Wiederentdeckt

Das Auftauchen des neuesten Entdeckerweines verführt mich jedes Jahr dazu, die vorherigen Ergebnisse der Entdeckerarbeit unter die Lupe zu nehmen. Den Rosé des Vorjahres habe ich heuer ausgelassen, da ich bei 20 Zentimeter Neuschnee einfach keinen Rosé trinken kann, egal wie sehr es auch zum Essen passen könnte. Ich werde ihn im nächsten Sommer mal wieder trinken und dann berichten.

2012-10-23 19.39.13Beim Erstling gehen mir jetzt die Flaschen aus. Über ihn schreibe ich also mit etwas Wehmut. Ich finde den Roten Baron ausgesprochen faszinierend. Mutig war er eher nicht. Das Zusammenstellen einer Cuvée ist ja irgendwie die Suche nach dem besten Kompromiss, der Wein mithin der Versuch, dem Gaumen möglichst zu schmeicheln. Allerdings zeugt es von persönlichem Mut des Entdecker-Frontmannes Carsten Henn in diesem mit großen Erwartungen behafteten Projekt ausgerechnet einen Dornfelder als Erstlingswerk zu präsentieren. Doch mit dem Roten Baron gewännen Henn und die Knipsers auch heute noch jeden ,Pimp my Dornfelder‘ Wettbewerb. Wie lange noch, ist eine Frage, die diejenigen beantworten müssen, die mit ihren Flaschen sparsamer waren.

Weingut Knipser & Deutsche Wein-Entdeckungs-Gesellschaft, ‚Der rote Baron‘ Rotweincuvée trocken (aus 2006, 2007 und 2008). In der Nase Rauch, Holz, Blau- und Brombeere sowie Lakritz. Am Gaumen präsentiert der Wein kräftige Säure und noch einiges an Tannin. Dadurch erscheint er voll aber nicht zu voluminös, es lockt eine schöne Frucht (vor allem Kirsche, etwas Brombeere) und ein Lutscher an der Bleistiftmine. Insgesamt wirkt der Wein etwas verschlossen (oder über den Zenith?) und sprüht nicht so über von Aromen. Der Abgang ist sehr lang.

Ich hab den Wein schon in besserer Verfassung getrunken. Jetzt sollte man ihn unbedingt als Speisebegleiter verwenden. Ob das der Anfang vom Ende oder nur eine kleine Schwächephase im Reifeverlauf des Weines ist, vermag ich nicht zu sagen, weil sich meine Erfahrung mit Dornfelder in sehr engen Grenzen hält. Wer noch mehrere Flaschen hat, sollte sich aber allmählich daran machen, die Vorräte zu reduzieren.

Der zweite Entdeckerwein ist vielleicht ein kleines bisschen eine Mogelpackung, denn die Jungfernfüllung eines Weinbergs separat zu vermarkten ist keine ganz neue Idee: diverse Winzer haben diesen Schritt schon unter Namen wie ,Junge Reben‘ unternommen. Aber geschenkt, es ist ein besonderer Wein aus einem besonderen Hause. Ob es sich um einen ziemlich teuren Lagenwein oder um ein günstiges Grosses Gewächs handelt, ist eine Frage die mich schon im letzten Jahr beschäftigt hat. Zum Glück gibt der Neumond weiter eine eindeutige Antwort, indem er sich im gleichen Tempo wie die GGs aus seinem Jahrgang entwickelt. Während ich dieses Jahr diverse zugängliche Lagenweine aus 2009 im Glas hatte, präsentierten sich die GGs eher karg, wie auch der Neumond.

2012-12-23 16.48.44K. P. Keller und Deutsche Wein-Entdeckungs-Gesellschaft, Riesling QbA ‚Neumond‘, 2009 (kein Jahrgang auf dem Etikett), Rheinhessen. In der Nase eine ordentliche Mischung von Rieslingaromen: etwas Aprikose, Grapefruit, Apfel, ein Hauch Aloe Vera und Pistazie. Am Gaumen wieder mit Aprikose und Grapefruit wirkt er sehr trocken, etwas adstringierend/gerbstoffig. Ich schmecke eine leichte Reifenote finde ihn aber vor allem karg. Auch am zweiten und dritten Tag präsentiert sich der Neumond eher geizig. Der Abgang ist ziemlich lang, der Wein schön aber nicht überragend. Wer vorhatte, einen fürs Weihnachtsmenü zu öffnen, sollte das eventuell um eine Jahr verschieben.

