Blick nach Portugal

Zu Gast bei Klein und Winzig

Ich habe zwei Weinanbaugebiete besucht, die weit oben auf meiner Sehnsuchtsliste standen. Sie sind unbekannt und wunderschön und unbedingt einen Besuch wert.

Einen Tag habe ich für mein Vorhaben gebraucht. Zwei Tastings reichten, um zwei Anbaugebiete zu verstehen. Der Grund ist einfach: sie sind winzig, wenn es um Fläche und Erzeuger geht. 17 Weingüter zählt die Sierra de Salamanca, nur wenige mehr sind es in Arribes. Die Hektarzahlen sind mit 130 und 270 Hektar ähnlich überschaubar, was hier in Spanien nicht selbstverständlich ist. Im Süden – in Yecla – teilen sich neun Weingüter 4500 Hektar.

Ab und zu eine Rebe

Doch hier im Westen ist alles anders, sieht Spanien auch nicht unbedingt nach Spanien aus. Das mag zum einen an der Jahreszeit liegen, denn ich war in der zweiten Dezemberwoche dort. Außerdem erinnert diese bergige, bewaldete Region mit 700 Litern Regen im Jahr manchmal eher an den Schwarzwald als an Südeuropa.

Von allen Weinanbaugebieten, die ich besucht habe, ist die DO Sierra de Salamanca am weitesten von einer Monokultur entfernt. Auf dem Weg zum Tasting sah ich kaum Reben. Wenige Hundert Hektar Weinberge (besagte 130 sind die registrierte Fläche der DO; in einigen weiteren Weinbergen entstehen Haus- und Fassweine) verlieren sich in einem Landstrich von 482 Quadratkilometern. Die durchschnittliche Parzellengröße liegt bei 0,5 Hektar, meist terrassiert, dadurch oft noch kleiner wirkend.

Blick von Mogarraz

Die DO existiert seit 2010 und nimmt langsam Fahrt auf: 2024 sind gleich 3 Erzeuger dem Consejo beigetreten. Die Winzer in diesem Teil der autonomen Region von Kastilien und Leon sind pragmatisch, was nicht bloß eine Floskel ist. Spanien ist reich an Streitigkeiten, die auf Unabhängigkeitsdrang und Stolz beruhen. Diese Ecke des spanischen Scheidegebirges heißt offiziell Sierra de Francia. Eine Sierra de Salamanca gibt es nicht wirklich. Da den Winzern intuitiv klar war, dass die DO ‚Französische Berge‘ für spanischen Wein auf Widerstand aus Reihen des östlichen Nachbarn stoßen könnte, sparten sie sich den Zirkus, gaben sich die an den Provinznamen angelehnte Fantasiebezeichnung und erzählen das mit einem Augenzwinkern. Wenn es so was doch öfter gäbe.

Das Dorf der tausend Gesichter

Nicht nur ihr sympathischer Pragmatismus brachte mir die Menschen nahe. Sie haben ihr Hauptquartier in Mogarraz aufgeschlagen und dieses Dorf ist magisch. Als Franco 1967 die Ausweispflicht in Spanien einführte, hatte keiner der damals 388 Einwohner von Mogarraz ein Passfoto. Also kam Alejandro Martín Criado, sie alle zu fotografieren. Aus mir nicht bekannten Gründen behielt er Kopien dieser Bilder und auf mir nicht bekannten Wegen gelangte dieses Archiv Anfang des Jahrhunderts an den in Mogarraz aufgewachsenen Künstler Florencio Maíllo, der die Fotos in Gemälde verwandelte. Unter dem Titel ‚Florencio Maíllo: Retrata2‘ stellte er sie 2012 im Dorf aus – an die Fassaden der Häuser gehängt. Als die Ausstellung nach sechs Monaten enden sollte, mochten die Bewohner die Bilder nicht mehr abhängen. Stattdessen überzeugten Sie Maíllo, den Porträts der damaligen solche von aktuellen Bewohnern hinzuzufügen. Die Ausstellung wurde zur Dauerveranstaltung und es kamen auch noch Gemälde von Bewohnern dazu, die bereits vor dem großen Fotoshooting das Dorf verlassen hatten. Heute wird das rund 250 Einwohner zählende Mogarraz, das schon vor der Aktion auf der Liste der schönsten Dörfer Spaniens stand, ‚Das Dorf der tausend Gesichter‘ genannt. Ein besonderer Ort!

Im Hauptquartier des Consejos, eigentlich das Heimatmuseum, erhielten wir nach einer theoretischen Einführung Gelegenheit zur Verkostung. Aus der Theorie nahm ich mit, dass die auf 15 Hektar stehende weiße Hauptrebsorte der DO lange Zeit als Verdejo Serrano firmierte, weil man dachte, sie sei eine Variante des Verdejo. Genuntersuchungen verwiesen das ins Reich der Fabel, weshalb die Sorte einen neuen Namen erhielt: Rufete serrano blanco als weißer Counterpart des Tinto Rufete, der hier die Rotweine dominiert und in Portugal als Rufeta ein wenig Verbreitung genießt. Daneben wächst Tempranillo und Garnacha.

