Berlin im März zu entfliehen ist grundsätzlich eine gute Idee. Die Toskana rief, also folgte ich. Das Wetter war dann scheußlich, doch zum Glück ging im Glas des Öfteren die Sonne auf.
Vor dem Austrieb sind alle Weinberge grau, deswegen war der wesentliche Unterschied zwischen der Toskana und Berlin, dass der italienische Regen 12 Grad wärmer war. Aber sehen wir es positiv: nichts lenkte mich von den Weinen ab, deretwegen ich mich auf den Weg gemacht hatte. Frescobaldi hatte eingeladen. Schon wieder, könnte man fragen. Dich, ernsthaft? Könnte man auch verwundert fragen, schließlich herrschte in meinem Bericht über die letzte Reise zur Tenuta Luce nicht nur eitel Sonnenschein. Manche Unternehmen der Branche sprechen schon für weniger einen Bann aus, aber Frescobaldi tickt ganz eigen. Das macht das Unternehmen auch so spannend, dass ich eine zweite Einladung annahm.
Chianti Classico und Rufina
Thema des Trips und entsprechende Besuchsstationen waren die eher bodenständigen Unternehmungen der Familie im Chianti-Gebiet. Die bodenständigen Weingüter sollte ich präzisieren, denn Frescobaldi betätigt sich auch im bodenständigsten Bereich des Business überhaupt: als Lohnunternehmer mit eigenem Gerät fremde Weinberge bewirtschaften. Das ist ein Geschäft, in dem man genau das macht, was der Kunde wünscht und nur so viel, wie er zu zahlen bereit ist. Eigener Qualitätsanspruch spielt da keine Rolle. Das kann zu kuriosen Situationen führen, wie ich gleich an unserer ersten Station lernen darf.
Das erste besuchte Weingut ist nämlich die Tenuta Perano in Gaiole im Chianti Classico. Dieses wie aus dem Ei gepellte Kleinod gehört erst seit 2017 zur Familie. Damals ersteigerten die Frescobaldis den Besitz mit seinen 250 Hektar Ländereien, darunter 52 Hektar Weinberge mit allerbesten Vorraussetzungen. Was die Familie allerdings aus erster Hand wusste: in Teilen der Weinberge entsprach der Pflegezustand nicht dem Standard für familieneigene Lagen. Die mittelmäßigen Zustände hatten sie nämlich selber im Kundenauftrag herbeigeführt. Drei Jahre zuvor hatten Sie die Weinbergspflege als Lohnunternehmer übernommen und eben nur die Arbeiten ausgeführt, die der Kunde bestellt und bezahlt hatte. Also landeten Teile der ersten Ernte und Fassweinbestände auf dem freien Markt und die Frescobaldis investierten massiv in die Verbesserung der Zustände.
Auch das Gutsgebäude – Keller wie Repräsentationsflächen – erhielt ein Upgrade. Die L’Osteria Perrano als hauseigenes Restaurant bietet regionale Küche mit der Mehrheit der Zutaten aus Frescobaldi-Produktion, Wild aus den Wäldern, Rind und Milchprodukte aus eigener Wirtschaft, Brot und Pasta aus eigenem Getreide, Olivenöl aus eigener Mühle. Auch wir nehmen hier ein einfaches Abendessen nach der Besichtigung und Verkostung einiger Fassproben. Das ganze Ambiente strahlt Luxus aus, obwohl weder die Wein- noch die Restaurantpreise in der Luxusliga spielen. Auf meine flapsige Bemerkung hin, irgendwie müsse man ja die Kohle verballern, die die Tenuta Ornellaia gerade in rauen Mengen abwirft, erhielt ich eine erfrischend ehrliche Antwort: Als Unternehmen würde man das offiziell anders formulieren, aber meine Aussage käme der Wahrheit auch recht nahe.