Ich wünsche allen Lesern ein frohes, besinnliches und friedliches Weihnachtsfest.

Helden aus Holz

Was ist eigentlich ein ,kompromissloser Wein‘? Und wie habe ich mir einen ,mutigen Winzer‘ vorzustellen? Adrenalin pumpen im Keller? Zugegeben, es sind vor allem Medien, Blogger und im Internet diskutierende Verbraucher, die die Heroisierung von Weinmachern betreiben. Produzenten selber erwähnen höchstens gelegentlich, dass sie auf diese oder jene Schönung verzichten, weil ein paar Ecken und Kanten ihrem Wein gut zu Gesicht stünden. Ein noch junger aber schon renommierter Weinmacher erklärte mir neulich gar, er habe seine 2010er nur nicht entsäuert, weil er keinerlei Erfahrung damit habe und schlicht fürchtete, seine Moste zu ruinieren – Hose voll statt Heldentod. Warum sollte jemand, dessen Lebensunterhalt von verkäuflichen Weinen abhängt auch bewusst das Risiko eines Totalausfalls in Kauf nehmen?
Das Projekt ,Deutsche Wein-Entdeckungs-Gesellschaft‘ von Carsten Henn bietet einen Rahmen, innerhalb dessen Winzer ein Risiko eingehen können, das Weine in Grenzbereiche des guten Geschmacks führt. Bisher ist es gut gegangen, wenngleich ich einen Mitentdecker kenne, der seine Restflaschen des letztjährigen Rosés mit der Bemerkung zurückgehen ließ, eine einmalige Begegnung mit diesem Wein genüge ihm völlig.
Für den Wein dieses Jahres hat sich Henn mit den Johners zusammengetan, um einen Spätburgunder zu kreieren, wie ihn Deutschland noch nicht gesehen hat und auf absehbare Zeit auch nicht wieder sehen wird: einen Wein mit 200% Barrique-Ausbau. Der Spätburgunder aus dem Jahr 2009 wurde 12 Monate in neuen Barriques gelagert (vergoren war er im Stahltank) und dann erneut in neue Barriques umgezogen, wo er 7 Monate zusätzlicher Aromatisierung erfuhr. Damit daraus überhaupt ein trinkbarer Wein entstehen konnte, verwendeten die Johners einen sehr spät gelesenen und entsprechend vollreifen Spätburgunder.
Das ist ein mutiger Ansatz, denn das jetzt ausgelieferte Produkt lässt sich spielend verreißen. Zwei böse Worte reichen: ,überholzte Trinkmarmelade‘. Aber das wäre eben vor allem böse und nicht sachlich, denn der vollfruchtig-mollige Stil findet sich auch in fast allen anderen Pinots von Johner, die hierzulande zu den besten Erzeugern von Spätburgunder zählen und vielfach bewiesen haben: vollreif und elegant geht gleichzeitig. Das deutet auch der  Entdeckerwein an. Seit fünf Tagen unterhalten der ,Cru de Bois‘ und ich uns jetzt. Seine Umgangsformen sind zugegeben etwas hölzern, der Plausch macht aber allemal Spaß.
Ein Biber wäre das bessere Etikettentier gewesenKarl H. Johner (und Deutsche Wein-Entdeckungs-Gesellschaft), Cru de Bois (Bischoffinger Steinbuck), Spätburgunder QbA, ohne Jahrgangsangabe (2009), Baden. In der Nase über 5 Tage eine Mischung aus Kirsche und Brombeere, Holz, Rauch und Vanille, wobei mal die Vanille und mal das rauchige Holz alles überdeckt, die Frucht nur selten durchkommt. Am Gaumen am ersten Tag schwierig (Achtung: Euphemismus), ab dem zweiten Tag mit süßer Frucht (Kirsche und Brombeere), tragender Säure und viiiiiieeeel Holz. Erst am fünften Tag stellt sich eine Balance ein, bei der ich gerne ein zweites Glas trinke, obgleich das Holz alles andere als weggelüftet ist. Das faszinierende an diesem Holzgewitter ist – und das schreibe ich nicht, um krampfhaft etwas besonderes an dem Wein zu finden –, dass es nicht einfach eine Überdosis verbranntes Toast und Teer mitbringt, sondern alle interessanten Aromen, die Barriques einem Wein verleihen können: Toast, Rauch, Zedernholz, Lakritz und einiges mehr. Auch die Tanninstruktur ist beeindruckend. Der Abgang ist zwar wahnsinnig lang, das liegt aber an dem nicht enden wollenden Holzeindruck, der nicht nur toll ist. Ich freue mich sehr, ein paar Flaschen für die nächsten Jahre zu haben.
Patrick Johner weigert sich, eine Prognose des Reifeverlaufs oder optimalen Trinkzeitpunktes abzugeben. Ich empfehle meinen mutigen Mitentdeckern folgendes:
Wer eine Flasche besitzt, vergräbt sie im Keller und hält ab 2015 Ausschau nach Wasserstandsmeldungen im Internet.
Wer drei Flaschen sein eigen nennt, öffnet nächsten Winter eine, dekantiert den Wein mindestens 12 Stunden und tastet sich an ihn heran (bitte dann hier berichten).
Wer sechs Flaschen ergattern konnte, hat hoffentlich den Wein im Glas, während er das hier liest. Alles andere wäre feige!

