Es gab Champagner, fünf Exemplare, Jahrgang 1982, oberste Liga. Die Erfahrung war großartig, der Genuss stellte sich aber nur teilweise ein.
Im Dezember letzten Jahres tranken wir im kleinen Kreis eine Flasche Dom Perignon 1947. Der Wein hatte keine Kohlensäure mehr und war sehr weit gereift. Wir waren uns in wesentlichen Fragen der Bewertung uneinig. Übereinstimmung konnten wir dahingehend erzielen, dass es sich um ein Freak-Erlebnis handelte, welches jeder Freak einmal im Leben anstreben sollte (die Flasche hatte vor einem Jahr auch nur wenig mehr als ein aktueller Jahrgang gekostet). Wie viel vom Charakter eines Champagners noch im Glas zu erfahren war, schätzten wir sehr unterschiedlich ein. Einiges, meinte einer, nichts, meinte ich. Mich erinnerte das an so manchen ordentlichen Riesling mittlerer Güte aus den 70ern, den ich als Kellerfund irgendwo eingeschenkt bekommen hatte. Einen von denen, bei denen ich ‚wow‘ sagte, weil so viel Frische nicht zu erwartet war, aber nicht einer von denen, bei denen ich das Notizbuch heraushole.
Champagner on the Edge
Unser damaliger und gestriger Gönner meinte, dass ihn gereifter Champagner dann richtig abhole, wenn er zwar schon ausgesprochen fortgeschritten, aber noch mit ein bisschen Kohlensäure ausgestattet sei. Also kam ihm die Idee einer Blindprobe mit Weinen, die mutmaßlich in genau diesem Zustand sein würden. Er machte sich auf die Suche und präsentierte uns gestern seine Funde. An dieser Stelle Dank für die Initiative und großzügige Einladung.
Fünf Jahrgangschampagner aus dem Jahr 1982 kamen blind ins Glas. Es handelte sich um die Shining Stars großer Häuser, mithin ausschließlich Weine, die nach 1990 degorgiert wurden. Rund 32 Jahre konnten sie danach unter Korken reifen. Uns war bekannt, welche Champagner am Start waren, nur die Reihenfolge war blind, aber niemand konnte nichts bestimmen. In meine Verkostungsnotizen flossen die Äußerungen meiner Mitverkoster ein. Ausnahmsweise handelt es sich also hier nicht nur um meine Einschätzung, sondern um eine Beschreibung, die alle Mitverkoster akzeptabel fanden.
Wein 1: Die Nase riecht nach altem Riesling, ich finde, er schmeckt auch etwas nach einer gut gereiften Auslese, null Kohlensäure, hat ziemlich viel Fruchtdruck, dann kommt aber auch Firne. In der Säure nicht besonders aggressiv, deutlich Malz und Karamell und etwas Kaffee. Aus schwarzem Glas würde ich auf einen guten Süßwein tippen. Eher Portwein als Sherry, deutliche Süße. Hat nichts mit Champagner zu tun, ist aber toll. (Taittinger Comtes de Champagne, Blanc de Blancs, brut)
Wein 2: Deutlich Liebstöckel in der Nase, dann etwas Kaffee und kandierte Aprikose. Am Gaumen ganz viel Aprikose (in allen Facetten), etwas Marzipan, Orangenschale, auch Latte Macchiato. Das ist ziemlich mollig, hat aber auch sehr viel Säure und ist nicht pappig süß. Natürlich ist das speziell, aber das zeigt noch deutlich Bezug zum Ursprung, ist gereifter Champagner und wirklich großartig, auch wenn die Säure beim zweiten Glas sicher grenzwertig wird. (Dom Perignon)
Wein 3: Die Nase wirkt, als hätte jemand Wein 1 mit Wasser verdünnt. Am Gaumen noch minimal Kohlensäure, der bisher deutlich trockenste, hat richtig Zug, aber auch etwas aggressive Zitrone nach hinten raus, sehr nussig, fast schon Nutella, allerdings nicht wegen der Süße. Das war vermutlich mal ganz groß und dürfte aus perfekter Flasche auch jetzt noch Jubelgesänge hervorrufen. Ich finde den Wein jetzt immer noch mindestens wunderbar. (Krug Vintage)