An Geld herrscht kein Mangel
Das ist der Unterschied zwischen Antinori und Frescobaldi: erstere stecken die Gewinne aus dem Luxussegment in neue Luxusprojekte, letztere machen Chianti und Pasta. Die Pasta aus Tirrena-Weizen ist eines der neuesten Projekte. Das Getreide aus drei alten Sorten stammt von Frescobaldis Ländereien am Tyrrhenischen Meer, die Verarbeitung zur Pasta übernehmen die Spezialisten von der Pastificio Artigiano Fabbri.
Frescobaldi unterliegt geringer Publizitätspflicht. 2016 gönnten sie der Öffentlichkeit zuletzt detailliertere Einblicke in die Finanzen. Damals betrug ihr Umsatz in der Wein-Sparte 95 Millionen Euro, was ein Plus von 10 Millionen Euro gegenüber dem Vorjahr darstellte. Die Profitabilität war mit 34 Prozent Umsatzrendite atemberaubend, der Exportanteil lag bei 70 Prozent. Heute, getrieben vor allem durch den Überdrüberjahrgang 2016, der die Aufmerksamkeit der Fine-Wine-Welt wieder auf die Toskana lenkte, dürften diese Zahlen allein von den Weingütern Masseto und Ornellaia erzielt werden – mit noch höherer Umsatzrendite. Das andere Dutzend Weingüter verliert aber auch kein Geld. Es ist also ein bisschen was da für Investitionen – so viel, dass es auch für Liebhaberprojekte wie Pasta aus historischen Sorten reicht.
Weinprobe – nur neueste Jahrgänge
Doch eigentlich geht es bei dieser Reise um Wein und ausgerechnet der erste gereichte ist ein wenig enttäuschend. Der Tenuta Perano Chianti Classico 2020, (90% Sangiovese, 10% andere, vor allem Merlot) zeigt eine leicht laktische Beerennase, Richtung Blaubeerjogurt. Am Gaumen punktet sehr feiner Gerbstoff, für die deutliche Säure ist die Frucht aber zu zurückhaltend. Den finde ich im Moment zu leise. Da ich den Wein nicht kenne, frage ich nach einem älteren Jahrgang zum Vergleich. Was kommt, begegnet uns in der Folge immer wieder: die Frescobaldi-Weingüter legen keine Weine zurück. Es dauert extrem lang, bis jemand irgendwo noch eine Flasche des 19ers findet. Bei anderen Gelegenheiten wird sich das gar als unmöglich erweisen. Hier klappt es glücklicherweise: Chianti Classico 2019. In der Nase klare Kirsche, auch am Gaumen deutlichere Sangiovese-Anmutung, viel mehr Druck, das macht richtig Spaß. Auch aus der frisch geöffneten Flasche ist das ein sehr harmonischer Wein. Ich kann mir durchaus vorstellen, dass auch der 20er zu höherer Güte reift.
Der Chianti Classico Riserva 2019, ist ein Sangiovese mit fünfprozentigem Merlot-Anteil. In der Nase ein bisschen Zigarrenkiste, insgesamt Chianti pur, am Gaumen glänzt viel klare Frucht, ohne schwere Süße, dazu deutliche Säure und feiner Gerbstoff. Das ist wirklich sehr typisch und nicht zugeholzt. Während ich noch denke ‚Top! Großer Spaß‘, taucht mit Luft dann doch etwas Kokos auf, ist aber dezent und dürfte sich sehr schnell integrieren. Im Ausbau sind zirka 25 Prozent neues aber großes Holz im Spiel (8000- und 2000-Liter-Fässer).
Letzter Rotwein des Tages wird der Chianti Classico Gran Selezione ‚Rialzi‘ 2018. 30 Monate neues Barrique, 6 Monate Flasche (sagt der Kellermeister, die Webseite sagt 24/12. Wenn ich die Wahl zwischen Kellermeister und PDF habe, wähle ich immer den Kellermeister). in der Nase Möbelwerkstatt, am Gaumen deutlich cremige Textur und viel Kokos – das Holz hat mächtig Spuren hinterlassen und der Wein ist noch erheblich zu jung, Der Gerbstoff ist allerdings schon sehr seidig, die Säure trägt gut. Der Alkohol ist nicht ganz unauffällig, was bei einem Gran Selezione vermutlich der mehrheitlichen Erwartung entgegenkommt.