Punkteschleudern im Messlabor

Manchmal ist die Online-Weinszene ein schrulliger Haufen. Als dieses Jahr die Diskussion über die neuesten Ausgaben der gängigen Weinführer trotz mehrfacher Versuche nicht in Gang kommen wollte, versammelte man sich schließlich auf verschiedenen Webseiten, um episch darüber zu diskutieren, warum dieses Jahr denn nicht über den ,Gault Millau‘ diskutiert wurde. Wer da auf die Idee kommt, dem einen oder anderen fehlte es an sinnvollem Zeitvertreib, der liegt so falsch vermutlich nicht.
Ich hatte zu viel zu tun und muss mich deswegen wieder mit Verspätung äußern, dafür stellt mein Beitrag gleichzeitig eine Art Jahresrückblick dar – und da bin ich mal einer der ersten.
Die fehlende Reaktion auf die gedruckten Weinführer ist für mich die logische Konsequenz aus einem Trend, den ich seit einigen Jahren eher spüre als messe und dessen Manifestationen 2012 so vielfältig waren, dass ich vom Beginn eines Paradigmenwechsels sprechen will.
Punkte verlieren an Bedeutung. Und mit ihnen büßen diejenigen an Bedeutung ein, die sich vor allem über die Vergabe von Punkten definieren.
Punkte, wie sie Gault Millau, Eichelmann oder Wein Plus vergeben, sind viel mehr als Punkte. Sie sind Ausdruck einer Einstellung: Die Qualität von Wein ist messbar und wir haben die sensorischen Fähigkeiten dazu. Wir vom Weinführer haben keinen Gaumen, wir haben ein kleines Messlabor zwischen den Kiefern und 89 Punkte heißen nicht ,wir finden den Wein 89 Punkte‘, sondern ,der Wein ist 89 Punkte‘. Doch dieser Aussage schenken immer weniger Menschen Glauben. Nachdem sich alle bedeutenden Weinführer in den letzten Jahren teils massiv widersprochen haben und vor allem nachdem jetzt deutlich wird, dass kaum eine Prognose der optimalen Trinkreife aus den Führern richtig ist, wackeln die Throne.
Zugegeben: Punkte sind allgegenwärtig, kaum ein Mailing oder Prospekt kommt ohne aus. Ich könnte mir vorstellen, mindestens jede zweite Kaufentscheidung im gehobenen Segment ist irgendwie mit Punkten unterfüttert. Aber in der öffentlichen Diskussion spielen sie eine geringere Rolle. Es ist gängige Praxis guter Händler, alle Führer auszuwerten – irgendeine überdurchschnittliche Bewertung hat jeder Wein. Aber die Zahl der Konsumenten, die die Weinführer kaufen, um sie zu lesen, wird immer geringer, wenn ich den Stichproben im eigenen Freundeskreis vertrauen darf. Man braucht sie nicht mehr, denn der Handel bombardiert einen kostenlos mit den hohen Bewertungen.
Gleichzeitig war 2012 ein Jahr, in dem ich mehr und mehr Berichten begegnet bin, die sich nur der Begeisterung rund um Wein widmeten. Zum einen gibt es neue Formate wie Wein am Limit von Hendrik Thoma, in denen mit Begriffen wie ,Soulfaktor‘ für die Qualität eines Weines deutlich gemacht wird, dass diese eher empfunden als gemessen ist – Soulfaktor klingt nicht nach Labor. Stuart Piggot macht auch mit, turnt in seiner schon in die zweite Verlängerung gehenden Sendereihe Weinwunder Deutschland durch die Republik, um Subjektivität und Begeisterung zu versprühen. Seinen Weinführer hingegen hat er eingestellt. Jüngst veröffentlichte er in seinem Weinhier-Newsletter einen Bericht zu einer Silvanerprobe, bei dem er sich gewissermaßen entschuldigte, dass er in Probensituationen zur Differenzierung Punkte verwendet.
Carsten Henns Weinentdeckungsgesellschaft und das von ihm betriebene Vinum-Blog sprühen vor Liebe zum Wein und kommen ohne Punkte aus, in seinem Webprojekt ,Missionswerk Öxle‘ präsentiert er die Spassguerilla-Variante eines Wein-Kreuzzugs, ohne das Wort Punkte auch nur in den Mund zu nehmen – die Information, dass er als leitender Mitarbeiter auch eine Funktion bei der Punkteschleuder Gault Millau hat, muss man auf seiner Homepage lange suchen.
