Völker der Welt, schaut auf diesen Wein!

Weinbau ist die einzige mir bekannte Branche in der Konsumenten Produzenten dafür beschimpfen, dass sie ihre Bedürfnisse befriedigen. ‚Gefällig‘ ist in den Kreisen der Weinverrückten, von denen ich mich nicht einmal halbherzig zu distanzieren vermag, alles andere als ein Lob für einen Wein. Hierbei finden wir uns in seltener Übereinstimmung mit unseren angelsächsischen Vettern, bei denen der ‚Crowd Pleaser‘ auch kein Ausdruck uneingeschränkter Begeisterung ist.

Die erfolgreichsten Produzenten sind diejenigen, welche aktuelle Verbraucherbedürfnisse mit Weinen befriedigen, die sie zusätzlich mit hochtrabenden Geschichten zu nonkonformistischen Heldentaten aufzujazzen vermögen. Einen Penfolds Grange würde niemand von der Bettkante schubsen, egal ob Profi oder Gelegenheitsweintrinker. Und vollreife Rieslinge trumpfen ob des späten Lesezeitpunktes regelmäßig mit jener milden Säure auf, die auch Rieslingskeptiker befriedet, wenngleich niemand zugeben würde, dass das ein Beweggrund für die Wahl des Erntetermins ist.

Ich bin kein Deut besser. Auch wenn ich das plötzlich allgegenwärtige Attribut ‚salzig‘ für einen Ausdruck kollektiver winzerlateininduzierter Autosuggestion halte, bin ich gegen ‚abgrundtiefe Mineralik‘ nicht immun. Ich mag‘s komplex und kompliziert, falle aber trotzdem auf dienende Restsüße herein. Nur manchmal setzt sich mein Massengeschmacks-Gen durch und der Uhlen R 2006 geht mir ob mastiger Reife und massiven Restzuckers beim vierten Schluck gegen den Strich, wie im vorrangegangenen Artikel beschrieben. Bei aller Tiefe wär‘s mir dann etwas flacher und trockener lieber.

Es war ein Zufall, dass der nächste Wein nach dem Uhlen ein ‚Basiswein‘ vom gleichen Erzeuger war. Der Riesling ‚vom blauen Schiefer‘ aus dem Jahr 2007 bietet von allem etwas weniger. Er ist auch aus hochreifem Traubenmaterial gekeltert aber eben weniger dick, mit weniger (gar keiner?) Botrytis, und viel weniger Restzucker. Ich fand den Wein deutlich besser – fast groß. Es ist ein ‚Crowd Pleaser‘ – aber was sagt das schon? Vielleicht bin ich bekloppt aber nicht bekloppt genug? So sei es. Mein Bankkonto dankt!

Heymann-Löwenstein, Riesling ‚vom blauen Schiefer‘, 2007, Mosel. In der Nase reifer Apfel und Aprikose aber vor allem ganz ganz viel Sahnekaramell; am Gaumen saftig, mit vollreifer Frucht (Ananas), milder Säure aber abgrundtiefer (haha!) Mineralik. Was an Säure fehlt, wird durch die Mineralik ausgeglichen, so dass der ‚vom blauen Schiefer‘ ein schönes Spiel zeigt. Der Wein ist vollmundig aber nicht fett, halbtrocken aber nicht zu süß und im Abgang wahnsinnig lang. Ich fand ihn zum Niederknien.

Und neben mir knien die Massen – stört mich nicht.

Das Leitmotiv

Ein Jubiläum und ein Wochenende als Strohwitwer waren Anlass und Gelegenheit, einmal in meinem Blog zu stöbern und zu schauen, was eigentlich die unbewussten Leitmotive meines Schnutentunkers sind, womit ich nicht Riesling und Spätburgunder meine, sondern immer wieder thematisierte Aspekte von Weinen und Weingenuss.

Eines habe ich identifiziert: die Traubenreife und hierbei als besonderen Aspekt die Überreife. Sowohl Riesling als auch Spätburgunder bieten dem Winzer ein vergleichsweise langes Erntefenster. Während die meisten Rebsorten früh gelesen grün und spät geerntet marmeladig wirken, ergeben meine Lieblingsrebsorten in diesen Zuständen völlig unterschiedliche Weine. Ein schlanker, knackiger Riesling Kabinett hat mit einem Botrytis-geprägten Brummer wenig gemein, analog der Spätburgunder.

