Mein erstes Mal mit siebzehn

Als ich anfing mich mit Weinen zu beschäftigen, drehte sich für mich alles um die Frage, was mir schmeckt oder nicht schmeckt und vor allem, warum. Dass man Weine auch bepunkten kann, fand ich schnell heraus, da kaum ein Weinführer auf Punkte verzichtet, auf die Idee, dieses selber zu tun, kam ich zunächst nicht.

Nachdem ich ein ungefähres Koordinatensystem hatte, welches mir half, meine geschmacklichen Eindrücke in Worte zu fassen und Vorlieben und Abneigungen zu benennen, traute ich mich unter Leute. Ich traf auf einige, die dem Wein mit ähnlicher Leidenschaft aber deutlich mehr Erfahrung begegneten. Die luden mich ein in ihre Probenrunden und so lernte ich ganz automatisch zu punkten. Denn wenn man Weine in einer Probe gegeneinander antreten lässt, will man Sieger küren und das geht am besten, indem man Noten verteilt.

Mit fast kindlichem Eifer bepunktete ich fortan alles, was mir ins Glas kam und aus Trauben gefertigt war (bei Saft konnte ich mich gerade noch beherrschen). Und ich definierte eine eigene Skala, die Punkte in Worte übersetzen sollte. Ich ging sogar so weit, Weine zu bepunkten, die ich gar nicht mochte und dabei trotzdem noch wohlwollend zu urteilen, wenn ich meinte, eine gewisse Qualität zu erkennen, weil ich vermutete, die Königsdisziplin wäre das ,neutrale‘ Beurteilen jenseits der eigenen Präferenz.

Dann fing ich an zu bloggen und dachte, ein Weinblog sei nur so gut wie sein Bewertungssystem ausgeklügelt ist. Zum Glück bin ich lernfähig und halte nicht krampfhaft an Überzeugungen fest. Nach einem halben Jahr reifte langsam die Erkenntnis, dass Punkte überbewertet sind. Ich las und hörte Meinungen, die davor warnten, dass die unsäglichen Punkte nur dazu führen, dass sich niemand mehr die Mühe macht, vernünftige Beschreibungen zu formulieren. Aromen auflisten, Fülle und Länge beschreiben, punkten – fertig.

Also hörte ich mehr oder weniger auf, Punkte zu verteilen. Es gibt zwei Ausnahmen. Zum einen sind das Probensituationen (die ich im Blog aber kaum verarbeite), in denen ich Punkte für richtig und wichtig als Gedächtnisstütze halte. Und es gibt diese magischen Weine, die mehr sind als einfach nur sehr gut. Wenn meine Augen zu leuchten beginnen, dann nimmt der Wein eine Hürde, die die meisten Weintrinker als 90 Punkte definieren. Und dann finde ich es hilfreich, die verkürzte aber aussagekräftige Formulierung ,jenseits der 90 Punkte‘ zu verwenden.

Vorletzte Woche sah ich mich ganz unerwartet mit der Situation konfrontiert, dass ich um Punkte für einen Wein gebeten wurde. Um die Komplexität zu erhöhen, galt es dazu, im von mir noch nie verwendeten 20er System zu punkten und damit richtig Druck entsteht, war die Nachfrage nach dem Punkte-Urteil verbunden mit der Bitte, dieses auch eventuell in der Zeitschrift Weinwisser veröffentlichen zu dürfen. Schweißperlen!

Manchmal muss es Traminer seinEs ging um meinen Beitrag zum Gewürztraminertag auf Facebook. Der Wein hatte mir sehr gut geschmeckt und meine Begeisterung war ungebremst in die Beschreibung geflossen. Da Initiator Stephan Reinhardt überlegt, die interessantesten Weine des Abends in das Magazin zu übernehmen, dessen Inhalt er verantwortet, kam ich seiner Bitte nach. Dabei lernte ich dann auch gleich, dass die magischen 90 sich zu 17 Punkten übersetzen, wenn man das 20er System verwendet. Wohlan, hier also mein erster Wein mit 17 Punkten.

