Fünf Tage Neumond

Letztes Jahr hatte ich schon ausführlich über Carsten Henns Weinentdeckungsgesellschaft berichtet und den ‚Roten Baron‘ begeistert gefeiert. Dieser Tage kam der zweite Wein des Projektes und ich habe mich 5 Tage mit großem Vergnügen mit einem einmaligen Riesling beschäftigt. Zur Erinnerung: die Weinentdeckungsgesellschaft kreiert jedes Jahr mit einem Winzer einen Wein, wie es ihn so noch nie gegeben hat und auch nie wieder geben wird. Beim Riesling hat man schon alles gesehen, insofern ist das einmalige am ‚Neumond‘ – wie der Wein heißt – die Tatsache, dass es die erste Füllung einer besonderen Parzelle in der Abtserde ist. Gemacht hat sie Klaus-Peter Keller aus Flörsheim-Dalsheim, der Besitzer dieser Parzelle ist und sie 2006 neu bestockt hat. Das ist nicht so spektakulär wie die ‚ungesetzliche‘ Cuvée aus dem letzten Jahr aber immerhin. Der Wein macht großes Vergnügen und das allein zählt.

K. P. Keller (und Deutsche Wein-Entdeckungs-Gesellschaft), Riesling QbA ‚Neumond‘, 2009 (kein Jahrgang auf dem Etikett), Rheinhessen.

Tag 1: In der Nase unmittelbar nach dem Öffnen mächtig, leicht süßlich parfümiert, eigen und nicht unbedingt rieslingtypisch, mürber Apfel und Bonbon. Am Gaumen ganz anders, zwar auch sehr reif und auch mit Apfel aber vor allem schön vibrierend, resch und spielerisch. Sehr saftig, wenngleich im Abgang trocken bis kalkig aber da ist durchgehend genug Frucht (etwas Grapefruit, etwas Exotik) um den Eindruck der Kargheit zu vermeiden. Das ist ein Wein, der sehr tiefe mineralische Anlagen andeutet aber auch die niederen Instinkte aus der Abteilung ‚lecker‘ weckt. Ich muss mich zwingen, es bei einem Glas zu belassen. Ein letzter Schluck vor dem Schlafengehen zeigt dann die Flegel-Seite dieses jungen Hüpfers: Auf einmal gemahnt der ‚Neumond‘ ganz erheblich an Sauvignon Blanc. Er ist grasig. Schaudernd geht’s ins Bett…

Tag 2: Der Wein ist über Nacht auf Wanderschaft gegangen und hat es bis an die Mosel geschafft: Die Säure ist etwas spitzer aber der Wein wirkt auch etwas süßer, das ergibt ein grandioses Spiel, auch stellen sich Noten von Karamell und Rauch ein, gerade als wäre der Wein auf Schiefer gewachsen. Zum Ende hin zeigt sich jedoch wieder die kalkige Note, die die Maskerade auffliegen lässt. Der Abgang führt zurück nach Rheinhessen – und lässt sich dabei ganz viel Zeit. Ultralang und wieder sehr vielversprechend.

Tag 3: Die Reise ging weiter, jetzt in die Ortenau: blumig-duftig wie ein Laible-Riesling aber am Gaumen etwas weniger tiefgründig. Insgesamt wieder trockener und erstmals etwas karg.

Tag 4: Das war wohl ein Ruhetag, denn die Reise ging nicht wirklich weiter. Es bleibt in der Nase blumig und am Gaumen trocken. Am vierten Tag wirkt der Wein sehr sehr jung und erstmals etwas verschlossen. Ein weiterer Beweis dafür, dass tagelange Belüftung nur selten eine Vorschau auf die verschiedenen Reifestadien eines Weines bringt. So jung wie heute werden der ‚Neumond‘ und ich nie mehr zusammen kommen.