Wein 4: In der Nase Brottrunk, auch etwas Heftpflaster, eher schwierig, wird mit Schwenken etwas zahmer. Am Gaumen noch etwas Kohlensäure, würzig, Tabak, Grapefruit, aber etwas belegt, deutliches Bitterl, große Strenge, was mich aber ein bisschen anmacht (als einzigen am Tisch). Ganzes Glas muss ich aber nicht trinken. (Jacquesson Perfecion brut)
Wein 5: In der Nase Laugencroissant mit viel Butter, Marzipan, Hefe, Orangeat. Am Gaumen startet das mit reifer Aprikose und endet mit spritziger Limette, extrem kräftige Säure, ganz feine Perlage (mithin auch so viel Kohlensäure, dass man das differenzieren kann), etwas Malz, aber keine übertriebenen Nuss-Noten etc.. Schöne Würze, etwas Vanille, große Komplexität und diese darunter liegende Frische, die dem Wein immer wieder Leben einhaucht. Großartig. (Bollinger RD)
Schlussfolgerungen
Wie immer bei solchen Gelegenheiten ist die Zahl der Datenpunkte eigentlich nicht ausreichend für große Theorien und wie immer interessiert mich das nicht wirklich. Hier also das ernüchternde Ergebnis: je mehr Kohlensäure ein gereifter Champagner noch hat, desto besser seine Bewertung. Das setzt eine lange Reihe von Verkostungserlebnissen fort, deren Schlussfolgerungen unendlich banal sind. Schaumweinblindverkostungen führen einfach nicht zu revolutionären Erkenntnissen. Je länger das Hefelager, desto besser der Wein, je trockener, desto feiner erscheint die Perlage, und zuletzt die von Ollie hier im Podcast präsentierte brasilianische Studie des LVMH-Konzerns, die weitere Mythen beerdigt.
Eine zentrale Frage bleibt aber Ansichtssache: der Champagner-Charakter der vollständig stillen Exemplare. Für mich hätte Wein eins auch eine gut erhaltene halbtrockene 75er Huxelrebe Auslese aus Rheinhessen von einem ordentlichen Erzeuger sein können, ähnlich ging es mir damals mit dem 47er im Dezember. Der Dom Perignon – allerdings mit minimalen Resten Kohlensäure – hatte eine Anmutung, die noch den Champagner erkennen ließ. Die Frage ist, war das der letzte Rest Kohlensäure, oder ist das die Qualität des Weines und die besten Champagner bewahren ihren Charakter doch noch eine ganze Weile? Wir haben im freien Trinken nur die Weine mit (Resten von) Kohlensäure weiter getrunken, insofern ist das eine eher akademische Frage.
Ende mit Knall
Abschließend gab es noch einen Rotwein. Blind eingeschenkt aus der frisch geöffneten Flasche hat der mich überfordert, aber zum Glück war bei fünf Personen am Tisch genug Menge da, um dem Wein etwas Zeit zu geben.
In der Nase ein Hauch Kuhstall und Schuhcreme, Pflaume und Kirsche, Johannisbeere, ganz viel Bleistift. Am Gaumen eher weiche Frucht, aber trotzdem unendlich elegant, in der Säure mittelkräftig. Mit Luft kommt Tannin, sehr feines Tannin, Holzwürze kommt gar nicht vor, stattdessen immer mehr Bleistift (Mine nicht Späne). Vollkommen blind denke ich, das ist ein großartiger Wein, dem die letzte Präzision in der Frucht fehlt. Dann wird der Jahrgang genannt: 1982 und ich denke, das ist unglaublich Präzise für dieses Alter, denn diese wunderbaren Tertiäraromen gibt es nur im Tausch gegen die nachlassende Strahlkraft der Frucht. Und mit mehr Luft wird das immer noch besser. Und als der Spender dann final die Hülle von der Flasche zieht, ist der Chateau Mouton Rothschild 1982 tatsächlich so groß, wie alle sagen. Einer am Tisch erzählt, das ist der höchstdekorierte Wein der Geschichte: 28 Mal 100 Punkte, inklusive aller Nachbewertungen der bekannten Instanzen. Ich weiß jetzt auch warum. Ich nehm die leere Flasche mit nachhause.
