Kadavergehorsam

Es ist eine boshafte aber zutreffende Weisheit, dass in der Menschheitsgeschichte von deutschem Boden keine einzige Revolution ausging, da das Betreten der Rasenflächen vor den Palästen schon immer verboten war. Auch in mir findet sich dieses Gehorsamsgen, wie ich jüngst beim Gang in den Weinkeller wieder feststellen musste. In die Hände fiel mir ein ‚Grosses Gewächs‘ aus dem Monzinger Frühlingsplätzchen. Über diesen Wein sagen seine Erzeuger vom Weingut Emrich-Schönleber, dass er deutlich mehr Zeit zum Reifen und Erlangen seiner wahren Größe brauche als das Gewächs aus dem Halenberg. Da habe ich Frühlingsplätzchen aus allen Jahren seit 2005 in Normal- und Magnumflaschen und noch niemals eine geöffnet, weil Herr Schönleber das so sagt. Hände an der Hosennaht – so mag der Winzer seine Kunden.

Als ich also erstmals den Korkenzieher an ein 2005er Frühlingsplätzchen setzte, war der Schock groß: mächtig gereift war das, was da ins Glas schwappte. Den hätte ich mal früher aufmachen sollen, so mein erster Gedanke. Ich wollte gerade meinen verlängerten Rücken zum Biss freigeben, da setzte eine Entwicklung ein, die nicht unmöglich aber doch selten ist: mit etwas Luft schüttelte der Riesling den Muff aus den Klamotten und wurde quasi stündlich jünger.

Emrich-Schönleber, Monzinger Frühlingsplätzchen Riesling Grosses Gewächs, 2005, Nahe. In der Nase zeigen sich erst kräftige Reifenoten, andererseits wirkt das Frühlingsplätzchen trotzdem wie ein zarter Wein: Grapefruit, getrocknete Kräuter, Aloe Vera und die immer dezenter werdenden Alterstöne ergeben eine gelungene Mixtur. Am Gaumen ist der Wein recht ähnlich: Zitrusaromen und eine kalkige Mineralik, ein leicht parfümierter Geschmack treffen auf sich zurückziehenden Altersmuff. Nach einigen Stunden ist es ein ziemlich trockener, komplexer und fein gereifter Wein mit einem sehr langen mineralischen Abgang und milder Säure, der seine 13% Alkohol angenehm maskiert. Großes Kino jenseits von 90 Punkten aber ich ärgere mich trotzdem, dass ich den Wein nie jung getrunken habe.

Braune Lage

Für mich schmecken Rieslinge aus dem Graacher Domprobst irgendwie immer ‚braun‘. Ich weiß, dass das eine sehr persönliche Assoziation ist, eine Eselsbrücke ohne Wert für irgendjemand anderen als mich. Die beiden Graacher Steillagen Domprobst und Himmelreich sind keine reinrassigen Schieferlagen sondern zusätzlich mit relativ fetten Böden durchzogen (was auch immer das heißen mag). So lernte ich einmal beim Besuch eines Weingutes, das Parzellen in diesen beiden Lagen bewirtschaftet. Leider erinnere ich nicht mehr, was zuerst da war: die farbliche Assoziation beim Genuss der Weine oder die Information über den vergleichsweise hohen Erdanteil. Glauben will ich ersteres, wahrscheinlich ist wohl letzteres.

Es ist aber kein erdbraun, was ich da im Glas wähne, es sind wiederkehrende Aromen von Karamell, Malz sowie Kemm‘schen Kuchen und die sind tatsächlich farblich alle eines: braun (naja, sagen wir bräunlich). Und ich finde diese Aromen in Weinen von Molitor, Kees-Kieren oder Pohl-Botzet – der Winzerstil scheidet als Ursache also aus. Dieser Tage habe ich zwei Weine aus dem Domprobst parallel offen gehabt.

