Prädikatsmarmelade

Ich bin ein großer Fan von deutlichen Ausdrücken in der Weinsprache. Wenn ein Wein so richtig schwach ist, darf man ihn in meiner Gegenwart gerne als Plörre bezeichnen, auch wenn das in weiten Teilen der Weinszene verpönt ist. Und so mag ich auch den Ausdruck ‚Trinkmarmelade‘ für heftigst fruchtige, übertrieben opulente und dabei schwere, alkoholstarke Weine. Dieses selten schmeichelhaft gemeinte Attribut wird in meinem Bekanntenkreis gerne Weinen aus Übersee angehängt, dabei bin ich der Meinung, dass etliche südfranzösische Winzer sich hervorragend auf die Produktion von Trinkmarmelade verstehen und auch in Deutschland die eine oder andere Marmeladenfabrik steht.

Ich trank diese Woche genau drei Weine und mehr oder weniger zufällig, waren alle drei ziemlich wuchtig, opulent und süß – Kandidaten für das Marmeladenattribut. Vielleicht liegt es am Kälteeinbruch, dass ich sie alle drei gerne mochte, lediglich der erste konnte mit seinem Zuviel an Alkohol nur bedingt punkten, die anderen beiden haben mir richtig gut gefallen.

Künstler, Hochheimer Reichestal Spätburgunder R, 2005, Rheingau. In der Nase sehr vegetabil (um dieses bescheuerte Wort wenigstens einmal in diesem Blog zu verwenden), was höflich umschreiben soll, dass die Nase eher an Gemüsesud, Sellerie und Sauerkraut erinnert denn an Wein. Am Gaumen ist der Wein nur verhalten fruchtig, vor allem Kirsche und ein wenig Waldbeeren sind zu schmecken; die Frucht ist sehr reif aber nicht überextrahiert. Recht deutliche Rauch- und Holznoten erreichen den Gaumen noch, bevor 14,5% Alkohol aus allen Rohren feuern und andere Sinneseindrücke platt machen. Im langen Abgang taucht noch etwas Mineralik auf. Das ist solo getrunken ein rechter Branntwein, zu einem sehr feurig gewürzten Gulasch dreht der Reichestal jedoch auf. Dann harmoniert‘s prächtig und der Alkohol fällt nicht weiter auf. Als Gesamtpaket sind das für mich 86 oder 87 Punkte zusammengesetzt aus einer eher abschreckenden Aperitif-Erfahrung und einer sehr gelungenen Speisenkombination. Eher Alkoholmonster als Trinkmarmelade.

Johannishof (Eser), Rüdesheimer Berg Rottland, Riesling Erstes Gewächs, 2005, Rheingau. In der Nase Bratapfel, (über)reifer Pfirsich, etwas rosinig, etwas spritig, würzige Reifenoten und Malz. Am Gaumen ist der Wein richtig voluminös und dick, süße Frucht, Aprikose, Apfel, Mandarine und Kemmsche Kuchen; dazu kommt eine rauchige Mineralik. Der Alkohol von 13,5% ist mittlerweile halbwegs integriert, was vor einigen Jahren noch überhaupt nicht der Fall war. Der Wein zeigt Tiefe und Länge, ist aber so überkonzentriert, fruchtig, alkoholisch und fast halbtrocken, dass man ihn getrost als ‚weiße Trinkmarmelade‘ bezeichnen darf. Bestimmt nicht jedermanns Sache aber ich finde ihn richtig großartig und sehe ihn nördlich von 90 Punkten.

Vina Errazuriz, Don Maximiano Founder’s Reserve, Cabernet Sauvignon, 2000, Aconcagua Valley, Chile. In der Nase eine Beeren-Orgie: vor allem Brombeere und Himbeere dominieren das Bukett, aber es scheinen auch Cassis und Blaubeere durch. Dazu gesellt sich eine Reihe von irdenen Aromen: etwas Lakritz, etwas Holz und Leder, am zweiten Tag kommt eine leichte Joghurt-Note dazu. Am Gaumen ist der Wein ebenfalls sehr fruchtig, mit ein wenig Luft wird er aber kantiger und der überbordenden Beeren-Frucht stehen Holz und Tannin in vernünftigem Maß gegenüber. Während er am ersten Abend vor allem niedere Instinkte bedient (SCHENK! MIR! EIN!), erscheint er tags drauf hervorragend strukturiert und tiefgründig – der Wein spricht mit mir. Allerdings spricht er Spanisch mit südamerikanischem Akzent: ein üppiger Cabernet aus Übersee, der aus sehr reifen Trauben gewonnen und mit 14% Alkohol alles andere als bescheiden ist. Der Don Max ist aber gesitteter als die beiden oben beschriebenen Weine. Er harmonierte mit Rinderrouladen und trank sich gut solo. Der Abgang währt sehr lang. 92 Punkte.

