(K)ein Ende in Sicht

Als ich vor einiger Zeit verkündete, ich hätte meinen Vorsatz in die Tat umgesetzt, meine 2006er Rieslinge zu leeren, war ich etwas voreilig. Das Fach mit den Grossen Gewächsen beherbergt noch mehr Flaschen, als ich annahm. So finde ich mich dieser Tage in der merkwürdigen Lage, regelmäßig relativ lustlos gute Weine aufzuziehen. Wären sie schwach, würde ich es lassen, dazu ist mir meine Leber zu lieb. Aber in aller Regel kann ich bei 2006er GGs einen Wein erwarten, dem ich zwischen 86 und 89 Punkten geben würde, wäre ich zum Punkten gezwungen: aromatisch , relativ saftig aber letztlich ein bisschen pummelig und plump oder, schlimmer noch, schon etwas gezehrt. Ein gutes Glas Wein, wenn die Flaschen nicht meist mehr als 25 Euro gekostet hätten. Was soll’s, da muss ich jetzt durch. Und ab und zu erlebe ich auch positive Überraschungen.

Jakob Jung, Erbach Steinmorgen, Riesling Erstes Gewächs, 2006, Rheingau. Fangen wir mit der positiven Überraschung an. Der Wein riecht erstaunlich frisch für das Jahr, zwar auch mit etwas mürbem Apfel, es dominieren aber Aprikose und Pfirsich. Am Gaumen ist die Säure sehr zurückhaltend und der Riesling schmeckt ein wenig nach Bratapfel (es scheint Botrytis im Spiel zu sein), insgesamt ist er aber sehr lebendig. Eine schöne Mineralik trifft auf Noten von Karamell, der Abgang ist sehr lang und mineralisch, 12,5% Alkohol sind hervorragend eingebunden. Vollmundig aber eben nicht plump, großartig.

Keller, Hubacker, Riesling Großes Gewächs, 2006, Rheinhessen. Oh je, 29 Euro hat er gekostet, der Hubacker. Die vorletzte Flasche, die ich vor einier Zeit trank, war noch ein 90-Punkte-Vergnügen. Bei dieser, meiner letzten Flasche ist das positivste, was ich zu sagen vermag, dass er besser als der noch teurere Morstein ist. In der Nase ist der Hubacker sehr zurückhaltend, wenngleich jahrgangstypisch: Dörraprikose, etwas Botrytis, Kräuter. Am Gaumen ist der Wein trotz 13% Alkohol etwas drucklos. Frucht (Aprikose) und Mineralik treffen auf eine vergleichsweise frische Säure, das ergibt schönes Spiel und einen schönen Wein, mehr aber auch nicht. Der Abgang ist lang und mineralisch.

Keller, Kirchspiel, Riesling Großes Gewächs, 2006, Rheinhessen. Der beste 2006er von Keller, den ich kenne (Abtserde wartet noch im Keller, im erlauchten Kreis der G-Max-Bezieher bin ich kein Mitglied). Die Nase ist frisch und frei von würzigen, überreifen Dörrobstnoten. Sehr ansprechend: Aloe Vera, Aprikose, Pflaume, sogar etwas hefig. Allerdings ist die Nase nicht sehr druckvoll. Gleiches Bild am Gaumen: Elstar Apfel und Aprikose treffen auf eine mäßige Säure. Der Wein ist etwas cremig, mineralisch, zeigt verhaltenes Spiel und einen langen Abgang. Das ist ein guter Wein auf dem Niveau einer gelungenen trockenen Spätlese. Es fehlt an Druck und Tiefe für mehr Begeisterung.

Dellchen 2006, nachgetankt

Ich habe diesen Wein vor über zwei Jahren schon einmal beschrieben und eine These aufgestellt. Da ich nicht vorhabe, falsche Behauptungen im Nachhinein zu löschen, spreche ich es lieber offensiv an: ich habe mich geirrt. Auch die mir ursprünglich frischer erschienenen 2006er Rieslinge von der Nahe sind mit vier Jahren Reife vom Jahrgang eingeholt worden. Sie sind nicht schlecht aber ein bisschen filigraner wäre mir lieber. Die Weine von Tesch, Diel, Emrich-Schönleber und Dönnhoff, die mir mittlerweile begegnet sind, zeigten alle dieselben Eigenschaften. Das reicht vielleicht nicht für eine Aussage über das gesamte Anbaugebiet, aber wir wollen mal nicht pingelig sein.

Dönnhoff, Norheimer Dellchen, Riesling Großes Gewächs, 2006, Nahe. In der Nase sehr fruchtig und kräutrig-reif, trotzdem auch etwas hefig, mit Aloe Vera und Pfirsich – letztlich ist es ein typischer, trockener 2006er. Am Gaumen ebenfalls extrem reif, relativ trocken und mit feiner Mineralik, Aprikose und Banane, gut eingebundenem Alkohol aber insgesamt doch zu mächtig, warm und wenig spritzig. Der Abgang ist lang und richtiggehend mollig. Sehr guter Wein, der mir jung aber besser gefiel.