Zillinger, Traminer ,in Haiden‘, 2006, Niederösterreich. Der Traminer ist in der Nase und am Gaumen sehr sortentypisch. Das ist gut, da kann man die Aromen einfach irgendwo abschreiben, Punkte dran und fertig. Lieber das Zitat aus der ursprünglichen Besprechung von Facebook: Ganz im Ernst: das ist ein voller, furztrockener, wenngleich leicht alkoholsüßer Wein, der vor allem hammerstraff und mineralisch und dadurch nicht unangemessen fett ist. Hat viel Tiefgang und Länge. Die Aromen sind tatsächlich typisch, Rose und Litschi die Stichworte. Später schrieb ich noch: nach zwei Gläsern gebe ich aber auf. Morgen ist auch noch ein Tag. Drei Tage sind draus geworden, ehe die Flasche leer war, aber das liegt nicht daran, dass der Wein zu schwer wäre. Traminer ist einfach speziell – und in diesem Fall sehr gut!

Sommerweine vom Möbelhändler

Der Online-Möbelmarkt gilt gemeinhin als letzte Spielwiese, in der sich noch ein Milliardengeschäft etablieren lässt und so versuchen sich gleich mehrere Startups aus dem In- und Ausland daran das ,Amazon für Möbel‘ aufzubauen. Der Händler Westwing, der den Möbelmarkt mit einem brands4frands-ähnlichem Geschäftsmodell aufzurollen versucht, setzt zu eben jenem Zweck auf ein buntes Sortiment, das einen hippen Lifestyle suggerieren soll und neben Möbeln auch Gläser, Designer-Tischwäsche, Pfeffermühlen und gelegentlich sogar Wein umfasst.

Nun traue ich mir eine Menge Dinge zu, jedoch garantiert nicht, dass ich mir Wein auf der Lifestyle-Schiene andrehen lassen würde. Wenn doch nur nicht mein Schnäppchenreflex wäre… Denn zum Grundprinzip bei den meisten Aktions-Shoopingseiten gehört, dass alle Waren unter Normalpreis verkauft werden. Neulich gab es gleich drei Weine von Weingütern, deren Erzeugnisse ich seit langem mal (wieder) probieren wollte. Und weil eine wichtige Voraussetzung für Wachstum die Generierung von ausreichend Kundenadressen ist, werfen Anbieter wie Westwing mit Neukundengutscheinen um sich. So gab es die ursprünglich um einen Euro pro Flasche rabattierten Weine mit weiteren 15 Euro Neukundenrabatt sowie 8% Cashback über qipu (Der guten Ordnung halber: mit diesem Unternehmen bin ich wirtschaftlich verbunden) zu einem Gesamtpreis inklusive Porto der rund 35% unter Weingutspreis lag – und ich erlag der Versuchung.

Matrjoschka verpackt WeinEs gehört sich eigentlich nicht, jemanden, der mich so günstig mit Wein versorgt, dafür auch noch zu schelten, doch was ich einige Wochen später daheim vorfand, nachdem mein Möbeldealer seine Weine geliefert hatte, war eine Sünde. Offensichtlich hatte entweder der Logistiker oder die Winzer die Weine jeweils in Dreierpakete vorsortiert, für diese aber aus irgendeinem Grunde 6er-Versandkartons verwendet. Der Möbelhändler sah sich dann nicht nur außer Stande, diese Weine aus- und umzupacken, beispielsweise in einen 12er-Karton, er hatte auch noch jeden einzelnen Dreierpack in einen großen Möbelversandkarton gesteckt. Am Ende kamen Kartons mit einem Gesamtvolumen von fast einem Kubikmeter bei mir an um 9 Flaschen Wein zu überstellen. Nun denn: ich wollte eh nicht dauerhaft meine Weinbezugsquelle wechseln.

