Es ist eine simple Wahrheit, die Antonio Rallo da ausspricht: ‚Am Ätna ist ausreichende Säure nie ein Problem!‘ Klingt einfach, ist einfach, und hat doch große Wirkung: ein Glücksgefühl, bei mir, dem Säurefreak.
Wir sitzen beim Abendessen im rustikal-charmanten ‚Etna Quota Mille‘, einem Agriturismo-Hotel auf 700 Metern Höhe, an der Nordostwand des Ätna, nur einen Steinwurf von Antonio und José Rallos Weinbergen entfernt. Den Geschwistern gehört das Weingut Donnafugata und sie machen hier Wein, allerdings erst seit 2016. Die Weinprobe eben, vor dem Essen, war daher eine der kürzesten, die ich je gemacht habe: drei Weine. Und jetzt zum Essen gibt es die gleichen drei Weine, denn mehr gibt es noch nicht. Keine gereiften Jahrgänge und keine großen Reserven. Einen vierten Wein, der nächstes Jahr Premiere haben wird, haben wir vorhin vom Fass probiert. Das Ätna-Abenteuer der Rallos steht erst ganz am Anfang – zum zweiten Mal. Aber die Rallos sind schon deutlich weiter als beim ersten Versuch.
Lava stoppt die Expansion
Antonio Rallos Vater hatte Ende der Siebziger Pläne für eine Expansion an den Ätna. Als die Verträge zum Erwerb von Weinbergsflächen unterschriftsreif waren, wälzte sich 1981 eine 300 Meter breite und 8 Meter hohe Lavawand den Berg runter und begrub die zum Kauf angebotenen Flächen unter sich. Familie Rallo wich nach Pantelleria aus, was sich als glückliche Fügung erweisen sollte, doch diese erzählenswerte Geschichte soll hier und heute nicht Thema sein.
Am nächsten Tag werden wir die Lavahalde des Ausbruchs von 1981 besuchen. Einer unserer Führer, ein Mitarbeiter des Weingutes, wird erstaunlich gefasst berichten, dass wir gerade acht Meter über seinem ehemals besten Weinberg stehen und dass es jetzt nur noch ungefähr 65 Jahre dauern wird, bis hier wieder etwas wächst. Es gibt hier hundert Jahre alte Weinberge, die sind im 18. Jahrhundert einem Ausbruch zum Opfer gefallen und im 19. Jahrhundert wieder bepflanzt worden. So ist der Lauf der Dinge am Ätna. Die Menschen kennen das Risiko. Was zählt ist, dass hier schon ewig niemand mehr durch den Vulkan ums Leben gekommen ist. Vier Verletzte gab es in den letzten 50 Jahren. Es war ein Kamerateam – Berufsrisiko.
Nun also der zweite Versuch. Bis zu 70 Jahre alt sind die Weingärten, die Donnafugata 2016 erworben hat. Dazu kaufte die Familie eine Kelterhalle mit Fasslager. Die Lavaböden sind teilweise so staubig, dass früher erhöhte, gemauerte Wege in die Weinberge gebaut wurden, auf denen die Besitzer und Vorarbeiter gingen, damit sie sich nicht schmutzig machten. Heute stören die nur bei der Arbeit, bleiben aber erhalten. Die Maschinen, die zum Einsatz kommen, sind alle nicht zum Aufsitzen, sie wären sonst zu schwer. Der Einsatz von Herbiziden und synthetischen Düngern ist verboten, da alle Weinbergsflächen am Ätna in einem Nationalpark liegen. Bei Pflanzenschutz setzen die Rallos auf möglichst umweltverträgliche, aber synthetische Mittel, da sie kein Freund von Kupfer sind. Die Rebsorte ist ganz klassisch Nerello Mascalese. In vielen Weingärten stehen dazwischen immer mal Stöcke mit weißen Reben, in einem sind es sogar 80 Prozent. Es handelt sich um Carricante. Schnell stellten die Rallos fest, dass sie so viel Carricante im Bestand haben, dass sie damit bequem einen eigenen Wein in vernünftiger Auflage zustande bekommen. Für Carricante gibt es sogar eine eigene DOC, die Etna Bianco. Diesen Wein kriegen wir als erstes ins Glas und ich verliebe mich. 6,7 Gramm Säure, kein Zucker und nur 12,7 % Alkohol, klingt nach den Analysewerten eines guten Weißburgunder-GGs. Hat aber weniger Frucht und ein bisschen Holz: 50 Prozent Barrique in Zweit- und Drittbelegung, 50 Prozent Betontank.
Etna Bianco DOC und Etna Rosso DOC
Donnafugata, Sul Vulcano Bianco, Carricante, 2016, Etna Bianco DOC, Sizilien. Druckvoll und vollmundig, verhaltene Frucht, Quitte und Grapefruit, Zitronenmelisse, dezent nussig, aber nur ganz wenig Holz, Der eher niedrige Alkohol ist durchaus präsent, die Säure zähmt die Kraft, der Abgang ist verhalten phenolisch und ziemlich lang. Richtig toller Wein. Etwas wärmer und belüftet wird er fruchtiger, aber der Winzer empfiehlt sowieso, den noch zehn Jahre reifen zu lassen.
Ich bin nachhaltig beeindruckt und werde den ganzen Abend immer wieder zu diesem Wein zurückkehren. Doch erst einmal geht es mit dem einfachen roten weiter.
Donnafugata, Sul Vulcano Rosso, Nerello Mascalese, 2016, Etna Rosso DOC, Sizilien. Dezente Nase, leicht blasse Farbe, sehr frisch, sehr fein, sehr elegant, schöne Säure, verhaltene Frucht, etwas kirschig, dann kommt Teer, das Tannin sehr fein, hoher Trinkfluss, gut, aber nicht so tief. Ist auch nur ein Mittelgewicht. Das ist mein erstes Urteil.
Rotwein mit Laserschwert
Im Restaurant servieren sie dann ihre Spezialität: Antipasti auf 18 (!) Tellern, davon etliche mit mehreren Variationen eines Themas, danach dann zwei verschiedene Pasta-Ideen und da spielt der einfache Wein seine Klasse aus, die ich ihm auf den ersten Blick abspreche. Es ist die Säure, Dummerchen! 5,7 hat er und das freut den Burgunderfan. Das Teer in den Tanninen bewahrt ihn aber davor, billige Kopie zu sein. Doch das Bessere ist der Feind des Guten:
Donnafugata, Fragore, Nerello Mascalese, 2016, Etna Rosso DOC Contrada Montelaguardia, Sizilien. Die Cru-Version des Nerello Mascalese ist großartig, macht süchtig, volle Frucht, Kirsche und Pflaume, etwas Schokolade, kräftige Säure, dann fleischig, vollmundig, aber drahtig, feinstes Tannin, sehr elegant. Kostet 50 Euro, liefert aber auch gegen das Investment.
Der Wein hat 14,4 % Alkohol, aber die sind kaum zu spüren, denn er hat – sie ahnen, was kommt – eine fantastische Säure, ebenfalls 5,7 Gramm pro Liter. Antonio Rallo erklärt, dass die Trauben für die beiden Weine fast zeitgleich gelesen werden, das zusätzliche Prozent Alkohol des Lagenweines ist alleine dem Alter der Reben und der fantastischen Lage zu verdanken. Über die Säure macht er sich bei der Bestimmung des Erntezeitpunktes sowieso wenig Gedanken, denn Sie wissen schon: Am Ätna ist ausreichende Säure nie ein Problem!