Lieblingskinder

Als ich im letzten Jahr aus beruflichen Gründen nach Südeuropa zog, musste ich einige liebe Gewohnheiten aufgeben, unter anderem die, den ersten Sommerabend jeden Jahres mit einem frischen Wein des aktuellen Jahrgangs zu verbringen, bevorzugt einem Sauvignon Blanc vom Weingut Knipser. Immerhin konnte ich auf Weine älterer Jahrgänge zurückgreifen, denn ich hatte einen Teil meines Kellers mitgenommen. Nun bin ich wieder in Deutschland beheimatet, leider jedoch abermals fern meines Weinkellers. Nur mit einem einzelnen Lagerschrank ausgerüstet, musste ich im Frühjahr eine Auswahl treffen, welche Weine mich auf den nächsten Umzug begleiten.

Zu sagen es sei gewesen, als verlange man von einem Vater zu entscheiden, welche seiner Kinder er lieber habe, mag zwar übertrieben sein, aber nur ein ganz bisschen (weil kein halbwegs monogamer Mann auf diese Anzahl Kinder kommt). Jetzt gilt das Prinzip, dass für jede Flasche Wein, die ich kaufen kann, erst eine aus dem Schrank getrunken sein muss. Das schont den Geldbeutel und sorgt dafür, dass getrunken wird, was allmählich dem Verfall entgegen reift. Sehr praktisch und zielführend – aber es macht nur halb so viel Spass.

Um im Bild zu bleiben: die Verbindung mit Mutter Knipser war definitv besonders fruchtbar. Ich habe etliches im Keller gefunden, was seinen Weg in den Schrank fand und auch allerlei älteres. Da ich zum Sommeranfang gerne Sauvignon und Burgundersorten entkorke, bevor im Verlauf des Jahres der Rieslinganteil immer höher wird, waren die vergangenen Wochen regelrechte Knipser-Festspiele.

Knipser, Sauvignon Blanc, 2007, Pfalz. In der Nase ganz unaufdringlich, es dominiert Cassis, dazu kommen ein paar Kräuter. Auch am Gaumen ist das ein unaufdringlicher, schmeichlerischer Wein mit cremigem Mundgefühl – ein crowd pleaser ohne Ecken und Kanten. Am dritten Tag zeigt er sich stark verändert, deutlich knackiger. In der Nase Stachelbeere, Kräuter aber auch Aprikose – könnte blind als Riesling durchgehen. Am Gaumen immer noch Cassis und eine eher milde Säure aber auch Zitrus, dazu wirkt der Wein furztrocken und auch etwas kratzig, wie man es von Sauvignon Blanc erwarten darf. Das wirkt insgesamt straff, der Abgang ist recht lang und schön. Wunderbarer Wein, der keinerlei Altersschwäche zeigt.

Knipser, Sauvignon Blanc, 2009, Pfalz. Verkehrte Welt aber der 2009er ist deutlich säurebetonter als der 2007er. Über den gefühlten Stilwechsel habe ich mich schon ausgelassen, deshalb nur so viel: ich finde den 2007er besser, womit ich mich mal wieder als Mainstream-Weintrinker oute. Die Nase ist klasse: Apfel, Grapefruit, Stachelbeere, Zitronenmelisse, Salbei und ein leichter Stinker von angeschlagenem Feuerstein. Am Gaumen aber ist der Wein von zu heftiger Säure geprägt: sehr schlank, Stachelbeere, Orange, ein bisschen kratzig. Dazu kommt ein Ton, den ich mal als Gemüsebrühe bezeichnen möchte. Der Abgang ist mittellang. Zweifellos ein guter Wein aber für mich nur zweiter Sieger.

