Immer wieder werde ich gefragt, wie man denn möglichst schnell lernen kann, fachgerecht über Wein zu reden. Hier kommt ein konstruktiver Vorschlag.
Anmerkung zum Start: dieser Artikel funktioniert am besten, wenn Sie vorher Blindflug Episode 114 hören, denn darauf bezieht er sich. Wer das nicht mag, der findet hier erst mal eine rudimentäre Zusammenfassung. Hörer können direkt zum übernächsten Abschnitt springen.
Welche Sprache für Wein?
Er wolle möglichst schnell lernen, mit allgemein verständlicher Weinsprache in die Diskussion in seiner Weinrunde einzutreten, schrieb mir ein Hörer aus Hamburg. So wie ihm geht es vielen und viele fragen mich: ‚Lohnt der Besuch spezieller Seminare?‘ Ich meine grundsätzlich ja. Doch was ist allgemein verständliche Weinsprache? Das ist keineswegs definiert und ich finde, das ist gut so.
Als Weinpublizist versuche ich Weine einerseits so zu beschreiben, dass der Leser, die Hörerin oder ein Zuschauer sich unter meiner Beschreibung etwas vorstellen kann, er sich aber auch unterhalten fühlt oder sie sogar etwas zum Schmunzeln anregt. Es wird also vermutlich so sein, dass ich demnächst manchem 22er Riesling eine ‚Säure zum kleine Kinder Erschrecken‘ attestieren werde. Der Leser versteht das, eine Prüferin in der Sommelier-Prüfung dürfte das eher weniger goutieren. Die braucht etwas Neutraleres. Deswegen machen so wenige Publizisten Ausbildungen, an deren Ende eine Prüfung steht. Sie sind ein Korsett. Doch sind sie das auch für Privatanwender?
Ja, sind sie, meine ich. Der schnellste Weg zum Weinkenner geht über das Erkennen und Vermessen des eigenen Geschmacks. Und der erste Schritt dazu ist das Erlernen einer Weinbeschreibung, die einen Wein noch eine Woche nach dem Genuss bei der Lektüre am Gaumen wiederauferstehen lässt. Dabei fällt das erfahrungsgemäß immer leichter, wenn die Konsumentin den Wein mit den Worten beschreibt, die ihr tatsächlich in den Sinn kamen, als sie ihn genoss.
Die Macht der Erinnerung
Und was uns in den Sinn kommt sind weder die Worte aus den Schulungsunterlagen des Weinseminars, noch sind es die Kategorien des Aromenrads, das vor uns liegt. Es sind die Aromen unserer Kindheit und persönlichen Sozialisation. Im Podcast haben wir das an den Aromen von Rübenkraut und Malz festgemacht. Letzteres sei hier kurz wiederholt.
Bei der Erwähnung des Begriffes Malz denken 99 Prozent der Deutschen (für Österreicher und Schweizer könnte das auch gelten, aber das kann ich nicht beschwören) an Malzbier. Malzbier ist eine Assoziation, die beim Genuss von Wein höchst selten auftaucht. Malz in kleineren Dosen allerdings taucht als Aroma erstaunlich oft auf, in trockenen Weißweinen, besonders Rieslingen, aus warmen Jahren. Etliche GGs aus 2006, 2011 oder 2018 und eine gute Menge solcher aus 2009, 2012 oder 2015 tragen in der Nase Spuren von Malz. Nur denkt bei diesen kleinen Mengen ein großer Teil der Schnüfflerinnen und Schnüffler nicht an Malz(-bier), sondern an das unter Verwendung von Backmalz gefärbte Schwarzbrot von Bäcker Peters an der Ecke, an den morgendlichen Duft von Muckefuck in frühkindlichen Jugendherbergsurlauben oder an (Ur-)Omas Caro-Kaffee.
