…sollten Sie sich hierher begeben haben, weil Wolfgang Lechner Sie dazu animierte, muss ich Sie warnen: Ich berichte zwar oft darüber, was ich gerade so weggetrunken habe, aber ansonsten kann ich kaum etwas bedienen, was Herr Lechner in Weinblogs zu finden weiss: Ich versorge die Netzwelt nicht mit Nachrichten aus der Weinwirtschaft, lege keine Listen meiner Lieblingsweine und -winzer an, zitiere mich nicht selbst oder andere Weinblogger (wenngleich ich oft irgendwohin verlinke , aber das nennt sich glaube ich Internet), pflege keine kleinen Fehden und ereifere mich nicht über Menschen, die sich auch schon einmal über mich ereifert haben. Tatsächlich hat sich außer Rudolf Knoll noch nie jemand über mich ereifert und der hat sich wohl inzwischen wieder beruhigt.
Auch sind fast alle Weine in diesem Blog bezahlbar (es sei denn, man muss mit einem Praktikantengehalt von Zeit-online auskommen).
Sollten Sie sich hier trotzdem wohl fühlen, freue ich mich und wünsche viel Vergnügen bei der Lektüre. Es wird nicht lange dauern, dieses Blog durchzulesen. Es hat eben über 70 Artikel. Zu mehr reicht die Zeit nicht, was daran liegen könnte, dass ich mich auch noch im realen Leben mit Menschen austausche. Ich habe nämlich, anders als Herr Lechner das vermutet, einen ganz normalen realen Freundeskreis (in dem sogar manchmal über Wein gesprochen wird).
Joel Peterson sieht auf Fotos wie ein echter Cowboy aus, dabei ist er eigentlich Sohn eines Chemikers und selber auch einer. Zumindest war er es mal, denn schon seit Mitte der 1970er ist Peterson Winzer. Sein Weingut Ravenswood gehört mittlerweile zum Konzern Constellation Brands und ist eher das, was man hierzulande eine Kellerei nennt, denn Peterson verarbeitet vor allem zugekaufte Trauben – er ist immer noch Chefönologe des Unternehmens.
Das Ravenswood sich konsequent der Produktion von kräftigen Fruchtbomben verschrieben hat, stellte das Unternehmen von Anfang an klar, indem es sich den Slogan ‚No Wimpy Wines‘ (Keine schlaffen Weine) verpasste. Auftritt und Anspruch Petersons bedienen das Übersee-Klischee von den artifiziellen Industrieweinen schon sehr ordentlich. Um alle Unklarheiten zu vermeiden ist Peterson aber auch einer der ganz wenigen Winemaker (ehrlich gesagt: der einzige, den ich kenne, aber ich bin kein Experte), der offensiv mit ‚neuen önologischen Methoden‘ an die Öffentlichkeit geht. Das ist bei Ravenswood vor allem gezielte Mikrooxidation und der Einsatz von Eichenholz-Chips. Die Einstiegsserie ‚Vintners Blend‘ wird mit Chips produziert. Getreu dem amerikanischen Motto: es ist immer begrüßenswert, Kosten zu senken und den Profit zu erhöhen, wenn dabei keine Arbeitsplätze vernichtet und Verbraucher gefährdet werden, macht Ravenswood aus dem Einsatz dieser Methoden kein Geheimnis und erlaubt es auch, die Produktionsanlagen zu filmen. Zu sehen waren sie vor einiger Zeit in einer Dokumentation auf ARTE.
Wie der Zufall es wollte, konnte ich mir vor einigen Jahren einen bereits länger gelagerten Wein dieser Einstiegsserie bei einer Kellerauflösung besorgen. Ich wollte unbedingt wissen, wie ein gechipster Wein altert und ließ ihn noch in meinem Keller weiter reifen. Dieser Tage war es dann soweit.
Ravenswood, Vintners Blend, Zinfandel, 1999, Kalifornien. In der ziemlich alkoholischen Nase findet sich viel Heidelbeere und Pflaume sowie ein Hauch Leder. Mit etwas Luft gesellt sich eine Paprikanote dazu und die Blaubeere dominiert. Am Gaumen ist der Wein mittelkräftig bei mittlerem Volumen und eher dünner Textur mit einer frischen Säure. Insgesamt dominieren die Fruchtaromen, Tannin oder Holzwürze sind allenfalls noch zu erahnen. Da wo ich bei einem Wein dieses Alters Reifearomen erwarten würde, klafft ein Loch. Das ist etwas eindimensional und müde. Die 13,35% Alkohol treten nicht weiter in Erscheinung. Der Abgang ist mittellang. Für einen Basiswein, der im Zielmarkt zehn Dollar kostet und eigentlich nicht zehn Jahre gelagert werden soll, ist das ein sehr ordentlicher Auftritt.