Und das war drin:

WillemsWillems, Weißburgunder, 2011, Mosel. Es ist lange her, dass ich Weine dieses Gutes getrunken habe und sie waren alle sehr gut. Deswegen war ich ganz gespannt auf die erste Begegnung seit vielleicht 5 Jahren. Ich mach es kurz: ordentlich aber nicht inspirierend. Weißburgunder kann leicht etwas ,ordinär‘ sein (ein Ausdruck meines Vaters, den ich mangels besserer Idee übernommen habe). Die Birnenfrucht ist dann eher Dosenbirne und klingt etwas pappig aus, die Nase ist (Achtung, wieder keine Weinsprache) käsig. Damit meine ich keinen Weinfehler, sondern einfach einen Mangel an Spannung und satter Frucht. Dieser Weißburgunder erschien mir so. Durchaus trinkbar aber für einen Snob wie mich nicht reizvoll genug um ihn lange zu studieren. Der Rest wurde verkocht, die übrigen zwei Flaschen sind den Schorletrinkern in meinem Freundeskreis reserviert. Geschmacksache.

Krebs, Hofmann, WillemsWillems
Mit schicken Etiketten fit für den Designermöbelshop

Krebs, Sauvignon Blanc, 2011, Pfalz. Ein Weingut, von dem ich viel gelesen aber noch nichts getrunken hatte – willkommene Gelegenheit dieses zu ändern. Der Sauvignon Blanc ist richtig gut, fast zu gut für mich. Diese ganz puristischen Interpretationen, die richtig schön kratzen, sind mir manchmal sehr angenehm, oft hab ich es aber eher mit den leicht weichgespülten, typisch deutschen Vertretern der Rebsorte. In der Nase Stachelbeere, Gras, Kräuter und Zitrus – extrem grasig. Am Gaumen ist der Weißwein schlank, mit kräftiger Säure, ziemlich trocken und mit reichlich Gerbstoff – er kratzt, was für einen Sauvignon Blanc ja ein gewisses Adelsprädikat ist. Dazu Zitrus, Kerbel, Estragon, etwas Mineralik – eine herbe Schönheit, die mir fast etwas zu herb ist, aber das ist Tagesform. An manchen Tagen habe ich den absoluten Mainstream-Geschmack (dann wäre der Krebs ein bisschen zu viel des Guten für mich) und an anderen suche ich eher das Besondere (dann sollte es ein Wein wie dieser Sauvignon Blanc sein).

Hofmann, Grüner Silvaner, 2011, Rheinhessen. Auch eine Begegnung nach längerer Pause; von Hofmann kenne ich nur den sehr guten Hundertgulden aus 2007. Der Silvaner  hat ob seiner Eigenart, mit Frucht zu geizen, das Potential sperrig zu sein. Dieser hier ist zwar in der Nase eher langweilig, am Gaumen aber ganz und gar nicht sperrig: cremig, milde Säure, grüner Apfel, Pflaume aber auch einfach Weintraube – viel Frucht und harmonische Fülle kleiden den Mund aus. Der Alkohol ist moderat (12,5%, wie bei den anderen beiden Weinen auch), der Abgang lang und fruchtig. Das ist ein sehr schöner Sommerwein für jeden Typ Weintrinker.

Lieblingskinder

Als ich im letzten Jahr aus beruflichen Gründen nach Südeuropa zog, musste ich einige liebe Gewohnheiten aufgeben, unter anderem die, den ersten Sommerabend jeden Jahres mit einem frischen Wein des aktuellen Jahrgangs zu verbringen, bevorzugt einem Sauvignon Blanc vom Weingut Knipser. Immerhin konnte ich auf Weine älterer Jahrgänge zurückgreifen, denn ich hatte einen Teil meines Kellers mitgenommen. Nun bin ich wieder in Deutschland beheimatet, leider jedoch abermals fern meines Weinkellers. Nur mit einem einzelnen Lagerschrank ausgerüstet, musste ich im Frühjahr eine Auswahl treffen, welche Weine mich auf den nächsten Umzug begleiten.