Rufete in weiß und rot

Rufete Blanca

Für mich waren die Weißen beide ein großes Vergnügen. Der El Helechal 2023 von Viñas Serranas ist in der Nase von Holz dominiert (8 Monate Fassausbau) und startet auch am Gaumen mit Holz, doch dann übernimmt kräftige Frucht mit Mango und Apfel, dazu viel Kräuterwürze. Das hat Substanz und Länge und gefällt mir sehr gut und ist bei Tisch schnell ausgetrunken. Der 2020er La Novena vom Weingut La Zorra hat eine Lagerfeuernase und auch viel Kraft in der Frucht samt einem schönen Kräutertouch, wirkt in der Frucht aber nicht ganz so süß und hat eine prägendere Säure, was mindestens teilweise der Flaschenreife geschuldet sein sollte. Finde ich prima! Das Weingut liegt im Dorf und hat eine Vinothek, in Deutschland gibt es die Weine bei Vioneers. 

Rufete Favoriten

Meine drei Favoriten aus dem insgesamt starken roten Aufgebot: Perahigos #2 2020 von Bodegas Perahigos (in Deutschland bei Peral erhältlich) ist eine Cuvée aus Rufete und etwas Tempranillo, geht für mich in die blaubeerige Languedoc-Richtung und hat ganz feines Tannin, schöne Struktur und Holz (12 Monate) und ein sehr angenehmes Geschmacksbild bei toller Länge – gefällt mir ausgesprochen gut und kostet einen schmalen Taler. Der Rufete 2023 von Malahierba ist jung und vielversprechend, schöner Beerenmix, auch seidiges Tannin, davon gar nicht so wenig, mittlere Säure dazu. Sehr gelungen. Das Weingut gehört zu den hipperen Adressen in Spanien, hat aber seinen Weg nach Deutschland noch nicht gefunden. Der Rufete 2020 von Bodegas El Robledo ist der ausladendste und üppigste Rufete im Feld. Er hat 16 Monate Fassausbau hinter sich – auf der vollmundigen Seite, leicht cremig, darunter viel Tannin, tolles Holz, richtig gut – und so was kostet nur 12 Euro, was vermutlich der Grund ist, warum es auch ihn in Deutschland nicht zu kaufen gibt.

Limon serrano

Wer je die Möglichkeit hat, Mogarraz zu besuchen, der sollte einen Stop im Restaurant Mirasierra am Ortseingang einplanen. Dort nahmen wir das Mittagessen ein, wozu wir die angebrochenen Flaschen mitbrachten. Ein auf dem Papier höchst seltsam klingendes Gericht namens Limón Serrano eroberte mein Herz. Auf einen ‚Salat‘ aus Zitronen, Orangen, Knoblauch, Olivenöl und Rotweinessig schichtete der Kellner Würfel von gebratener Longaniza-Wurst und Spiegeleier, die er dann mit dem Salatbesteck zerpflückte und unter die Mischung hob. Dazu gutes Brot und Rufete Serrano blanco und man will gar nichts anderes mehr essen (ein Vorsatz, der bei den weiteren Köstlichkeiten ganz schnell über Bord ging).

Arribes – Portugal im Blick

Gut 100 Kilometer nördlich von Mogarraz liegt Fermoselle, wo das zweite Tasting meines besonderen Tages stattfand. Da die DO Arribes kein Hauptquartier hat, trafen wir das Team des Consejo im Weingut Pastrana. Der Blick aus dem Fenster der Bodega ist Titelbild des Beitrags. Das Dorf (zwar nicht eines der schönsten Spaniens, aber immerhin offiziell Conjunto histórico-artístico) liegt auf einer Bergkuppe inmitten des Naturparks Arribes del Duero, von der anderen Seite des Flusses grüßt Portugal. Wieder beginnen wir mit der Theorie: Der Duero traf hier auf seinem geraden Weg von Ost nach West auf einen ‚großen Fels‘ und musste einen Umweg nehmen. Er bog nach links, weil dort der weichere Schiefer lag, durch den er sich schneller gefressen hatte als durch die nördlichen Felsen.

In der DO dominieren deswegen Schiefer und Granit. Der Weinbau konzentriert sich auf fünf Flusstäler. Die Hänge starten bei 350 bis 400 Meter über Normalnull und reichen bis auf 750 Meter. In der DO wird viel cuvéetiert, wobei die hohen Lagen die Säure beisteuern. 2700 Sonnenstunden, keine Frühjahrsfröste und – mit der Ausnahme des überall spektakulär trockenen Jahres 2023 – immer ausreichend Niederschläge: Die Bedingungen in Arribes sind hervorragend. Der Schwerpunkt liegt auf sehr alten autochthonen Rebsorten. Die rote Juan Garcia kommt noch auf wenigen Hektar in Portugal vor, die Bruñal ist noch seltener (wenngleich ein spannender Bruñal in Rueda wächst) und das hat einen einfachen Grund. Sie besteht fast nur aus Haut und Knochen. Zwei Kilogramm der ultrakleinen Beeren sind nötig, um eine Flasche Wein zu keltern – zum Vergleich: Beim alles andere als Massenerzeugnis Brunello reichen weniger als eines. Und Bruñal kann brutal viel Säure haben, gerne 9 Gramm pro Liter. Nicht die besten Voraussetzungen, aber wir trinken ja Wein und nicht Analysewerte.