Der Lernerfolg war bescheiden. Ich glaube nicht, dass ein Wein aus dem großen Fuderfass – die Chips sollen bei diesem Wein keine Barrique-Intensität erzeugen – sich unbedingt anders entwickelt hätte. Weit weg von früheren Erfahrungen mit überlagerten einfachen Spätburgundern war das nicht.
Auch für mich kommt jedes Jahr im Januar der Zeitpunkt für eine oberflächliche Kellerinventur. Was ich so höre und lese, scheint dies ein völlig normales Bedürfnis zu sein. Zwar führe ich ein Kellerbuch und halte die Bestände dort aktuell, doch einen Überblick über die Lage mache ich mir lieber unten im Gemäuer.
In einem Anflug schonungsloser Selbstkritik habe ich mir dabei eingestanden: Ich bin komplett bekloppt. Wer soll das alles trinken??? Allerdings fand ich auch den berühmten Silberstreif am Horizont. Aber der Reihe nach.
Im letzten Januar hatte ich beschlossen, dass ich 2009 außerplanmäßig mehr trockene 2006er Rieslinge trinken wollte, da viele von denen im Rekordtempo in der Flasche zerfallen. Ich habe also letztes Jahr vermehrt ausgetrunken, was an 06er Kabinetten und Spätlesen da war. Zur Kompensation habe ich deutlich weniger Sauvignon Blanc eingekauft, denn im Sommer kam davon entsprechend weniger ins Glas. Wie mir heuer bewusst wird, habe ich allerdings dafür meinen Vorsatz in die Tat umgesetzt, endlich ein paar lagerfähige und -bedürftige Silvaner und Weissburgunder einzukellern. Die Flaschenzahl ist eher gewachsen – was ich vor mir selbst verheimlicht habe (das geht!).
Außerdem fand auf diese Weise weniger 2007er Riesling den Weg in mein Glas. Ich hatte ob der überdurchschnittlichen Qualität des Jahrgangs davon reichlich eingekauft. Zwar trinke ich Rieslinge gerne reifer, aber dieses gilt für die gehobenen Prädikate. Nun liegen da also noch gute 70 Flaschen einfacherer Rieslinge mit so schönen Namen wie ‚Schiefer‘, ‚Mineral‘ und so weiter. Sogar ein paar Gutsrieslinge aus 2007 sind noch übrig – wobei ich eigentlich gar keine Gutsrieslinge trinke (was hat mich geritten, die zu kaufen???)
Nicht wenige meiner Freunde haben in ihrem Keller ein Regal, in das sie hineinlegen, was dringend getrunken werden muss. Ich hatte immer den Vorsatz, es soweit nie kommen zu lassen. Seit einigen Tagen erkläre ich dieses Vorhaben offiziell für gescheitert. Ich will trinken, worauf ich spontan Lust habe und nicht, was mir ein blödes Regal diktiert. Aber diesen Luxus kann ich mir nun nur noch bei jeder zweiten Flasche leisten.
Bei aller Selbstanklage will ich nicht verheimlichen, dass ich auch beginnende Prinzipientreue diagnostizieren konnte. Ich habe einem Vorsatz folgend nur eine homöopathische Menge 2008er Rieslinge eingekauft und trotz des relativ starken Jahrgangs die Finger von den 2007er Spätburgunder GGs gelassen, keine Italiener und Bordeaux gekauft, mehr Übersee getrunken als eingelagert, dito für Österreicher. Ich hege eine leise Hoffnung, dass ich das diktatorische ‚Muss-weg-Regal‘ in zwei Jahren wieder außer Dienst stellen kann. Damit das klappt, heißt es jetzt: Vorsätze achten. Wie zum Beispiel diesen hier:
Winkeler Jesuitengarten, Riesling Erstes Gewächs, 2005, Prinz von Hessen, Rheingau. Unmittelbar nach dem Öffnen präsentierte sich da ein netter Kabinett im Glas. Erst mit zwei Stunden Luft nahm der Wein an Volumen und Kraft zu. In der Nase Reifenoten, Pfirsichfrucht und Aloe Vera – eine ganz klassische Rieslingnase, die mir sehr gefallen hat. Am Gaumen geht es vergnüglich weiter: eine akzentuierte Säure trifft auf eine Frucht von reifem/mürbem Apfel, dazu gesellen sich würzige Reifenoten. Mittleres Volumen, gut integrierter Alkohol, langer und mineralischer Abgang – Riesling als stimmiges Gesamtpaket.
