Alle Jahre wieder bringt der Frühling den Menschen die Frühlingsgefühle. In der Weinwelt manifestieren sich die in der Regel in einer Lust auf Weißwein. In den letzten Jahren auch in einer Lust auf Streit, Beleidigungen und Aggressionen. Ursächlich ist – meiner Meinung und Beobachtung nach – das Thema ‚Naturwein‘. Natürlich gibt es auch jede Menge roter Naturweine, das ideale Geschmacksbild dieser unterscheidet sich allerdings nur marginal von dem klassischer Weine, weswegen über sie weniger Dissens herrscht. Bei weißem Naturwein scheiden sich die Geister. Außerdem tummeln sich zwei Naturweinmessen in Berlin und München im Terminkalender für den Monat Mai. Also steht der im Zeichen weißer Naturweine – und hysterischer Diskussionen.
Eines vorweg: Da sich sowieso niemand einen Millimeter bewegt, verweigere ich mich der Diskussion. Es ist mir total Latte, wer was wie definiert und ob Orange, Raw und Natural ident sind oder nicht. Auch ob 10 Milligramm Schwefel schon der Sündenfall und ein Böckser in jedem Fall ein Weinfehler ist: Wer das mit mir diskutieren will, den muss ich enttäuschen. Wendet Euch an meinen Freund Wayne, den interessiert’s. Es gibt da draußen viel zu viele Menschen, die zu wenig zu tun haben. Zwei geschlagene Tage lang haben sich neulich drei Dutzend Facebook-Bekanntschaften auf’s rüdeste darüber gestritten, ob Wein ein Natur-, Kultur-, oder gar Industrieprodukt ist. Aus irgendeinem Grunde spülte der Facebook-Algorithmus mir diese Diskussion immer wieder ganz nach oben, obwohl ich nicht daran teilnahm und auch nicht en Detail mitlas. Vielleicht lag das an den vielen Naturweinen, die ich derweil probierte und kommunizierte.
Die Saison begann dieses Jahr mit der Frage von Chris vom Münchner Händler Weinfurore, ob ich Lust hätte seine drei extraordinären Welschrieslinge zu probieren. Hatte ich, denn ins Gespräch waren wir gekommen durch meine in die Welt hinausgeschriene Begeisterung für einen eher wilden, slowenischen Welschriesling von Marof. Also schickte Chris Wein und wie es der Zufall wollte, lud mich mein Freund Jens Garlipp, Weinhändler in Berlin Mitte und derjenige, der mir Marof eingeschenkt hatte, zu einer Probe mit Marof-Macher Uroš Valcl. Da bot es sich an, die drei Weine mitzunehmen und ein Welschriesling-Fest zu veranstalten.
Weinfurores Welschrieslinge kommen ebenfalls aus Slowenien. Sie unterscheiden sich vor allem durch die Machart, stellen keine Lagen in den Vordergrund. Der ‚traditionellste‘ stammt aus Ganztraubenpressung und wurde im gebrauchten Holz spontan vergoren, der etwas wildere ist das Produkt längerer Maischastandzeit und der ‚natürlichste‘ ist auf der Maische vergoren. Wenig bis kein zugesetzter Schwefel, keine Filtration. Kleiner Gag: die Weine heißen entsprechend einfach Ganztrauben, Standzeit und Maischegärung und am Flaschenhals finden sich eine grüne, gelbe und rote Kapsel, je nach Wildheit. Leider hatte gelb einen so heftigen Kork, dass ich nicht mal erahnen konnte, wie der Wein schmecken soll. Grün war zunächst langweilig (ich finde Welschriesling quasi immer erst mal langweilig) und drehte dann mit drei Stunden Luft mächtig auf: knallbunte Bonbonnase mit viel Frucht und etwas Vanille, am Gaumen extrem viel Kokosnuss (nicht holzig) und Apfelringe, leicht cremig, mit langem, mineralischen Abgang. Rot hingegen war total von der Machart geprägt: etwas Stall und viel Hefe in der Nase, aber auch etwas Zitrusfrucht. Am Gaumen stützen Gerbstoffe die Säure, was einen sehr stahligen, süffigen Wein ergibt, der aber aromatisch mit stereotypen Anklängen von Hefeweizen und grünem Tee alle Orange-Klischees bedient. Während Grün zeigt, dass es einige – meiner Meinung nach von Natur aus eher biedere – Rebsorten gibt, die sich im Wild-Style richtig aufpeppen lassen, ist Rot aus einem anderen Grund interessant. Hier gibt es Hardcore-Orange für 13 Euro – Kampfpreis.
Den Mittelweg, den wirklich goldenen, beschreitet Uroš Valcl beim Bodonci 2012, einem Welschriesling, der nur zu 30 Prozent auf der Maische vergoren, in Gänze dann 3 Jahre im großen Holz gereift ist: süßer Kern mit balsamischen Noten, schönes Gerüst aus Säure und Gerbstoff, dem dann reichlich Opulenz alles Garstige nimmt. Orange ohne Orange sozusagen. Valcl macht bei Marof darüberhinaus begnadeten Chardonnay und Sauvignon Blanc, beide unter dem Lagennamen ‚Breg‘ sowie Zweigelt von irrer Konzentration (auch ‚Breg‘) und einen noch viel zu jungen, gigantischen Blaufränkisch mit Namen ‚Mackovci‘. Wenn Sie in Berlin sind, gehen Sie zu Jens Garlipp und kaufen Sie das. Sie werden es nicht bereuen.
