Wein und Klimawandel ist ein häufig gesetztes Verkostungsthema dieser Tage. Dabei habe ich manch hilfloses Stochern im Nebel erlebt. Nicht so beim Niederfall des VDP-Franken.
Immer wieder stelle ich mir eine einfache Frage: wie viel will ich eigentlich über Weinbau wissen? Ich glaube nicht, dass nur urteilen darf, wer es auch selber machen kann. Noch schlimmer finde ich den klassischen Kritik-Konter ‚selber besser machen!’. Robert Parker hat sich nie die Keller oder Weinberge zeigen lassen und trotzdem fundiert kritisiert. Und letztlich wissen auch viele Erzeuger nicht so ganz genau, was wann passiert in Weinberg und Keller. Winzer kann man schließlich auch ohne Studium werden. Warum soll ich also alles wissen?
Flüssiges Lernen
Andererseits macht Lernen Spaß und Erkenntnis schmeckt großartig. Probieren, probieren, probieren – und möglichst nicht in Deckung gehen, wenn jemand mit Wissen schmeißt. Also freue ich mich besonders, wenn es gleichzeitig was zu probieren und lernen gibt. Und wenn der VDP-Franken zum Niederfall bittet, dann gibt es immer besonders viel zu lernen. Das liegt auch an den eingeladenen Rednern und/oder Moderatoren. Dieses Mal stand Klimawandel auf dem Probenzettel, moderiert von Hermann Mengler, ‚Weinfachberater des Bezirks Unterfranken‘ (offiziell) oder einfach ‚Frankens Mutter der Kompanie‘ (inoffiziell) sowie Prof. Ulrich Fischer, Professor für Sensorik und Önologie am Weincampus Neustadt (der zur Universität Kaiserslautern gehört) und Abteilungsleiter Weinbau im Dienstleistungszentrum ländlicher Raum Rheinland-Pfalz.
Der Probenaufbau war recht simpel. Ein Flight mit ‚heißen’ Weinen machte den Anfang. Dann kamen ‚kühle‘ Weine zum Vergleich. Flight drei und vier waren jeweils Weine aus gleicher Lage aus den aufeinanderfolgenden Jahren 2014 (kühl) und 2015 (heiß). Die ersten beiden Flights waren Silvaner, die letzten Riesling. Mengler gab einen Überblick über die Daten der Vegetationsperiode, Fischer gab fachlichen Input zur Verkostung. Seine Profession bringt es mit sich, dass er weiß, wonach er suchen muss. Bestimmte Aromastoffe treten verstärkt unter warmen oder kühlen Bedingungen auf, manch Mangelerscheinung bedingt einen typischen Geschmackseintrag etc.. Es war spannend, ihm zu lauschen und trotzdem ist es möglich zu unterschiedlichen Ergebnissen zu kommen. Das zeigte sich gleich im ersten Teil.
Perfektes Timing für die Zellen
Die heißen Weine im ersten Flight waren Weine aus dem heißen Jahrgang 2018, die allesamt aus ‚heißen‘ Lagen stammten: Kallmuth, Rothlauf, Würzburger Stein und Julius-Echter-Berg. Bei den meisten dieser Weine hatten die Winzer dem Most Säure zugesetzt. Die fällt oft im Laufe der Gärung wieder aus. Sie soll auch nicht dem Wein geschmackliche Frische spendieren – wenn sie es allerdings tut, beschwert sich der Winzer nicht. Sie senkt stattdessen den pH-Wert, stabilisert damit den Gärverlauf und fällt nach Reaktion mit Kalium und Kalzium wieder aus. Sie nimmt also ein paar Inhaltsstoffe mit und macht den Wein zum Abschied etwas schlanker. Das war mir durchaus bekannt. Angenehm ist bei solchen Proben vor allem die unverfälschte Diskussion. Bei öffentlichen Veranstaltungen geben Winzer Informationen über möglichen Säurezusatz ungern preis, weil Endverbraucher das schnell in den falschen Hals kriegen.
