Francois Berthenet ist spät dran. Er braust auf den Hof des wunderschönen Familienweingutes ‚Jean-Pierre Berthenet’ und springt aus dem Auto, bevor der Motor ganz aus ist. Er sei im Weinberg aufgehalten worden … fünf Minuten … kurz duschen und umziehen. Schon ist er wieder weg, was uns Gelegenheit gibt, dem Rest der Familie beim Etikettieren der Weine zuzusehen. Dazu erzählt uns unser Dolmetscher Stevie, warum die Deutschen der Grund sind, dass in der Gegend von Montagny-lès-Buxy erst inflationär viele Crus geschaffen und später wieder deklassiert wurden.
Der Hintergrund ist ein Gesetz, das den Zugriff der Wehrmacht auf Weine aus dem offiziell unbesetzten französischen Gebiet des Vichy-Regimes während des zweiten Weltkrieges regelte. Nur der kleine südliche Teil der Côte Chalonnaise um Montagny lag südlich der Demarkationslinie. Die Weine aus klassifizierten Lagen blieben hier zunächst unangetastet, weswegen die lokalen Komitees kurzerhand inflationär viele Lagen heraufstuften. Nach dem Krieg hatten die Offiziellen dann ein Einsehen: Da die hohen Ansprüche an die Qualität eines Premier Cru in diesem Teil der Côte Challonaise zu oft gerissen wurden, machten sie etliche Klassifizierungen rückgängig. Trotzdem hat die Appellation Montagny heute noch einen Premier-Cru-Anteil von deutlich über 50 Prozent.
Domaine Berthenet – Chardonnay in günstig
Francois taucht wieder auf, frisch geduscht, aber immer noch hektisch. Wie wir unseren Besuch gestalten wollen, will er von uns wissen: erst ein bisschen etwas erzählen und dann Verkosten oder lieber beides miteinander verbinden? Wir sind in Hochform, trauen uns zu, gleichzeitig zu hören und zu schmecken – und entscheiden uns für Variante zwei. Es geht los mit einem Einstiegswein. Francois probiert kurz und schenkt ein, mir gefällt der Montany ‚Tete de Cuvée‘ 2016 zunächst überhaupt nicht. ‚Muffig und unsauber‘, denke ich mir, ‚Das kann ja heiter werden‘. Doch der zweite Wein entschädigt mich. Beim Montagny ‚Les Coéres‘ 2016 findet sich viel Frucht und etwas Holz, ein sehr saftiger, fokussierter Wein – für günstige 12 Euro.
Francois zieht los, um weitere Weine zu holen und Stevie nutzt den kurzen Moment um uns zu fragen, wie wir den ersten Wein fanden. ‚Ich fand, der hatte Kork, aber Francois hat ihn probiert und der wird ja wissen, wie seine Weine schmecken‘, gebe ich ehrliches Feedback. Stevie nickt und fragt den zurückkehrenden Francois nach einer Konterflasche des ersten Weines, der öffnet ohne Nachfrage eine, schenkt ein und während wir uns dem Wein ein zweites Mal widmen, probiert er den ersten erneut. ‚Oh Gott, warum habt Ihr denn nichts gesagt?‘ Das ist einer dieser Momente, wo ich auch ohne Kenntnisse der Landessprache genau verstehe, was mein Gegenüber sagt, so formvollendet entgleisen ihm die Gesichtszüge.
Ich bin beruhigt. Mir passiert so etwas oft genug. Wenn es sogar einem Winzer mit seinem eigenen Wein passieren kann, ist alles gut. Und der Wein ist im zweiten Anlauf auch sehr gut: ein Stahltank-Chardonnay mit toller Frucht, 3 Gramm Restzucker und einer präsenten Säure, die den Wein zum Strahlen bringt. Ein überdurchschnittlicher Alltagsburgunder für 9 Euro! Francois war gestresst und unkonzentriert, die Flasche schon halb leer, weswegen er sie gar nicht auf Fehlerhaftigkeit, sondern eher reflexartig probiert hat. ‚Mein Mitarbeiter, der die Gruppenverkostungen macht‘, erklärt er und deutet auf den großen Nebenraum mit den vielen Tischen und Stühlen, ‚verkostet die Weine nicht, sondern schenkt einfach nur aus. Hiervon haben wir gestern besonders viel verkauft.‘ Er schmunzelt. Wir wenden uns den gehobenen Qualitäten zu.
