein sehr von süßer Frucht dominiert: Johannisbeere oder Cassis, wie man in der Weinwelt lieber sagt (warum eigentlich?). Dazu ein Eindruck von Bleistiftspäne und sehr feines Tannin, das nur ein bisschen schmirgelt. Der Wein ist zwar enorm fruchtig aber nicht übertrieben dick oder gar marmeladig, eher mit kühler Aromatik und feiner Note von Menthol. 14% Alkohol sind nicht einmal zu erahnen. Ich finde den Oakville sehr elegant und das Tannin verleiht ihm eine sehr noble Struktur. Der Abgang ist sehr lang und leicht adstringierend. So mag sogar ich Cabernet – ein ausgesprochen guter Wein.

Gute Vorsätze (2)

Meine weiteren ,guten Vorsätze‘ zum neuen Jahr sind profan und beziehen sich allesamt auf das Kaufen oder Trinken von Wein. Bevor ich meinen Schlachtplan darlege, will ich daher noch meinem Vorsatz folgen, meinen Beitrag zur besseren Blogvernetzung zu leisten und ein weiteres Blog vorstellen. Eher zufällig bin ich diese Woche über Schumanns Weinblog gestolpert. Es besteht seit Mai 2012 und wird von Christian Schumann und Alex Schilling geschrieben. Ich fand es lesenswert und empfehle es hiermit zur gefälligen Kenntnisnahme (oder etwas direkter: los, hin da!)

Ich werde dieses Jahr ganz viele Riesling GGs aus dem Jahrgang 2007 probieren. Ich bin gespannt wie ein Flitzebogen. Denn was ich so lesen konnte in Blogs und auf Facebook, gehen die Meinungen über diesen Jahrgang weit auseinander. Von vorzeitig verschieden bis ganz toll reichte das Spektrum der Ansichten. Ich fand die mittleren Qualitäten, die ich in den letzten 12 Monaten getrunken habe, aufregend bis großartig. Ein zum Jahresende getrunkenes Pfälzer GG lies mich etwas ratlos zurück.

Karl Schäfer, Forster Pechstein, Riesling Grosses Gewächs, 2007, Pfalz. In der Nase würzig und mit einem deutlichen Reifeton, gleichzeitig süße Frucht, vollreife Aprikose und Honig wie bei einer Beerenauslese. Die Nase deutet mit etwas Luft auf einen kräftigen Schuss Botrytis im Wein hin, am Gaumen findet sich davon aber nur wenig. Der Riesling schmeckt sehr trocken, ist voluminös und wird von Aprikose, Grapefruit und Kräuteraromen (Thymian) dominiert. Nach hinten raus ist er karg, kalkig und auf angenehme Art streng: er kratzt ein bisschen, ist leicht alkoholisch (13,5%) und druckvoll. Auf die Dauer macht er satt aber ich finde, man muss nicht von jedem Wein eine ganze Flasche trinken können. Der Pechstein ist ein Alleinunterhalter, den man vielleicht nicht den ganzen Abend auf der Bühne sehen will, dessen Auftritt in der Nummernrevue aber zu den Höhepunkten zählt. Sehr langer, voller, lauter Abgang. Zugabe nicht nötig, Publikum erschöpft aber glücklich!

Ich habe ziemlich viele verschiedene GGs aus 2007 im Keller und wohne jetzt in der Stadt mit der schönsten Weinkultur in Deutschland, da sollte es mir wohl gelingen, eine Probentruppe zusammen zu stellen mit der ich die Frage nach der Jahrgangsgüte ausführlich erörtern kann. Ich freu‘ mich drauf.