Stephan Reinhardt hat als Chefredaktor erst dem ,Weinwisser‘ (ein Einkaufsführer für besserverdienende Eidgenossen, die eine Anleitung zum Kauf von Weinen jenseits der 70 Franken benötigen) ein Social-Media-Event zum Thema Gewürztraminer angetan und ihn dann verlassen (ob es einen Zusammenhang gibt, weiss ich nicht, aber ich werde das Gefühl nicht los, dass das Wort ,Missverständnis‘ zu dieser Liaison besser passte als ,Liebesheirat‘). Reinhardt übernimmt jetzt die Vinum und die Reaktionen der Weinwelt auf diese Personalie war vor allem die Formulierung von Hoffnungen, die Vinum könnte wieder zu einem sinnlichen Leitmedium für wahre Weinfreunde werden – eine Sehnsucht, der ich mich anschließe.
Die Reaktion des konservativen Teils der Weinwelt fällt wütend aus. Ein bekannter Verkoster eines Internetportals spricht beinahe wöchentlich Menschen (die er allerdings nie namentlich nennt) die Verkostungsbefugnis ab, weil sie ,Fruchtsüße nicht von Restzucker‘ oder ,Mineralik nicht von Phenolen‘ unterscheiden können, als käme es darauf an. Ein gelernter Journalist erklärte neulich auf Facebook, dass bloggende Weinhändler oder Sommeliers in etwa so problematisch seien, wie eine Nachrichtensendungen produzierende Bundesregierung – die Nerven scheinen blank zu liegen bei denen, die ihre Bedeutung schwinden sehen. Dazu zoffte sich die Weinwelt gleich mehrfach in diesem Jahr, ob die Verwendung des Begriffes ,lecker‘ dem Untergang der Weinkultur Vorschub leiste.
Die Demarkationslinie verläuft im Zickzack. Das präzise Messlabor findet sich im Mund von Profis wie Amateuren. Es gibt auch Hobby-Blogger die nicht müde werden zu erklären, wie ausgeprägt fein ihre Sensorik und unbestechlich ihre Punkteskala sei. Die von Dirk Würtz in seinem Blog und an anderer Stelle wiederholt ausgesprochene Einladung zu einer Blindverkostung zwecks Erbringung des Nachweises dieser herausragenden Fähigkeiten wird auch 2013 nicht angenommen werden, da wette ich eine der Flaschen Rüdesheimer Berg Rottland 2011, die der Würtz mir noch für meine zahlreichen Gastbeiträge auf seinem Blog schuldet (Achtung, Dirk: Zaunpfahl!).
Einer solchen öffentlichen Entzauberung bedarf es auch nicht mehr. Ich glaube, der Bann ist gebrochen. Gehört wird verstärkt derjenige, der auf ansteckende Art und Weise Gründe für seine Begeisterung liefert und nicht, wer am schneidigsten Verkosterfähigkeiten proklamiert oder Deutungshoheit beansprucht. Ich folge dem Weinzirkus jetzt gute sieben Jahre und es ist das erste Mal, dass ich den Eindruck gewinne, der Trend sei unumkehrbar. Darüber freue ich mich. Noch schöner wäre es, wenn die Entwicklung so von allen Teilnehmern aufgegriffen wird, dass alle Weinführer eine Zukunft haben und keine Arbeitsplätze verloren gehen. Aber damit das möglich wird, müsste der Gault Millau Markus Molitor erst mal die fünfte Traube verleihen…
Molitor_ZEltinger_SonnenuhrMarkus Molitor, Zeltinger Sonnenuhr, Riesling Kabinett trocken, 2007, Mosel. In der Nase mürber Apfel, etwas Aprikose, eine zarte Reifenote und Hefe, keine störenden Spontitöne. Am Gaumen zart, leicht aber nicht dünn, feine Säure, Apfel und Melone, ziemlich trocken, enorm mineralisch, leicht malzig, etwas kräutrig, mit viel Tiefe und sehr langen Abgang. 11,5% Alkohol sind völlig unauffällig.
Ich versuche mal, meine Begeisterung zu begründen: Dieser Wein ist leicht und verspielt aber dennoch von berauschender Intensität. Ihm mangels Konzentration die Größe abzusprechen, wäre wie Lionel Messi mangels Körpergewicht aus der Champions League auszuschließen. Vielleicht holen sich die Gault-Millau-Verkoster bei der nächsten Molitor-Probe Unterstützung aus der Redaktion des kicker. Dann klappt‘s auch mit der fünften Traube.