Knipser, Grauburgunder Spätlese, 2007, Pfalz. In der Nase Aloe Verea, sehr blumig, süßlich und ein wenig nussig. Am Gaumen ist der Graunburgunder ein Schmeichler: ein bißchen süß, cremig, voll und weich mit sehr milder Säure und Apfel, Birne und Quitte. Auch am Gaumen kommt ein bisschen Haselnuss ins Spiel und ein wenig Holz. 13,5 % Alkohol spielen sich im sehr langen Abgang etwas in den Vordergrund. Am dritten Tag legt der Wein an Komplexität zu, wirkt dann rauchig und tief. Anfänglich fand ich ihn lecker aber simpel, mit reichlich Luft wird er zunehmend spannend.

Auslese Drei Stern 2002Knipser, Chardonnay trocken ***, 2002, Pfalz. Die Nase ist nicht mehr schön, etwas welk, sehr viel Sauerkraut, kaum noch Frucht, vielleicht ein bisschen Mandarine, etwas kräutrig und käsig. Am Gaumen ist der Wein aber noch recht intakt: Mandarine, Birne, Haselnuss, frische Säure, etwas Mineralik, viel Volumen und ein kräftiger Kuss vom Holz. Der Abgang ist lang und fein, der Alkohol von 13 % sehr ordentlich integriert. Am zweiten Tag macht der Chardonnay dann schlapp. Dies ist meine dritte oder vierte Flasche in den letzten vier Jahren und ich habe den interessanten Reifeverlauf eines manchmal großen Weines schmeckend begleiten dürfen. Dass die letzte Flasche den Höhepunkt knapp überschritten hat, kann ich verschmerzen.

K(l)eine Geschichten zu Großen Gewächsen (5)

Manchmal gibt es gar nicht so viel zu erzählen zu den Weinen, die ich trinke. Hier sind drei, die ich aber keinesfalls unterschlagen möchte.

Ich gebe zu, dass es mir unmöglich ist vorurteilsfrei an einen Christmann-Riesling heranzugehen. Ich habe so selten – vielleicht auch noch gar nicht – einen Riesling von diesem Gut getrunken, der mir verständlich machte, warum es über so großes Renommee verfügt (beim Spätburgunder bin ich bekehrt). Aber dieser Wein ist ein Anfang. Ich finde ihn besser als das Riesling GG aus dem IDIG aus gleichem Jahrgang und er ist gemessen am Spass im Glas vernünftig bepreist.

Riesling Mandelgarten GG 2005Christmann, Riesling Mandelgarten GG, 2005, Pfalz. In der Nase ganz klassisch und jahrgangstypisch: reife Aprikose, Pistazie, süßlich und etwas breit aber verführerisch und mit einem Hauch Petrol. Am Gaumen ein sattes Pfund, das aber nicht übertrieben daher kommt: wieder reife Frucht von Apfel und süßer Aprikose. Der Wein ist barock und ausladend. Da er aber auch extrem mineralisch, fast kreidig ausklingt und die Säure immer noch akzentuiert ist, finde ich ihn sehr harmonisch. 13 % Alkohol sind prägend aber nicht dominant. Der Mandelgarten kleidet den Mund aus, ist gereift und würzig aber nicht zu schwer. Im Kontext ,Pfalz 2005‘ ist er ein feiner und sehr gut gelungener Riesling, der mit seinem ewig langen Abgang zusätzliche Punkte sammelt.

Und noch ein Wein, dessen Etikett mich nicht unberührt lässt: über Chat Sauvage ist schon viel geschrieben worden, in der Presse überwiegend positiv, in Blogs und auf Facebook eher verhalten. Ersteres mag an den tiefen Taschen des Inhabers, eines Bauunternehmers aus Hamburg, liegen, die manch Verleger Hoffnung auf bezahlte Anzeigen machen (da sollte die Berichterstattung nicht allzu kritisch sein), letzteres vielleicht an Neid und Missgunst, der erfolgreichen Menschen hierzulande viel zu häufig entgegenschlägt. Allerdings darf sich Chat Sauvage Eigner Schulz nicht wundern, dass sich manch Winzer der 11. Generation ein wenig angepinkelt fühlt, wenn er in der Zeitung lesen darf, sein neuer Nachbar würde mal eben das ,Deutsche Romanée-Conti‘ aufbauen, nachdem er die ersten 50 Jahre seines Lebens Kalk nur als Baustoff kannte. Mir soll‘s egal sein, ich trinke nur Wein – und dieser hier hat den Wow-Faktor.