Tag 5: Zieleinlauf. Ich weiß nicht, wo wir gerade sind – auf jeden Fall ein gutes Stück zurück nach Rheinhessen. Was den Wein jetzt auszeichnet ist eine kalkige Mineralik, die aber nicht mehr karg ist. Kein verzweifeltes Lutschen am Stein in der Hoffnung, es könnte auch noch etwas anderes da sein (habe ich schon erwähnt, dass der Kult um ‚Steinweine‘ nicht meiner ist?), sondern ein schönes Gesamtpaket. In ganzen Sätzen klingt das jetzt so: In der Nase gefällt der ‚Neumond‘ mit Anklängen von Blüten. Der Wein ist duftig-blumig zeigt aber auch eine resche Grapefruit-Zitrus-Note, dazu Aloe Vera und ein Hauch Kemmsche Kuchen. Am Gaumen ist der ‚Neumond‘ wunderbar balanciert. Einer spitzen Säure steht süße Frucht (und bestimmt auch ein paar Gramm Zucker) spielerisch gegenüber. Dazu ist der Wein herrlich saftig mit Anklängen von Mandarine und kippt zum langen Ende hin ins mineralische.

Ich trinke den Wein jetzt aus und freue mich auf weitere Begegnungen in etwas fernerer Zukunft.

Abbitte

Ich glaube, jeder, der sich intensiv mit Wein auseinandersetzt, hat sie: seine persönlichen ‚überschätzten‘ Winzer. Das sind jene Betriebe, die selten bis nie einen wirklich überzeugenden Wein auf die Flasche bringen aber in den einschlägigen Führern regelmäßig als Deutschlands Spitze bezeichnet werden. Dass das eher eine Inkompatibilität von Winzerstil und persönlichem Geschmack ist, kommt gar nicht in Frage, schließlich hat man einen geschulten Gaumen und schon wirklich viele Weine dieses Betriebes verkostet. Ich erwische mich immer wieder bei diesen Gedanken, habe ich mal wieder was Enttäuschendes von H****, W*** oder L***** im Glas.

Dabei müsste ich es besser wissen, denn als ordentlicher Neoliberaler sollte ich zur Kenntnis nehmen, dass alle diese Betriebe über Jahre hohe Preise durchsetzen, ausverkauft sind und in den besten Restaurants auf den Karten stehen – und der Markt irrt schließlich nicht.  Wenn dann noch ein Winzer auf einmal diverse Weine produziert, die mir gut gefallen, ohne dass besagte Führer einen Stilwechsel des Betriebes verkünden, gehen mir endgültig die Argumente aus; dann hat sich wohl schlicht mein Geschmack verändert.

Nach einigen großartigen Momenten mit Rebholz-Weinen darf ich mich als bekehrten Zweifler outen, wenngleich die Weine im Basis-Segment immer noch keinen Kaufreflex auslösen. Aber die GGs sind teilweise gigantisch. Das erfuhr ich diese Woche wieder einmal am eigenen Leib mit diesem hier.

Ökonomierat Rebholz, Birkweiler Kastanienbusch, Riesling Grosses Gewächs, 2005, Pfalz. In der Nase reif und würzig: mürber Apfel, Minze, Aloe Vera, Estragon und etwas Grapefruit. Am Gaumen ist der Wein ziemlich kantig, die Säure ist vergleichsweise mild aber der Wein ist sehr trocken, kommt mit einigen Gerb- und Bitterstoffen daher und ist vor allem enorm mineralisch. Pfirsich und Grapefruit blitzen auf und setzen einen saftigen Kontrapunkt. Im Abgang ist der Wein sehr trocken, rauchig-mineralisch und lang. 13,5% Alkohol treten nicht störend in Erscheinung. Komplex, druckvoll und sehr strukturiert – ein großer Wein.

Aber L***** ist wirklich überschätzt…

Frommer Wunsch

Über den Winzer habe ich schon geschrieben, was mir zu ihm einfällt. An seinen Weinen erkenne ich regelmäßig meine Grenzen. Ich wünsche mir, irgendwann mal eine Verkostungsnotiz formulieren zu können, die einem Kühn-Wein meiner Meinung nach gerecht wird. Die folgenden Sätze sind öffentliches Üben.