Preislich im Mittelfeld
Die Weine liegen ungefähr bei 18, 27 und 45 Euro, und bieten ein gutes (im Faller der Riserva sehr gutes) Preis-Genussverhältnis, wobei Ludwig von Kapff derzeit den ‚Rialzi‘ für 30 Euro im Sonderangebot hat. Das ist dann ein Schnäppchen für diejenigen, die Platz haben, den Wein noch drei Jahre zu lagern. Zum abschließend gereichten Castello Pomino Vinsanto 2014 machte ich keine Notizen.
Am Morgen des zweiten Tages empfängt uns Camilla Tanini auf eben jenem Castello Pomino und während ich noch denke: das ist der beste Nachname für eine italienische Rotweinwinzerin ever, erklärt uns Frau Tanini, dass die 110 Hektar Rebberge (von 2000 Hektar Land- und forstwirtschaftlichem Gutsbesitz) überwiegend mit Weißwein bestockt sind. Castello Pomino ist Frescobaldi pur, hier wird ganz viel gemacht, was gar nicht in das Bild des Großbetriebes passt: eine kleine Pinot-Noir-Produktion ausschließlich für den italienischen Markt gehört dazu (weswegen wir den Wein leider nicht zu probieren kriegen), aber auch fünf Fremdenzimmer, die sogar noch bekocht werden, die winzige Süßweinproduktion mit Passito-Ständern auf einem kleinen Dachboden und einiges mehr. Hauptprodukt dieses Betriebes sind ein Schaumwein aus Flaschengärung sowie zwei Weißweine, die uns am Ende der Tour erwarten.
Tradition geht vor Pragmatismus
Doch erst mal folgen wir dem Weg der Traube. Die ganzen Castellos von Frescobaldi sind eigentlich völlig ungeeignet für die Weinproduktion: kleinteilige Keller, ständige Höhenunterschiede wegen der Hanglagen, Treppen bis der Arzt kommt. Vor einigen Jahren hat die Familie die Hauptverwaltung des Unternehmens aus Florenz an die Landstraße in Sieci verlegt und in diesem Zuge nebenan eine große Weinfabrik gebaut. Die liegt so zentral, dass man dort etliche Produktionsschritte hätte unterbringen können. Doch es sind nur die Füllanlage, Etikettierung und die Logistik geworden. Die tatsächliche Produktion findet immer vor Ort in den Weingütern statt, egal wie viele Treppen dagegen sprechen. Die Traubenannahme geschieht in Pomino auf dem Schlosshof (Anm.: Pomino ist der Name des Dorfes, des Schlosses und der DO der örtlichen Weine).
Pinot Noir bleibt für die Rotweinproduktion auf der obersten Ebene, die Trauben für den Weißwein werden hangabwärts in die Keltern geschüttet. Die für den Schaumwein werden ans andere Ende des Gebäudekomplexes gefahren, wo die brandneue Korbpresse aus der Champagne steht. Die Vergärung der Weißweine findet in einem kleinen Stahltank-Park unter freiem Himmel statt. Den gleichen Parcours hat Frescobaldi auch beim Castello Nipozzano installiert. Erst nach der Gärung zieht der halbfertige Wein von dort gegebenenfalls in die Fässer in den Schlosskellern um. Die Tirage und Remuage beim Metodo Classico findet in Sieci statt.
Metodo Classico ‚Leonia‘ brut 2019. 80 Prozent Pinot Noir, 20 Prozent Chardonnay. Das ist sehr brut (3 Gramm), brotige Nase, am Gaumen ganz viel grüner Apfel, der dann aber nicht von Süße ins Banale gezogen wird. Stattdessen kommen getrocknete Kräuter und feine Phenolik sowie feine Perlage. Ich finde das bissig, kreidig, alles andere als Mainstream und ganz wunderbar!