Wilden Stoff aus der Heimat gab es dann letzte Woche bei mir daheim. Philipp Kettern hatte seinen für Wein am Limit produzierten Orange Wein mit Namen JoJo geschickt. Riesling in Orange ist selten. Fragt man Winzer warum, erklären sie unisono, dass die Rebsorte von Natur aus mit einer ausreichenden Säure ausgestattet ist. Diese mit zusätzlichem Gerbstoff zu verstärken ist selten ein Gewinn. Beim JoJo dachte ich das zunächst auch, doch mit 24 Stunden Luft beweisen Kettern und sein Mitstreiter Dirk Niepoort, dass sich das Ganze in ihrem Wein charmant zusammenfindet. Auch der Petnat ‚Piu Piu‘ gewinnt dem Thema neue Facetten ab, war aber ein Unikat und ist ausverkauft und darum hier nicht weiter Thema.
Am Wochenende war dann die RAW in Berlin, jene Naturweinmesse, die von New York aus die Ausbreitung der neuen Tränke maßgeblich befördert hat. Es war die zweite Berliner Ausgabe der RAW und sie brachte jede Menge Winzer in die Stadt. Christian, ebenfalls Weinhändler und Inhaber der wunderbaren Läden mit dem schönen Namen ‚Weinhandlung Suff‘ in Kreuzberg, hatte mich auf eine abendliche Tour auf dem historischen Salonschiff ‚MS Möwe‘ geladen. Mit dabei sechs Winzer aus seinem Sortiment. Christian hat ein wunderbares Sortiment, was auch daran liegt, dass er so wunderbare Sätze sagt wie ‚So ein ganz bisschen Schwefel mögen wir doch alle gern!‘ Jeder Winzer stellte einen Wein vor, anschließend gab es beim geselligen Beisammensein weitere Weine der sechs zum zwanglosen genießen.
Den Anfang machte der 2017 Kirchenstück von Collective Z. Zwei Tage stand der Riesling auf der Maische, lag siebeneinhalb Monate auf der Hefe. Er gor dabei durch bis auf 0,1 Gramm Restzucker und senkte in der malolaktischen Gärung seine Säure von neun auf sieben Gramm. Das Ergebnis ist in der Nase noch hefegeprägt diffus, am Gaumen aber erstaunlich strukturiert und mit betörender Frucht. Leicht cremige Textur, würzig-rauchig, ein bisschen geheimnisvoll – hat mich begeistert. Martin Wörners 2016er Cuvée ‚Weiß‘ aus der Magnum gefiel mir auch sehr: 75% Müller-Thurgau auf der Maische und 25% Riesling mostvergoren ergeben eine tolle Mischung aus Bukett und Zug mit leichtem Schmelz. Läuft! Der Lambrusco mit dem Namen ‚Firordiligi‘ von Quarticello war eine Premiere. Dieser 2015er ist nach traditioneller Methode versektet, in der Tirage aber nur mit Most beimpft und dann nach 2 Jahren ‚Pas Dosé‘ also ohne verändernde Dosage degorgiert. Monumentale Frucht, langer süßer Abgang, allerdings etwas grobe Perlage, vielleicht, weil er zu warm war.
Dann Jura: Domaine de la Pinte, ein 2011er Savagnin Arbois. 5 Jahre auf der Hefe. Fleischig, salzig (im Wortsinne), , schöne Säure, enorme Intensität, Typizität, Länge – fantastisch. Beim nächsten Wein war ich vor allem froh, dass ich ihn nicht blind verkosten musste. Man, was hätte ich mich blamiert. Den 2003er Zweigelt ‚Graf‘ aus der Magnum vom Weingut Muster hätte ich mit seiner fetten Lakritznote, der betörenden Frucht (Kirsche und Pflaume) und dem feinen Tannin für irgendwas zwischen Brunello und Syrah gehalten. Das wichtigste an diesem Wein aber: oje, war der lecker (!). Danach hatte es der 2012er Rosso Vigna Vecchia von Colombaia aus der Toskana sehr schwer. Christian sagte wieder einen seiner schönen Sätze: ‚Manchmal sind die Naturweine auch ein bisschen rustikal‘. Dem kann ich nicht widersprechen.
Viele der weiteren gereichten Weine konnten mich ebenfalls begeistern, ich mochte nur keine Notizen mehr machen, schließlich sollte es gesellig werden. Das wurde es auch, denn alle sechs Produzenten widerlegten den häufigen Vorwurf, man könne Naturweine nicht einen ganzen Abend lang trinken. Das, was da auf den Tischen stand, wäre idealer Stoff gewesen um sich die Lampe anzuzünden. Ich tat es trotzdem nicht. Ich liebe Bötchen fahren, denn Bötchen fahren wirkt auf mich ungemein entspannend – solange ich dabei nicht zu viel Alkohol trinke. Und so kam es, dass ich so glücklich von Bord ging, dass ich – getreu dem Motto, man soll aufhören, wenn es am schönsten ist – beschloss am nächsten Tag die RAW zu schwänzen.
Und ganz ehrlich, ich glaube, das täte vielen Menschen in der Weinwelt ganz gut: mehr schwänzen, weniger trinken und ab und zu mal Bötchen fahren.
Wir fahren alle viel zu wenig Schiff in Berlin! Danke für die Erinnerung! Es gibt da ganz wunderbare Touren raus vor die Tore der Stadt. Vielleicht nehme ich ja beim nächsten Mal sogar eine Flasche gekühlt mit … Marof, Muster … was auch immer. :))