Auch für mich kommt jedes Jahr im Januar der Zeitpunkt für eine oberflächliche Kellerinventur. Was ich so höre und lese, scheint dies ein völlig normales Bedürfnis zu sein. Zwar führe ich ein Kellerbuch und halte die Bestände dort aktuell, doch einen Überblick über die Lage mache ich mir lieber unten im Gemäuer.
In einem Anflug schonungsloser Selbstkritik habe ich mir dabei eingestanden: Ich bin komplett bekloppt. Wer soll das alles trinken??? Allerdings fand ich auch den berühmten Silberstreif am Horizont. Aber der Reihe nach.
Im letzten Januar hatte ich beschlossen, dass ich 2009 außerplanmäßig mehr trockene 2006er Rieslinge trinken wollte, da viele von denen im Rekordtempo in der Flasche zerfallen. Ich habe also letztes Jahr vermehrt ausgetrunken, was an 06er Kabinetten und Spätlesen da war. Zur Kompensation habe ich deutlich weniger Sauvignon Blanc eingekauft, denn im Sommer kam davon entsprechend weniger ins Glas. Wie mir heuer bewusst wird, habe ich allerdings dafür meinen Vorsatz in die Tat umgesetzt, endlich ein paar lagerfähige und -bedürftige Silvaner und Weissburgunder einzukellern. Die Flaschenzahl ist eher gewachsen – was ich vor mir selbst verheimlicht habe (das geht!).
Außerdem fand auf diese Weise weniger 2007er Riesling den Weg in mein Glas. Ich hatte ob der überdurchschnittlichen Qualität des Jahrgangs davon reichlich eingekauft. Zwar trinke ich Rieslinge gerne reifer, aber dieses gilt für die gehobenen Prädikate. Nun liegen da also noch gute 70 Flaschen einfacherer Rieslinge mit so schönen Namen wie ‚Schiefer‘, ‚Mineral‘ und so weiter. Sogar ein paar Gutsrieslinge aus 2007 sind noch übrig – wobei ich eigentlich gar keine Gutsrieslinge trinke (was hat mich geritten, die zu kaufen???)
Nicht wenige meiner Freunde haben in ihrem Keller ein Regal, in das sie hineinlegen, was dringend getrunken werden muss. Ich hatte immer den Vorsatz, es soweit nie kommen zu lassen. Seit einigen Tagen erkläre ich dieses Vorhaben offiziell für gescheitert. Ich will trinken, worauf ich spontan Lust habe und nicht, was mir ein blödes Regal diktiert. Aber diesen Luxus kann ich mir nun nur noch bei jeder zweiten Flasche leisten.
Bei aller Selbstanklage will ich nicht verheimlichen, dass ich auch beginnende Prinzipientreue diagnostizieren konnte. Ich habe einem Vorsatz folgend nur eine homöopathische Menge 2008er Rieslinge eingekauft und trotz des relativ starken Jahrgangs die Finger von den 2007er Spätburgunder GGs gelassen, keine Italiener und Bordeaux gekauft, mehr Übersee getrunken als eingelagert, dito für Österreicher. Ich hege eine leise Hoffnung, dass ich das diktatorische ‚Muss-weg-Regal‘ in zwei Jahren wieder außer Dienst stellen kann. Damit das klappt, heißt es jetzt: Vorsätze achten. Wie zum Beispiel diesen hier:
Winkeler Jesuitengarten, Riesling Erstes Gewächs, 2005, Prinz von Hessen, Rheingau. Unmittelbar nach dem Öffnen präsentierte sich da ein netter Kabinett im Glas. Erst mit zwei Stunden Luft nahm der Wein an Volumen und Kraft zu. In der Nase Reifenoten, Pfirsichfrucht und Aloe Vera – eine ganz klassische Rieslingnase, die mir sehr gefallen hat. Am Gaumen geht es vergnüglich weiter: eine akzentuierte Säure trifft auf eine Frucht von reifem/mürbem Apfel, dazu gesellen sich würzige Reifenoten. Mittleres Volumen, gut integrierter Alkohol, langer und mineralischer Abgang – Riesling als stimmiges Gesamtpaket.
Diesen Wein hatte ich – diesem vermaledeiten Kaufreflex mal wieder erliegend – gekauft, nachdem meine Riesling-2005-GG-Käufe eigentlich (!) abgeschlossen waren, weil er mir bei einem kommentierten Weindinner der ‚Come to Keller‘-Veranstaltungsreihe so gut gefallen hatte. Er präsentiert sich jetzt so schön, dass ich mir in diesem Fall nachträglich verzeihe…