Der Medizinmann

Der bloggende Winzer Bernhard Fiedler hat in einer mittlerweile preisgekrönten Artikelserie ausgeführt, warum bei gleicher Traubenreife manche Weine mehr und manche Weine weniger Alkohol (oder unvergorenen Restzucker) haben. Sein Fazit: Klimawandel hin oder her, wenn der Winzer einen Riesling aus hochreifem Lesegut mit trockenem Geschmacksbild und moderatem Alkohol erzeugen will, dann geht das auch. Während der zuletzt erwähnte ‚vom blauen Schiefer‘ vermutlich aus einer Ernte mit höherem Hektarertrag stammt, dürfte es beim dritten Riesling, den ich in der mittlerweile vorletzten Woche ins Glas bekam, eher die Weinbergsarbeit gewesen sein, die 12,5% Alkohol ermöglichte.

Der Mittelheim St. Nikolaus ‚drei Trauben‘ von Peter Jakob Kühn aus 2005 ist nämlich ein richtig dicker Brummer und steht einem Uhlen-R hinsichtlich Konzentration in nichts nach. Ich hatte beim Trinken sogar den Verdacht, dass ebenfalls ein wenig Botrytis im Spiel ist. Aber das weiß ich bei Kühn immer nicht. Die Weine aus seiner Hochphase der kompromisslosen Weinbereitung zwischen 2003 und 2006 gehen meiner Erfahrung nach durch verschiedenste Phasen nach dem Öffnen. Von untrinkbar verkräutert-medizinal im schlimmsten Moment bis zu einer Art Löwenstein auf Hustensaft in den charmantesten Augenblicken. Deswegen halte ich bei Verkostungsnotizen zu Kühn-Weinen den Trinkzeitpunkt für erwähnenswert. Der St. Nikolaus war dieser Tage nach ungefähr einer Stunde (nicht dekantiert) grandios, am zweiten, dritten und vierten Tag auch schön aber lange nicht so harmonisch.

Peter Jakob Kühn, Mittelheim St. Nikolaus, Riesling 3 Trauben, 2005, Rheingau. In der Nase erstaunlich konventionell: hochreife Rieslingfrucht mit Apfel und Aprikose und nur dezent kräutrig. Am Gaumen ist der Riesling sehr komplex. Einerseits zeigt sich eine schöne Frucht (wieder Aprikose), andererseits ist der Wein sehr mineralisch, verhalten medizinal (was aber sehr passend wirkt), etwas scharf (Botrytis?), zeigt ein schönes Spiel von Süße und Säure, ohne unter aufdringlichem Restzucker zu leiden und endet in einem sehr langen Abgang mit Kemm‘schen Kuchen und Karamell. Das ist ausgesprochen harmonisch mit einigen willkommenen Störern, die auch meine eher Kühn-skeptische und in Rieslingdingen konservative Ehefrau positiv beeindrucken.

Völker der Welt, schaut auf diesen Wein!

Weinbau ist die einzige mir bekannte Branche in der Konsumenten Produzenten dafür beschimpfen, dass sie ihre Bedürfnisse befriedigen. ‚Gefällig‘ ist in den Kreisen der Weinverrückten, von denen ich mich nicht einmal halbherzig zu distanzieren vermag, alles andere als ein Lob für einen Wein. Hierbei finden wir uns in seltener Übereinstimmung mit unseren angelsächsischen Vettern, bei denen der ‚Crowd Pleaser‘ auch kein Ausdruck uneingeschränkter Begeisterung ist.

Die erfolgreichsten Produzenten sind diejenigen, welche aktuelle Verbraucherbedürfnisse mit Weinen befriedigen, die sie zusätzlich mit hochtrabenden Geschichten zu nonkonformistischen Heldentaten aufzujazzen vermögen. Einen Penfolds Grange würde niemand von der Bettkante schubsen, egal ob Profi oder Gelegenheitsweintrinker. Und vollreife Rieslinge trumpfen ob des späten Lesezeitpunktes regelmäßig mit jener milden Säure auf, die auch Rieslingskeptiker befriedet, wenngleich niemand zugeben würde, dass das ein Beweggrund für die Wahl des Erntetermins ist.

Ich bin kein Deut besser. Auch wenn ich das plötzlich allgegenwärtige Attribut ‚salzig‘ für einen Ausdruck kollektiver winzerlateininduzierter Autosuggestion halte, bin ich gegen ‚abgrundtiefe Mineralik‘ nicht immun. Ich mag‘s komplex und kompliziert, falle aber trotzdem auf dienende Restsüße herein. Nur manchmal setzt sich mein Massengeschmacks-Gen durch und der Uhlen R 2006 geht mir ob mastiger Reife und massiven Restzuckers beim vierten Schluck gegen den Strich, wie im vorrangegangenen Artikel beschrieben. Bei aller Tiefe wär‘s mir dann etwas flacher und trockener lieber.

