Ich habe ein Problem. Ich bin schwach geworden, habe mich korrumpieren lassen, alles verraten, wofür dieses Blog steht. Sieben Jahre bin ich mir treu geblieben, war unbestechlich. Nie spielte mein Ego eine Rolle, und nun ist er da, der Sündenfall.
Ich nehme Einladungen an, wenn ich über die dort präsentierten Weine schreiben will, denn alles andere wäre Schnorrertum. Hinfahren und nur privates Vergnügen suchen ist genau die Art von Flegelei, die ‚den gemeinen Blogger‘ in Verruf bringt.
Andererseits schreibe ich nur über Weine, die mir gefallen, hebe nichts ins Blog, bloß weil ich eine Einladung oder ein Verkostungsmuster erhalten habe. Denn das Besprechen von Weinen, deren einzige Besonderheit ihr hoher Preis ist (und die Tatsache, dass dieser nicht zu entrichten war oder eine andere Gegenleistung erfolgte) ist genau die Art von Bestechlichkeit, die ‚den gemeinen Blogger‘ in Verruf bringt.
Gleichzeitig versuche ich mich nur über Weine zu äußern, die ich beurteilen kann, oder ich mache transparent, wenn ich eher mit Begeisterung als mit Sachverstand an eine neue Weinart herangehe. Denn zu glauben man gehöre dazu, weil es eine schicke Einladung gab, und man können einen Wein beurteilen, bloß weil der Winzer einen an das Fassmuster ranlässt, ist genau die Eitelkeit, die ‚den gemeinen Blogger‘ in Verruf bringt.
Also gehe ich entweder gemeinsam mit meinen Lesern auf Entdeckungsreise oder ich lasse sie an hart erarbeiteter Erfahrung teilhaben. Bis jetzt!
Dann kam diese E-Mail. Ob ich Lust hätte nach Bordeaux zu fliegen? Es wäre eine kleine Tour, die mit dem Besuch eines Chateau im Sauternes samt Primeur-Probe starten und dann zu einem Gut im Pauillac führen würde. Nach Bordeaux? Ich, der in diesem Blog regelmäßig kundtut, dass seine Liebe zu Bordeaux Grenzen kennt? Der noch nie Bordeaux en primeur verkostet hat? Der die Hälfte seiner Bordeaux-Bestände bei ebay verkauft hat? Der seit geschätzt zwei Jahren keinen Rotwein aus Bordeaux ins Blog gehoben hat? Der genau einen (!) Sauternes im Keller liegen hat? Was soll ich da? Absagen!
Es gab nur ein Problem. Das Chateau im Pauillac, der einladende Gastgeber, war Chateau Lafite Rothschild.
Vielleicht gilt es ja als mildernder Umstand, dass der eine Sauternes in meinem Keller ein 2003er von eben jenem zum Rothschild-Imperium gehörenden Chateau Rieussec ist, das zu besuchen war?
Warum der dann noch nicht getrunken und im Blog besprochen ist, wenn er seit zehn Jahren in meinem Keller liegt?
Hey, der muss noch reifen, wie mir die verkosteten Weine ganz klar bewiesen haben. War eine wertvolle Erkenntnis und muss unbedingt einmal in diesem Blog geschrieben werden.
Chateau Rieussec, Grand Cru Classé, 2005, Sauternes. In der Nase der klassische Mix aus Botrytis und Dörrobst, dazu Karamell und überraschend viel Holz. Am Gaumen einerseits ölig und sehr ausladend, mit etwas zu wenig Frische, andererseits auch deutlich zu jung, mit zu viel Holz und Süße. Braucht noch Zeit.
Chateau Rieussec, Grand Cru Classé, 2009, Sauternes. In der Nase sehr zurückhaltend, etwas Holz, etwas Aprikose. Am Gaumen cremig, Aroma von Apfelringen, erste Würze vom Flaschenlager, auch noch Röstnoten vom Holz, feine Säure, sehr elegant, das Holz toll eingebunden, unendlich lang. Der ist zwar auch noch zu jung, aber jetzt schon groß.
Chateau Rieussec, Grand Cru Classé, 2015 (Fassmuster), Sauternes. In der Nase Botrytis, dezente Frucht (Dörrobst) und sehr viel, alles überdeckendes Holz. Am Gaumen sehr cremig, schöne Frische, aromatisch knallbunt mit Erdbeer-Sahnebonbon ohne Ende, blitzsaubere Botrytis. Sehr langer Abgang. Besser als der 2005er, nicht ganz so elegant wie der 2009er aber extrem vielversprechend.