Chat Sauvage, Assmannshäuser Höllenberg, Spätburgunder Erstes Gewächs, 2006, Rheingau. In der Nase Rauch, Speck, Himbeere, Brombeere, Kirsche sowie ein bisschen Sauerkraut, jedoch unter der Grenze zum Unangenehmen. Am Gaumen von mittlerem Volumen und mit einer tollen Mischung aus süßer Frucht (Kirsche und Himbeere), kräftiger Säure und sehr geschmeidigem Tannin – das ergibt diese Saftigkeit, bei der ich mich immer in Acht nehmen muss, nicht die ganze Flasche an einem Abend zu leeren. Das Holz und der Alkohol tun das, was sie sollen: dem Wein etwas Kontur verleihen ohne sich in den Vordergrund zu spielen. 13 % Alkohol sind zudem sehr verträglich. Der Abgang ist sehr lang und verhalten mineralisch. Um groß zu sein, mangelt es dem Spätburgunder an Tiefe, ein großes Vergnügen ist er auf jeden Fall.

Den folgenden Wein hatte ich – Etikett hin oder her – abgeschrieben und weil für 23 Jahre alte Tropfen gilt, dass jede Flasche unterschiedlich schmeckt, einfach beschlossen ihn nicht weiter zu erwähnen. Das war um so bedauerlicher, weil er von Bernhard Fiedler stammt – genau genommen von Bernhards Herrn Papa, denn ich vermute, als der `89er entstand, hat Bernhard noch am Abi gebastelt (Oh verzeihen‘s Herr Geheimrat, Matura natürlich!). Doch nach schlappen 6 Tagen im Kühlschrank (offene Flasche) trat eine Wandlung zum (sehr) Guten ein, die es wert ist, beschrieben zu werden.

Grenzhof Fiedler, Neuburger Ausbruch, 1989, Neusiedlersee/Hügelland, Österreich. In der Nase Aceton, Kaffee, Karamell, keine Frucht, stattdessen jede Menge Würze. Am Gaumen Kaffee, Toffee, Karamell, etwas Apfel und Aprikose, sehr süß wenngleich immer noch mit schöner Säure. Insgesamt etwas klebrig, im Abgang wenigstens würzig – dieser Abgang ist für einen ,Ausbruch‘ jedoch etwas kurz. Ziemlich lecker aber jetzt auch über den Zenit – soweit mein Eindruck am ersten Tag. Der Rest stand 6 Tage im Kühlschrank (zum Wegschütten zu schade, zum Unter-der-Woche-trinken nicht spektakulär genug), bevor ich ihn wieder probierte. Und der Wein roch plötzlich intensiv nach Honig, am Gaumen zeigt sich rosinige Frucht, die Süße ist nicht mehr klebrig, Toffee und Kaffee sind immer noch dabei, Madeira lässt grüßen. Der Wein ist alles andere als über den Zenit – eher ein vergleichsweise frisches Altweinvergnügen – alte Weine muss man allerdings mögen, um sich an dieses Cola-farbene Getränk zu wagen.

Wie die Jungfrau zum Kinde

Als ich vor einigen Jahren meine erste Weinreise an die Mosel unternahm, wurde ich an der Pforte eines bekannten Weingutes vom Hofhund fast über den Haufen gerannt. Ich solle mir keine Sorgen machen, beruhigte mich der herbeigeeilte Hausherr, der beiße ,nur Flachlagenwinzer und Chardonnaytrinker‘.

Das beschreibt die Hierarchie wohl ganz gut. Riesling, Steillage – wer es sich leisten kann, betreibt an der Mosel seinen Job puristisch. Weiß- und Spätburgunder sind akzeptiert, Dornfelder und Rivaner für die Belgischen Touristen zumindest geduldet, Sauvignon und Chardonnay sind was für Außenseiter.