Neben dem Verbrauchen ist auch die Anschaffung regelmäßiger Gegenstand meiner Neujahrsvorsätze. Klar, ich will weniger kaufen, eigentlich gar nichts mehr – aber das geht nicht so ohne Weiteres. Also kanalisiere ich meine Gelüste, da ich sie damit besser im Zaum halten kann. Neben den Weinen, die ich jedes Jahr kaufe und ein paar GGs aus den vermutlich sehr interessanten Jahrgängen 2012 (Riesling) und 2011 (Spätburgunder, hier erwarte ich mir eine Menge) will ich mich dieses Jahr auf die Suche nach exotischem machen. Den Entschluss fasste ich spontan in den letzten Wochen des alten Jahres beim Genuss eines Weines.

Knipser_Chardonnay_4SterneKnipser, Chardonnay trocken ****, 2003, Pfalz. In der Nase etwas spritig, dazu käsig, deutliches Holz, Mandarine, Litschi und Haselnuss. Am Gaumen ist der Wein am ersten Tag wahnsinnig süß – wenn nicht trocken auf dem Etikett stünde, könnte man meinen, man habe es mit einer süßen Auslese zu tun. Ein Teil der Süße stammt sicher vom Alkohol, der mit 14% eine tragende Rolle spielt. Die andere Säule, auf der der Wein ruht, ist der Barriqueausbau, der Vanille und Raucharomen beisteuert, die cremige Textur mit sich bringt und dem Wein einen deutlichen Stempel aufdrückt. Aber der Wein ist nicht beerdigt unter Holz und Alkohol: Aromen von Mandarine, Haselnuss, Birne, Speck und ein Hauch feines Tannin halten munter mit – ich finde den Wein sehr lebendig. Der Abgang ist lang und voll. Ich bin nicht restlos begeistert aber sehr angetan.

Chardonnay aus Deutschland kann klasse sein und 2011 war vermutlich ein Jahr, das guten Chardonnay ermöglichte. Die gehobenen Produkte dürften dieses Jahr in den Verkauf gelangen und ich will versuchen, mehr deutschen Chardonnay zu probieren und zu kaufen. Denn so wie ich trotz Raute im Herzen nicht auf die Zweite aus der Neustadt schimpfen mag, bin ich trotz Riesling-Liebe kein ABC-Trinker.

Den letzten Satz muss man vermutlich übersetzen: Ich bin seit kleinauf HSV-Fan, hege aber nicht den typischen Groll gegen den FC St. Pauli (bevor in Gau-Odernheim oder anderswo jetzt Missverständnisse auftreten: Bei ,was ist grün und stinkt nach Fisch?‘ singe ich selbstverständlich lautstark mit); zum zweiten Teil: ABC steht für ,Anything but Chardonnay‘ und ist lifestyliger Hipsterquatsch für und von Menschen, die meinen, man könne ein tollerer Typ als der Nachbar sein, wenn man irgendwelche Rebsorten gut oder doof findet – not my cup of tea, um es mit anderem lifestyligem Hipsterquatsch auszudrücken.

 

Gute Vorsätze (1)

Ich hoffe, alle, die diese Zeilen lesen, sind wunderbar ins neue Jahr gerutscht. Meine besten Wünsche allen Lesern und von Google irrtümlich hierher verwiesenen. Ich habe in letzter Zeit einige Jahresrückblicke gelesen und kann meinen ganz kurz fassen: schön war‘s.

Ich habe 2012 vor allem meine etwas zu großen Vorräte an Mittelklasse-Rieslingen aus dem Jahr 2007 vernichtet. Das hat erstaunlich viel Spaß gemacht. Ein typischer Vertreter dessen, was mein Glas in 2012 gefüllt hat, ist beispielsweise dieser hier.

Leitz, Rüdesheimer Bischofsberg Riesling Spätlese trocken 2007, Rheingau. In der Nase voll, dick und süß; reifer Pfirsich, etwas Aloe Vera – ein ziemlich üppiger Riesling halt. Im Mund grüßt die prägende Säure und etwas Kohlensäure. Der Riesling wirkt auch am Gaumen ziemlich dick und erstaunlich gereift (für einen Wein unter Schraubverschluss). Ein leicht cremiges Mundgefühl steht in Kontrast zur kalkigen Mineralik, die fast an Tannin erinnert. Das ist ein satter, fruchtiger Wein, der im Abgang etwas austrocknend wirkt, was einen schönen Gegensatz ergibt. Der Alkohol ist präsent, obwohl es nur 12,5 % sind. Sehr langer Abgang, sehr schöner Wein.

