Das Chianti-Classico-Gebiet richtet Subzonen ein. Wieso, weshalb, warum? Schmeckt jetzt alles besser, oder wird es nur teurer? Hier sind ein paar Erklärungsansätze und Eindrücke vorn der Informationsveranstaltung in Berlin.
Es herrschte seltene Einigkeit. Das Konsortium vermeldete eine Zustimmungsquote zum neuen Modell der Subzonen im Gebiet von Chianti Classico, die man üblicherweise von Pekinger Parteitagen vernimmt. Dass das der inhaltlichen Arbeit zu verdanken ist (und nicht etwa der Aussicht auf Ertragssteigerungen dank enormer Preissprünge), versucht seitdem das Konsortium in einer Reihe von Meisterklassen zu erläutern. Auch in Berlin fand eine solche statt (Teil 1 hier) und auch hier war es der Vater des Projektes höchstpersönlich, der die neuen Subzonen erklärte: Alessandro Masnaghetti.
Alles beginnt mit Lagenkarten
Masnaghettis Geschichte darf man wohl abgefahren nennen und der Falstaff hat sie hier einmal kurz dargestellt. In einem Satz: Der Mann zaubert so detaillierte Lagenkarten und Gebietsbeschreibungen, dass die italienische Verwaltung sie gelegentlich per Dekret in Gesetzesrang erhebt. So geschehen bei der Einführung der ‚Lagen‘ für die DOP Barolo (die viel komplizierter ist, als man denkt und die zu erklären mich hier etliche Podcastminuten gekostet hat, ohne dass das letzte Detail besprochen wäre). Jetzt spielt sich Ähnliches im Chianti-Classico-Gebiet ab, nur hat das zuständige Konsortium den Mann von Anfang an erst als Berater und nun als Botschafter engagiert. Aber was soll das eigentlich alles?
Stellen Sie sich vor, die Toskana wäre Bordeaux. Dann wäre das Chianti-Gebiet das linke Ufer. Rufina wäre Pessac-Léognan, Colli-Senesi vielleicht Graves und Classico wäre wohl das Haut-Medoc. Nun befinden sich innerhalb dieses Haut-Medoc noch die nicht ganz unwichtigen Subzonen Margaux, Pauillac und so weiter. Die fehlten bisher in der Toskana. Wer also aus der Ferne blökt ‚das braucht kein Mensch‘, der hat nichts begriffen. Menschen trinken gerne Herkunftsweine, zumindest in der Blase, die ich hier bediene. Und wenn die Herkunft entlang solcher Parameter eingegrenzt wird, die man gemeinhin mit Terroir in Verbindung bringt, dann mögen Menschen das viel lieber, als wenn solche Grenzen entlang von Verwaltungsbezirken verlaufen.
Also fand die große Terroir-Einteilung des Chianti-Classico-Gebietes statt. Subzonen heißen offiziell Unità Geografiche Aggiunitive (UGA), zusätzliche geografische Einheiten. Es gibt elf Stück davon und sie umfassen das gesamte Chianti-Classico-Gebiet (hier hingt der Bordeaux-Vergleich, denn Pauillac und Co sind quasi privilegierte Oasen im Haut-Medoc). Ihre Namen finden Sie in der Karte hier und unten bei den Verkostungsnotizen. Nur vier entsprechen Gemeindegrenzen (Castellina, Gaiole, Radda und San Casciano), bei den übrigen wurden Gemeinden aufgrund verschiedener Gegebenheiten weiter unterteilt. Die UGAs sind vollständig eingegrenzt, ihre Anwendung ist aber nicht in Stein gemeißelt. Da gönnen sich die Chianti-Winzer Flexibilität und arbeiten in Ruhe an weiteren Regeln. Dafür gibt es schon erste Beispiele. Disclaimer: Wenn Sie in einigen Jahren hier durch eine Suche angespült werden, kommt jetzt der Absatz, den Sie besser noch mal verifizieren, denn hier dürfte sich im Laufe der Zeit einiges ändern.
Wir sind erst am Anfang
Chianti Subzonen stellen keine Qualitätsstufe dar, sondern eine reine Herkunftsangabe. Das ist aber eigentlich Quatsch, weil die Subzonen erst einmal nur auf ‚Chianti Gran Selezzione‘ betitelten Weinen Verwendung finden. Das ist die ebenfalls noch recht junge Kategorie Spitzenweine mit separater sensorischer Prüfung, die dem Chianti Classico zuletzt so viel Momentum verliehen hat. Wenn eine UGA auf dem Etikett steht, bewegen wir uns also derzeit immer im obersten Stockwerk. Dabei gilt für UGAs (und damit für Gran Seleziones) derzeit das Prinzip des bezeichnungsunschädlichen Verschnitts.