Zu sagen es sei gewesen, als verlange man von einem Vater zu entscheiden, welche seiner Kinder er lieber habe, mag zwar übertrieben sein, aber nur ein ganz bisschen (weil kein halbwegs monogamer Mann auf diese Anzahl Kinder kommt). Jetzt gilt das Prinzip, dass für jede Flasche Wein, die ich kaufen kann, erst eine aus dem Schrank getrunken sein muss. Das schont den Geldbeutel und sorgt dafür, dass getrunken wird, was allmählich dem Verfall entgegen reift. Sehr praktisch und zielführend – aber es macht nur halb so viel Spass.

Um im Bild zu bleiben: die Verbindung mit Mutter Knipser war definitv besonders fruchtbar. Ich habe etliches im Keller gefunden, was seinen Weg in den Schrank fand und auch allerlei älteres. Da ich zum Sommeranfang gerne Sauvignon und Burgundersorten entkorke, bevor im Verlauf des Jahres der Rieslinganteil immer höher wird, waren die vergangenen Wochen regelrechte Knipser-Festspiele.

Knipser, Sauvignon Blanc, 2007, Pfalz. In der Nase ganz unaufdringlich, es dominiert Cassis, dazu kommen ein paar Kräuter. Auch am Gaumen ist das ein unaufdringlicher, schmeichlerischer Wein mit cremigem Mundgefühl – ein crowd pleaser ohne Ecken und Kanten. Am dritten Tag zeigt er sich stark verändert, deutlich knackiger. In der Nase Stachelbeere, Kräuter aber auch Aprikose – könnte blind als Riesling durchgehen. Am Gaumen immer noch Cassis und eine eher milde Säure aber auch Zitrus, dazu wirkt der Wein furztrocken und auch etwas kratzig, wie man es von Sauvignon Blanc erwarten darf. Das wirkt insgesamt straff, der Abgang ist recht lang und schön. Wunderbarer Wein, der keinerlei Altersschwäche zeigt.

Knipser, Sauvignon Blanc, 2009, Pfalz. Verkehrte Welt aber der 2009er ist deutlich säurebetonter als der 2007er. Über den gefühlten Stilwechsel habe ich mich schon ausgelassen, deshalb nur so viel: ich finde den 2007er besser, womit ich mich mal wieder als Mainstream-Weintrinker oute. Die Nase ist klasse: Apfel, Grapefruit, Stachelbeere, Zitronenmelisse, Salbei und ein leichter Stinker von angeschlagenem Feuerstein. Am Gaumen aber ist der Wein von zu heftiger Säure geprägt: sehr schlank, Stachelbeere, Orange, ein bisschen kratzig. Dazu kommt ein Ton, den ich mal als Gemüsebrühe bezeichnen möchte. Der Abgang ist mittellang. Zweifellos ein guter Wein aber für mich nur zweiter Sieger.

Knipser, Grauburgunder Spätlese, 2007, Pfalz. In der Nase Aloe Verea, sehr blumig, süßlich und ein wenig nussig. Am Gaumen ist der Graunburgunder ein Schmeichler: ein bißchen süß, cremig, voll und weich mit sehr milder Säure und Apfel, Birne und Quitte. Auch am Gaumen kommt ein bisschen Haselnuss ins Spiel und ein wenig Holz. 13,5 % Alkohol spielen sich im sehr langen Abgang etwas in den Vordergrund. Am dritten Tag legt der Wein an Komplexität zu, wirkt dann rauchig und tief. Anfänglich fand ich ihn lecker aber simpel, mit reichlich Luft wird er zunehmend spannend.

