Herdentrieb

Man muss kein Hellseher sein, um vorherzusagen, dass in deutschen Weinblogs dieses Jahr eine hohe Zahl von südafrikanischen Weinen verkostet, beschrieben und rezensiert werden wird. Die Fußball-WM bringt das Land in aller Munde und Gläser. So könnte sich am Ende ein recht umfassendes Bild der besseren Weine Südafrikas ergeben. Ich werde wenig dazu beitragen können, habe ich doch ungefähr dreieinhalb Weine vom Kap im Keller. Aber meinen nominell ‚besten‘ wollte ich dieses Jahr sowieso antesten. Auch wenn zwei weitere Jahre Flaschenreife dem Wein gut tun werden, war dieser erste Test ein Vergnügen:

Vergelegen, Vergelegen rot, Rotweincuvée, 2001,WO Stellenbosch, Südafrika. Cabernet Sauvignon und Franc sowie Merlot in mir nicht bekannter Zusammensetzung. In der Nase hochkomplex: viel Johannisbeere, etwas Kuhstall, Thymian, Estragon, Holz, nobel und an einen Bordeaux erinnernd statt typisch ‚neue Welt‘ (keine Schokonoten, nichts marmeladiges). Am Gaumen ist der Wein mollig, noch zu jung mit viel Tannin, vollfruchtig mit reichlich Kirsche aber auch ziemlich mineralisch. Er glänzt mit guter Struktur und Länge. Der Alkohol ist erstaunlich gut eingebunden, aber es bleiben 15% und am Gaumen besteht kaum noch Verwechslungsgefahr mit einem Bordeaux. Ein vergleichsweise drahtiger Power-Wein, eher Klitschko als Tyson. 91+ Punkte

Versuch macht kluch

Wie in anderen Zweigen der Landwirtschaft auch, darf man im Weinbau nicht einfach anpflanzen, worauf man gerade Lust hat. Der Winzer hat sich an die zugelassenen Sorten zu halten. Das bewahrt den Verbraucher vor Gen-Wein jeglicher Couleur aber auch vor Rheinhessen-Barolos und Mosel-Chiantis.

Wer aus der Reihe tanzen will, kann auf eine Sondergenehmigung hoffen. Im Rahmen von Programmen zum ‚Versuchsanbau‘ wächst so allerlei auf deutschem Boden, von Primitivo bis Veltliner. Besitzer einer solchen Anlage müssen ihre Weine kennzeichnen als ‚Wein aus Versuchsanbau‘. Das klingt in meinen Ohren ziemlich furchteinflößend. Interessanterweise scheint diese Anordnung nur für reinsortig ausgebauten Wein zu gelten. Bei Cuvées mit einem oder mehr zugelassenen Partnern und solchen aus Versuchsanbau fehlt der Zusatz.

Böse Zungen behaupten ja, die Kennzeichnung ‚Wein aus Versuchsanbau‘ bedeutet, dass der Winzer noch versucht, aus dem eigentlich nicht in den Landstrich gehörenden Rebmaterial was Gescheites zu keltern. Dieser Cabernet Franc gibt zu solcherlei Zynismus aber keinen Anlass:

Jakob Pfleger, Cabernet Franc Spätlese ‚Goldberg‘, (Rotwein aus Versuchsanbau) 2006, Pfalz. In der Nase Brombeere, Heidelbeere und (ich weiß es nicht anders zu benennen) Schuhcreme. Am Gaumen ist der Wein von mittlerer Textur und kann meiner Meinung nach seine deutsche Herkunft nicht verbergen. Pflaume, Blaubeere, etwas Holz und festes aber nicht dominierendes Tannin gepaart mit dezenter Säure geben ein gutes Mundgefühl. Der Abgang ist sehr lang und leicht buttrig/cremig. 13% Alkohol sind sehr gut eingebunden.

Ein Wein, den ich als Bereicherung des Pfälzer Sortensortiments betrachte und dessen 2009er Version ich mit großer Neugier entgegensehe.

Füllwein (10)

Mein (Wein-)Leben besteht nicht nur aus Großen Gewächsen sondern auch aus Alltagsweinen. Einige davon sind erwähnenswert, über andere decke ich den Mantel des Schweigens. Hier ein paar Kurznotizen zu Weinen, die ich jüngst getrunken und auf die eine oder andere Weise für erwähnenswert befunden habe.