Es darf bis zu 15 Prozent einer anderen UGA im Wein sein. Da manche Weingüter auf den Grenzen zweier UGAs sitzen und den Gran Selezione aus ihren besten Parzellen machen, von denen dann halt mal eine im Nachbarbezirk liegt, ist das weit weniger skandalös als es klingt (und in Bordeaux meines Wissens sehr ähnlich geregelt). Die Gran-Selezione-Weine müssen die UGA nicht tragen, dürfen aber. Der deutsche Begriff Sub-Zone passt sprachlich sehr gut, darf aber nicht mit dem juristischen Begriff der Sub-Zone im EU-Weinrecht gleichgesetzt werden, des beschreibt etwas anderes. Die UGA ist technisch das gleiche wie die MGA im Barolo, inhaltlich gibt es aber große Unterschiede. Die MGAs sind Lagen wie die Climats des Burgunds, während die UGAs eher mit den burgundischen Gemeinden vergleichbar sind.
In der Berliner MasterClass erklärte uns Alessandro Masnaghetti die UGAs, ihre Geologie und ihr Terroir und schenkte uns Weine ein. Mein erster, flüchtiger Eindruck war wenig überraschend: Manches fand ich im Glas wieder und Manches nicht. Man kann sich viel einbilden, wenn man eine Anleitung kriegt und ich bin noch lange nicht so weit, dass ich die Einteilung bewerten könnte. Aber ich würde mich schwer wundern, wenn es anders läuft als überall sonst: Einige Herkünfte werden sich deutlicher ausdrücken als andere. Man kann Rüdesheim im Glas leichter erkennen als Hochheim und der Rote Hang ist leichter zu erschmecken als der Wonnegau. Warum sollte das zwischen Florenz und Siena anders sein als am Rhein?
An einem Strang ziehen
Was jetzt schon als großer Erfolg gelten kann und auf eine positive Weiterentwicklung des Systems hoffen lässt, ist der zwischenmenschliche Fortschritt. ‚Die Implementierung der UGAs hat den Organisationsgrad der Kollegen extrem verbessert‘, erklärte mir Christine Lechner vom Konsortium. Früher haben die Erzeuger wenig miteinander geredet, jeder sein Ding gemacht. Heute diskutieren sie, verkosten Weine und erarbeiten gemeinsam, was den Geschmack ihrer Heimat ausmacht. Solche Initiativen sind noch nie fruchtlos geblieben, haben stets Qualitätsverbesserungen nach sich gezogen – ob in der Steiermark, der Wachau, beim VDP oder im Priorat (umso erstaunlicher, dass es noch so viele Regionen gibt, in denen jeder vor sich hin pröddelt).
Die Ursache für die großen Unterschiede zwischen dem Piemont und der Toskana liegen vor allem in den Betriebsgrößen begründet. Hätte man nach dem Vorbild von Barolo und Barbaresco ein lagenorientiertes System auf das Chianti-Classico-Gebiet angewendet, wären vorwiegend Monopollagen dabei herausgekommen – und davon eine absurd große Zahl. Das Ziel, Lagen zu definieren und zu vermarkten, haben die Winzer indes nicht aufgegeben. Der neue Atlas der Regionen (siehe Fotos) liefert dafür reichlich Spielmasse. Hier wird noch weiter getüftelt, hier werden vermutlich Ergänzungen kommen. Ob die immer sinnvoll sind, müssen wir abwarten. Der Auftakt ist ganz gut gelungen, also seien wir optimistisch.
Die Wahrheit im Glas
Anbei meine Lieblinge aus den neuen UGAs. Sie waren mir in der Vorprobe besonders aufgefallen. Danach hatte ich sie entweder in der Masterclass länger im Glas oder als Musterflasche zu Hause.
Alle Weine sind Chianti Gran Selezione, weswegen ich das nicht jedes Mal vermerke.
San Casciano
Die Weine der nördlichsten UGA gelten als früh zugänglich, aber reifefähig, eher hell in der Farbe, mild in der Säure und rund in der Frucht.