Abkürzung zum Halenberg

‚Man müsste mal…‘ beginnt so mancher Gedanke, den ich in meinem Leben hin und her wälze. Wenn sich solche Gedanken um Wein drehen, habe ich eine hohe Quote beim In-die-Tat-Umsetzen. Ich bin gelegentlich zu denken geneigt, dass ich es weit bringen könnte, legte ich eine ähnliche Zielstrebigkeit in anderen Betätigungsfeldern an den Tag – mindestens mein Garten wäre prächtig und mein Haus perfekt, vielleicht sogar mein Auto immer sauber.

Man müsste sich mal mit den Weinen von Schäfer-Fröhlich beschäftigen, dachte ich vor einigen Jahren. Also kaufte ich ein paar GGs des Jahres 2007 aus dem Hause. Für den Halenberg hatte es nicht gereicht, der ist ohne Subskription kaum zu ergattern. Also holte ich das beim Jahrgang 2009 nach. Ab 2011 sollte es losgehen, denn mit beschäftigen meine ich hier das genüssliche Trinken einiger gereifter GGs. Einzelne Weine hatte ich schon im Glas und die Weine von Schäfer-Fröhlich wurden immer ihrem Ruf gerecht. Aber die Königsdisziplin ist für mich das gereifte GG, ganze Flasche, zuhause! So wäre dann zirka 2013 mit dem ersten gereiften Halenberg das Thema Schäfer-Fröhlich erfolgreich abzuschließen.

Doch dann bot das Leben mir eine Abkürzung. Bei einer Kellerauflösung konnte ich ein paar Flaschen des Halenberg aus dem Jahr 2005 erwerben. Und deswegen kam dieser Tage getreu dem Motto ‚Das Beste zuerst‘ ein gereiftes Halenberg-GG von Schäfer-Fröhlich in mein Glas. Und auch da wird das Weingut seinem Ruf vollauf gerecht.

Schäfer-Fröhlich, Monzinger Halenberg, Riesling Großes Gewächs, 2005, Nahe. In der Nase zeigt das GG deutliche Reifenoten: einen Hauch Petrol, etwas Muskat; dazu viel Aprikose und Apfel, ein bisschen Aloe Vera und Marzipan. Am Gaumen ist der Wein vom Süße-Säure-Spiel her quicklebendig und frisch, es zeigen sich aber auch Reifetöne: mürber Apfel, getrocknete Aprikose. Ein wundervolles Mundgefühl mit einem Anflug von Cremigkeit, eine nicht zu aufdringliche, leicht rauchige Mineralik und ein Hauch Restzucker, der für zusätzliches Volumen sorgt, passen wie die Faust aufs Auge. Da ist alles am rechten Platz, im richtigen Maß und im harmonischen Gleichgewicht. Ein großartiger Wein mit einem endlosen Abgang und perfekt integrierten 13% Alkohol. 94 Punkte.

Der Unterschied zum gleichen Wein aus dem Hause Emrich-Schönleber ist in meinen Augen der etwas höhere Restzucker. Der reinrassige Trockentrinker könnte damit Probleme haben. Das einzige Problem, das ich damit hatte, war die Tatsache, dass der Wein meiner Frau so gut schmeckte…

Ostzonensuppenwürfelmachenkrebs

…war eine innovative aber nur mäßig erfolgreiche Band, die zum Soundtrack meiner Jugend ungefähr ein halbes, leicht vernebeltes Konzert in irgendeiner Schulaula beisteuerte. Trotzdem trage ich den Namen in meinem Gedächtnis, vermutlich weil er in einem Wort/Satz eine geistige Haltung seiner Epoche zusammenfasste: Ostprodukte sind ungesund. Die Eier bei Aldi kamen damals angeblich aus der DDR und den Hühnern wurde Karotin unters Futter gemischt, damit das Dotter leuchtend Orange ist – so raunte man sich zu.

‚Opa erzählt wieder vom Krieg‘ mag manch Leser jetzt denken und überhaupt: was hat das bitte mit Wein zu tun? Wenig – ich kann mich einfach nicht gegen diese Gedankenschübe wehren, die ich mal als (sehr) freie Assoziationen bezeichnen möchte. Denn ‚Ostzonensuppenwürfelmachenkrebs‘ dachte ich neulich spontan, als ich bei ebay eine Auktion beobachtete, in der ein Sechserkarton mit Großen Gewächsen aus einer der renommiertesten Lagen der Ex-Täterä zum Dumpingpreis wegging. Normalerweise gehen GGs aus dem Jahrgang 2007 bei ebay zum Listenpreis bis hin zu 20% Aufschlag weg, Weine von Keller schaffen schon mal 100% Aufschlag, weniger bekannte bleiben auch eine ganze Ecke unter Ursprungspreis. Die Ossis jedoch haben es ganz schwer. Da kommt es zu massiven Abschlägen. Ich glaube, das liegt an alten Ostzonensuppenwürfelmachenkrebs-Vorurteilen.