In der semipuristischen Welt (Riesling Steillage plus Touristendornfelder) angesiedelt ist auch das Weingut Ludwig Thanisch & Sohn. Dass ich den schlanken Stil des Hauses sehr schätze, habe ich schon mehrfach erwähnt – ebenso wie gut ich den Weissburgunder finde und auch, dass ich dem Hause freundschaftlich verbunden bin. Als ich im April mit dem Winzer telefonierte um nach dem zu erwartenden Jahrgang zu fragen, erfuhr ich unerhörtes: aufgrund eines Koppelgeschäftes bei der Weinbergspacht gelangte das Gut letztes Jahr in den Besitz einer Parzelle Schieferboden, die mit Chardonnay bestockt ist und die es künftig vor dem Verwildern zu bewahren gilt um eine andere – heiss begehrte – Riesling-Parzelle nutzen zu dürfen. Das spült dem Weingut in absehbarer Zukunft jährlich rund 1000 Liter Chardonnay in den Keller.

Ohne genaue Vorstellung, was daraus werden soll (so meine Interpretation seiner Ausführungen), hat Winzer Thanisch diesen Winter seinen Erstling produziert. Der Most wurde zu 80% im Stahltank, der Rest in einem gebrauchten Barrique ausgebaut. Vergoren wurde er zunächst spontan – und die Aromen im Wein sind teiweise jungen Thanisch-Rieslingen so ähnlich, dass ich einmal mehr an die Dominanz der kellereigenen gegenüber den weinbergseigenen Hefen glaube – bevor er zusätzlich mit Reinzuchhefen beimpft wurde um sicherzugehen, dass er auch wirklich durchgärt. Halbtrockenen Chardonnay trinken wohl nicht einmal die Belgischen Touristen, da wollten die Thanischs kein Risiko eingehen. Während der rund halbjährigen Tank-/Fassreife wurde die Hefe regelmäßig aufgerührt. Gefüllt wurde er vor wenigen Wochen – in der Burgunderflasche unter Schraubverschluss – und ist seitdem für 8,50 Euro unter dem Namen ,Chardonnay Zero‘ zu haben.

Drei Tage lang habe ich mich mit dem Wein vergnügt. Mit reichlich Belüftung und knapp zweistelliger Trinktemperatur gefiel er mir am besten. Es ist ein Wein für Moselallergiker, weil er die Charakteristik der Mosel ohne das Schreckgespenst ihrer Säure transportiert und ein Wein für Chardonnayverächter, weil er die Charakteristik der Sorte (sogar in ihrer holzausgebauten Form) ohne ihre manchmal zügellose Wucht rüberbringt. Der ,Zero‘ ist ein Wein für Laien, weil man ihn einfach locker schlorzen kann und ein Wein für Kenner, weil man damit definitiv alle Klugschieter im Freundeskreis aufs Glatteis führt. Ähnlich wie Stefan Steinmetz auf der gegenüberliegenden Seite des Flusses dem Merlot eine Moseltypizität einzuhauchen vermag, gelingt es Thanisch hier beim Chardonnay – so zumindest meine bescheidene und vermutlich nicht völlig unparteiische Meinung.

Thanisch (Ludwig Thanisch & Sohn), Chardonnay Zero, 2011, Mosel. In der Nase zunächst zarter Blütenduft, Eisbonbon und Litschi mit mehr Luft etwas Chardonnay-typischer: Birne, Haselnuss, Quitte, auch etwas blonder Tabak, ein bisschen Holz. Am Gaumen ist der Wein von mittlerem Volumen und angenehm cremiger Textur. Der Chardonnay hat nur vierkommairgendwas Gramm Säure, wirkt aber viel knackiger, was daran liegen mag, dass er auch nur einskommanochwas Gramm Restzucker aufweist. Letztere wiederum mag man kaum glauben, weil der ,Zero‘ so viel süße Frucht präsentiert. Ein kleines Aromenfeuerwerk brennt er mit einem Tag Belüftung ab: Apfel, Birne Haselnuss, Marzipan, Butter, und sogar etwas Schokolade, eine kleine Spur Holz und Rauch. Im sehr langen Abgang macht sich eine schöne Mineralik breit. 13 % Alkohol sind stimmig für diesen Wein. Ich finde ihn sehr gelungen und vor allem originell.