Was mir neu war – und was ich als besonders nützliches Wissen erachte – ist die Begründung, warum es 2018 in Franken flächendeckend gelang, erheblich niedrigere Alkoholwerte zu erzielen, als beispielsweise 2003. Ich dachte immer, dafür seien zwei (menschliche) Faktoren ausschlaggebend. Das Ausdünnen der Laubwand durch die Winzer reduzierte die Fotosynthese-Leistung der Rebstöcke, was zu weniger Zucker in den Trauben führte. Und eine frühe Lese sorgte ebenfalls für geringere Zuckerwerte im Most und somit Alkohol im Wein. Doch das ist nicht ganz richtig. Ein entscheidender Faktor, so zeigte Hermann Mengler und erörterte Ulrich Fischer, war die Niederschlagsverteilung. Bis in den Juli hinein lag die Gesamtmenge Regen im Jahr 2018 nämlich recht deutlich über dem langjährigen Mittel. Dadurch hatten sich ansehnliche Trauben gebildet. Entscheidend sei die Zellbildung in dieser Zeit. Nur die Zellen, die vor dem Weichwerden der Beeren ausgebildet sind, können nach dem Weichwerden dann Wasser ziehen, erläuterte Fischer. Die Beeren waren also ordentlich prall und die ausreichende Durchfeuchtung des Bodens in Kombination mit dem Alter der Rebanlagen (wir hatten nur GGs in der Probe) sorgte dann für Moste, deren Zucker nicht durch die Decke ging. Leicht waren die Weine natürlich trotzdem nicht.
Parameter ohne Ende
Es reicht also nicht nur die Durchschnittstemperatur nach Monaten und den Gesamtniederschlag anzuschauen. Es kommt auch noch sehr darauf an, wann es regnet. In Jahren mit starker Trockenheit vor dem Weichwerden der Beeren, bilden diese nicht ausreichend Zellen um eventuellen späten Regen aufzunehmen. In diesem Fall werden die Weine alkoholstärker, selbst wenn der Winzer im Weinberg und beim Lesezeitpunkt Gegenmaßnahmen ergreift. Ich lerne nie aus.
Uneins waren wir allerdings in der Bewertung einzelner Weine. Ich fand die 18er allesamt ordentlich bis gut. Bei keinem muss man sich ärgern, ihn gekauft oder im Keller zu haben. Aber sie sind auch allesamt nicht groß. Der Sensorik- und Weinbau-Lehrer war begeistert, welche Aromen und sensorische Eigenschaften er alle noch oder noch nicht im Wein fand, er fand die Weine erstaunlich dies oder beeindruckend jenes und alles war klar verständlich und sicher berechtigt (ich bin gar nicht in der Position das Urteil anzuzweifeln). Aber die innere Harmonie, die Balance und damit die endgültige Klasse erreichte bei keinem 2018er außergewöhnliche Güte, von Größe gar nicht zu reden. Da ich dieses Urteil so ähnlich auch von Harald Scholl (Vinum Weinguide) und Gerhard Eichelmann vernahm, kann man wohl konstatieren: Bewertung ist keine exakte Wissenschaft, aber das ist vielleicht auch gut so.
Und das gab es zu verkosten:
Flight 1: Silvaner GGs (alle 2018)
Kallmuth GG von Fürst Löwenstein ist in der Frucht reif und weich, aber klar (nicht diffus, gekocht, o.ä.), dazu mit ordentlicher Frische, bevor er sich dann aber doch etwas mopsig im Mund breit macht. Was ihn sehr rettet ist der enorm feste Kern im Abgang, der einiges an Potential und Spannung birgt. Der Rothlauf von Schwab ist zunächst etwas frischer, dann minimal laktisch und gefühlt etwas süßer (hat aber nur 1,6 Gramm Restzucker). Auch hier findet sich noch etwas Potential und gute Anlagen, bei derzeit insgesamt ordentlichem Erscheinungsbild. Der Würzburger Stein vom Juliusspital ist der erste Wein im Flight, den ich saftig finde. Das hat schönen Säurebiss, ist daneben noch etwas verschlossen und aufgrund des Ausbaus in neuen Tonneaus nicht wirklich vergleichbar. Braucht noch ein oder zwei Jahre um das Holz ganz zu verdauen – mein klarer Favorit im Flight. Der Julius-Echter-Berg von Johann Ruck hat gefühlt die lebendigste Säure, ist in der Frucht aber ziemlich dropsig, was zu einem etwas limonadigen Eindruck führt. Das kann zu Eleganz reifen, wird es vermutlich auch.