Kees-Kieren, Graacher Domprobst Riesling Spätlese trocken, 2009, Mosel. In der Nase zeigt der Wein einen leichten Spontistinker und eine grasige Note neben sortentypischen Düften von Aprikose, Zitrus und Mandarine. Am Gaumen zeigt der Wein bei mittlere Volumen ziemlich viel Druck. Ich finde der Wein hat schönes Spiel. Die recht straffe Säure wird von viel Frucht gepuffert aber auch von fast 8 Gramm Zucker. Ein Korb von Früchten (Mango, Banane, Aprikose und Mandarine) trifft auf eine prickelnde Mineralik und deutliche Karamelltöne nebst etwas Malz. Der Abgang ist sehr lang, der Alkohol sehr zurückhaltend (12%). Wenn man diesen nicht knochentrockenen Stil mag, ist das eine wunderbare Spätlese der etwas kräftigeren Art.

Kees-Kieren, Graacher Domprobst Riesling Kabinett feinherb, 2009, Mosel. In der Nase ist er reiner, mit einer Spur Hefe und ansonsten klarer Frucht von Apfel, Birne und Banane sowie Pistazie. Am Gaumen zeigt er deutlich mehr Süße und ansonsten ein vergleichbares Bild. Schönes Spiel, noch mehr Mineralik aber auch noch mehr Karamell und Malz. Der Abgang ist etwas kürzer, die qualitative und preisliche Abstufung zum Kabinett ist gerechtfertigt. Ein süffiger feinherber Wein, wie ich ihn mag.

Und heißt das nun, dass ich Graacher Weine blind zu identifizieren wüsste? Wohl eher nicht. Manchmal, wenn ich nachts auf der Suche nach Ruhe meinen unsteten Geist in seichte Gedanken schicke, sitze ich in einer illustren Runde und es wird blind ein Riesling kredenzt, der mir eine Fülle von braunen Aromen offenbart. Doch bevor ich meine Mitstreiter mit einem nonchalant hingeworfenen ‚Ah, ein Graacher Domprobst‘ beeindrucken kann, bin ich schon eingeschlafen.

Wenn Montage freitags betrunken sind

Die Kollegen vom fabelhaften Weinblog ‚Drunkenmonday‘ hatten zu einem spektakulären Tasting geladen. Da es sich bei diesem um einen kleinen Wettkampf der beiden Weingüter mit Besitz in der Lecker-Lage Monzinger Halenberg handelte und ich, wie man als regelmäßiger Leser dieses Blogs kaum übersehen kann, ein großer Fan dieser Lage bin, erhielt ich eine Einladung, sozusagen als temporärer Gastmontag. Wenn Montage freitags betrunken sind weiterlesen

Das E-Wort

Wenn ich beim abendlichen nachhause kommen meinen Briefkasten leere, könnte ich leicht zu dem Schluss gelangen, ein ganz besonderer Mensch zu sein: So viele Angebote aus der tagsüber eingeworfenen Werbung sind ‚exklusiv‘ für mich reserviert. Exklusive Busreisen, Ausflüge und Gewinne zeigen vor allem eines: das Wörtchen Exklusiv meint heutzutage meist das Gegenteil. In Sippenhaft genommen sind all jene, die wirklich exklusive Vergnügen und Produkte anbieten, denn es gibt leider keinen adäquaten Ersatz in unserer Sprache. Und sollte sich einer entwickeln, so wird auch der alsbald von der Heizdeckenindustrie gekidnappt werden.

Lothar Kettern Riesling Terroir Exclusiv
Besonders besonders

In der Weinwelt gibt es eine exklusive Entsprechung: das Wörtchen ‚Terroir‘. Mittlerweile meint auch diese Bezeichnung allzu oft das Gegenteil: Masse und Maschinen. In Sippenhaft sind hier die ernsthaft um eine Interpretation des Begriffes bemühten Winzer. Die verwenden (so zumindest mein Eindruck) den Begriff immer sparsamer auf Etiketten und kommunizieren den Terroir-Gedanken lieber über Preislisten und Kundenbriefe. Umso erstaunlicher finde ich den Namen eines dieser Tage genossenen Weines, ist der Erzeuger doch eigentlich einer, der wirklich sehr um handwerkliche Spitzenwein-Erzeugung bemüht ist. Wenn ich richtig informiert bin, ist der Name des Tropfens eine Erfindung seiner im Betrieb mitarbeitenden Eltern. Tja, Abnabelung findet in Schüben statt…