Premier Cru – die ihre Klasse zeigen
Der Montagny 1er Cru ‚Saint Morille‘ 2016 kostet allerdings auch nur 13 Euro. Er entstammt einem Stahltank, ist knochentrocken. Kein Holz soll seine expressive Mineralik übertünchen – und das funktioniert hervorragend. Dann kommt ein Wein, der nicht im freien Verkauf ist. Den Montagny 1er Cru ‚Mont Cuchot‘ gibt es in der Zuteilung für gute Kunden, die dann aber trotzdem nur 16 Euro bezahlen, für ein echtes Wow-Erlebnis: 70 Prozent Stahl, 20 Prozent gebrauchtes und 10 Prozent neues Holz – enorm balanciert mit minimalem Rauch-Aroma, ziemlich cremigem Mundgefühl und ganz viel Frucht. Die Weine werden jetzt etwas holzlastiger. Beim Montagny 1er Cru Vieilles Vignes 2016 sind es schon 30 Prozent Neuholz, die sich erstmals geschmacklich deutlich mit Vanille bemerkbar machen. Darunter lugt Mineralik hervor – und süße Frucht von feiner Säure eingezäunt, verführerisch, lang, viel zu jung und mit 15 Euro extrem günstig. Der erste Wein mit 100 Prozent neuem Holz heißt Montagny 1er Cru ‚Symphonie‘ obwohl er aus einer Einzellage stammt. Was hier vermählt wird sind zwei Holzarten, denn 20 Prozent des Weines liegen in amerikanischer Eiche! Alle Fässer sind sehr zurückhaltend getoastet, was dem Wein zugute kommt, denn er ist ein eher schlanker, mineralischer Chardonnay mit kräftiger Säure, der den Gerbstoff des Holzes gut integriert, bei dem zu viel Rauch aber stören würde. Großes Potential für 21 Euro, so richtig teuer wird es heute nicht mehr. Auch der letzte Wein bleibt mit 27 Euro unter dem, was man gemeinhin bei Spitzenburgundern für die untere Preisgrenze hält. Der Montagny 1er Cru ‚Les Bonneveaux‘ 2015 ist auch beim Holz zurückhaltend, nur 20 Prozent sind neu. Und es sind 450-Liter-Fässer. Dafür liegt er lang. Das Ergebnis ist sehr cremig, aber nicht fett, sondern eher schlank und tief. Ganz viel Frucht (Apfel, Aprikose und Zitrus) münden in einem kreidigen Finish. Das hat schon was Magisches, spielt in einer ganz hohen Liga.
Francois Berthenet hat für mich den Begriff ‚bezahlbares Burgund‘ mit Leben gefüllt, wie kaum jemand vorher, denn bei ihm gibt es nicht ein paar bezahlbare Basisqualitäten, bevor die Preise luftige Höhen erreichen, hier ist die ganze Kollektion extrem günstig. Mir ist schleierhaft, warum in Deutschland nur einzelne Weine bei verstreuten Online-Händlern erhältlich sind.
Berthenet habe ich das erste Mal 2008 auf dem Strasbourger Weinsalon verkostet. Angetan war ich auch extrem von seinem Aligote, der von ziemlich alten (60-90 Jahre) Reben stammte) und damals als 2005er für 5,70€ in Strasbourg verkauft wurde. Habe noch einiges im Keller von anderen Weinen, muss mal wieder was kühl legen. Interesse unsererseits am Weingut war vorhanden, leider waren die Fachhandelsrabatte damals nicht geeignet, das Weingut ins Sortiment zunehmen. In Strasbourg ist er allerdings immer noch.