Ich erzählte es schon im Podcast, deutete es im ersten Bericht aus dem Dão an und rief es über soziale Medien in die Welt: Ich habe mich verliebt! In eine spannende Rebsorte, die heißt Encruzado.
Ich trinke sehr viel mehr Weißwein als Rotwein und ich habe ausgeprägte Vorlieben, davon aber so viele, dass ich am Ende nicht sagen könnte, welche weiße Rebsorte mir die Liebste ist. Am Riesling schätze ich das Spiel von Frucht und Säure, sowie die häufig mineralisch-phenolische Struktur. Am Weißburgunder und Albariño gefällt mir die Eigenschaft, einer hohen Säure einen gewissen Schmelz entgegenzusetzen – auch mal etwas mehr, sobald der Winzer den Wein etwas länger auf der Hefe ausbaut. Die seriöse Ausgabe des Silvaners betört mich mit dieser Heuboden-Ernsthaftigkeit, die nur die besten Winzer zur Perfektion bringen. Holzausgebauter Chardonnay fasziniert mich schließlich mit seinen nussig-buttrigen Aromen und der manchmal fast öligen Konsistenz.
Encruzado – die eierlegende Wollmilchsau
Encruzado kann all das – auf einmal oder abwechselnd, in beliebiger Gewichtung. Von Edelstahl mit wenig Hefelager (dann entwickelt er die größte Ähnlichkeit mit Riesling) bis Holz mit Hefe (kalifornischer Chardonnay lässt grüßen) geht das quasi stufenlos, auch weil sich unterschiedlich ausgebaute Partien prima cuvetieren lassen. Dazu kann Encruzado reifen, zehn Jahre kann ich bezeugen, von zwanzig gibt es glaubwürdige Berichte.
Die erste Begegnung hatte ich mit dem einfachen Dão Doc Encruzado 2018 von Casa da Passarella. Den gab es am Anreisetag mehr oder weniger kommentarlos zum Abendessen und da war er in seinem Element. Entstanden in gebrauchten Fässernmit etwas Maischestandzeit, bis Mai auf der Vollhefe ausgebaut, kam er mit 6,5 Gramm Säure pro Liter und weniger als 1 Gramm Restzucker auf die Flasche. Er zeigt eine eine feine Balance aus Schmelz und Grip, mit dezentem Holzeindruck, der auch von der Hefe kommen kann, getrockneten Kräutern und sehr klarer Frucht – Apfel und Zitrus. Tolles Mundgefühl, große Länge, das ist viel Wein für 15 Euro.
Hoffnungsträger des Dão
Den zweiten Tag der Reise starteten wir dann mit einer kleinen Encruzado-Verkostung. Sechs Weine hatte Tiago Macena für uns ausgesucht und die zeigten, was die Rebsorte kann. Den Anfang macht Quinta das Marias 2018er (alle Weine tragen die Bezeichnung Dão Doc Encruzado, wenn nicht anders angegeben). Edelstahl, reduktiv ausgebaut, Feuerstein und kräftiger Stinker in der Nase, am Gaumen aber klar, saftige Frucht in Richtung Apfel, getrocknete Kräuter, viel Zug, sehr trocken und feine Mineralik/Phenolik im Abgang. Wunderbarer Wein für gut 10 Euro.
Ein Jungfernertrag dann beim zweiten Wein – wie berichtet weiten die Weingüter ihre Encruzado-Flächen aus. Der Vinha da Fidalga 2018 unter dem Label Pedra Cancela gehört zur Lusovini-Gruppe. 50 Prozent Holz, Zweitbelegung, für nur drei Monate mit Batonnage reichen aus, um dem Wein einen kräftigen Holztouch zu verleihen, der am Gaumen zum Glück etwas weniger ausgeprägt wirkt. Tolle Säure, schönes Mundgefühl, aber etwas kurz; guter Wein für unter zehn Euro.
Beim Quinta do Perdigao 2018 habe ich einen leichten Korkverdacht, aber ich stehe alleine da. In der Frucht etwas belegt, ansonsten rauchig von 25% neuem Holz (10 Monate), dazu leicht blumig; am Gaumen sehr verschlossen aber mit schöner Struktur (um 15 Euro). Quinta dos Roques 2017 erinnert in der Nase krass an Silvaner mit dezentem Neuholz. Am Gaumen hat der Wein viel Grip. Tannin, heißes Jahr, 50 Prozent neues Holz: das hat was Monumentales, gleitet aber im Abgang ins grenzwertig-bittere. Ich traue dem Wein viel Entwicklung zu. Noch mehr Ambitionen dann beim 2016er Einzellagenwein ‚Vinha dos Amores’ von Casa de Santar (gehört zu Global Wines). 100% neue französische Eiche für 12 Monate inklusive dreimonatiger Batonnage verstellen ein bisschen den Blick auf Typizität; könnte von überall herkommen, doch zum Schluss bleibt diese faszinierende glockenklare Apfelfrucht und lässt auf tolle Reife hoffen.
Meister des Encruzado: Paulo Nunes
Den besten gibt es dann zum Schluss. Neben dem klassischen Dão DOC vom Vorabend macht Passarella noch zwei Encruzados in der Premium-Linie ‚Villa Oliveira‘. Jetzt kriegen wir den ‚White Label‘ 2011. Gebrauchte 600-Liter-Fässer, zehn Stunden Maischestandzeit, geringe Mostvorklärung und Ausbau aus der Vollhefe bis Mai. Die Nase ist hochseriös und begeistert mit würdiger Reife, am Gaumen buttrig/hefig, dann kommt tolle Säure, dann Haselnuss, Apfel und Reife/Würze, dann wieder Frische und schließlich feine Phenolik im sehr langen Abgang. Das ist ganz großer Sport, kostet in Deutschland aber auch fast 50 Euro.