Diesen Wein hatte ich – diesem vermaledeiten Kaufreflex mal wieder erliegend – gekauft, nachdem meine Riesling-2005-GG-Käufe eigentlich (!) abgeschlossen waren, weil er mir bei einem kommentierten Weindinner der ‚Come to Keller‘-Veranstaltungsreihe so gut gefallen hatte. Er präsentiert sich jetzt so schön, dass ich mir in diesem Fall nachträglich verzeihe…
Dass das Web (wahlweise spezieller das Web 2.0 oder genereller das Internet) dieses oder jenes ‚demokratischer‘ mache, ist eine oft gelesene Worthülse – meist gefolgt von einem Loblied auf irgendeinen neuen Dienst oder eine neue Website, die der Autor eben entdeckt
aber vielleicht noch gar nicht verstanden hat. Oft dauert es eine gefühlte Millisekunde, bis sich eine Gegenstimme vernehmen lässt (per Pingback oder Kommentar), die kontert, der vereinfachte Zugang führe keineswegs zu einer Demokratisierung, sondern allenfalls zu einer Banalisierung. Klingt vertraut?
Das Spielchen spielen wir heute für die Weinkritik und weil es so viel Spaß bringt, übernehme ich gleich beide Positionen. Allerdings habe ich den folgenden Dienst schon vor einer ganzen Weile entdeckt und behaupte, ihn verstanden zu haben.
Es geht um Weinkritik a la Web 2.0: Bottle Buzz, eine Facebook Applikation von Digital Dandelion, einer kleinen Softwarefirma aus Los Angeles, die sich auf Social und Mobile Apps
spezialisiert hat. Bottle Buzz soll demnächst auch als Applikation für Android und iPhone erscheinen. Das Ziel ist einfach: Millionen Facebook-Nutzer bewerten Weine, die sie gerade trinken. Bottle Buzz unterstützt das Ganze mit einer grafischen Eingabemaske. Und aus dem Vergleich der Einschätzung identischer Weine kreiert das System Empfehlungen und Vorhersagen. Empfohlen werden Weine, die dem Geschmack des Nutzers entsprechen; vorhergesagt wird die Einschätzung eines bestimmten Weines basierend auf anderer Nutzer Einschätzungen in Verbindung mit den zu Protokoll gegebenen eigenen Vorlieben und Abneigungen. Das Amazon-Prinzip von Empfehlungen basierend auf gleichen Interessen führt Bottle Buzz also eine Stufe weiter, da das Programm auch abraten wird. Als Mobile- App kann das Helferlein dann direkt im Supermarkt zum Einsatz kommen.
Das Potential ist riesig, denn dadurch, dass Bottle Buzz ohne Sprache auskommt, kann sich niemand durch ‚falsche‘ oder mangelnde Weinsprache blamieren. Die Weineinschätzung verrät nicht, ob der Tester Ahnung hat. Das senkt die Eintrittsschwelle enorm. So könnten Tausende Kritiken zu den Standard-Weinen dieser Welt ins System gelangen, und das wäre schon ein sehr guter Anfang.
Bottle Buzz bildet zwar teilweise Durchschnittswerte (was prinzipiell tödlich ist, weil polarisierende Weine dann schnell mittelmäßig gewertet erscheinen obwohl sie genau das nicht sind) aber die Geschmacksprofile weist es einzeln als separate Linien in einer Abbildung aus, so dass nicht alles verloren ist.
Die Befreiung vom Ballast der schwülstigen Sprache und Rückführung auf einige wesentliche Parameter könnte die Weinkritik wirklich demokratisieren und eine breitere Öffentlichkeit
für das Thema begeistern. Zumal durch die Verknüpfung mit Social Media Profilen noch etliche weitere Anwendungsmöglichkeiten entstehen (Online-Weinclubs nach Regionen oder Vorlieben wären ein Beispiel). Facebook hat offensichtlich einige Hoffnungen und die Entwicklung mit einem Förderpreis von 25.000 US$ ausgezeichnet.