Villa Mangiacane, ‚Z-District‘ 2018. Mir gefiel die schöne Klarheit und die kräftige Säure und beides finde ich auch in der langen Verkostung als Markenzeichen dieses ausgesprochen eleganten Weines, der aber fordernd ist, weil den dann eben doch manche Menschen sauer finden, tolles Holz in der Nase, sehr noble Reifearomen, gut integriertes Holz am Gaumen, superlebendige Säure und dann kommen noch später reichlich ultrafeines ‚helles‘ Tannin (im Sinne von ‚nicht röstig‘) dazu. Null Vanille, Kokos oder sonstiger aromatischer Firlefanz vom Holz. Man hat das Struktur, Länge und Potenzial. Großer Wurf!
Greve
Die Gemeinde Greve ist in vier UGAs unterteilt, von denen eine, die größte, den Namen Greve trägt. Und trotzdem lasen sich auch in dieser Teilmenge noch vier weitere Terroirs unterscheiden. Allen Weinen der UGA ist gemein, dass sie viel Substanz zeigen.
Quiercabella 2018 ist noch viel zu jung, mittelkräftige Kirschfrucht, etwas Marzipan, etwas Schokolade, ordentlich Holz, aber ohne große Röstung, ausgesprochen feines Tannin und schöne Säure. Das ist die archetypische Ausprägung eines Traditionalisten in relativ leise mit viel Potenzial.
Montefioralle
Die UGA am linken Ufer des Flusses Greve bietet terrassierte Weinberge und durchgehend Alberese, den verwitterten Sandstein der Region. Dazu liegt die Temperatur hier im Mittel über dem Regionsschnitt. Man sagt deswegen den Weinen der UGA eine gewisse fruchtige Gefälligkeit nach.
Terreno, Sillano 2019. Verhalten fruchtige Nase, eher Leder, Erde, Fleisch. Am Gaumen toller Biss aus schöner Säure und feinem Tannin, gepuffert von einem leicht öligen Mundgefühl, holzwürzig und sehr fleischig, gar nicht so sehr roh und blutig, sondern eher gebraten (was sicher auch an den feinen Röstaromen des Holzes liegt). Wenn man einen Minuspunkt suchen will, dann kann man über die alkoholische Wärme diskutieren. Das könnte einem dritten Glas entgegenstehen, zwei sind aber schnell geleert.
Lamole
Die Weinberge sind hier einheitlich hoch gelegen und eher nach Westen ausgerichtet. Den Weinen sagt man Eleganz und Frische trotz etwas verhaltener Säurewerte, hellere Farbe und florale Aromatik nach.
I Fabbri 2019 war der einzige Vertreter der UGA in Berlin und ich konnte ihn in der Masterclass ausführlich verkosten. Ordentliche Frucht, die geringere Säure wird durch wenig Frucht, Tannin und Struktur freigestellt, was ich aber nur mäßig elegant finde, eher etwas einfach. Aber da kann Flaschenreife Wunder wirken.
Panzano
Auch dieser Unterbereich des Landkreises Greve unterteilt sich noch einmal in vier erkennbare Terroirs, die sich der offiziellen Lesart nach deutlich unterscheiden. Es würde den Rahmen sprengen, hier alle Charakteristika aufzulisten. Für mich klang das nach Baustelle, der vielleicht größten in der aktuellen Klassifikation.
Tenuta Casenuove 2018. In der Nase feine Reifetöne über der schönen Kirschfrucht, dazu etwa Holz, auch dezent fleischig. Am Gaumen ist das eher alte Schule mit deutlich Gerbstoff, der aber schon gut integriert und dessen Ruppigkeit weitgehend weggereift ist. Das ist schon auf dem Weg zur Eleganz, wenngleich wir hier immer noch von klarer Kante und weniger von Seide reden. Die Frucht strahlt, harmoniert gut mit den ersten erdigen Reifenoten. Jetzt ist das eher ein Begleiter für die deftige Küche mit vielen Röstaromen, in drei Jahren trinke ich den aber auch vor dem Kamin, dachte ich, doch das war ein Irrtum: Mit noch mehr Luft leerte ich die Flasche ein paar Tage später mit Podcastpartner Flo und wir waren uns einig, das ist weltklasse und seine fast hundert Euro durchaus wert.
Radda
Viel Wald, hohe Lagen und die Nähe zu den Monti del Chianti sind das beherrschende Thema der Weine, denen ein hohes Maß an Eleganz und eine lebendige Frucht zugeschrieben werden.