Einige Ost- GGs sind von Natur aus günstig. Das hier besprochene kostete gerade mal 19€. Da werden die absoluten Zuschlagpreise atemberaubend. Bei eben über 10€ pro Flasche (inklusive Porto!) ging die von mir beobachtete Auktion zu Ende. Normalerweise wäre ich vor Sorge um den ostdeutschen Weinbau zerflossen, wenn sich der Egoist in mir nicht so schamlos über sein Schnäppchen gefreut hätte. Der Zuschlag ging an mich.

Lützkendorf, Karsdorfer Hohe Gräte, Riesling Große Gewächs, 2007, Saale-Unstrut. In der Nase fruchtig mit Aprikose und Banane sowie mit einer herrlich cremigen Vanillenote und etwas Pistazie. Am Gaumen ist der Wein frisch, mit kräftiger Säure und schönem Spiel, Aromen von Apfel, Mandarine, Rhabarber. Er ist nicht sehr dick, eher elegant, wobei das keine höfliche Umschreibung für ‚dünn‘ sein soll, sondern uneingeschränkt positiv gemeint ist: mineralisch, zupackend und mit Tiefgang aber eben kein Bulldozer, was auch an den gut verdaulichen 12,5% Alkohol liegen mag. Dazu kommen ganz dezente Bitterstoffe, die den Wein animierend machen. Der sehr lange Abgang klingt mit kräftiger Säure aus. Ein hervorragender Wein und eine willkommene Abwechslung unter den GGs.

Ich bin mir sicher: Der macht keinen Krebs. Der macht ja nicht mal `nen dicken Kopf.

Einkaufsstrategie Jahrgang 2010

Es gibt viel zu lesen dieser Tage: Gleich in mehreren deutschsprachigen Blogs, Foren und Social Networks wird erhitzt darüber debattiert, ob man den Jahrgang 2010 in Deutschland schon abschreiben könne. Winzer melden sich zu Wort und berichten von besonderem Aufwand, der belohnt wurde und von drei Wochen im Oktober, die retteten, was zu retten war. Kritiker sind zerstritten und zeihen sich gegenseitig der Erfahrungslosigkeit. Konsumenten schreien empört auf, sie könnten es nicht mehr hören, wie die Produzenten und Händler versuchten, den letzten Mist noch hochzujazzen.

Wenn ich nicht mehr weiß, was ich glauben kann oder soll, hilft es mir meist, mich auf mich selbst zu besinnen. Und wenn ich dabei ehrlich (oder sogar schonungslos) bin, bringt mich das der Lösung ein ganzes Stück näher. Wie hier schon einmal beschrieben, kaufe ich zu viel Wein. Ich bin ein Getriebener. Es treibt mich die Angst, etwas zu verpassen. Den einen Wein wieder ins Regal zurückgestellt zu haben, von dem ich jetzt in einer Zeitschrift lese, er habe das Zeug zur Legende. Also kommt beständig mehr in den Keller, als ich zum Trinken wieder entnehme.

Wenn ich mir dann noch einmal durchlese, was an Fakten zum Jahrgang zur Verfügung steht, dann ziehe ich einen freudigen Schluss: ich habe jetzt Pause.

Wenn im Jahr 2011 Vertikalverkostungen des ersten Jahrzehnts des neuen Jahrtausends anstehen, werden wir sicher Überraschungen erleben. Selbst Jahre, die alles andere als perfekt waren, haben Weine hervorgebracht, die als Meister ihres Faches gelten. Der 2004er G-Max ist dem vernehmen nach so einer, besser als die Weine aus den starken Jahren 2005 und 2007. Und es würde mich nicht wundern, wenn bei einer Morstein-Vertikale der 2008er von Wittmann ein überraschender Abräumer wird. 2001 und 2002 werden sicher ein paar Sieger stellen, Zwofünf, -sieben und -neun sowieso, 2003 vielleicht, 2006 und 2010 ganz sicher nicht.