Oder ist das wieder alles zu banal? Wein in vier Parameter zu quetschen, die dann noch nicht mal eindeutig Qualitätskriterien oder neutrale Eigenschaften sind bringt niemandem etwas – für den einen ist ein schlanker Wein ein schlechter Wein, für den anderen ist ein fetter Wein ein schlechter Wein, für den dritten ist es schlicht ein schlanker oder fetter Wein. Bottle Buzz lässt außerdem vollkommen außer Acht, dass Weine sich entwickeln und eine 12 Monate alte Kritik eines Bordeaux mir heute wenig hilft. Das System funktioniert höchstens bei Massenware, die immer gleich schmeckt. Falsch geschriebene Weine gelten dem Programm als neue Weine. Prognosen zur Entwicklungsfähigkeit sieht die Software ebenso wenig vor wie Trinkfensterempfehlungen und und und…
Aber es ist schon ganz interessant, einmal eine VKN in dieses Schema zu pressen. Hier ein eher einfacher Champagner, den ich dieser Tage trinken durfte:
A. Charbaut et Fils, Cuvée de Reserve, ohne Jahrgang, Champagne.Diese ist die letzte von 5 Flaschen und sie lag knapp 2 Jahre in meinem Keller. In der Nase etwas Nuss, ansonsten die typische Hefenote. Am Gaumen zeigt der Wein etwas Reife, ganz viel Bratapfel, fast cremig und mittlere Perlage. Vor zwei Jahren war der Wein etwas frischer, aber die mürbe Note steht ihm jetzt gut. Langer, ‚warmer Abgang‘. Sehr ordentlich (für einen Getränkemarkt-Champagner sogar überraschend gut).
Bei Bottle Buzz wäre das dann:
A. Charbaut et Fils, Cuvée de Reserve, 0, Champagne.Dry, medium body, crisp acidity, moderate flavor intensity. I’d buy it.
Glücklicherweise bewegt sich mein Körpergewicht in halbwegs normalen Dimensionen, Sport zu treiben kostet mich keine große Überwindung und Rauchen gehört nicht zu meinen Lastern. So kann ich mir zum neuen Jahr einen ganz banalen Vorsatz wählen.
Ich will in 2010 meinen Bestand an trockenen 2005er Rieslingen erheblich reduzieren.
Denn anders als ich das einmal erwartet hatte, scheinen diese Weine ziemlich schnell zu reifen. Teilweise haben einige trockene Grosse Gewächse des Jahres schon deutlichere Reifenoten als manches aus dem Jahr 2004, was ich in letzter Zeit trinken durfte. Dabei halte ich den Jahrgang immer noch für in weiten Teilen großartig – aber eben nicht so langlebig wie ursprünglich von mir einmal angenommen. Da ich fast alles, was ich noch habe in zweifacher Ausfertigung besitze, kann ich im Einzelfall immer noch entscheiden eine Flasche weiter reifen zu lassen. Ich werde über die Ergebnisse berichten und fange mit diesem hier an:
Kees-Kieren, Graacher Domprobst, Riesling Spätlese trocken ‚S‘, 2005, Mosel. In der Nase ist der Wein eher karg: etwas Pfirsich, viel Grapefruit, wenig Marzipan, angeschlagener Feuerstein. Am Gaumen voll, saftig, mürber Apfel, Grapefruit, gutes Spiel von Süße und Säure, geschmacklich nicht sehr trocken, eher die moderne Stilistik mit starker Ertragsbegrenzung, sehr später Lese und relativ hohem Restzucker. Die Mineralik geht eher ins rauchig-dunkle, der Abgang ist sehr lang. Ich finde den Wein trinkreif und werde auch die zweite Flasche dieses Jahr ihrer Bestimmung zuführen.
Ich wünsche allen Lesern ein glückliches neues Jahr.
Sie sehen gerade einen Platzhalterinhalt von Instagram. Um auf den eigentlichen Inhalt zuzugreifen, klicken Sie auf die Schaltfläche unten. Bitte beachten Sie, dass dabei Daten an Drittanbieter weitergegeben werden.
Sie sehen gerade einen Platzhalterinhalt von X. Um auf den eigentlichen Inhalt zuzugreifen, klicken Sie auf die Schaltfläche unten. Bitte beachten Sie, dass dabei Daten an Drittanbieter weitergegeben werden.