Während ich schlanke Kabinette eigentlich immer genieße, hängt meine Reaktion auf dicke Rieslinge stark von der Tagesform ab. Trotzdem ist mein Keller voll mit Weinen von Winzern wie Löwenstein oder Molitor, die noch in ihren Weinbergen rumkriechen und verwertbares Traubenmaterial suchen, wenn andere Winzer schon den Weihnachtseinkauf in Angriff nehmen. Es ist eine Art Hassliebe: Wenn Wein und Stimmung zusammenpassen, bieten die Weine dieser Erzeuger mir den größten Genuss.

Dazu passend hatte ich dieser Tage gleich drei Weine im Glas, die sehr stark von der hohen Reife ihres Ausgangsmaterials geprägt sind. Den Anfang machte der König der Überreife – diesmal ein eher durchwachsenes Erlebnis.

Heymann-Löwenstein, ‚Uhlen R‘ Riesling QbA, 2006, Mosel. In der Nase erinnert der Wein an einen fetten Wachauer: Honig, Aprikose, Marzipan, Rosmarin – da ist unverkennbar Botrytis im Spiel. Am Gaumen zeigt der Wein nur eine zurückhaltende Säure, dafür eine überbordende Mineralik, was insgesamt ein schönes Spiel mit dem relativ hohen Restzucker ergibt. Das ist eine schöne feinherbe Auslese, auch am Gaumen von etwas Botrytis geprägt, die Würze und ein wenig Schärfe mitbringt. 12% Alkohol sind hervorragend eingebunden. Im langen Abgang zieht die Mineralik dann aber irgendwann gegen den Zucker den Kürzeren – es wird klebrig.

Man kann dem Wein nicht die Qualität absprechen, das sind sicher 90 Punkte im Glas und das völlig stimmungsunabhängig. Allerdings bin ich wohl nicht der einzige, dem bei aller anfänglichen Begeisterung ab dem zweiten Glas der Zucker auf den Zeiger geht – um es mal auf Deutsch zu sagen.

P.S. Die Kollegen von nur ein paar Verkostungen hatten ihn zufällig parallel im Glas. Deren Bericht gibt es hier.

Geburtstagswunsch

Wenn mich mein Email-Anbieter nicht zum Jahrestag der Anmeldung meines Schnutentunker-Kontos mit Treueangeboten bombardieren würde, verschwitzte ich den Geburtstag meines Blogs wohl einfach. Es ist schon wieder ein Jahr vergangen, Zeit für ein weiteres Zwischenfazit. Eigentlich hat sich nichts geändert, seit meiner letzten Rückschau. Zumindest nicht, was dieses Blog betrifft. Geburtstagswunsch weiterlesen

B wie Brot&Butter

Das Thema dieser Ausgabe der Weinrallye, vom Weinreich-Blog ausgetragen, ist für mich eigentlich eines zum Pausieren: In meinem Keller finden sich vermutlich so viele Brot-und-Butter-Weine wie Trachtenjanker in der Technodisko. Ich bin bei den Winzern eher für die Wurst zuständig.

Von einigen Moselwinzern wie Jörg Thanisch oder Stefan Steinmetz habe ich das ganze Sortiment im Keller. Doch sind das klassische Kollektionen: Kabinett, Spätlese, Auslese. Da müsste ich den Brot-und-Butter-Wein erst recherchieren. Ich stelle mir das spannend vor. Anruf im Weingut: Guten Tag Herr Thanisch, können wir kurz über den Deckungsbeitrag Ihres Kabinetts sprechen, ich möchte da was im Internet veröffentlichen…

Also bleibt wieder nur der Spätburgunder, bei dem ich mich ja erst kürzlich als Liebhaber des Einfachen geoutet habe. Im Rotwein-Kellerbuch fand ich denn auch den geeigneten Kandidaten: den Spätburgunder ‚B‘, weithin verfügbarer, gehobener Einstiegswein von Pinot-Papst Friedrich Becker. Dass er ‚B‘ heißt, wie Becker oder Burgunder, hatte ich immer als etwas plump empfunden. Aber jetzt hab sogar ich es begriffen: das ‚B‘ steht in Wahrheit natürlich für Brot und Butter. Ich Dummerchen…