Für 2012 hatte ich keine guten Vorsätze gefasst, vor allem, weil mein Leben Anfang letzten Jahres gerade sehr im Fluss, der Weg mithin das Ziel war. Für 2013 hab ich mir aber viel vorgenommen. Zu viel, um es in einen Artikel zu quetschen. Der Januar ist ja noch lang.

Ein Vorsatz lautet, auf jeden Fall wieder zum Vinocamp nach Geisenheim zu fahren. Da werde ich dann eine Session initiieren zum Thema ,neid- und vorbehaltloses Verlinken unter Weinbloggern‘. Das mag für Nicht-Blogger jetzt langweilig klingen, aber eigentlich geht es um genau sie, die Leser, also lesen Sie ruhig noch ein bisschen weiter, selbst wenn Sie nicht bloggen und das Vinocamp Ihnen Schnuppe ist.

Ich gebe mir zwar Mühe, meine Leser zu unterhalten, jedoch vernachlässige ich sträflich, ihnen die gelungene Unterhaltung neuer und alter Kollegen nahe zu bringen. Dabei bin ich kein Einzelfall. Ein anderer Teilnehmer sagte beim letzten VinoCamp sinngemäß, dass wir Weinblogger ein fürchterlich misstrauisches Volk seien. Neuankömmlinge würden erstmal argwöhnisch beäugt, an eigenen Maßstäben gemessen und nur zurückhaltend eingemeindet. Recht hat er. Dabei sollte jeder neue Blogger eine, ich gestatte mir die direkte Sprache, willkommene Sau sein, die jeder alte für ein paar Stunden durchs digitale Dorf treibt. Die ersten Tausend Leser sollten die Morgengabe der Altvorderen sein. Das motiviert zum Weitermachen und wenn die Qualität nicht stimmt, dann ist das Blog eh schnell Geschichte.

Vorgestern bin ich über so einen Neublogger gestolpert. Max schreibt unter dem Titel ,Gustumas/Sinneswelten‘ über das Verkosten. Interessante Fakten mischt er mit fundierter Meinung. Das sollten Sie sich mal anschauen. Leider hat er keine Kommentarfunktion, denn auf seine gut begründete These, dass Verkostungsnotizen, die vorwiegend aus Aromen bestünden, sinnlos seien, hätte ich ihm gerne einen protestierenden Kommentar hinterlassen. Dann also hier (ohne dass ich das von ihm gesetzte Thema klauen will). Aber bevor Sie weiterlesen gehen Sie erst mal hier hin und lesen Sie, worauf ich mich überhaupt beziehe (Husch Husch, zu Tausenden bitte).

Neues Blog zum Thema SensorikIch halte Weinbeschreibungen mit Aneinanderreihungen von exotischen Aromen auch für Zeitverschwendung, doch gerade der Riesling ist zum Beispiel ein Wein, den man gut über ein paar Schlüssel-Aromen klassifizieren kann. Es gibt die molligen, siehe oben, die haben immer was von reifem Pfirsich und Dörraprikose, gern gepaart mit Malz, es gibt die strengeren, die oft duftig daher kommen, zum Beispiel dieser hier:

Jos. Rosch, Selection J.R., Riesling Spätlese trocken, 2007, Mosel. In der Nase leicht kräutrig, dazu Pistazie, Aloe Vera, verhalten fruchtig mit Aprikose, leicht blumig. Die obendrein mit einem kleinen Spontistinker aufwartende Nase empfinde ich zwar als typisch für einen Riesling aber eher auf der kargen Seite. Am Gaumen ist der Wein von mittlerem Volumen aber großer Intensität mit deutlicher Säure, ziemlich wenig Restzucker und viel Mineralik. Dabei glänzt der Selection J.R. mit unaufdringlichen 12,5% Alkohol und einem sehr langen Nachhall. Ich finde wiederum Pistazie, etwas Birne aber insgesamt wenig Frucht. Ein leicht cremiges Mundgefühl passt – sonst wäre mir das Spektakel am Gaumen zu fruchtlos. So ist es ein Wein von enormer mineralischer Dichte, den auch trinken kann, wer‘s nicht so mit den kratzigen Rieslingen hat. Für Liebhaber letzterer ist er jedoch großes Kino.