Bibergipfel

In der Gastronomie dominiert noch der Jahrgang 2010, daheim traue ich mich zunehmend an die 2007er heran – für mich als Rieslingtrinker herrschen säurereiche Zeiten. Kein Wunder, dass mein Magen mir da immer öfter zuruft: ,Mach mal cremig, Digger‘ (mein Magen und ich pflegen einen recht formlosen Umgang). Und cremige Weine sind in meinem Keller vor allem im Holzfass ausgebaute Weissweine aus Burgundersorten. Drei davon gab es in den letzten Wochen, die mich richtig glücklich gemacht haben.

Strahlender WeißburgunderDönnhoff, Weissburgunder -S-, 2007, Nahe. In der Nase wunderbar, typisch, Mandarine, Haselnuss, Holz, Nougat, cremig aber nicht zu breit oder fett. Am Gaumen mit kräftiger Säure, spürbarem Holz, schöner Frucht (Ananas, Mandarine), etwas Mineralik. Ein Weissburgunder mit viel Tiefgang, der dank der Säure straff wirkt, obwohl er reichlich Holz mitbringt. Der Abgang ist ausgesprochen lang. Stärker als 2006 aber nicht so grandios wie 2005, der allerdings auch seinesgleichen suchte. In der diesjährigen Preisliste taucht bei Dönnhoff erstmals ein Chardonnay auf neben einfachem und S-Klasse Grau- und Weissburgunder sowie dem tollen Doppelstück.. Ich hab bestellt und bin gespannt. Dönnhoff wird für mich mehr und mehr zu Deutschlands weißem Burgunderpapst, was irgendwie albern klingt, ist er doch schon Rieslingguru und kommt auch noch von der Nahe.

Schloss Proschwitz, Weißburgunder ,Drei Musketiere‘, 2005, Sachsen. Hier ist der Burgunder für mich schon eher zuhause. Aber die Herkunft gibt keinen Bonuspunkt, den gebe ich der Nase: Der Wein riecht nach Nutella und ich mag Nutella! Zusätzlich findet sich Räucherkammer, blonder Tabak, Aprikose und Birne – süß, schön aber ganz schön zugeholzt. Am Gaumen gefällt eine feine aber spürbare Säure, Aromen von Haselnuss, Mandarine, Birne, Toffee – und ganz schön viel Holz. Der Weissburgunder ist mächtig aber nicht brandig. Der Kellermeister hat der Versuchung widerstanden, den Wein aufzupumpen und so sind 13% Alkohol bestens eingebunden. Überhaupt ist in diesem Wein alles ganz wunderbar integriert und gereift. Der Abgang ist cremig, wahnsinnig lang und betont Toffee und Sahnekaramell – furchtbar lecker.

Arrowood, Grand Archer, Chardonnay, 2000, Sonoma County, Kalifornien. Ein wenig skeptisch bin ich bei den deutschen Burgundern hinsichtlich der Alterungsfähigkeit. Was ich bisher an zehn und mehr Jahre alten Weinen getrunken habe, war eher unter dem Gesichtspunkt ,für sein Alter‘ als guter Wein zu bezeichnen. Doch ähnliches hat man wohl auch mal den Kaliforniern nachgesagt, als die den Franzosen Konkurrenz machten. So lauten zumindest die Geschichten, die die Altvorderen mir überlieferten. Dieser hier ist was die Alterungsfähigkeit anbelangt längst in einer olympischen Klasse unterwegs. In der Nase Holz, Haselnuss, Aloe Vera und Quitte. Der Wein duftet noch sehr frisch wenngleich nicht mehr jugendlich. Auch am Gaumen geht‘s dynamisch zur Sache, Die Säure ist spritzig, der Wein aber vor allem cremig (!), der Alkohol liegt bei moderaten 13,5 %, was der kräftige Kalifornier locker wegsteckt. Sortentypische Aromen in harmonischem Zusammenspiel: Mandarine, Melone, Pistazie und Rauch. Der Wein hat eine kräftige Portion Holz abbekommen aber die hat er mittlerweile bestens verdaut. Der Abgang ist lang und ein wenig mineralisch. Ich finde den Wein genial und glaube, dass er noch etliche Jahre durchhalten wird. Eine Flasche habe ich noch und werde berichten, spätestens, wenn mein Magen mir beim Genuss der 2008er Rieslinge in ein paar Jahren ein ,Mach mal cremig, Digger‘ zuruft.

