Eigentlich wollte ich diese Geschichte verheimlichen, aber die jüngsten Presseberichte zur Freixenet-Übernahme ließen mich umdenken, denn ich verfüge über Insiderwissen, auch wenn ich eher zufällig daran geraten bin…
Professionelle Weinveranstaltungen in Berlin finden gerne am Montag statt. Die Berliner Weinszene hat dann frei, was daran liegt, dass die Berliner Weinszene sehr Sommelier-lastig ist. Schreiberheinis wie ich sind in der Minderheit. Der Ablauf dieser montäglichen Veranstaltungen verläuft üblicherweise entlang einer von zwei Agenden: Entweder der Veranstalter ist ein Winzer/Importeur/Großhändler, dann darf ich verkosten und danach an einem eher abgelegenen Tisch das üblicherweise gereichte Mahl samt begleitender Weine zu mir nehmen und kann mir Notizen machen. Die versammelten Somms und Händler werden hingegen an oder um den Veranstaltertisch platziert, denn Winzer/Importeur/Großhändler mögen den direkten Return on Investment und umgeben sich bevorzugt mit Einkäufern/Wiederverkäufern um über Geschäfte zu reden. Diese Veranstaltungen schätze ich sehr.
Politik und Wein – mein Schicksal
Alternativ ist der Veranstalter eine Agentur im Auftrag einer Körperschaft, beispielsweise eines Consorzios oder Consejos, das gerne durch einen Markenbotschafter und/oder einen Würdenträger repräsentiert wird. Diese sind zu einer gewissen Neutralität bezüglich einzelner Erzeuger und Deals verpflichtet und reden statt über einzelne Produkte lieber über Märkte und Chancen. Dann platziert die organisierende Agentur die Pressevertreter um den Würdenträger, während sich die Somms am Nebentisch gepflegt die Kante geben. (Da geht sie hin, die bevorzugte Behandlung in Berlins gehobener Gastronomie, geopfert auf dem Altar der Indiskretionen. Allein, ich kann nicht anders – immer an die Leser denken.)
Auf einer solchen Veranstaltung war ich im letzten Jahr. Das Cava Consejo hatte geladen, um ein bisschen über Cava zu erzählen und Andeutungen bezüglich der ‘Cava de Paraje Calificado’ zu machen, einer brandneuen Klassifikation für Prestige-Cavas, die erst ein paar Tage nach der Veranstaltung in geltendes Recht überführt werden sollte. Ort des Geschehens war das Restaurant Cinco, Paco Perez’ besternte Berliner Dependance. Repräsentant war der Präsident des Consejo, Pedro Bonet. Ich war da, ich wurde gegenüber dem Präsidenten platziert und mir wurde wieder klar, wie wenig Augenmerk ich auf ‚Märkte’ lege.
Immerhin Mathematik beherrsche ich ein bisschen: die beeindruckenden Zahlen, die der Präsident in seiner Rede dargelegt hatte, musste ich also hinterfragen. Er hatte berichtet, dass die Spanier mehr Cava exportieren (120 Millionen Flaschen) als die Franzosen Champagner. Schnell kamen wir der Sache auf den Grund: Rund 45 Millionen Flaschen Freixenet treten jedes Jahr die Reise nach Deutschland an. Das reicht für Rekorde. Also ließ ich mich zu einer Bemerkung hinreißen – vielleicht etwas spöttisch, aber sicher nicht hämisch! –, irgendjemand müsse den Herren von Freixenet mal stecken, dass ihr flaschenvergorener Schaumwein, der hierzulande regelmäßig für 4,44 Euro als Aktionsware den Besitzer wechselt, ausschließlich mit Charmat-Sekten aus dem Tank konkurriert. Da ließe sich eine Menge Aufwand sparen. Ja, nickte der Präsident, 4,44 Euro, das tue schon weh, und korrespondierend zeigte er ein schmerzverzerrtes Gesicht.