Wer dann diese Aromen statt ‚ein Hauch von Malz‘ notiert, hat es später erheblich leichter, den Wein im Gedächtnis zu rekonstruieren. Für die Diskussion mit anderen Weinfreundinnen, die diese Assoziation nicht teilen, weil ihr lokaler Bäcker womöglich Zuckerkulör zum Färben verwendete, oder die Oma schwer auf Jacobs Krönung stand, taugen diese Notizen nur bedingt. Der Austausch über Schwarzbrot bereichert – in vernünftigen Dosen – die Diskussion über Wein ungemein. Als Ergebnis lernt man dabei auch die Übersetzung in ‚Spuren von Malz‘. Diese ‚offizielle‘ weinsprachliche Beschreibung kann dann, wer will, künftig immer dann auf der Tonspur verwenden, wenn Schwarzbrot auf dem Verkostungszettel steht. So einfach ist das.
Weinverkostung – bitte mit System
Also lautet das – im Podcast erheblich ausführlicher begründete – Fazit, dass Weinschulungen für Privatanwender Sinn stiften, wenn sie ihn nicht in ein weinsprachliches Korsett zwängen. Das ist eigentlich immer gleichbedeutend mit der Tatsache, dass sie keine Prüfung zum Abschluss vorsehen. Warum ich grundsätzlich alle Schulungen nach dem COS-System – Color, Odor, Sapor – ablehne, erfahren Sie exklusiv im Podcast. Das zu wiederholen erspare ich mir hier. Kommen wir lieber zum Punkt.
Das Verkostungs-Schema, welches ich für die Podcast-Hörer zusammengestellt habe, startet wie üblich mit den Stammdaten des Weines: Weingut/Produzent; Lage/Eigenname; Jahrgang; Rebsorten; Prädikat/Qualitätsstufe; Land, Gebiet/DO; Weiteres (etwa: aus der Magnum, Fassmuster o.ä.); Verkostungsdatum, Art der Präsentation (etwa: Vergleichsprobe, Kurzprobe, Privater Konsum über x Tage), ob/mit welchem Essen und ob/wie lange dekantiert. Neben diesen Stammdaten trägt – wer sie hat – noch Spezifikationen ein: Traubenverarbeitung (entrappt, Ganztrauben etc.) Gärung (spontan, beimpft, Carbonique o.ä.) Ausbau (Holz, Stahl, sur lie usw.) Füllung (filtriert? geschwefelt?) sowie Analysedaten und die Information, ob der Wein einen biologischen Säureabbau durchlaufen hat.
Aromen frei Schnauze (Nase)
Bei der Beschreibung der Organoleptik lasse ich in meinem Schema die Farbe weg. Sie spielt für den Privatanwender eigentlich keine Rolle. Wenn eine größere Zahl Nutzer sich das wünscht, werde ich aber einen entsprechenden Block einfügen. Bis dahin startet diese Betrachtung mit dem Eindruck in der Nase. Dabei arbeite ich mit Kategorien: Frucht, Pflanzen, Kräuter, Würzig und so weiter. Zu jeder Kategorie bietet das Schema Vorschläge, die vorwiegend aus der Welt der klassischen Weinsprache stammen. Hier sollte jeder aber ohne Scheu auf persönliche Assoziationen zurückgreifen. Die Kategorien (und Vorschläge) im Einzelnen:
Frucht
Zitrus: Grapefruit, Zitrone, Limette, Orange, Mandarine, Kumquat, Maracuja
Kernobst: (Grüner) Apfel, Cidre, Boskop, Bratapfel, Birne, Naschi, Quitte
Steinobst: Kirsche (rot/sauer/Schattenm., süß/schwarz/Herz-), Mirabelle, Pflaume (blau), Reneklode, Aprikose/Marille, Pfirsich, Nektarine