Wenn ich der VDP wäre

Weinbaupolitik und Bezeichnungsrecht sind meine Sache nicht. Ich kümmere mich gerne um den Inhalt der Weinflasche, das regulatorische und gesetzliche Drumherum interessiert mich weniger. Deswegen halte ich mich aus Diskussionen auf Facebook und in anderen Blogs zurück, sobald es sich darum dreht, ob eine Spätlese immer süß sein sollte oder das Erste Gewächs im Rheingau seinen Titel zu Unrecht trägt.

Eine Ausnahme gibt es und die ist das Marketing. Ich betreibe die Absatzförderung beruflich und kann mich für geschickte ,Verkaufe‘ auch privat begeistern.

Während der durchschnittliche Winzer der Meinung ist, man kann nur entweder guten Wein oder gutes Marketing machen, mithin einem Kollegen dann gutes Marketing attestiert, wenn er ihn beleidigen will, empfinde ich gutes Marketing als Sahnehäubchen – ein großer Tropfen verdient eine gute Story, Ausstattung und Handhabung. Diesbezüglich haben die Deutschen Winzer große Fortschritte gemacht, als sich rund zweihundert von ihnen vor gut zehn Jahren das Grosse Gewächs ausdachten.

Ein bis zwei Dutzend Spitzenwinzer (von denen die meisten auch zu den vorgenannten zweihundert gehören) setzen noch einen drauf, indem sie seltene Spitzengewächse aus kleinen Untereinheiten der den Grossen Gewächsen zugrunde liegenden Lagen produzieren oder über dem GG noch mythische trockene Auslesen positionieren. Ich habe hier gegen ,Parzellenweine‘, wie ich sie nannte, polemisiert, möchte aber Abbitte leisten – die haben eine Wirkung entfaltet, die mir Respekt abnötigt. Und weil das eine großartige Marketingleistung ist, konnte es nur eine Reaktion geben: abschaffen.

Viel wurde diskutiert über den zum Beispiel hier erläuterten Beschluss des VDP über die künftige Klassifizierung von Lagen. Ich habe keine Ahnung, ob die Einführung von klassifizierten Lagen und der Rest der Qualitätspyramide gut oder schlecht sind. Das sollen die Winzer unter sich ausmachen. Aber eines will ich seit Monaten loswerden (ich brauche immer einen passenden Wein zu einem Artikel und der kam halt erst jetzt an die Reihe). Der Beschluss des VDP sieht vor, dass es nur noch einen trockenen Spitzenwein aus den Ersten Lagen gibt und der ist das Grosse Gewächs. Da gehe ich im Geiste die Liste der ehrfurchtgebietendsten trockenen Deutschen Weine und ihrer Herkunftslagen durch. Rheingau: Künstler Hölle Auslese trocken Goldkapsel – mit diesem Beschluss verboten (weil nur noch Hölle GG), Rheinhessen: Keller G-Max und Abtserde sowie Wittmann La Borne – weg damit (weil aus irgendwelchen Parzellen in Kirchspiel, Morstein, Hubacker oder so stammend), Nahe: Emrich-Schönleber Versteigerungswein A.d.L. trocken – abgeschafft (weil aus dem Halenberg), Mosel: Heymann-Löwenstein Uhlen B, L & R, Busch Pündericher Marienburg Raffes etc. – gekillt (eine Lage – ein GG), Pfalz: Koehler-Ruprecht Kallstadter Saumagen Auslese trocken R – hinüber (,R‘ und Riesling? Nicht im VDP). Die Liste ließe sich tatsächlich fortsetzen.