Heymann-Löwenstein, Riesling ‚Schieferterrassen‘, 2006, Mosel. In der Nase total überreif: Pfirsich- und Aprikosenkompott, Vanille und Aloe Vera. Am Gaumen ist der Wein so dick, wie die Nase vermuten lässt. Reichlich Rest- und Alkoholsüße kombiniert mit einer geschmacklich zurückhaltenden Säure ergeben einen zwar mit Vergnügen trinkbaren, letztlich aber für seine Gewichtsklasse zu mastigen Wein, der im sehr langen Abgang neben schöner Mineralik auch ein unpassendes Bitterl mit sich rumschleppt. Kein schlechter Wein, aber wohl der schwächste Löwenstein, den ich bisher getrunken habe. Nun kann man reflexartig sagen, der müsse noch 100 Jahre lagern, aber wofür? Ein Uhlen wird auch mit Lagerung nicht daraus werden. Dazu mangelt es an Extrakt.

Josef Rosch, Leiwener Klostergarten Riesling Kabinett, 2006, Mosel. Das doppelte Vergnügen zum halben Preis könnte man schreiben, wenn man es mit der Mathematik nicht so genau nimmt. Dieser ziemlich süße Kabinett zeigt in der Nase zwar auch den 2006er Jahrgangston, ist insgesamt aber etwas verhaltener (einen Spontistinker, Cassis und Aloe Vera gab es noch zu erschnüffeln). Am Gaumen dafür sehr schön strukturiert dank einer kräftigen Zitrusnote. Dass es nicht eindimensional wird, verdankt der Wein dem etwas ungewöhnlichen Pistazienaroma, das gemeinsam mit Noten von grünem Apfel das Geschmacksbild abrunden. Schönes Spiel und gute Länge – wenn man süße Kabinettweine mag ist das hier ein großes Vergnügen.

Chateau Artos Lacas, Grand Reserve Les Lilas, Corbières AOC, 2008, Südfrankreich. Die Cuvée aus Syrah und Grenache wird laut Etikett mit Kohlensäuremaischung hergestellt und soll vor allem fruchtig sein. Und das ist sie. In der Nase Frucht hoch vier: Blau-, Him-, Brom- und sogar Erdbeere dazu ein bisschen Leder. Am Gaumen frisch und fruchtig mit genannten Beeren und diversen mehr aber auch gut strukturiert mit etwas Tannin und einer schönen Säure. Trotz totalem Verzicht auf Holz fehlt es dem Wein nicht an Würze. Unkompliziert aber nicht eindimensional. Nur die Bezeichnung Grand Reserve fand ich für so einen Wein verwirrend.

Reifeprüfung

Ich erwähnte gelegentlich, dass ich hinsichtlich der allermeisten Aspekte der Weinbegeisterung ein Durchschnittsmensch bin. So mag es kaum verwundern, dass auch ich nach einigen Jahren des Probierens bei Bordeaux-Weinen anlangte. Selbst wenn sich daraus keine meinem Riesling- und Spätburgunder-Faible vergleichbare Leidenschaft entwickelte, übt Bordeaux Faszination auf mich aus. Als ich vor einigen Jahren endlich einen zur Weinlagerung geeigneten Keller mein Eigen nennen durfte, lagerte ich mir prompt einige Kisten mittelgewichtiger Gewächse ein. Ein kleiner Traum ging in Erfüllung. Aber die Freude war nicht ungetrübt. Ich stand vor den Kisten mit diesen faszinierenden Namen und wusste nicht: wann trinken?

Die Recherche war ergiebig: es gab und gibt bergeweise Literatur mit Empfehlungen zu Trinkreife. Doch bei genauerem Hinsehen trat ein Problem auf. Als ich die Empfehlungen der vier mir zugänglichen Quellen nebeneinander legte, ergab sich der perfekte Widerspruch. Wo Johnsons Zeitfenster zugeht, fängt Parkers manchmal erst an. ‚Vinum‘ drängt mich zur Eile, wo Gabriels ‚Weinwisser‘ zur Geduld ermahnt. Einigkeit herrscht eigentlich nur in einem: nach der Ankunft im Keller erst mal nicht anrühren – ob zwei oder fünf Jahre kommt schon auf die Quelle an.

Nun werden Weine aus Bordeaux in Zwölferkisten verkauft. Also beschloss ich den Selbstversuch und mache von einigen Weinen jetzt alle paar Jahre einen auf und notiere. Das schult meinen Gaumen nur bedingt, weil sich einzelne Jahrgänge in der Reife erheblich unterscheiden können, ist aber eine prima Ausrede, um jederzeit edlen Stoff ins Glas zu kriegen. Einen nichtigeren Anlass als: ‚Ich muss überprüfen, wie es um den Reifeverlauf steht‘, kann ich mir kaum vorstellen. Dieser Tage war es mal wieder so weit.