Später auf dem Weingut sollten wir noch den 2016er und den Spitzenwein ‚Black Label‘ verkosten. Önologe Paulo Nunes hat die Produktion mittlerweile etwas umgestellt. Drei Tage Maischestandzeit, die meist schon etwas Maischegärung zur Folge hat, dann Pressung, Vergärung und Ausbau in gebrauchten 500-Liter-Fässern. Das beste Fass kommt in eine Ecke des Kellers und bleibt dort. Alle fünf Jahre cuvetiert Nunes dann diese Fässer zu einer Jahrgangscuvée, dem Black Label.
Da die ungefähr 3000 Flaschen fünf Jahre halten müssen, sind sie quasi nicht im freien Markt erhältlich. Sie verlassen das Weingut für 80 Euro. Während der 2016er ‚White Label‘ derzeit vor allem viel Potential präsentiert, gehört die Variante mit dem schwarzen Etikett – Jahrgänge 2010 bis 2015, denn im Erstling stecken 6 Jahrgänge, damit zukünftig immer auf das halbe und volle Jahrzehnt ein Wein erscheint – zu den großen Weißweinen der Welt. Bis zu 6 Jahre Hefelager liefern einen ganz weichen Start im Mund, aus dem sich eine feine, vibrierende Mineralik herausschält, begleitet von viel Reife aber auch diesem saftigen Encruzado-Apfel und stabiler Säure – absolute Gänsehaut.
90 Prozent Trefferquote
Unmittelbar nach dem ersten Tasting gab es dann ein weiteres Encruzado-Highlite am Stand von Álvaro Castro, einem der Vorzeigewinzer des Dão, bei unserer bereits geschilderten Begegnung mit ausgesuchten Erzeugern. Der nach ihm benannte (er labelt auch unter Quinta de Saes und Quinta da Pellada) 2010er war auf den Punkt gereift, gefiel mir mit seiner Feuerstein-Nase, den spürbaren Resten der Batonnage und einer stabilen Frucht. Mittlerweile entstehen die Weine mit minimaler Intervention, ohne Batonnage. Ob das gut ist, wird die Zeit zeigen, die beiden gezeigten jüngeren Jahrgänge deuteten großes Potential an.
Bei diesem Tasting wie auch im weiteren Verlauf der Reise bekamen wir noch eine Menge guter Encruzados ins Glas. Empfehlenswert erschienen mir dabei etliche: Dom Vicentes 2018er unoaked Reserva, war sehr saftig und fruchtig; der Primado 2017 von Pereira de Melo schlank und druckvoll mit Potential, Mariposa 2017 mit viel, aber sehr schönem Holz. Große Unterschiede fand ich zwischen zwei Weinen von Boas Quintas: Der Einstieg unter dem Opta-Label für 7 Euro im 20/80-Mix Holz/Stahl einerseits ölig, andererseits sehr frisch, der Fonte do Ouro Reserva Especial mit viel Holz erinnerte mich an von-Winning-Riesling.
Der phänomenale Basiswein von Udaca hat es bereits ins Podcast geschafft. ‚Terras‘ 2017 ist ein toller Basiswein mit Schmelz und Länge von Madre de Agua, während der holzausgebaute 2016er ohne weiteren Namen tolles Holz und viel Potential bietet. Bei Soito Wines kommt der Basis-Encruzado mit 10 Prozent bezeichnungsunschädlichem Malvasia, nur die Reserva ist reinsortig. Über Soito werde ich noch mehr berichten, daher hier die Kurzform: umwerfend! Ähnliches gilt für Caminhos Cruzados’ 31 Monate in Barriques ausgebauten 2015er Passado.
Vielseitig einsetzbar
Bei Global Wines verkosteten wir mit dem ‚Outono de Santar‘ 2013 einen wunderbaren Süßwein aus der Rebsorte (gepimpt mit zehn Prozent Furmint). Als Sekt hatten wir ihn nur in einer Cuvée. Auch in weißen Stillweincuvées ist der Encruzado ein ständiger Partner von Malvasia, Cerceal Branco, Verdelho und weiteren klassischen Portugiesen. Mateus-Rosé-Produzent Sogrape keltert beispielsweise eine famose weiße Reserva mit hohem Encruzado-Anteil auf seinem Weingut Quinta dos Carvalhais.
Die meisten hier beschriebenen Weine sind in Deutschland schwer oder gar nicht zu kriegen. Deswegen bin ich mit konkreten Kaufbefehlen zurückhaltend. Nehmen Sie von diesem Bericht einfach eine Kernbotschaft mit: Probieren Sie Encruzado, wo immer er ihnen begegnet!
Sodele, wir werden demnächst wieder eine kleine Menge des 2018er Encruzado von Quintas dos Roques ins Programm nehmen. Ich hoffe, es ist hier erlaubt, das zu erwähnen. Wenn nicht, bitte löschen.
Na klar könnt ihr das hier erwähnen. Was wird er denn kosten?
Obrigado, Felix! Gelungener Bericht. Ich liebe die Encruzado ebenfalls, die ohne Zweifel das Zeug zum „Aushängeschild der Region“ hat.