Selten, seltener, Mandón

Den Anfang in der Verkostung macht aber die große weiße Hoffnung der Region: Puesta en Cruz. Die vom anderen Flussufer importierte Sorte gehört zu den Reben, die im Klimawandel eine gute Figur machen. Wir kriegen ihn zunächst als Teil eines gemischten Satzes mit Malvasia Castellana als Hauptrebsorte: Bodega El Hato y el Garabato, Otro Cuento 2021, DO Arribes. Überwiegend Holz und Stahl plus Betonamphore. Was für eine wunderbare Säure, klarer Apfel, straff und dann kommen getrocknete Kräuter, feine Phenolik, tolle Länge. Wunderbar. Genau mein Beuteschema. Die Weine dieses interessanten Erzeugers sind in Deutschland bei Vinoalma erhältlich. Die zweite Variante war dann reinsortig und etwas gereift. Bodegas Pascual Fernandez Siete Peldaños, Doña Blanca Puesta en Cruz 2020. 100 Prozent Edelstahl. Saftiger Start, die Trockenkräuter, die mir schon im gemischten Satz gefallen haben, kommen hier noch besser zur Geltung, die leicht mürbe Art des Weines passt toll zur straffen Säure! Gute Länge. Ganz wunderbar.

Für den Rebsortensammler in mir hielten die Roten noch eine besondere Überraschung bereit: Bodegas Pascual Fernandez Siete Peldaños, Mandón 2021. Die rote Rebsorte steht angeblich nur auf einem halben Hektar in Katalonien. Hier findet sich gleich ein ganzer dazu. Längere Suche im Internet befördert weitere Erwähnungen zutage, so dass es vielleicht doch drei Hektar davon auf der Welt gibt. Mandón ist so extrem spät reifend, dass sie selbst in heißen Ecken bis Ende Oktober braucht. Hier auf 700 Metern Höhe geht die Lese oft erst im November los. Dunkelwürzig, aber nicht überholzt, ordentliche Säure, üppig Tannin, eher kantig als seidig, aber nicht bitter oder austrocknend, sondern kräftig, komplex und toll.

Ein Berg wie ein Schweizer Käse

Bodega Valperdiz, Olvido, Juan Garcia 2022. In der Nase Schuhcreme und etwas Holz, am Gaumen etwas Teer, Röstnoten, fröhlicher Beerenmix. Dunkel, aber frisch. Schön! Olvido Peños keltert mit ihrem Mann gerade einmal 5.000 Flaschen. Sie ist die gute Seele hinter dem Weintourismus in Fermoselle und die Frau, die einen durch die geheimnisvollen Stollen unter dem Dorf führt (siehe unten). Ein klassischer Urlaubswein, den man vor Ort kauft, allerdings ohne sich später daheim zu fragen, warum. Bodega y Viñedos Bruneo, Bruñal 2021 hat zwar viel Holz und das muss noch deutlich abschmilzen, aber die Frucht ist so satt, ohne dass es plüschig wird und der Wein ist so vollmundig, dass ich fest daran glaube, dass ausreichend Charme übrig ist, wenn sich das Holz in zwei oder drei Jahren integriert. Fruchtiger Kirschmix, etwas röstig, etwas animalisch, und richtig gut. Dieser Wein ist der Champion der Region, in Deutschland bei WirWinzer erhältlich und mit 38 Euro auch preislich schon angelangt, wo er hingehört. Vollkommen anders hingegen Bodega Ribera de Pelazas, Gran Abadengo (Jahrgang nicht notiert, sorry), 100 Prozent Juan Garcia, 100 Jahre alte Reben, 18 Monate feinste französische Eiche und am Ende kostet das 16 Euro. Spanien hat immer noch Preisjuwelen zu entdecken! Ungewöhnliches Geschmacksprofil, Veilchen, hellrote Frucht, daneben schönes Holz, ordentliche Säure, mittlerer Körper, feiner Abgang. Ansprechend.

Nach der Verkostung gab es dann den Abstieg – in die Unterwelt des Dorfes, in die Tunnel des Berges, der nicht annähernd so massiv ist, wie man glauben möchte. Ehemalige und aktuelle Weinkeller sind in den Fels gebohrt, Abzugslöcher und -schächte für Gärgase führen auf die Straßen und Wege und all das kann auch der normale Tourist besichtigen, wenn er sich ein paar Tage vorher anmeldet (und ein paar Euro zahlen mag). Denn wo einem im mondänen Frankreich die Türen verschlossen bleiben und im gut organisierten Italien der Herdentrieb manchmal den Spaß verdirbt, hat Spanien oft liebevolle Hemdsärmeligkeit zu bieten, die im Falle der Führung durch die ‚Höhlen‘ von Fermoselle mit sehr gutem Englisch aufwartete.

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