Kennen Sie Freisa? Nein? Schwere Bildungslücke! Werden Sie mir glauben, wenn Sie den Bericht vom schrägsten Tasting meines Lebens lesen.
‚Vergessen Sie Nebbiolo, Nebbiolo kann jeder. Freisa ist die eigentliche Herausforderung, die Rebsorte, die den Winzer als Könner ausweist. Freisa ist im Weinberg eine Diva und im Keller eine Zicke!‘ Ungefähr so übersetzt es sich ins Deutsche, was die junge Dame da vorne gerade aus dem Italienischen ins Englische übersetzt. ‚Klarer Fall!‘, sollte man denken, ‚Da ist jemand neidisch auf die Nachbarn mit ihrem berühmten Barolo.‘ Doch das haut nicht hin, denn die junge Dame übersetzt die Worte ihres Vaters, Aldo Vajra, und der muss nicht neidisch sein, denn er besitzt einen tadellosen Ruf als Produzent vornehmen Barolos. Er sagt das, weil er es meint. Und weil es ihm wichtig ist. Deswegen ist er auch persönlich hier erschienen und hat seine Tochter als Dolmetscherin mitgebracht.
Ich bin bei einem in jeder Hinsicht durchgeknallten Tasting. In einem rustikalen Gasthaus im Piemont sitze ich mit meinen sechs Mitreisenden an einem Tisch nebeneinander, uns gegenüber sitzt eine Schaar von Winzern. Spitzenwinzer. Sie sind alle hier persönlich erschienen, um uns ihren Freisa einzuschenken und zu erklären. Bei vielen von ihnen ist es schwer, einen Termin auf dem Weingut zu bekommen, denn sie sind in der Hauptsache Spitzenerzeuger von Barolo oder Barbera. Aber für den Freisa haben sie sich herbemüht. Keiner hat einen Vertreter geschickt. Also sitze ich bei einer Mischung aus Speed Dating und ‚Felix sucht den Super-Freisa‘ und einer nach dem anderen turnt vor. Neben dem militärisch akkuraten Aldo Vajra, bei dessen Erscheinen selbst die Winzerkollegen die Hand an die Hosennaht legen, zeigt mit dem stets verschmitzt wirkenden Alfio Cavallotto ein zweiter Big Name des Barolo eine Liebe zum Freisa, bei der man nie auf die Idee käme, dass es sich hier um einen der günstigsten Weine auf seiner Preisliste handelt.
Freisa – autochthon, selten, vielseitig
Freisa ist eine autochthone, rote Rebsorte des Piemont. Sie ist, das erwähnte ich wohl schon, eine schwierige Rebsorte, in jeder Hinsicht empfindlich, bei der selbst gestandene Könner den Wein erst als gemacht betrachten, wenn das Etikett auf der Flasche klebt. Vorher ist alles möglich. Auch stilistisch: bei meiner ersten Begegnung mit dieser Rebsorte serviert man mir Freisa als Rosé, als roten Perlwein, als Rotwein mit und ohne Holzeinsatz in eher leichter und schwerer Riserva-Ausprägung. Und obwohl mich das Format etwas irritiert: die Weine dieser Verkostung erzeugen Wonne.
Das geht schon bei den Perlweinen los. Roter Perlwein, leicht gekühlt, spritzig aber mit Tannin und in der Regel 4 bis 5 Gramm Restzucker zum Puffern – das klingt kompliziert. Ist es aber nur in einer Hinsicht, bei der Bezeichnung. Das italienische ist wie das deutsche Weinrecht: Perlwein muss ein Bar Druck auf die Flasche bringen und der darf auch von zugesetzter Kohlensäure stammen. Wer Freisa liebt, der setzt aber keine Kohlensäure zu, denn guter Freisa Frizzante hat nur ein ganz paar Bubbles. Also reicht es oft nicht zu einem Bar. Als gesetzestreue Bürger verzichteten Erzeuger wie Balbiano oder Mauro Sebaste auf das Frizzante und bezeichneten ihren Wein als ‚Vivace‘. Die Bezeichnung ist – der Amtsschimmel wiehert – jetzt weinrechtlich verboten. Also schreiben die in die Illegalität getriebenen jetzt entweder Frizzante drauf, obwohl der Druck nicht reicht, oder weiter das verbotene Vivace. ‚Bisher ist das gut gegangen‘ erklärt Mauro Sebaste, dessen Freisa Vivace ‚Sylla‘ mit süßer Frucht, feinem Tannin und einem bemerkenswert langen Abgang punktet und beim Blick auf die verschworene Gemeinschaft vor mir denke ich, es wird noch weiter gut gehen. Von denen wird keiner den anderen verpetzen. Balbianos Frizzante Freisa di Chieri gefällt mir unter den perlenden am besten, er schmeckt furztrocken, zeigt knackige Kirschfrucht, etwas Tannin, eine beeindruckende Struktur für einen so leichten Wein (12,5% Alk.) und macht dazu noch einfach Spaß.