P.J. Kühn, Oestrich Doosberg, Riesling ‚3 Trauben‘, 2005, Rheingau. Vielschichtige Nase, die neben reifem Pfirsich auch Muskat, und einen ganzen Kräuterkorb zeigt, dazu auch unangenehme Noten: Azeton, Alkohol und flüchtige Säure aber stören nur begrenzt und lassen sich wegschwenken. Am Gaumen sehr saftig und auch hier vielschichtig von ganz groß bis ganz grob. Der Alkohol meldet sich mit 13,5% gelegentlich zu Wort, manchmal dominieren Gerbstoffe, dann kommt wieder eine so süße Frucht zum Vorschein, dass man daran zweifeln möchte, es mit einem trockenen Wein zu tun zu haben. Mandarine blitzt auf, Liebstöckel, rauchige Mineralik, kantige Säure. Der Abgang ist zu jeder Zeit sehr lang und angenehm, wenngleich immer auch alkoholisch. Der Wein ist im besten Moment groß und im Schnitt für mich noch um und bei 91 Punkten.

Blogbuster

Wenn in den letzten Wochen hier die Veröffentlichungsfrequenz niedrig war, liegt das nicht an Sommerloch, Ferienzeit oder mangelnder Motivation meinerseits. Ich hatte in jüngster Vergangenheit schlicht eine Menge Frösche im Glas, die – trotz Kuss – kein Prinz werden wollten. Das kommt mal vor und ist kein Beinbruch.

Als ich mit dem Schreiben des ‚Schnutentunker‘ anfing, habe ich beschlossen, keine Verrisse zu veröffentlichen. Der Grund dafür ist, dass ein negatives Weinerlebnis mannigfaltige Ursachen haben kann: Der Winzer hat einen schlechten Wein gemacht (nur das rechtfertigt eine Negativ-Kritik), der Konsument hatte einen schlechten Tag (will niemand zugeben), die Flasche war fehlerhaft (passiert öfter als man denkt), der Korken oder die Lagerung hat die Entwicklung negativ beeinträchtigt (ist nicht immer eindeutig erkennbar) und einiges mehr. Mit einer Konterflasche kann man zwar den Korken als Ursache ausschließen aber die Lagerung nicht. Tränke man den Wein am zweiten Tag noch einmal, könnte man die Stimmung als Ursache herausfiltern (aber dann müsste ich einen Wein, der mir keinen Spaß bringt noch einen weiteren Tag trinken, auf die Gefahr dass er mir auch diesen verdirbt) – kurzum: ich habe keine Lust den Aufwand zu betreiben, der nötig wäre, um einen ‚fairen Verriss‘ zu schreiben.

Deswegen erwähne ich hier nur positive Weinerlebnisse. Die haben meist eine simple Ursache: Der Winzer hat einen guten Wein gemacht und darüber will ich reden. Sie können einem Stimmungshoch geschuldet sein und ich den Wein mithin weit über Wert verkaufen, aber ‚Der Schnutentunker‘ ist schließlich kein Einkaufsführer sondern ein subjektives Weintagebuch.

Nachdem ich der Frösche überdrüssig war, habe ich gestern mit Kanonen auf Spatzen geschossen. Ich öffnete einen Wein, von dem ich weiß, dass er ein Knaller ist, den ich vom Gut direkt in den eigenen Keller bekam und dessen Geschmacksbild mir aus vielen Begegnungen so vertraut ist, dass ich ohne Zweifel Kork- und Flaschenfehler erkennen würde. Die Flasche war tadellos, der Wein wieder gigantisch und ich habe endlich was zu schreiben.