Pomino Bianco 2022. Chardonnay und Weißburgunder mit etwas Grauburgunder und einheimischen Weißweinsorten, Ausbau im Edelstahl. Buntfruchtig, etwas sehr poliert und dadurch auch ein bisschen einfach, ich hätte nach hinten raus gerne etwas Widerstand, sei es von Säure oder von Gerbstoff. Die simple Anmutung kann der Tatsache geschuldet sein, dass der Wein vor weniger als einer Woche auf die Flasche kam.
Pomino Benifizio Riserva 2021. 100 Prozent Chardonnay, eine lang gestreckte Einzellage bis 700 Meter Höhe, Ausbau zu hundert Prozent im Holz, Hälfte neu und Hälfte Zweitbelegung mit Batonnage. Leicht nussige und holzige, typische Nase – das Kaminfeuer brennt im Verkostungsraum, aber der Rauch in meiner Nase kommt wohl doch nur aus dem Glas. Am Gaumen hat er das Holz bestens verdaut, würzig, nervige Säure, sehr klar, im Abgang toller Gerbstoff. Das gefällt mir ausnehmend gut. Bei 27 Euro im deutschen Handel ist das eine unbedingte Probierempfehlung (die gerne noch ein paar Jährchen Flaschenreife erfahren darf).
Nächste Station ist Castello Nipozzano. Das bedeutende Gut fand seinen Weg über eine Hochzeit in die Familie. Die letzte Erbin der ewigen Medici-Rivalen Albi(z)zi (Vorname Leonia, wie der Metodo Classico, den die Dame mit geprägt hat, denn sie war tatsächlich im Weinbau aktiv), heiratete Angelo Frescobaldi und brachte Nipozzano mit. Der ‚Basiswein‘ ist mit seiner Auflage von über einer Million Flaschen so etwas wie der Grundstein des Wein-Imperiums der Frescobaldis.
Rollende Fässer und ganz viel Stockinger
Önologe Lorenzo Portaro führt uns durchs Gut. Er gehört zu diesen positiv Verrückten, die heimlich in den Keller schleichen um ihre Lieblingsfässer zu streicheln. Er hat gleich mehrere. Zum einen sind es die 3000-Liter-Stockinger für den ‚Montesodi‘. Begeistert zeigt er uns einen leeren Raum, den man durch ein bisschen Umbau so herrichten konnte, dass da jetzt sechs neu bestellte Stockinger hineinpassen. Wow! Andererseits experimentiert er mit einer kleinen Zahl spezieller Fässer, die er mit eingemaischten Trauben befüllt. Statt Überpumpen oder Unterstoßen zur Befeuchtung des Tresterhutes während der Gärung wird hier einfach einmal täglich das Spundloch verschlossen und die auf zwei Schienen gelagerten Fässer eine volle Umdrehung gerollt. Was daraus mal werden soll, weiß Portaro noch nicht, im besten Fall ein eigener Wein.
So ist es erst mal sein Projekt. Jeder verantwortliche Önologe in der Unternehmensgruppe hat Anrecht auf ein eigenes Projekt, für das ihm die Familie ohne viel Auflagen ein Budget zur Verfügung stellt. Manche verfolgen große Visionen, wie einen weißen Ornellaia, andere spielen mit Fässern, was nicht zwangsweise kleinere Ergebnisse hervorrufen muss. Die Zeit wird es zeigen. In der Zwischenzeit probieren wir das hier und jetzt, gepaart mit lokalen Speisen.
Nipozzano Chianti Rufina Riserva 2019. 80 Prozent Sangiovese mit 20 Prozent Merlot und Cabernet, zwei Jahre Barrique (2/3/4ter Durchgang), 90% der Guts-Produktion, 1 Mio+ Flaschen. In der Nase verhalten fruchtig, Pflaume, Blaubeere, Kirsche, alles reif aber nicht explosiv, dazu floral, am Gaumen mehr Frucht (gleiche Prägung), schöne Säure, etwas Kakao und Teer, viel zupackendes, recht feines und gut integriertes Tannin. Das soll man mit Tannin trinken. Es ist nicht die Idee hinter diesem Wein, den ewig reifen zu lassen, damit das Tannin abschmilzt. Das ist auf eine zupackende Art elegant und gefällt mir ausnehmend gut (insbesondere für den Preis von 16 Euro).