Friedrich Becker, Spätburgunder ‚B‘, 2007, Pfalz. In der Nase ist der Wein sehr Deutsch (auch wenn ein Teil der Trauben aus Frankreich stammt): Holz, Kirsche, Pflaume, gekochte Beeren und Rauch. Ein Jahr lag der Wein in kleinen Holzfässern aber ich möchte wetten, dass das weitgehend als Nachmieter geschah, denn am Gaumen halten sich Frucht und Holz die Balance. Es sind durchaus ein paar dunkle Teer-Aromen vorhanden (nicht dass ich schon mal in Teer gebissen hätte, aber wer je einen ‚dunklen‘ Spätburgunder oder Barolo getrunken hat, erahnt, was ich meine) aber es steht dem einiges an Frucht gegenüber: Kirsche und Himbeere, gepaart mit einer feinen Säure. Der Abgang ist lang. Mineralisch fand ich den Wein eher nicht aber Hey, das ist auch nur der Brot-und-Butter-Wein. Dafür ist der ‚B‘ schon ziemlich großes Kino.

Simple Genüsse (3) – Olé!

Mein (Wein-)Leben besteht nicht nur aus Großen Gewächsen sondern auch aus Alltagsweinen. Einige davon sind erwähnenswert, über andere decke ich den Mantel des Schweigens. Hier ein paar Kurznotizen zu Weinen, die ich jüngst getrunken und auf die eine oder andere Weise für besonders befunden habe. Dieses Mal stammen alle drei aus Spanien.

Descendientes de J. Palacios, Petalos, 2008 DO Bierzo, Spanien. In der Nase Blaubeere, Brombeere und eine grüne Note (an Tomatenpflanzen erinnernd). Am Gaumen zeigt der Wein mittleres Volumen, recht sperriges Tannin, das sich mit etwas Belüftung zähmen lässt, schöne Blaubeerfrucht und eine leichte Mineralik. 14% Alkohol und der Barrique-Ausbau integrieren sich sehr gut. Als Essensbegleiter glänzt der Tinto Mencia (so der Name der Rebsorte, aus der der Petalos gekeltert wird), weil er zwar wuchtig aber nicht überkonzentriert wirkt. Ein wundervoller Rotwein, den diverse Weinführer, wie ich finde zu Recht, regelmäßig mit Punkten überschütten.

Casa de Mein, Viña Mein, 2008, Ribeiro, Spanien. Die im Barrique vergorene Cuvèe aus fünf autochtonen Rebsorten erinnert mich in der Nase an Chardonnay (wenngleich ich alles andere als ein Chardonnay-Experte bin): Florale Noten, Birne, Molke, Toast und Holz. Am Gaumen ist der Wein stark vom Barrique-Ausbau geprägt, ohne überholzt zu sein. Weich, schmelzig, buttrig und mit Aromen von Pistazie und Aprikose, schmeichelt der sehr trockene Wein mit nur 12% Alkohol. Sehr langer Abgang. Das ist ein Wein mit dem gewissen etwas, das bei mir den 90-Punkte-Reflex auslöst.

Finca Museum, Museum Real Reserva, 2004, DO Cigales, Spanien. In Sevilla für 35€ auf der Speisekarte eines ordentlichen Restaurants gefunden, einen Abend mit meiner besseren Hälfte dran festgehalten und nebenbei im Kopf ein paar Notizen formuliert (ich erwähnte schon mal, dass meine Frau sehr tolerant mit meinem Weinfimmel umgeht?). Der Wein riecht nach Kirsche und Marzipan, am Gaumen sehr schön strukturiert, 14% Alkohol, Tannin und Holzausbau sind gut integriert, Kirscharoma auch hier, gepaart mit Pflaume. Leicht mineralisch im langen Abgang, sehr weich trotz spürbarer Säure. Dieser Tinta del Pais, wie der Tempranillo in Cigales heißt, braucht sich vor der Konkurrenz aus den bekannteren Gebieten Spaniens nicht zu verstecken. Klassewein, wenngleich ich als Nebenberufsöko das massive, metallene Etikett eine echte Umweltsünde finde.