Kläglicher Versuch, Sauternes-Expertise zu heucheln und sich in die Primeur-Meute zu schleichen?
Na gut, vielleicht kann ich ja journalistische Neugierde ins Feld führen: Wie es sich denn anfühlt, wenn das sehr am heimatlichen Terroir aufgehängte Produkt auf einmal mehrheitlich ins ferne China wandert, will ich von Eric Kohler, dem Direktor der französischen Lafite-Besitzungen wissen und von seinem Kollegen, Vertriebschef Eric Getten, welche Rolle der Deutsche Markt für den Erstwein überhaupt noch spielt.
Chateau Lafite und ‚die Chinesen‘
Sie drückten sich politisch korrekter aus, aber unterm Strich kommt bei mir die Botschaft an, dass man sich seine Kunden nur schwer aussuchen kann und dass es keinen Sinn hat, zur Pflege einer regionalen Kundenbasis Weine günstig in den deutschen Markt zu schicken, wenn die Deutschen diese dann sogleich mit sattem Gewinn nach China weiterverkaufen. Immerhin, erklärte mir die Lafite-Mannschaft, sei das Chateau seit jeher als eines der wenigen seiner Liga für Besucher zugänglich (es muss mich also niemand um die Besichtigung beneiden). Eine E-Mail mit möglichst zwei Wochen Vorlauf genügt und jedermann darf das Chateau besichtigen und zum Abschluss auch Lafite probieren – kostenlos. Das muss man doch mal schreiben!
Seit wann es in diesem Blog um Journalismus geht?
Aber neue Weine und kleine Indiskretionen aus Winzermund sind definitiv regelmäßig Gegenstand dieses Blogs. Sowas zum Beispiel: Um den Kontakt zum Konsumenten nicht zu verlieren hat die Domaine Baron de Rothschild (Lafite) die ‚Legende‘-Linie re-launched und den Pauillac erheblich aufgewertet. Der kostet in Deutschland ungefähr 25 Euro – die Angabe war etwas optimistisch, später kam die Korrektur: 39 Euro UVP, den 2010er gibt es im Netz für 33, der 2012er (der erste nach dem Relaunch), kommt wohl erst noch in den Handel. Offiziell gibt es keine Verlautbarung über die Herkunft des Traubenmaterials, nach dem zweiten Glas eben jenes Weines beim Abendessen erklärte Getten jedoch, da sei eine Menge Traubenmaterial von Lafite drin, was er aber im Falle eines Zitates bestreiten würde. Sein Chef, Gruppen-CEO Christophe Salin wird am nächsten Tag beim Lunch deutlicher: 20 Prozent der Trauben des 112-Hektar-Betriebes fließen in diesen vergleichsweise günstigen Rotwein (der wirklich wunderbar ist, hier aber mahlzeitbedingt ohne Verkostungsnotiz bleibt) und das dürfe ich gerne schreiben. Vielleicht hat ihn unser Mittagswein so offenherzig gestimmt. Es war sein Lieblingslafite, der 1990er.
Chateau Lafite Rothschild, 1990, Pauillac. In der Nase leise: Zedernholz, Trüffel, dezent Stall und etwas dunkle Beeren, aber alles nicht erschlagend. Am Gaumen feine Frucht, viele dunkle Beeren, vor allem Blaubeere, feines, weiches Tannin, lebendige Säure. Würze und Frische halten sich die Waage. Unendlich elegant, der Alkohol ist perfekt eingebunden, der Abgang sehr lang. Einer der großen Rotweine der Welt (leider auf dem Sekundärmarkt nicht unter 500 Euro zu kriegen). Der hat jetzt eine wunderbare Trinkreife erlangt, und das muss der Blogger Ihres Vertrauens doch mal aufschreiben, wenn sich die Gelegenheit schon bietet.
Blogger ihres Vertrauens war einmal? René Gabriel kann das besser?
Ich seh schon, es ist aussichtslos. Vielleicht schreibe ich doch besser nichts über den Besuch. Sollen die mich doch für einen Schnorrer halten, die Rothschilds.
Klasse Felix! Es ist schön, einen Tag mit Schmunzeln zu beginnen!
Grüße! Tina (Whole lotta love… Do you remember 😉 ?!?
Na klar, Gruß nach Trier 😉