Borgo La Stella 2019. Einziger Wein aus Radda im Feld. In der Nase verhalten fruchtig, Holzwürze, etwas Heu, insgesamt eher leise. Am Gaumen ebenfalls zurückhaltende Frucht, Kirsche und Beeren, dazu viel feines Tannin und pures Holz (also ohne Karamell, Nuss, Rauch etc.). Das ist recht elegant, aber auch nicht übermäßig komplex. Die schöne Säure zieht sich durch den langen Abgang. Das ist sehr gut, aber nicht herausragend, kostet aber auch nur 30 Euro.
Gaiole
Ein Beispiel dafür, wie sich der Alberese in unterschiedlichen Geschmacksbildern ausdrückt, wenn die klimatischen Bedingungen stark variieren. Das Motto klingt für mich auch noch nach einer Baustelle gemäß der Maxime, die einzelnen Sub-Terroirs sollten wir noch mal kennzeichnen. Das Gesamtpaket aus sechs Weinen, die in Berlin ins Glas kamen, hat mich nicht so abgeholt. Den besten gab es in der Masterclass.
Capannelle 2018. Wenig Säure, eher cremige Textur, aber die Frucht ist ziemlich knackig, weshalb der Wein durchaus ein Strahlen entwickelt. Dann kommt schöne, rauchige Würze dazu. Finde ich elegant und sehr gut.
Castelnuovo Berardenga
… ist ein eher tiefer gelegener Teil des Gebietes, weswegen den Weinen dunkle Frucht und kräftiges Tannin nachgesagt werden sowie die Eigenheit sich jung eher verschlossen zu präsentieren.
Felsina, Colonia 2019. Pigeage und 30 Monate französische Eiche gehen nicht ganz spurlos an diesem Wein vorbei. In der Nase Holz, dann etwas Frucht; startet ‚wow‘ und dann kommt recht plakatives Holz. Frische Kirsche, schöne Säure, zunächst recht feiner Gerbstoff, doch dann ballert das Holz mächtig rein und es wird austrocknend. Ob sich das findet, wenn mehr Reife und Luft ins Spiel kommen, vermag ich derzeit nicht zu beurteilen, aber ich bin sehr optimistisch, durchaus klassischer Ansatz.
Vagliagli
Dunkle Frucht und kräftiges Tannin, ohne sich so zu verschließen wie Castelnuovo Berardenga, das ist die derzeitige Beschreibung der Weine des Gebiets. Es gab nur einen in Berlin, der mir in der Masterclass ganz hervorragend gefiel.
Fattoria della Aiola, Cancello Rosso 2018. Etwas untypische Nase, weil das sehr nach Himbeere riecht, dann kommt viel Holz. Am Gaumen strahlende Frucht, dann sehr kräftige, aber feine Säure, bevor Holz übernimmt. Wunderbare Anlagen.
Castellina
Auch in Castellina wäre eine weitere Unterteilung wohl angesagt. Im Osten und den höheren Lagen des Westens saftig und heller in der Frucht, im Rest des Westens und im Süden dunkler, im tiefen Süden dann am dunkelsten. Bei aller Sympathie für das Projekt, solche Einteilungen sind noch nicht zielführend.
Rocca delle Macìè Tenuta Fizzano Il Crocino 2020. Eher Pflaume als Kirsche, warme Frucht, die Säure ist passend, deutlich Schoko, etwas Rauch, eher dunkle Aromatik, sehr feines Tannin. Ganz toll.
San Donato in Poggio
Eine weitere Alberese-UGA, im Norden ähneln die Weine dem benachbarten Panzano, im Süden eher elegant und karg.
Il Poggiolino, Le Balze 2019. Sehr kirschige Nase, bisschen Schoko, bisschen Mon Cheri, bisschen Vanille, sehr feines Tannin, sehr elegant, aber auch mit einem festen Kern, der reichlich Potential andeutet. Der Wein ist sensationell!
Auch hier gibt es für Steady-Unterstützer wieder Zugang zu den Arbeitsmaterialien, die wie schon beim ersten Teil sehr knapp gehalten sind, da ich mir ja die interessantesten Weine noch in Ruhe anschauen konnte. Viel Spaß damit.
…
“Pröddeln”, sehr schön. Ich finde ja, es könnte in Ihrem Podcast ruhig mehr hamburgerisch, berlinerisch oder pfälzisch gesprochen werden. Blindflug ist aber auch so ganz gut 🙂