Vigna Montesodi 2020. Hundert Prozent Sangiovese, was vorgeschrieben ist für die Cru-Weine dieser Chianti-Zone. Sie sind seit 2018 definiert und tragen den Zusatz ‚Terra Electae‘ auf dem Label. Seit drei Monaten auf der Flasche 18 Monate in 3000 Liter Stockinger Fässern (teils neu) ausgebaut – regelmäßig vom Kellermeister gestreichelt (22.000 Flaschen Produktion). Sauerkirsche und Marzipan in der Nase, am Gaumen ist das etwas verschlossen, deutlich Sauerkirsche, eine Menge sehr feines Tannin, ein fester Kern, viel Potential, 13 Prozent Alkohol sind gut eingebunden; eher leise und elegant, mit mineralisch/phenolischem Abgang. Ich kenne Rufina eigentlich etwas rustikaler. Zwar nicht trinkreif, aber extrem vielversprechend. Der Winemaker empfiehlt fünf Jahre zu warten. Kombiniert mit der eigenen Pasta mit Kaninchenragout dreht der Wein allerdings jetzt schon auf und macht richtig Spaß (und trotzdem sollte man ihn noch reifen lassen). Großartig.
Mormoreto IGT 2020. 60/20/15/5 CabS/CabF/Sang/PetVerd. Eher kein modischer Supertoskaner, sondern Fortschreiben der Historie: die Frescobaldis haben schon zu Leonias Zeiten die ersten Bordeauxsorten in den Weinbergen von Nipozzano angepflanzt. Vor 5 Jahren wurde in der Cuvée Merlot durch Sangiovese ersetzt. 80 Prozent neues Holz für 2 Jahre (27.000 Flaschen). In der Nase Leder, Holz, etwas Johannisbeere, Am Gaumen ziemlich viel Holz/Kokos, reife, leicht seifige Frucht, dann angenehm würzig, auch Kakao, die Säure ist im Moment nicht voll integriert, die 14 Prozent Alkohol schon eher. Das hat vielleicht viel Potential, aber um das zu sagen, müsste ich den Wein über einen längeren Zeitraum verkosten, im Moment tendiere ich zu leichter Enttäuschung (vor allem bei 70 Euro Flaschenpreis).
Montesodi macht das Rennen
Zur abschließenden Abendveranstaltung im Ristorante Frescobaldi in der Innenstadt von Florenz treffen wir dann den Kommunikationsdirektor der Gruppe, der uns noch ein bisschen Kontext vermittelt. Dazu gibt es eine Auswahl von Weinen einiger nicht besuchter Güter. Und ich erlebe mein blaues Wunder.
Tenuta Ammiraglia, Alìe Rosé 2022. Seit wann kann man aus Sauvignon Blanc Rosé machen? Diese Cuvée aus der Maremma enthält Vermentino und Syrah und riecht hundert Prozent wie Sauvignon Blanc. Ich bin in dem Moment nur heilfroh, dass mir das niemand im schwarzen Glas im Podcast serviert hat. Schmeckt übrigens auch ein bisschen so, aber recht voll und schmelzig, bei nur 12 Prozent Alkohol. Echt spannend für den, der es mag (ich find’s okay).