Auch 2006 hatte objektiv schwierige Wetterbedingungen. Auch 2006 erzählten die Winzer viel von strenger Selektion und die Weinkritik startete zunächst teilweise mit recht euphorischen Kommentaren. Am Ende hatten alle diejenigen Recht, die (wie heuer viele für den Zehner) weissagten, es werde auch 2006 Spitzenweine geben aber nur ganz vereinzelt und auch nicht von überwältigender Qualität. Am Wochenende gab es bei mir einen der besten Weine aus dem Jahr (nach landläufiger und auch nach meiner Meinung).

Dönnhoff, Hermannshöhle GG, Riesling QbA, 2006, Nahe. Die Nase ist süß und sauber: Apfel, Aprikose und viel Marzipan, Aloe Vera und Vanille. Am Gaumen ist der Wein dezent fruchtig mit Grapefruit und Mandarine. Das GG ist ziemlich trocken, ziemlich vollmundig und druckvoll, wobei der Alkohol (13%) gut integriert ist. Es wirkt recht animierend, dass der Wein etwas adstringierend ist, dazu extrem mineralisch – ein sehr ernsthafter Wein mit sehr langem Abgang. Guter Speisenbegleiter auch zu kräftigerem Essen. 90 Punkte. Jetzt trinkreif aber es herrscht keine Eile.

Legenden schmecken anders. Und so denke ich mir: Von 2006 lernen, heißt Einkaufen lernen.

Also werde ich 2011 meinen paar Stammwinzern mit Mindestmengen des 2010ers die Treue halten, Magnums vollständig weglassen, die vier Vertikalen vervollständigen, die ich ohnehin sammle und das war‘s. Hoffnung, dass ich signifikant weniger in den Keller bringe als ich wieder heraushole, habe ich kaum, denn es steht ja auch die Präsentation der 2009er Spätburgunder-Gewächse an. Und da zittre ich jetzt schon vor Angst, ich könnte was verpassen…

Füllwein (19) – MSR Edition

Mein (Wein-)Leben besteht nicht nur aus Großen Gewächsen sondern auch aus Alltagsweinen. Einige davon sind erwähnenswert, über andere decke ich den Mantel des Schweigens. Hier ein paar Kurznotizen zu Weinen, die ich jüngst getrunken und auf die eine oder andere Weise für erwähnenswert befunden habe.

St. Urbanshof, Ockfener Bockstein, Riesling Auslese (Halbflasche), 2006, Mosel (Saar). In der Nase cremig und frisch, Honig, Aprikose. blitzsauber: Riesling mit leichter Botrytis – keine modrigen 2006er-Töne. Am Gaumen mit relativ milder Säure aber trotzdem schönem Spiel. Ich kenne die Analysewerte nicht, aber der Wein hat vermutlich nicht ganz so viel Restzucker, dafür 9,5% Alkohol, die jedoch nicht ins Gewicht fallen. Wiederum sehr sauber und saftig: Aprikose, Rhabarber, Honig, Vanille; langer Abgang, der jedoch einige Bittertöne hat, die mir in der 2006er-Kollektion des St. Urbanshof öfter begegnet sind – ansonsten eine Bilderbuchauslese die noch einige Jahre vor sich hat.

Lothar Kettern, Piesporter Falkenberg, Riesling ‚Mineral‘ feinherb, 2009, Mosel. In der Nase noch mit Gäraromen und Hefe, darunter liegt viel exotische Frucht: Maracuja, Banane, Mango, Sternfrucht aber auch Rhabarber, entscheidender ist aber der Gaumen, denn der Wein ist ungemein saftig, süffig süß und mit viel Spiel – die Art von feinherbem Wein, die einen enormen Sog entwickelt. Die Hand geht ständig zum Glas. Das ist nicht ganz ungefährlich, weil der Riesling perfekt integrierte 11% Alkohol hat, die man leicht übersieht. Aprikose und Banane treffen auf eine feine Mineralik, die in diesem jungen Stadium dezent daher kommt. Wird bestimmt im Alter ernsthafter, jedoch werden meine Vorräte vorher ausgetrunken sein. Ein toller Wein.

Van Volxem, Wiltinger Braunfels, Riesling QbA, 2004, Mosel (Saar). Ich weiß nicht, ob der Wein analytisch trocken oder halbtrocken ist, das Etikett verrät nichts. Die Nase ist sehr vielversprechend: ein schöner reifer Riesling mit viel Aprikose und einer rauchigen Note. Am Gaumen ist der Wein saftig und fruchtig mit Aromen von Boskop-Apfel, Quitte und Pfirsich. Bei sehr reifer, dezenter Säure wirkt der Wein etwas süßlich, entwickelt am Gaumen nur mäßigen Druck und wirkt dadurch im mittellangen Abgang trotz nur 12% etwas alkoholisch. Der Braunfels ist mäßig mineralisch aber dafür sehr süffig. Fairer Wert.