Auslese Drei Stern 2002Knipser, Chardonnay trocken ***, 2002, Pfalz. Die Nase ist nicht mehr schön, etwas welk, sehr viel Sauerkraut, kaum noch Frucht, vielleicht ein bisschen Mandarine, etwas kräutrig und käsig. Am Gaumen ist der Wein aber noch recht intakt: Mandarine, Birne, Haselnuss, frische Säure, etwas Mineralik, viel Volumen und ein kräftiger Kuss vom Holz. Der Abgang ist lang und fein, der Alkohol von 13 % sehr ordentlich integriert. Am zweiten Tag macht der Chardonnay dann schlapp. Dies ist meine dritte oder vierte Flasche in den letzten vier Jahren und ich habe den interessanten Reifeverlauf eines manchmal großen Weines schmeckend begleiten dürfen. Dass die letzte Flasche den Höhepunkt knapp überschritten hat, kann ich verschmerzen.

K(l)eine Geschichten zu Großen Gewächsen (5)

Manchmal gibt es gar nicht so viel zu erzählen zu den Weinen, die ich trinke. Hier sind drei, die ich aber keinesfalls unterschlagen möchte.

Ich gebe zu, dass es mir unmöglich ist vorurteilsfrei an einen Christmann-Riesling heranzugehen. Ich habe so selten – vielleicht auch noch gar nicht – einen Riesling von diesem Gut getrunken, der mir verständlich machte, warum es über so großes Renommee verfügt (beim Spätburgunder bin ich bekehrt). Aber dieser Wein ist ein Anfang. Ich finde ihn besser als das Riesling GG aus dem IDIG aus gleichem Jahrgang und er ist gemessen am Spass im Glas vernünftig bepreist.

Riesling Mandelgarten GG 2005Christmann, Riesling Mandelgarten GG, 2005, Pfalz. In der Nase ganz klassisch und jahrgangstypisch: reife Aprikose, Pistazie, süßlich und etwas breit aber verführerisch und mit einem Hauch Petrol. Am Gaumen ein sattes Pfund, das aber nicht übertrieben daher kommt: wieder reife Frucht von Apfel und süßer Aprikose. Der Wein ist barock und ausladend. Da er aber auch extrem mineralisch, fast kreidig ausklingt und die Säure immer noch akzentuiert ist, finde ich ihn sehr harmonisch. 13 % Alkohol sind prägend aber nicht dominant. Der Mandelgarten kleidet den Mund aus, ist gereift und würzig aber nicht zu schwer. Im Kontext ,Pfalz 2005‘ ist er ein feiner und sehr gut gelungener Riesling, der mit seinem ewig langen Abgang zusätzliche Punkte sammelt.

Und noch ein Wein, dessen Etikett mich nicht unberührt lässt: über Chat Sauvage ist schon viel geschrieben worden, in der Presse überwiegend positiv, in Blogs und auf Facebook eher verhalten. Ersteres mag an den tiefen Taschen des Inhabers, eines Bauunternehmers aus Hamburg, liegen, die manch Verleger Hoffnung auf bezahlte Anzeigen machen (da sollte die Berichterstattung nicht allzu kritisch sein), letzteres vielleicht an Neid und Missgunst, der erfolgreichen Menschen hierzulande viel zu häufig entgegenschlägt. Allerdings darf sich Chat Sauvage Eigner Schulz nicht wundern, dass sich manch Winzer der 11. Generation ein wenig angepinkelt fühlt, wenn er in der Zeitung lesen darf, sein neuer Nachbar würde mal eben das ,Deutsche Romanée-Conti‘ aufbauen, nachdem er die ersten 50 Jahre seines Lebens Kalk nur als Baustoff kannte. Mir soll‘s egal sein, ich trinke nur Wein – und dieser hier hat den Wow-Faktor.