Emrich Schönleber, Monzinger Halenberg, Riesling Großes Gewächs, 2005, Nahe. In der recht rieslingtypischen Nase dominieren zunächst Zitrusaromen, ehe sich das Bild wendet und er mit Luft süßlich parfümierter wird – reif aber nicht alt mit Anklängen von Aloe Vera und etwas Aprikose. Am Gaumen ist dieser Stoff komplex. Eine wahrlich vibrierende Säure zieht sich durch das gesamte Geschmackserlebnis, das bizzelt herrlich im gesamten Mundraum, der sowieso von diesem druckvollen Wein ausgefüllt wird, ohne dass es plump wirkt (und nein, das ist keine Kohlensäure). Auf diesem Gerüst erscheinen dann mit jedem Schluck neue Aromen: süße Frucht (mal Pfirsich/Aprikose, dann wieder Mandarine), rauchige Mineralik, Toffee oder doch Karamell? Oder Kemmsche Kuchen? – mal so, mal so, wie man es bei ganz großen Weinen erleben darf. Der prickelnde und etwas rauchige Abgang dauert fast eine Minute. Es gibt einen klaren Mangel, der 100 Punkte verhindert: 13% Alkohol sind dauerhaft präsent und ein ganz bisschen zu viel. Deswegen ist der Wein nur ‚groß‘ und nicht der beste trockene Riesling, den ich je getrunken habe.

Bleibt die Frage nach der Stimmung des Verkosters: Dieses Urteil fälle ich zum wiederholten Male und dabei gibt es keinen Unterschied zwischen Urteilen in offenen und Blind-Verkostungen.

Linke Klebe

Ich weiß, ich weiß. Die WM ist lange vorbei, die Bundesliga pausiert noch eine Weile und überhaupt ist es allmählich gut mit der Anwendung von Fußball-Phrasen auf die Weinwelt. Aber wenn ich vielleicht noch einmal, also… so ein bisschen – wo mich der Gedanke doch schon so lange beschäftigt – und danach ist dann auch wirklich Schluss?!

Es geht um diesen wundervollen – eigentlich vernichtenden – Satz aus des Fernsehreporters Mund, gesprochen, nachdem ein Stürmer, der bekanntermaßen ein reiner Rechtsfuß ist, den Ball nicht mehr für einen Schuss mit selbigem vorlegen könnend, aus aussichtsreicher Position mit dem ‚falschen‘ Fuß kläglich scheitert:

Den linken Fuß hat er nur, damit er beim Schießen nicht umfällt.

In meinem bevorzugten Riesling-Anbaugebiet, an der Mosel, gibt es diverse Winzer, bei denen ich nach wiederholtem Probieren zu einem Fazit komme, das mich immer an diese Reporterfloskel erinnert: die trockenen Rieslinge macht der nur, damit die erste Spalte seiner Preisliste nicht leer bleibt. Das ist unlogisch, denn wenn der Winzer keine trockenen machte, könnte er die Weinliste ja in der ersten Spalte mit süßen Weinen beginnen, aber die Logik und ich, wir führen eine offene Ehe.

Einer dieser Kandidaten ist das Weingut Max Ferd. Richter aus Mülheim. Bei den süßen Rieslingen eine Bank, konnten mich die trockenen noch nie überzeugen. Doch wenn man seine Urteile nicht regelmäßig überprüft, werden sie zu Vorurteilen, selbst wenn sie ursprünglich richtig waren. Also habe ich es wieder getan. Ich bestellte mir von einer Restpostenliste einen trockenen Wein. Und was soll ich sagen? Die haben heimlich geübt. Das Ding sitzt – mit Links fulminant in den Winkel gehämmert.

Max Ferd. Richter, Mülheimer Sonnenlay, Riesling Auslese trocken, 2007, Mosel. In der Nase nicht ganz sauber: sehr süß, sehr fruchtig mit Rhabarber, Grapefruit, Zitrus,  Aloe Vera aber auch mit einem kleinen Azeton-/Essigstich. Am Gaumen ist der Wein fulminant und druckvoll, mundfüllend aber nicht zu fett, denn er zeigt einige Gerb- und Bitterstoffe, die zusammen mit einem tollen Süße-Säure-Spiel einen großartigen Spannungsbogen erzeugen. Aromen von Grapefruit, grünem Apfel und einem Hauch Erdbeere geben dem Wein eine Finesse, die ich bei 13,5% Alkohol nicht unbedingt erwartet hatte. Der Abgang ist sehr lang und von Mineralik aber auch von Gerbstoffen getragen. Ein sehr interessanter Wein auf dem Niveau eines Grossen Gewächses.