Dass Freisa wirklich alles kann, zeigt dann Ca’ del Prete mit einem Freisa Superiore. Es ist ein Bio-Freisa mit sehr wenig Schwefel und der üblichen Minimalinterventionsgeschichte. Der erste Freisa mit viel Tannin – dazu mit toller Säure, schöner Struktur, satter Kirschfrucht. Eine beeindruckende Mischung aus Leichtigkeit und Seriösität. Ich fange an, ein Herz für Freisa zu entwickeln.
Freisa: Von Könnern für Kenner
Der nächste interessante Betrieb stellt sich vor. Die Azienda Agricola 499 (benannt nach der Höhe des besten Weinbergs) ist ein Leidenschaftsprojekt. Eigentlich ist Mario Andrion Kellermeister bei Castello di Verduno. In seiner Freizeit keltert er jedoch noch mit Gabriele Saffirio ein paar Tausend Flaschen Freisa und Moscato. Der Langhe Freisa 2014 ist der erste Wein bei dieser Veranstaltung, der alle Piemont-Klischees bedient, also eine Nase zeigt, die mich ein bisschen an Kirsche, Leder und Schuhcreme erinnert. Am Gaumen spielen eine kräftige aber feine Säure mit gezügeltem Tannin. Das ist sehr elegant und gut. Noch seriöser, mit noch mehr Tannin und kräftigem Holz dann der bereits erwähnte Cavallotto.
Die spektakulärste Geschichte höre ich zum ‚Vigna della Regina‘ von Balbiano: Es ist einer der ganz wenigen Weine der Welt, der aus einer innerstädtischen Weinlage in einer Großstadt stammt. Der Königinnenweinberg liegt in Turin und der beeindruckende Wein verfügt über eine eigene Website, sein Preis ist gedeckelt und bei der Distribution achten die Winzer darauf, dass nicht alle Flaschen in den Kellern der besseren Turiner Gesellschaft verschwinden. Die lustigste Präsentation kommt von der Inhaberin der Tenuta Santa Caterina. Guila Aleva stellt sich uns vor und erklärt, Ihr Vater habe den Freisa des Hauses nach ihr benannt und die Koseform ‚Guil‘ dafür verwandt, weil er und seine Frau sie immer so gerufen hätten. Heute wünsche sie sich, sie hätte ihren Eltern damals deutlicher zu verstehen gegeben, wie sehr Sie diesen Spitznamen hasste. Dem Wein ist das indes egal, er brilliert auch mit Kosenamen durch viel Frische.
Und dann tritt der bescheidene Herr Peyrani vor. Er betreibt ein Landgut mit 34 Hektar, von denen nur 5 Hektar Reben beherbergen, darunter eine Freisa-Anlage von einem Hektar aus dem Jahr 1940. Mein Nachbar erklärt mir, Herr Peyrani sei ein Mega-Geheimtipp in Sachen Barbera und seine Weine ziemlich schwer zu kriegen. Auch er ist nicht hier, weil er seinen Wein verkaufen muss. Um uns einen Eindruck vom Reifeverlauf seines Freisa d’Asti zu geben, bringt er die Jahrgänge 2010 und 2011 mit. Die hauen mich schlicht um. Genialer Stoff für Menschen wie mich, Menschen mit einer Schwäche für Pinot und andere Rotweine, die auf jegliche Pose verzichten können.
19 Freisas kriege ich ins Glas, nur zwei können mich nicht verzücken, einer weil ich mit allen Spielarten von getrockneten (hier Passito-Verfahren) Trauben in Rotweinen nicht zurecht komme. Bleibt ein schwacher Wein von 19. Eine selten gute Quote. Meine Favoriten finden Sie auf dem Foto.
Nach der Probenshow setzen wir uns zum Abendessen zusammen, die Freisas können ihre große Klasse als Speisenbegleiter ausspielen. Und dann drehen die Winzer den Spieß noch um. Hätte ich mir denken müssen. Jeder von uns Weinschreibern muss aufstehen und seine Eindrücke des Freisatastings in Worte fassen. Ist nur fair. Ich stehe auf und formuliere: Freisa ist eine Rebsorte mit Charakter. Starkem Charakter. Die besten Winzer können Sie in die Mangel nehmen, sie mit Restzucker, Kohlensäure, neuem Holz oder Sonstwas bearbeiten und es bleibt doch immer Freisa, den ich mal mit Säure, Struktur, Kirsche und vielleicht piemonteser Schuhcreme beschreiben möchte. Und mit geerdeter Harmonie, inspirierender Freude. Wie ein schräges Tasting in einem Landgasthof. Eine Erinnerung fürs Leben.