Flight 2: Silvaner GGs (alle 2016)
Himmelspfad von May erschreckt erst mit einer gemüsig-krautigen Nase, die sich aber zu mehr Harmonie schwenken lässt. Am Gaumen tolle Säure, etwas alkoholisches Feuer, das gut passt und recht deutliches Holz. Ja, ich weiß. Der Wein hat gar kein Holz. Aber der Himmelspfad liegt regelmäßig länger auf der Hefe und schmeckt dann, als hätte er eine ordentliche Portion neues Holz. Zu dieser Würze kommt eine sehr reife Frucht, was perfekt mit der deutlichen Säure harmoniert. Toller Wein. Maustal von Luckert ist etwas klarer mit viel Apfel, die Säure singt und dann wird es stoffig und cremig, ohne dass das Süße-Säure-Spiel darunter leidet. Ungemein lebendiger Silvaner, großartig. Der Mönchshof von Bickel-Stumpf wird unter Wert geschlagen, weil 3 Gramm Restzucker in diesem Kontext etwas süß wirken. Die Frucht geht in Richtung Grapefruit und einheitlich murmeln die Verkoster etwas von Riesling. Schönes Spiel und schöner Wein, der aber noch ein wenig reifen darf. Der Schlossberg von Castell hat eine schweißige Nase, an die man sich erst mal gewöhnen muss. Sie ist allerdings auch recht fruchtig, sogar etwas beerig. Am Gaumen dann eher typische Aromatik: Birne, Heu und Trockenkräuter. Das ist der schlankste Wein im Flight, wirkt fein-nervig mit viel swingender Säure. Eleganter Wein der Extraklasse. Der ganze Flight ist ein Traum.
Flight 3: Kühles (2014) und heißes (2015) Jahr im Vergleich. Riesling.
Die Centgrafenberg von Fürst sind für mich nur sehr ordentlich. Sie sind auch für dieses Thema kaum geeignet, oder extrem geeignet, je nach Blickwinkel. Der 2014er hat eine leicht kandierte Frucht und deutliche Reifenoten, spielt mit 8 Gramm Säure bei 5,5 Gramm Zucker immer noch gut, könnte aber etwas vielschichtiger sein. Ich finde ihn angenehm, aber nicht mehr. Der in der Nase viel wärmere 2015er kommt dann mit 9 Promill Säure bei 2,6 Gramm Restzucker mit der Brechstange in den Mund. Das ist noch unterhalb der Schmerzgrenze, aber wirkt in Teilen etwas grün und unfertig. Das war vielleicht doch ein wenig früh gelesen, denn nach 6 Jahren sollte sich das harmonischer präsentieren. Beim Stein Hagemann vom Bürgerspital zieht der 14er an meinen Zähnen, während der 15er diesbezüglich unauffällig ist. Doch analytisch liegen die beiden ganz nah beieinander (7,7 vs. 7,5 Gramm Säure). Der Hagemann ist immer etwas schlanker, die Säure wirkt immer etwas kräftiger. Der 2015er mit seiner ausladenderen Aromatik puffert das perfekt und gefällt mir ausnehmend gut, 2014 ist insgesamt auch spannend, aber mir genügte davon wohl ein Glas.
Flight 4: wie Flight 3
Bei Horst Sauers Am Lumpen ist der 2014er für mich etwas problematisch, weil die deutlich spürbare Botrytis nicht so harmonisch gereift ist. Kräftige Säure und schönes Spiel halten den Wein insgesamt auf Kurs, er wird also nicht zu üppig, aromatisch ist das aber ein halber Süßwein. Der 2015er ist in der Nase massiv unruhig und gemüsig, was sich aber vollständig wegschwenken lässt. Darunter liegt dann ein klassischer, leicht kräutriger Riesling mit schöner Säure. Paul Weltners Hoheleite sind dann ein ganz großes Finale. Im 14er spielt feste, reife Frucht mit rescher Säure, bevor es schmelzig wird. Im Abgang bauen dann Phenolik und Säure schmirgelnd Druck auf, dass es eine wahre Pracht ist. Speicheltreibend, Durst machend und unglaublich lang. Im 2015er findet sich das alles wieder, ist die Frucht nur etwas reifer und die Säure etwas saftiger. Hier hat man tatsächlich das Gefühl, der wichtigste Unterschied sei die Wärme des Jahrgangs und 15 war nicht so warm, dass man keine großen Weine erzeugen konnte.
Mal wieder etwas dazugelernt. Was ein Profi so alles rausschmeckt! Ist ja fast wie im Blindflug.
Sehr interessant und verständlich geschrieben. Da habe ich auch wieder dazugelernt. Danke Felix!
Schön, dass es immer noch etwas neues zu lernen gibt. Nur mal so am Rande: War Prof. Ulrich Fischer nicht derjenige, dessen Mineralikstudie du im Podcast mal thematisiert hast? Wenn ja, wäre interessant zu wissen, ob er sich das angehört hat bzw. ob ihr das vielleicht sogar im Anschluss an die Veranstaltung besprochen habt :).
Ja, das war er und ich muss davon ausgehen, dass er das gehört hat. Wir waren sehr freundlich miteinander, Gelegenheit zur Diskussion gab es aber nicht.