Lothar Kettern, Piesporter Goldtröpfchen, Riesling Spätlese ‚Terroir Exclusiv‘, 2009, Mosel. In der Nase Apfel, Mango, Grapefruit, Aprikose, Hefe, ein Hauch Kräuter und Blüten. Am Gaumen ordentliches Spiel von praller Süße, zurückhaltender Säure und einigen Gerbstoffe, dazu klassische Riesling-Zutaten, wie man sie von süßen Mittelmoselspätlesen kennt: Apfel, Aprikose und dezente Mineralik. Der Wein ist im Abgang noch etwas austrocknend. Zu ernsthaft, um ihn einfach weg zu schlürfen; zu jung, um schon richtige Konturen zu haben. Ich glaube, in zwei Jahren macht diese fruchtsüße Spätlese als Dessertwein vor allem denjenigen Spaß, denen Auslesen etc. zu üppig sind. 86 Punkte

Simple Genüsse (1)

Eine kleine Neuerung im neuen Jahr. Die Artikel, die bisher ‚Füllwein‘ übertitelt waren, haben eine neue Überschrift. Ansonsten gilt auch für die simplen Genüsse: Mein (Wein-)Leben besteht nicht nur aus Großen Gewächsen sondern auch aus Alltagsweinen. Einige davon sind erwähnenswert, über andere decke ich den Mantel des Schweigens. Hier ein paar Kurznotizen zu Weinen, die ich jüngst getrunken und auf die eine oder andere Weise für besonders befunden habe.

Chateau La Rousselle, 2005, Fronsac, Bordeaux. In der Nase sehr fruchtig mit Cassis, Brombeere und Himbeere, dazu Leder, Kaffee und deutlicher Alkohol. Am Gaumen ebenfalls sehr fruchtig mit reifen Beeren, Kirsche und wiederum Kaffee und Bitterschokolade. Der relativ kräftige Holzeinsatz ist schmeckbar, eine leichte Teer-Note gesellt sich zu kräftigem aber nicht unangenehmem Tannin. Der Wein ist von mittlerem Volumen, kräftig aber nicht breit, trotzdem könnte die Säure akzentuierter und der Alkohol (13,5%) zurückhaltender sein. Der Abgang ist sehr lang aber etwas holzig. Insgesamt ein sehr guter Wein, der mir in ein paar Jahren vielleicht mal richtig großartig schmecken wird. Verträgt derzeit etliche Stunden Luft.

Lothar Kettern, Piesporter Spätburgunder trocken ‚Barrique‘, 2007, Mosel. In der Nase zeigt der Wein sehr viel Holz, daneben verblassen die anderen Eindrücke von Erdbeere, Grenadine und Blut fast. Am Gaumen ist der Wein mitteldick und mittelmäßig druckvoll. Er kombiniert eine straffe Säure mit viel Frucht: Kirsche, Himbeere, (gekochte) Erdbeere. Der Wein ist leicht mineralisch, wird mit Wärme etwas cremig und zeigt eine deutlich rauchige Holznote. Der Alkohol von 13,5% tritt dezent auf, der Abgang ist lang. Vom ganzen Typus ist dieser Wein so etwas wie der kleine Bruder von diesem hier.

Günther Steinmetz, Kestener Paulinsberg, Riesling Kabinett trocken, 2007, Mosel. In der Nase eine Stinkbombe. Man kann versuchen, es höflich als ‚Spontangärungsnote‘ zu umschreiben, aber ich will das Kind beim Namen nennen: der Wein riecht nach faulen Eiern – und zwar so heftig, dass für manch Weinfreund hier schon Schluss ist. Mir macht der Geruch weniger aus (wenngleich er meine Schmerzgrenze touchiert), und so kann ich auch etwas zum Gaumen schreiben: ein sehr trockener, gelbfruchtiger und recht mineralischer Kabinett mit schöner schlanker Struktur und krasser Säure (auch die flirtet mit meinem persönlichen Grenzwert). Vier Tage nach dem Öffnen hat sich die Stinkbombe kaum verzogen, es sind jedoch erste Aprikosennoten darunter zu erahnen. 12% Alkohol sind vollständig integriert. Ich glaube, das wird noch mal ein ganz toller trockener Kabi. Der Wein zeigt eine solche Frische, dass ich ihm die ewige Haltbarkeit unterstellen möchte, die viele dieser ‚Extrem-Spontis‘ an den Tag legen.