Cava für die Massen – von Könnern
Wir probierten viele gute Weine an diesem Abend. Und einer war von Freixenet, der nach der Großmutter der aktuellen Generation benannte Casa Sala. Den hatte ich das erste mal im Glas und fand ihn richtig gut. Und ich ließ mich zu einer Bemerkung hinreißen – vielleicht etwas spöttisch, aber sicher nicht hämisch! – es müsse frustrierend für ein so talentiertes Kellerteam sein, wenn man zu so begnadetem Stoff fähig sei, davon nur wenige Tausend Flaschen produzieren zu dürfen, vom ‚Carta Nevada‘ hingegen über 50 Millionen abliefern zu müssen. Da war es wieder, dieses schmerzverzerrte Gesicht.
Irgendwann hatten wir alles verkostet und mein spärliches Marktwissen ausgeplündert. Es kam die Small-Talk-Phase. Ich erinnerte mich daran, dass Consejo-Präsidenten in der Regel selber Winzer sind. Also fragte ich: ‚Zu welchem Weingut gehören Sie eigentlich?‘ ‚Oh‘, strahlte mich Pedro Bonet an. ‚Ich bin von Freixenet. Ich bin in der Familie für die Kommunikation zuständig, deswegen lag das Amt beim Consejo nahe.’ Freixenet! Familie! Kein Angestellter, einer der Besitzer! Leider verfügt das Cinco über sehr stabile Fußböden. Ich konnte es mir noch so sehr wünschen, kein Spalt tat sich auf, mich zu verschlucken. Der flehentliche Blick zum Nachbartisch mit den Somms war sinnlos, von denen war keine Hilfe zu erwarten: Alle voll!
Einfach mal die … halten?
Also war es an mir, ein schmerzverzerrtes Gesicht zu zeigen. Immerhin: Stammeln vermochte ich zu vermeiden, indem ich den investigativen Journalisten heuchelte: Was es denn mit den Übernahmegerüchten durch Henkell auf sich habe. Ja, erklärte mir der Freixenet-Mann, in der aktuellen Generation seien es schon 12 Brüder und Cousins, die die Firma führten. In der nächsten Generation hätten über 50 Nachfahren Interesse an der Mitarbeit im Unternehmen angemeldet. Damit seien Konflikte vorprogrammiert, die das Unternehmen vor Probleme stellen könnten, weswegen eine Mehrheit der aktuellen Eigentümergeneration für einen Verkauf sei. Also verhandele man.
So ging der Abend dann zu Ende und als ich mich verabschiedete, war es noch einmal an mir, das schmerzverzerrte Gesicht zu zeigen. Ich hatte ein schlechtes Gewissen. Pedro Bonet blieb das nicht verborgen. Wohl auch um mich zu trösten, erklärte er mir – vielleicht etwas spöttisch, aber sicher nicht hämisch! – dass ich mit meinen Bemerkungen ja recht gehabt hätte. Und wenn ich ihm meine Visitenkarte gäbe, dann würde er mir etwas ganz besonderes aus dem Hause Freixenet schicken. Ich gab ihm meine Karte, er schickte mir Wein.
Der Mann hat Stil!
Und Humor:
Freixenet, Malvasia Dulce, Cuvée de Prestige, 2009, DO Cava Peñedés. In der Nase sehr würzig, mit den typischen Muskat-Aromen, extrem balasmisch/oxidativ/sherryartig durch eine Dosage mit süßem Wein aus über 20-jähriger Lagerung in Kastanienfässern. Am Gaumen dank feiner Perlage ordentliches Spiel und nicht zu süß bei rund 50 Gramm Restzucker. Im Abgang eine feine Note von getrockneten Kräuter und deutliche Sherry-Anmutung. Sehr spannend und passend zum besonders dunklem Schokoladeneis und Desserts mit feinen Bittertönen.
Haha eine interessante Geschichte und Einblick in die Weinszene Berlins. Bei mir nebenan ist auch eine Somelierschule und die „Legende von Paula&Ben“. Den Besitzer Touradj kennen Sie dann sicher auch betrunken an Montagen 🙂