Tenuta Calimaia, Vino Nobile di Montepulciano 2019. Erster Jahrgang, neuestes Baby: Die Frescobaldis haben das Weingut Corte alla Flora erworben, bauen jetzt neu, machen sicher irgendwann auch eine Riserva, doch dazu bedarf es weiterer Investitionen auch im Weinberg – irgendwo muss die Kohle ja hin… Zum Essen (Ragù mit Pasta und Artischocken) schon mal ein super Start. Mittlerer Druck, etwas belegte Frucht, satt Kirsche und ein wenig Pflaume, die Tannine sind etwas rustikal, der ganze Wein ist etwas rustikal (nach dem Essen, zum Essen war das sehr gut), vielleicht auch etwas zu jung. Obwohl, der Biss ist eigentlich doch recht fein. Ich kann mich nicht entscheiden. Bei 22 Euro muss man den Wein nicht suchen, aber wenn er einem über den Weg läuft, ist er eine gute Option.
Castel Giocondo Brunello di Montalcino 2018. Die Premiere des neuen Jahrgangs als letzter Wein des Programms. Verhältnismäßig niedrige 14,5 Prozent Alkohol und doch die ganze Schwere des warmen Jahres: recht viel Schoko, Süßkirsche, erdig, Zeder, Lakritz, ganz schön mächtig und dabei dann doch auch ein bisschen elegant, aber ein großer Wurf ist das nicht. Vielleicht ist das vorschnell, obwohl ich es in diesem Fall eher nicht glaube. Ein guter Brunello ist das aber schon und angesichts des für die Kategorie bescheidenen Preises von zirka 40 Euro ist das schon wieder sehr ordentlich.
In der freien Wahl aus der Karte des Restaurants, das endlich einmal mehr als einen Jahrgang einiger Weine führt, entscheiden wir uns als Absacker für den Montesodi 2019. Der Stockinger-verliebte Tüftler war irgendwie das Highlight bisher und so bin ich richtig erfreut, als auch sein Baby, jetzt in der gereiften Version, zum besten Wein der Reise avanciert. Frische, eher leichte Nase mit knackiger Kirsche, am Gaumen strenger Zug, Teer, sehr feines Tannin, schwarze Beeren und Kirschen, noch mal Teer und Bitterschokolade (die 96%ige ohne Zucker), auf eine wunderbare Art wirklich streng, auch noch zu jung, aber kann ich vielleicht noch ein Steak haben? Mit Zeit greift die Säure noch stärker zu, die Teer-Note bleibt bestehen. Wahnsinnsmännerwein.
Ist das echt? Eigentlich egal
Seit 700 Jahren machen die Markgrafen Frescobaldi Geschäfte als Bankiers und Händler, fast genau so lang machen sie Wein. Mit den (zugekauften oder in Kooperationen gegründeten) Luxusgütern Luce, Ornellaia und Masseto verdienen sie Fantastilliarden. Alles, was die aktuelle Generation mit diesem Geld anstellt, würde man in Deutschland als gutbürgerlich und bodenständig bezeichnen. Das Geschäft mit Millionen Flaschen Wein bleibt runtergebrochen auf Einheiten kleiner und kleinster handwerklicher Produktionsstätten. Der Hospitality-Bereich muss nur eine schwarze Null schreiben – vertreibt aber natürlich große Mengen Frescobaldi-Wein, -Pasta, und -Fleisch. Die Bio-Landwirtschaft wird durch die Weingüter querfinanziert. Das ist alles ziemlich geerdet – und ein bisschen schräg. Ich bin nicht nah genug an den handelnden Personen, um zu beurteilen, ob da einer aus der Art fällt, die PR einfach perfekt passt, oder irgendeine Mischung davon.
Ich kann nur empfehlen: wer die Toskana bereisen will, der sollte sich die (etwas umständlich über die Webseite der Gruppe zu buchenden) Hospitality-Angebote der Frescobaldi-Gruppe von Weinproben über Führungen, Abendessen und Übernachtungsmöglichkeiten genau anschauen. Wer Weine der Familie zu fassen bekommt, der sollte sich frei machen von dieser Vorstellung, dass alles, was mehr als drei Fans hat, gefällig ist und wovon es mehr als 100 Flaschen gibt Industrie. Auch in der Toskana gibt es zwischen Schwarz und Weiß jede Menge Grau – nicht nur in Weinbergen vor dem Austrieb. Im Falle der Frescobaldis ist es strahlendes Hellgrau.