Im Handstreich mäht der VDP seine Elite nieder und die stimmt auch noch auf der entsprechenden Versammlung dafür. Oh Herr, schmeiss Hirn vom Himmel.

Doch ich glaube nicht, dass es tatsächlich so kommen wird. Der VDP hat sich das Hintertürchen der ,Sonderregelungen‘ offen gelassen und sie werden geschlossen den Weg der Rheinhessischen Pharisäer (GG predigen, G-Max trinken!) beschreiten. Ich wage die Prophezeiung, dass nicht einer der genannten Weine der neuen Regelung zum Opfer fallen wird.

Wie hätte der Verband es anders machen können? Ich versuch es mal (denn Marketing ist meine Leidenschaft). Wenn ich der VDP wäre, dann hätte ich neben der dritten Lagenkategorie gleich noch eine vierte beschlossen. So wie es im Bordelais neben Premier und Grand Cru eine kleine Elite von Premier Grand Cru gibt, hätte ich auch eine rare Klassifikation erfunden. Die ,Große Lage – Historisches Terroir‘ – mithin etwas, dass es mal gegeben hat, was aber verloren ging, spätestens als anno `71 einige Tausend Lagen gestrichen wurden. Da steckt Marketing-Musik drin: die Wiederentdeckung des Alten, das Aufbäumen gegen den Amtsschimmel, das Ausselektieren des Besten und Besonderen. Und noch ein Vorteil ist nicht zu verachten: anders als das GG könnte man den Begriff ,Historisches Terroir‘ bestimmt als Marke eintragen lassen.

Dann produzierte ich eine kleine Landkarte mit Erklärungen über die Besonderheiten der Superparzellen, die Auswahl grenzte ich streng ein, die Qualitätskriterien wären selbstredend brutal. Eine eigene kleine Kommission (in der zufällig alle begüterten Winzer säßen) entschiede jedes Jahr am 1.Oktober, ob der Jahrgang der Produktion der Historischen Terroirs würdig ist. Und – da müsste manch Winzer eine Kröte schlucken – alle HT‘s (wie wir Freaks sie in kürzester Zeit abkürzten) wären Versteigerungsweine – die Auktion selbstredend ein Event der Superlative, bei dem Robert Parker demütigst um eine Eintrittskarte bettelte.

Die Auslese trocken R oder Goldkapsel kriegte ich damit nicht hin, aber was soll‘s, wir finden in den entsprechenden Lagen bestimmt eine Parzelle mit altertümlichen Namen, von der sich behaupten lässt, sie sei von jeher der Ursprung der Überweine gewesen. So macht Marketing Spass, lieber VDP!

Muss am Ende nur noch die Weinqualität stimmen, dann steht der Weltherrschaft nix mehr im Wege.

K.P. Keller, Riesling Abtserde GG, 2006, Rheinhessen. Der Wein entspricht in der Nase und am Gaumen in keiner Weise meinen Erwartungen. Das ist positiv und negativ: er ist nicht würzig oder zeigt irgendwelche anderen Anzeichen einer würdigen Kellerreife, er ist aber auch nicht unsauber, wie die meisten 2006er Rieslinge. Am Gaumen zeigt er nicht ansatzweise die Komplexität, die ich mir von einem Spitzenwein erhoffe. Er ist schnell beschrieben: In der Nase grüßt ein schöner purer Duft von reifen Aprikosen. Am Gaumen ist die Frucht reif aber klar, süß aber nicht mastig, 13% Alkohol sind gut eingebunden: Mineralik, Kräuter, Würze – samt und sonders Fehlanzeige. Aber der Stoff ist – vergessen wir für einen Moment die Weinsprache – mörderlecker! Der Abgang ist lang und fruchtig, die Versuchung die ganze Flasche an einem Abend zu trinken riesig, das schlechte Gewissen, über 50€ für die Flasche bezahlt zu haben aber auch. Aber das Marketing ist klasse!