Lieber Felix, sehr schön geschrieben und bringt mich um einiges weiter. Wir planen mit unserem 6 Personen Weinclub zu Weihnachten ein kleines Champagnertasting und dank des Artikel fallen in diesem Stadium unseres Weinclubs gereifte schon mal raus.
Liebe Felix Bodmann, liebe Weingeniesser, ich tue mich auch schwer mit der Degustationdefinition, der Mouton riecht nach Bleistift. Bleistiftminen bestehen aus Garfit und Grafit als Bleistiftmine ist geruchlos.
Bitte die Weine möglichst realistisch beschreiben, das kann auch weinsprachlich umfangreich sein, aber bitte immer realistisch, damit die D egustation für die Leser nachvollziehbar bleibt.
Also erstens ist das eine Behauptung, für die ich gerne einen Beleg hätte. Bleistiftminen werden aus einem Mix von Grafit und Tonerde gebacken und zusätzlich gewachst. Sie haben einen Eigengeruch. Einfach mal googeln. Zweitens, ich werde garantiert nicht auf Assoziationen verzichten. Habe ich nie und werde ich nie. Muss die Bitte also abschlägig bescheiden. Notfalls einfach anderes Weinblog lesen, gibt ganz viele Aromasammler da draußen.
Erstmal vielen Dank für den tollen Beitrag, den super Blog und natürlich den coolen Podcast. Nochmal eine ganz andere Frage: Ist es eigentlich bekannt, wieviel % der Rebflächen des VDPs jeweils als Große und als Erste Lage klassifiziert sind? Konnte auf der Homepage des VDPs dazu nichts finden. Vielen Dank und weiter so!
In der Sektion Weinberg Online auf der Webseite des VDP stehen die Hektarangaben der einzelnen Lagen. Also wird sicher mal jemand die Summe über alle gezogen haben, aber das schließt natürlich den Besitz anderer Winzer mit ein. Für den Rheingau gibt es eine Zahl, weil es eine gesetzliche Klassifikation ist. Da sind es ungefähr ein Drittel der Fläche, wobei der VDP für seine eigene Klassifikation etliche von denen abgestuft hat.
Ich habe das mal beim VDP nachgefragt. Nur, falls es noch interessiert, anbei die Antwort:
„Für die Weinberge, die als VDP.GROSSE LAGE® klassifiziert sind, sind es knapp 5% – regional ist das allerdings auch unterschiedlich.
Eine exakte Übersicht der VDP.ERSTE LAGE Rebfläche erstellen wir zum aktuellen Zeitpunkt und warten teilweise noch auf die Rückmeldungen der einzelnen Regionen.“
Toller Bericht mit einem zu beneidenden Flight. Den Bollinger muss ich mal in die Websuche werfen. Den Rothschild eigentlich auch aber dafür wird das Budget nicht ausreichen 😀
Sie erwähnen beim Mouton 1982 zweimal Bleistift. Wenn Sie ein Leser des Weinterminators wären, der beim Mouton auch immer Bleistift erwähnt, hätten Sie einen Volltreffer gelandet.
Der (Un-)Sinn dieses Kommentars ist welcher, Walter?
Lieber Oliver, Walter liest den Schnutentunker seit acht Jahren und ist ein aufmerksamer, stets höflicher Kommentator. Ich gehe davon aus, dass das einfach ein anekdotischer Hinweis war.
Ich bin kein Leser, möchte stattdessen die Aussage umkehren: was Mouton als charakteristische Signature-Aromatik präsentiert, bewegt sehr viele Menschen dazu ‚Bleistift‘ zu rufen, unter anderem (anscheinend, ich vertraue ihnen da) auch den Weinterminator. Wir haben gestern sogar noch darüber gesprochen, dass wir alle Bleistift sagen, obwohl die Bleistiftmine ja eigentlich gar keinen Eigengeschmack hat. Wir haben sicher alle schon mal (als Kind) an einem Bleistift gelutscht und das war eher eine haptische Erfahrung (kühl, glatt) und trotzdem haben alle die gleiche Idee. Vielleicht ist es ein spezieller Geruch beim Zeichnen/Schreiben mit Bleistift oder beim Anspitzen? Ich weiß es nicht und meide in soichen Fällen gerne die diffuse Formulierung. Aber da mehrere Leute direkt die Assoziation hatten, habe ich sie doch aufgenommen.