Chat Sauvage, Assmannshäuser Höllenberg, Spätburgunder Erstes Gewächs, 2006, Rheingau. In der Nase Rauch, Speck, Himbeere, Brombeere, Kirsche sowie ein bisschen Sauerkraut, jedoch unter der Grenze zum Unangenehmen. Am Gaumen von mittlerem Volumen und mit einer tollen Mischung aus süßer Frucht (Kirsche und Himbeere), kräftiger Säure und sehr geschmeidigem Tannin – das ergibt diese Saftigkeit, bei der ich mich immer in Acht nehmen muss, nicht die ganze Flasche an einem Abend zu leeren. Das Holz und der Alkohol tun das, was sie sollen: dem Wein etwas Kontur verleihen ohne sich in den Vordergrund zu spielen. 13 % Alkohol sind zudem sehr verträglich. Der Abgang ist sehr lang und verhalten mineralisch. Um groß zu sein, mangelt es dem Spätburgunder an Tiefe, ein großes Vergnügen ist er auf jeden Fall.

Den folgenden Wein hatte ich – Etikett hin oder her – abgeschrieben und weil für 23 Jahre alte Tropfen gilt, dass jede Flasche unterschiedlich schmeckt, einfach beschlossen ihn nicht weiter zu erwähnen. Das war um so bedauerlicher, weil er von Bernhard Fiedler stammt – genau genommen von Bernhards Herrn Papa, denn ich vermute, als der `89er entstand, hat Bernhard noch am Abi gebastelt (Oh verzeihen‘s Herr Geheimrat, Matura natürlich!). Doch nach schlappen 6 Tagen im Kühlschrank (offene Flasche) trat eine Wandlung zum (sehr) Guten ein, die es wert ist, beschrieben zu werden.

Grenzhof Fiedler, Neuburger Ausbruch, 1989, Neusiedlersee/Hügelland, Österreich. In der Nase Aceton, Kaffee, Karamell, keine Frucht, stattdessen jede Menge Würze. Am Gaumen Kaffee, Toffee, Karamell, etwas Apfel und Aprikose, sehr süß wenngleich immer noch mit schöner Säure. Insgesamt etwas klebrig, im Abgang wenigstens würzig – dieser Abgang ist für einen ,Ausbruch‘ jedoch etwas kurz. Ziemlich lecker aber jetzt auch über den Zenit – soweit mein Eindruck am ersten Tag. Der Rest stand 6 Tage im Kühlschrank (zum Wegschütten zu schade, zum Unter-der-Woche-trinken nicht spektakulär genug), bevor ich ihn wieder probierte. Und der Wein roch plötzlich intensiv nach Honig, am Gaumen zeigt sich rosinige Frucht, die Süße ist nicht mehr klebrig, Toffee und Kaffee sind immer noch dabei, Madeira lässt grüßen. Der Wein ist alles andere als über den Zenit – eher ein vergleichsweise frisches Altweinvergnügen – alte Weine muss man allerdings mögen, um sich an dieses Cola-farbene Getränk zu wagen.

Wie die Jungfrau zum Kinde

Als ich vor einigen Jahren meine erste Weinreise an die Mosel unternahm, wurde ich an der Pforte eines bekannten Weingutes vom Hofhund fast über den Haufen gerannt. Ich solle mir keine Sorgen machen, beruhigte mich der herbeigeeilte Hausherr, der beiße ,nur Flachlagenwinzer und Chardonnaytrinker‘.

Das beschreibt die Hierarchie wohl ganz gut. Riesling, Steillage – wer es sich leisten kann, betreibt an der Mosel seinen Job puristisch. Weiß- und Spätburgunder sind akzeptiert, Dornfelder und Rivaner für die Belgischen Touristen zumindest geduldet, Sauvignon und Chardonnay sind was für Außenseiter.