Der Feind des Guten

Als ich 2005 absehen konnte, dass ich bald über adäquate Lagermöglichkeiten für Wein verfügen würde, stürtzte ich mich mit Feuereifer auf lagerfähige und -bedürftige Weine, um mir Wissen und einen Vorrat anzueignen. Groß war der Frust, als ich feststellen musste, dass die lagerfähigsten Weine aus dem Bordelais stammen und ich die Zeit der bezahlbaren Weine leider um einige Jahre verpasst hatte. Der gerade ausgelieferte Jahrgang 2003 hatte eine gigantische Preissteigerung gegenüber Vorjahren erlebt und der wenig später zur Subskription angebotene Jahrgang 2005 brachte dreistellige Preise für Gewächse aus der zweiten und teils sogar dritten Reihe.
Ich tätigte eine kleine aber trotzdem viel zu hohe Investition in Weine aus Bordeaux, beschäftigte mich aber zusätzlich mit internationalen Weinen ähnlicher Machart, nur um auch bei Chiles Seña oder Kaliforniens Opus One auf dreistellige Flaschenpreise zu stoßen. Also blickte ich mich in Deutschland um. Vielstimmig war der Lobgesang auf deutsche Rotweine aus Cabernet und Co. und meine ersten Begegnungen mit Knipsers Cuvée X und den Weinen des Pfälzer Barrique-Forums waren durchaus vielversprechend. Allerdings nur, bis ich einen wirklich gelungenen Cru Burgois aus dem Medoc für weniger als 20€ und einige deutsche Starter parallel in einer Probe blind präsentiert bekam. Da war das Bessere der Feind des Guten und meine Begeisterung relativierte sich.
Bevor ich mir einen Plan zurecht legen konnte, wie ich das Problem lösen wollte, erledigte es sich von alleine: In einem seltenen Moment geistiger Klarheit gestand ich mir ein, dass ich Bordeaux und Vergleichbares gar nicht besonders mag. Pinot liegt mir viel mehr und außer zum Essen habe ich seit 5 Jahren keinen Bordeaux mehr aufgemacht. Den kleinen Turm aus Holzkisten in meinem Keller habe ich geflissentlich ignoriert – ich bin Weltmeister im Verdrängen und er steht praktischerweise in der hintersten Ecke.
Nun bricht der Markt für Bordeaux ein, und zwar gewaltig. Das bleibt mir nicht verborgen, thematisieren es meine Weinfreunde auf Facebook doch regelmäßig. Claret aus deutschen LandenDie Verdrängung muss also ein Ende haben. Um zu retten, was zu retten ist, verkaufe ich fleißig Rotwein bei ebay. Da bringt er mit Ach und Krach gerade die Subskriptionspreise von vor sechs Jahren. Neulich habe ich beim Sortieren einen deutschen Vertreter dieser Gattung gefunden. Ohne Hoffnung, dafür einen nennenswerten Erlös zu erzielen, habe ich ihn lieber selber getrunken, natürlich zum Essen. Mein Urteil ist nicht von Sachkenntnis getrübt (siehe oben). Doch ich fand ihn grandios. Vermutlich war es von Vorteil, dass ich bald ein Jahr keinen ,echten‘ Bordeaux mehr getrunken habe.
Jakob Pfleger,Edition Curator, Cuvèe Goldberg, 2005, Pfalz. In der Nase ein herrlicher Mix aus Schuhcreme, Cassis, Kirsche, Holz mit einem leichten Joghurt-Ton. Am Gaumen zunächst süß und saftig mit schönem Spiel (an der Säure sollt Ihr sie erkennen), dann recht feinem aber auch etwas rauem Tannin, schönes Mundgefühl, ordentliches Volumen, nicht zu fett, nach hinten raus mineralisch aber die ganze Zeit auch mit süßer Frucht (Cassis und Blaubeere). Sehr langer Abgang, moderat adstringierend und holzig. Toller Wein.