Es war ein Zufall, dass der nächste Wein nach dem Uhlen ein ‚Basiswein‘ vom gleichen Erzeuger war. Der Riesling ‚vom blauen Schiefer‘ aus dem Jahr 2007 bietet von allem etwas weniger. Er ist auch aus hochreifem Traubenmaterial gekeltert aber eben weniger dick, mit weniger (gar keiner?) Botrytis, und viel weniger Restzucker. Ich fand den Wein deutlich besser – fast groß. Es ist ein ‚Crowd Pleaser‘ – aber was sagt das schon? Vielleicht bin ich bekloppt aber nicht bekloppt genug? So sei es. Mein Bankkonto dankt!

Heymann-Löwenstein, Riesling ‚vom blauen Schiefer‘, 2007, Mosel. In der Nase reifer Apfel und Aprikose aber vor allem ganz ganz viel Sahnekaramell; am Gaumen saftig, mit vollreifer Frucht (Ananas), milder Säure aber abgrundtiefer (haha!) Mineralik. Was an Säure fehlt, wird durch die Mineralik ausgeglichen, so dass der ‚vom blauen Schiefer‘ ein schönes Spiel zeigt. Der Wein ist vollmundig aber nicht fett, halbtrocken aber nicht zu süß und im Abgang wahnsinnig lang. Ich fand ihn zum Niederknien.

Und neben mir knien die Massen – stört mich nicht.

Das Leitmotiv

Ein Jubiläum und ein Wochenende als Strohwitwer waren Anlass und Gelegenheit, einmal in meinem Blog zu stöbern und zu schauen, was eigentlich die unbewussten Leitmotive meines Schnutentunkers sind, womit ich nicht Riesling und Spätburgunder meine, sondern immer wieder thematisierte Aspekte von Weinen und Weingenuss.

Eines habe ich identifiziert: die Traubenreife und hierbei als besonderen Aspekt die Überreife. Sowohl Riesling als auch Spätburgunder bieten dem Winzer ein vergleichsweise langes Erntefenster. Während die meisten Rebsorten früh gelesen grün und spät geerntet marmeladig wirken, ergeben meine Lieblingsrebsorten in diesen Zuständen völlig unterschiedliche Weine. Ein schlanker, knackiger Riesling Kabinett hat mit einem Botrytis-geprägten Brummer wenig gemein, analog der Spätburgunder.

Während ich schlanke Kabinette eigentlich immer genieße, hängt meine Reaktion auf dicke Rieslinge stark von der Tagesform ab. Trotzdem ist mein Keller voll mit Weinen von Winzern wie Löwenstein oder Molitor, die noch in ihren Weinbergen rumkriechen und verwertbares Traubenmaterial suchen, wenn andere Winzer schon den Weihnachtseinkauf in Angriff nehmen. Es ist eine Art Hassliebe: Wenn Wein und Stimmung zusammenpassen, bieten die Weine dieser Erzeuger mir den größten Genuss.

Dazu passend hatte ich dieser Tage gleich drei Weine im Glas, die sehr stark von der hohen Reife ihres Ausgangsmaterials geprägt sind. Den Anfang machte der König der Überreife – diesmal ein eher durchwachsenes Erlebnis.

Heymann-Löwenstein, ‚Uhlen R‘ Riesling QbA, 2006, Mosel. In der Nase erinnert der Wein an einen fetten Wachauer: Honig, Aprikose, Marzipan, Rosmarin – da ist unverkennbar Botrytis im Spiel. Am Gaumen zeigt der Wein nur eine zurückhaltende Säure, dafür eine überbordende Mineralik, was insgesamt ein schönes Spiel mit dem relativ hohen Restzucker ergibt. Das ist eine schöne feinherbe Auslese, auch am Gaumen von etwas Botrytis geprägt, die Würze und ein wenig Schärfe mitbringt. 12% Alkohol sind hervorragend eingebunden. Im langen Abgang zieht die Mineralik dann aber irgendwann gegen den Zucker den Kürzeren – es wird klebrig.

Man kann dem Wein nicht die Qualität absprechen, das sind sicher 90 Punkte im Glas und das völlig stimmungsunabhängig. Allerdings bin ich wohl nicht der einzige, dem bei aller anfänglichen Begeisterung ab dem zweiten Glas der Zucker auf den Zeiger geht – um es mal auf Deutsch zu sagen.

P.S. Die Kollegen von nur ein paar Verkostungen hatten ihn zufällig parallel im Glas. Deren Bericht gibt es hier.