In der semipuristischen Welt (Riesling Steillage plus Touristendornfelder) angesiedelt ist auch das Weingut Ludwig Thanisch & Sohn. Dass ich den schlanken Stil des Hauses sehr schätze, habe ich schon mehrfach erwähnt – ebenso wie gut ich den Weissburgunder finde und auch, dass ich dem Hause freundschaftlich verbunden bin. Als ich im April mit dem Winzer telefonierte um nach dem zu erwartenden Jahrgang zu fragen, erfuhr ich unerhörtes: aufgrund eines Koppelgeschäftes bei der Weinbergspacht gelangte das Gut letztes Jahr in den Besitz einer Parzelle Schieferboden, die mit Chardonnay bestockt ist und die es künftig vor dem Verwildern zu bewahren gilt um eine andere – heiss begehrte – Riesling-Parzelle nutzen zu dürfen. Das spült dem Weingut in absehbarer Zukunft jährlich rund 1000 Liter Chardonnay in den Keller.

Ohne genaue Vorstellung, was daraus werden soll (so meine Interpretation seiner Ausführungen), hat Winzer Thanisch diesen Winter seinen Erstling produziert. Der Most wurde zu 80% im Stahltank, der Rest in einem gebrauchten Barrique ausgebaut. Vergoren wurde er zunächst spontan – und die Aromen im Wein sind teiweise jungen Thanisch-Rieslingen so ähnlich, dass ich einmal mehr an die Dominanz der kellereigenen gegenüber den weinbergseigenen Hefen glaube – bevor er zusätzlich mit Reinzuchhefen beimpft wurde um sicherzugehen, dass er auch wirklich durchgärt. Halbtrockenen Chardonnay trinken wohl nicht einmal die Belgischen Touristen, da wollten die Thanischs kein Risiko eingehen. Während der rund halbjährigen Tank-/Fassreife wurde die Hefe regelmäßig aufgerührt. Gefüllt wurde er vor wenigen Wochen – in der Burgunderflasche unter Schraubverschluss – und ist seitdem für 8,50 Euro unter dem Namen ,Chardonnay Zero‘ zu haben.

Drei Tage lang habe ich mich mit dem Wein vergnügt. Mit reichlich Belüftung und knapp zweistelliger Trinktemperatur gefiel er mir am besten. Es ist ein Wein für Moselallergiker, weil er die Charakteristik der Mosel ohne das Schreckgespenst ihrer Säure transportiert und ein Wein für Chardonnayverächter, weil er die Charakteristik der Sorte (sogar in ihrer holzausgebauten Form) ohne ihre manchmal zügellose Wucht rüberbringt. Der ,Zero‘ ist ein Wein für Laien, weil man ihn einfach locker schlorzen kann und ein Wein für Kenner, weil man damit definitiv alle Klugschieter im Freundeskreis aufs Glatteis führt. Ähnlich wie Stefan Steinmetz auf der gegenüberliegenden Seite des Flusses dem Merlot eine Moseltypizität einzuhauchen vermag, gelingt es Thanisch hier beim Chardonnay – so zumindest meine bescheidene und vermutlich nicht völlig unparteiische Meinung.

Thanisch (Ludwig Thanisch & Sohn), Chardonnay Zero, 2011, Mosel. In der Nase zunächst zarter Blütenduft, Eisbonbon und Litschi mit mehr Luft etwas Chardonnay-typischer: Birne, Haselnuss, Quitte, auch etwas blonder Tabak, ein bisschen Holz. Am Gaumen ist der Wein von mittlerem Volumen und angenehm cremiger Textur. Der Chardonnay hat nur vierkommairgendwas Gramm Säure, wirkt aber viel knackiger, was daran liegen mag, dass er auch nur einskommanochwas Gramm Restzucker aufweist. Letztere wiederum mag man kaum glauben, weil der ,Zero‘ so viel süße Frucht präsentiert. Ein kleines Aromenfeuerwerk brennt er mit einem Tag Belüftung ab: Apfel, Birne Haselnuss, Marzipan, Butter, und sogar etwas Schokolade, eine kleine Spur Holz und Rauch. Im sehr langen Abgang macht sich eine schöne Mineralik breit. 13 % Alkohol sind stimmig für diesen Wein. Ich finde ihn sehr gelungen und vor allem originell.