Es gibt auch noch ein oder zwei andere Typen trockenen Rieslings. Pistazie, Aloe Vera, Dörraprikose, blumig (meinetwegen auch Blüten oder Blumenwiese), reifer Pfirsich, Kemm‘sche Kuchen und zwei oder drei weitere reichen als Aromen vollkommen aus, um mir eine Ahnung zu verschaffen, ob ein Riesling vom Typ her eher auf den Punkt gelesen ist oder im April des übernächsten Jahres geerntet á la Molitor und Löwenstein, ob er vollreif oder strahlend ist oder wie immer man die Typisierung betreiben will. Deswegen freue ich mich über Aromen in Weinbeschreibungen. Dazu habe ich gelernt, dass Banane ein Jungweinaroma ist, Vorhandensein oder Abwesenheit sagt bei deutschen Weißweinen einiges über den Entwicklungsstand, Haselnuss und Vanille vermitteln einen Eindruck von der Wirkung eines möglichen Holzfassausbaus aus und und und. Max‘ Grundbedenken, dass ob unterschiedlicher Empfindlichkeiten Aromenbeschreibungen eingeschränkt aussagekräftig sind, ist allerdings auch nicht von der Hand zu weisen.

Nachdem ich im vergangenen Jahr endgültig den Punkten abgeschworen habe, werde ich 2013 also versuchen, die Aromen in den Griff zu kriegen. Ab 2017 bin ich dann perfekt und nehme Eintritt von denjenigen, die mir beim Weintrinken zusehen wollen. Max bekommt Rabatt – aber nur, wenn er dann noch bloggt.

Sag beim Wichteln leise Servus

Wichtel_RallyeEin guter Blogartikel zeichnet sich dadurch aus, dass er sich auf ein Thema fokussiert und dieses mit angemessener Tiefe behandelt. Insofern ist die Jahresendausgabe der Weinrallye eine Herausforderung. Thomas Lippert vom Winzerblog ist der Gastgeber und Weinwichteln das Programm. Damit gilt es, mindestens zwei Themen zu behandeln: den Wein, den man einem Teilnehmer geschickt und jenen, den man selbst erhalten hat. Das ist schwierig, bieten sich doch so viele Dinge an, über die man schreiben könnte.

Ich erhielt einen Wein von Dimitri, der bei Hawesko das Blog ,Winelog‘ betreut. Da könnte ich darüber schreiben, dass ich dieses Jahr nun zum zweiten Mal einen Wein von einem Händler geschenkt bekomme. Ich könnte darüber philosophieren, warum beide Händler mir Châteauneuf Du Pape schickten. Ich sollte dann aber betonen, dass dieser hier zu 85% aus Grenache besteht, was mich neugierig macht.  Zu Hawesko fiele mir auch viel ein. Wie vermutlich jeder, der seine Weinliebe im letzten Jahrzehnt entdeckte, war auch ich einmal Kunde dort. Legendäre Hausmessen luden zum Probenmarathon ein. Die anschließende Bestellung führte zum Dauerbombardement mit Werbepost. Dürfte man negativ über den Stifter sprechen? Ich lasse es lieber. Ich könnte ja diplomatisch meiner Meinung Ausdruck verleihen, dass große Unternehmensgruppen wie Hawesko der Weinkultur sehr zuträglich sind, selbst wenn man als interessierter Laie mit zunehmendem Sachverstand ultimativ dem Post-Hawesko-Zustand entgegenwächst. Ich könnte auch einfach zur Sache kommen:

Domaine Saint Préfert, Châteauneuf Du Pape, 2010, Südfrankreich. Chateauneuf_du_PapeEin sehr junger Wein, der sicher noch viele Jahre vor sich hat (also andere Flaschen, meine ich, nicht diese, die ist jetzt leer). In der Nase nach dem Öffnen erst ganz profan: Blaubeerjoghurt mit `nem Schnaps drin. Mit etwas Luft dann weniger alkoholisch und etwas facettenreicher. Am Gaumen sehr fruchtig mit Blaubeere, Brombeere, ein bisschen Rumtopf, aber auch Menthol, recht viel feines Tannin, nur wenig Holz. 14,5% Alkohol tauchen immer mal wieder auf, ohne dass es gar zu spritig wird. Der Wein wirkt elegant, gehaltvoll und (jaja…) lecker. Der Abgang ist nur mittellang, trotzdem: toller Wein für faires Geld.

Mein Wein ging nach Österreich. Ich könnte also getreu dem Motto ,Tue Gutes und rede darüber…‘ erwähnen, dass ich freiwillig ein extradickes Porto gestemmt habe. Ich müsste dann dem Eindruck entgegenwirken, das beim Wein wieder eingespart zu haben, was leicht wäre: Eine Spätburgunder Auslese vom Weingut Günther Steinmetz aus Brauneberg habe ich verschickt. Der wurde gerade neulich in der Facebook-Weingruppe meines ,Opfers‘ besprochen und drängte sich also auf – naja, preisgünstig ist er auch noch. Empfänger war Peter Ladinig. Da sollte ich dann darüber schreiben, dass Peter ein Sommelier ist, der derzeit auf allen sozialen Kanälen Vollgas gibt. Ich könnte schreiben, wie hübsch ich den Namen seines Blogs finde (,The Institute of Drinks‘) aber eigentlich sollte ich über etwas ganz anderes schreiben: ich fühle mich jung und meistens trinke ich mit Menschen Wein, die (viel) älter sind als ich. So biege ich mir zumindest die Welt zurecht. Doch letzte Woche rief Peter über Facebook um Hilfe bei der Suche nach einem Wein aus dem Jahrgang 1969, weil das das Geburtsjahr seiner Mutter sei. Es ist auch mein Geburtsjahr. Illusion geraubt. Die Zeit hält nicht inne – aber ich, jetzt, um zu seufzen.

Nun könnte ich Schluss machen, wenn nicht das eigentliche Thema dieses Artikels noch ausstünde. Das Winzerblog schließt seine Pforten. Und darüber sollte ich dringend schreiben. Denn ich könnte davon erzählen, dass Thomas Lippert der erste Leser dieses Blogs war und auch der erste Kommentator. Ich könnte auch von meiner ersten Begegnung mit ihm schreiben. Die war auf dem Hamburger Weinsalon von Mario Scheuermann, denn Thomas und Scheuermann haben durchaus mal miteinander geredet. Ich könnte auch von meiner zweiten Begegnung mit ihm schreiben, bei der Geburtstagsfeier unseres gemeinsamen Freundes Guido, bei der Thomas um 30 Kilo leichter war (was auch damit zu tun hatte, dass er mittlerweile nicht mehr mit Mario Scheuermann redete) oder über die dritte beim Vinocamp (die mit Mario Scheuermann überhaupt nichts zu tun hat). Ich könnte darüber schreiben, wie sehr ich das Ende des Winzerblogs bedaure – aber das wäre gelogen!

Legenden beim Siechen zuzuschauen, ist nicht schön. Und das Winzerblog fristete ein Schattendasein. Jetzt zieht Thomas den Stecker und richtet seine Energie auf etwas neues. Das ist gut. Denn wenn man die kleinen Abschweifungen ausknipst und sich ganz auf etwas fokussiert, dann kann tolles entstehen.

Ich sprech‘ da aus Erfahrung…