Beeren: Himbeere, Erdbeere, Blaubeere, Brombeere, Waldbeeren, rote Johannisbeere, Cassis, Holunder
Weitere: Banane, Stachelbeere, Kiwi, Rhabarber, Gummibärchen, Eisbonbon, buntfruchtig
Pflanzen
grasig, blumig, Veilchen, Holunderblüte (Flieder), Akazienblüte (Akazienhonig), Minze, Eukalyptus, Wasabi, grüne Paprika, Sellerie (Staude, Knolle), Harz
Kräuter
Lavendel, Wacholder, Thymian, Rosmarin, Liebstöckel/Maggi, Estragon, Petersilie, Dill, Anis
Würzig
Nelke, Zimt, Pfeffer, Tee (schwarz, grün, zu lang gezogen), Zeder, Olive/Tapenade, Muskat, Wacholder, Hefe(-weizen)
Animalisch/Rauchig
Blut/rohes Fleisch, Leder, Speck, Rauch, Holz (Buche, Eiche, Zeder, Akazie), Teer, Tabak (blond, schwarz/Pfeife), Zigarrenkiste, Tierschweiß/Pferdestall, Schweiß/Zwiebelschale, Dung/Mist, Brett, Muff/nasser Hund
Erdig/Nussig
Waldboden/Unterholz (Geosmin), Süßholz/Lakritz, Champignon, Walnusshaut, Walnuss, Haselnuss, Pekannuss, Pinienkerne (geröstet), Erdnuss(-butter), Mandel, Kakao/Schoko, Malz, Rübenkraut/Grafschafter Goldsaft
Süß
Karamell, Vanille, Kaffee, Espresso, Latte Macchiato, Nutella, Toast, Brioche, Marzipan, Honig
Grenzwertiges
Laktisch/Molke/Jogurt, buttrig, böcksrig (SO2/Stinkbombe) Medizinal, balsamisch, oxidiert, allgemeiner Muffton, Nasser Lappen/Mottenkugel, Nasse Pappe, allgemein stechend, flüchtige Säure, schnapsig/spritig, Acetaldehyd/Sherry-Ton, Ethylacetat/Klebstoff, Lösungsmittel, Erbrochenes
Insbesondere Fruchtaromen gewinnen an Präzision, wenn der Verkoster sich dazu noch etwas zur Ausprägung notiert. Hier hätte ich folgende Vorschläge, die teilweise auch auf die anderen Aromen anwendbar sind: unreif, grün, knackig, reif, dropsig, vollreif, überreif, gedörrt, getrocknet, gekocht, marmeladig
In der Regel finden sich die Frucht und Würzaromen auch am Gaumen wieder, während sich weniger angenehme Noten wie Böckser oder Viehstall meist auf die Nase beschränken. Sollte der Wein von diesem klassischen Erscheinungsbild abweichen, lohnt es sich, dies zu notieren. Das Schema sieht dafür einige Felder vor.
Struktur eines Weines – die Königsdisziplin
Der schwierigste Teil der Weinbeschreibung ist vermutlich das, was die Menschen in meiner Blase als Struktur bezeichnen. Struktur tritt am Gaumen zutage. Dort finden sich aber auch die konkretesten Eindrücke, die Wein hervorrufen kann, die Grundgeschmacksrichtungen. Auch hier arbeitet das Schema weitgehend mit Vorschlägen aus der neutralen Weinsprache, lässt aber Platz für die Verwendung persönlicher Vokabeln.
Gaumen/Struktur
Grund-Geschmacksrichtungen:
Sauer: (sehr) kräftige Säure, säurebetont, frisch/resch (Medium-plus), mittlere/ordentliche Säure, zurückhaltende Säure, lätschert/säurearm
Süße: (staub)trocken, sehr trocken, eher trocken, verhaltene Süße, (leichtes) Zuckerschwänzchen/(etwas) dienende Restsüße, (deutlich) schmeckbare Süße, (sehr) süß, zu süß (pappsüß o.ä.)