Der Ausflug war sehr schön

Ich hatte eine Affäre! Mit Dirk Würtz. Kurz war sie und heftig. Deswegen war hier so wenig zu lesen. Aber ich habe Schluss gemacht. Nun kann mein Leben weiter gehen. Ich habe den Kopf wieder frei.
Ich war ein paar Tage im Urlaub an der Mosel und habe unter anderem sechs Winzer besucht und ein paar Gastbeiträge für das Blog Würtz-Wein geschrieben. Gute und hervorragende Weine habe ich probiert. 2011 war ein sehr gutes Jahr an der Mosel, wenn auch kein ganz großes. Zwischendurch habe ich meine Eindrücke niedergeschrieben. Das war nervenaufreibend. Im Schnutentunker habe ich im Schnitt 50 Leser am Tag. Wer einen Rechstschreibfehler findet, darf ihn behalten. Mir ist hier nix peinlich. Bei Würtz-Wein verzeichneten meine Artikel mehr als 10.000 Seitenaufrufe am Tag. Da plagten mich Visionen von Heerscharen von Deutschlehrern, die die Kommentarspalten des Blogs mit Hinweisen auf fehlende Kommata füllen. Ich habe meine Ängste in Alkohol ertränkt, war zum Glück ein sehr guter Jahrgang, wenn auch kein ganz großer. Jetzt geht es hier wieder mit normaler Schlagzahl und in kleiner Auflage weiter. Auch wenn der Flirt mit der Reichweite ganz hübsch war, es hat Vorteile, vor sich hin zu werkeln.
Franzen, ,Der Sommer war sehr groß‘, Riesling trocken, 2011, Mosel. Die Lagencuvée ist vom Ausgangsmaterial eine Spätlese. Sie ist in der Nase herrlich fruchtig und absolut Rieslingtypisch mit Aprikose und Aloe Vera, überdeckt von ein bisschen Hefe. Am Gaumen wirkt der Wein ein bisschen mollig, weil die Säure dezent ist und er nur mittelmäßig trocken schmeckt. Schöne Frucht (Aprikose und Melone), ein bisschen Pistazie und eine sehr kräftige Mineralik – das ergibt einen wunderbaren Riesling. Der Abgang ist sehr lang.