Chateau Giscours, Rotweincuvée, 2004, Margaux (3. GCC), Frankreich (Bordeaux). 65% Cabernet Sauvignon, 30% Merlot, 5% Cabernet Franc. Ich habe den Wein nicht karaffiert. Nach einer Viertelstunde war er voll da und hielt sich über mehrere Tage, wobei er am ersten Tag am schönsten war. In der Nase dominierten das Fass und der Cabernet: ziemlich viel Holz, daneben Johannisbeere, Cassis und grüne Paprika. Am Gaumen war der Wein sehr jugendlich aber auch zugänglich. Johannis-, Blau- und Brombeeren gesellten sich zu auch hier deutlichen Holzaromen. Reifenoten oder Tertiär-Aromen fehlen vollständig: kein Leder, Zeder, Tabak, Waldboden, Kuhstall, Kakao, Trüffel oder ähnliches, stattdessen eine kühle Frische und mineralische Struktur. Überhaupt ist es vor allem die Struktur, die Spaß macht: Mittlerer Druck am Gaumen, eher seidige Textur, spürbare Säure und mineralischer langer Abgang machen diesen Wein sehr elegant, wenngleich über allem noch kräftiges Tannin liegt. Jetzt einen Tick besser als die erste Flasche vor zweieinhalb Jahren. In Punkten ausgedrückt sind das für mich 91.

Gezähmtes Monster

Als der Contado von der italienischen Kellerei ‚Di Majo Norante‘ im Jahrgang 2003 die Höchstnote ‚Drei Gläser‘ des italienischen Weinführers Gambero Rosso erhielt, war die Resonanz groß. Der Wein kostet gerade mal 7€ und war damit der einzige einstellig bepreiste Drei-Gläser-Wein. Als Weinmacher hatte der Italiener Ricardo Cotarella seine Finger im Spiel, der parallel mit einem 2004er Sangiovese für 5€ aus gleichem Hause 90 Parker-Punkte und mit den Weinen Vitiano und Montiano aus der Kellerei Falesco in den 5 Jahren zuvor alle möglichen Auszeichnungen weltweit erringen konnte (inklusive 95 Parker Punkten). Zudem hatte Cotarella gerade mit Rollan de By 2003 ein vielbeachtetes Bordeaux-Gastspiel gegeben. Wer ein bisschen googelt wird nicht nur in Deutschen Internetforen teils ziemlich verbissene Diskussionen finden über Terroir, Uniformität und die ‚Parkerisierung‘ des Weingeschmacks (nach dem Mann wird nicht etwa eine Straße benannt, er kriegt gleich sein eigenes Verb).

Ich habe mich nie befähigt gefühlt mitzudiskutieren. Aber den Contado habe ich mir gekauft. Eine erste genossene Flasche Ende 2006 ergab nur zwei Geschmackseindrücke: Frucht und Holz. Da schwappte eine Tanninwelle durch die Mundhöhle, dass ich nach einem Glas glaubte, jemand habe mir den Rachen gesandstrahlt. Und einiges an diesem Tannin schmeckte ‚grün‘, also unreif und bitter, als ob man auf Traubenkerne beißt. Zwei oder drei vorher getrunkene Weine aus der Aglianico-Traube hatten mich eingestimmt: das ist keine Schmeichler-Rebe. Aber ein solches Holzmonster hatte ich nicht erwartet. Die Frage war also: gibt sich das mit der Zeit? Gut 3 Jahre später jetzt der nächste Versuch. Den verdanke ich dem Hamster-Regal – man muss das auch mal positiv sehen…

Di Majo Norante, Contado, Aglianico, 2003, Aglianico DOC (Molise), Italien. Nach einem Probeschluck, der ziemlich verschlossen wirkte, habe ich den Wein doppelt dekantiert und eine Stunde gewartet. Dann in der eher zurückhaltenden Nase etwas Leder und Zedernholz aber vor allem ziemlich süßliche Kirsche und Nelke wie in einem Glühwein. Am Gaumen zeigte der Wein mäßigen Druck, eher mittlere Textur und einen leicht cremigen Touch. Kirsche, Blaubeere und Vanille paarten sich mit etwas Menthol. Im Vergleich zu 2006 hat sich die damals überbordende Frucht auf Normalmaß zurückgezogen und das Holz springt mich nicht mehr unvermittelt an. Es fehlen aber noch spannende Reifenoten. Den Abgang dominiert strammes Tannin, das nichts grün-unreifes mehr hat. Das ist nicht elegant aber sehr faszinierend. Gefällt mir richtig gut.