Bitter: leichtes Bitterl/Bitertönchen (ggf. speicheltreibend), deutlicher Bitterton, ggf unterscheiden zwischen positiv/animierend und unangenehm
Salz: (leicht) salzig
Alkohol:
unauffällig, gut integriert, deutlich spürbar, dominant, brandig
Körper:
schlank -> voll/üppig -> fett/mastig
Druck:
verhalten/leise -> intensiv/druckvoll
Textur:
Klar/wässrig -> ölig/cremig
saftig/stahlig -> phenolisch (kratzig/pelzig)
negativ: seifig, laktisch, ranzig
Tannin:
seidig, feinkörnig, mittelfein, adstringierend, grob, austrocknend
Reife:
positiv: frisch, erste Reifenote, (deutlich) gereift
negativ: firn, wachsig, oxidiert, gezehrt, uralt
Die Bewertung – nicht zu Gericht sitzen
Ist der Wein solcherart seziert, gilt es zum Urteil zu kommen. Dabei empfehle ich, vorher ein paar Einschätzungen zu Teilaspekten abzugeben. Nur machen Sie sich immer klar, dass auch ein Wein perfekt sein kann, der in einer Teildisziplin nur ordentlich performt. Denn nicht alles ist immer gleich wichtig. Ein fruchtsüßer Kabi ist nur dann perfekt, wenn er auf einer Zehnerskala 10 Punkte in den Aspekten Süße-Säure-Spiel und Präzision hat. Er braucht keine Zehn in Komplexität. Ein gereifter Bordeaux braucht diese hingegen unbedingt zur Perfektion, kommt beim Spiel aber sicher mit ordentlichen fünf Punkten aus.
Ich habe diesen wertungsvorbereitenden Teil mit Harmonie überschrieben. Die Teilaspekte sind: Süße-Säure-Spiel, Präzision, Balance, Komplexität, Abgang/Länge und Perlage (bei Schaumweinen). Anschließend kommt das Urteil in Punktform oder als Sternchen. Zur weiteren Verfeinerung sollte sich der Verkoster noch etwas zu folgenden Punkten notieren: Typizität, Zugänglichkeit, Reifezustand, weiteres Potenzial, Preis-Genussverhältnis und – bei einer Vergleichsverkostung – welchen Platz im Feld der Wein belegt hat. Ein Anmerkungsfeld erlaubt persönliche Notizen wie etwa ‚genau mein Beuteschema‘ oder ‚trifft trotz nicht zu leugnender handwerklicher Qualität leider nicht meinen Geschmack‘. Am Ende sollte jedes Schema Platz für eine Verkostungsnotiz in ganzen Sätzen lassen. Hier fände gegebenenfalls dann eine Übersetzung persönlicher Eindrücke in allgemeine Weinsprache statt.
Das Verkostungsschema als Datei
Mit den hier präsentierten Informationen ist jeder in der Lage, sich ein vernünftiges Formular für Weinverkostungen zu bauen. Niemand wird ausgeschlossen. Wer allerdings ins gemachte Bett will, muss zahlen – ab hier geht es nur noch für Steady-Unterstützer weiter.
Ich arbeite selbst am Mac mit Numbers und habe eine entsprechende Datei erstellt, die auch auf allen iPads und iPhones laufen sollte. Für diese Geräte ist Numbers kostenlos im Appstore verfügbar. Daneben gibt es eine PDF-Version. Diese kann vermutlich digital jeder benutzen, der Acrobat Pro verwendet. Ansonsten ist diese Datei zum Drucken von Vorlagen gedacht. Einen Excel-Export füge ich ebenfalls an. Leider exportiert Numbers jede Tabelle in ein eigenes Blatt (es geht auch alles auf ein Blatt, aber nur mit grenzenlos zerschossenem Layout). Ich habe kein Excel, werde aber von Zeit zu Zeit eine Version auf einem externen Rechner produzieren, die die gleiche Qualität wie die Numbers-Version hat. Das wird nur nicht bei jeder Revision sofort klappen.
Wenn Ihr die Datei in Numbers öffnet, könnt Ihr den Punkt ‚Als Vorlage Speichern‘ im Ablagemenü nutzen, um das ganze als Template zu installieren, dann müsst ihr nicht immer erst die leere Datei duplizieren.
Bitte Feuer frei für Feedback und Diskussion…
Hi, erstmal danke für den tollen Podcast! Bei einer Weinrunde in Wien wäre ich sehr gerne dabei…