Sachen erklären und Wein verkosten sind meine Lieblingsbeschäftigungen. Manchmal darf ich beides gleichzeitig – heute zum Beispiel.
VDP.Auktion.Réserve – wissen Sie, was das ist? Ich habe geglaubt es zu wissen, bis ich anfing, diese Geschichte zu schreiben. Da erst fiel mir auf: dieses Wort-Punkt-Würmchen hat zwei Bedeutungen. Dann erkläre ich halt noch ein bisschen mehr. Die erste Bedeutung ist auch schnell umrissen: es ist der Titel der gemeinsamen Weinversteigerung des VDP Rheingau und des Weinguts Kloster Eberbach. Letzteres ist zwar sowieso Mitglied im VDP, versteigert aber schon seit 1806, mithin über 100 Jahre länger als der Rest der Bande. Diese Tradition stellt man gerne ein bisschen heraus. Außerdem versteigert das Hessische Staatsweingut auch erheblich mehr Wein als die anderen Ansteller. Darüber veröffentliche ich noch einen separaten Bericht.
Die andere Funktion unseres Wort-Punkt-Würmchens ist die des Titels einer eigenen Wein-Gattung. Neun Rheingauer VDP-Winzer keltern eigens für diese Versteigerung einen gleichnamigen Wein. Einer davon ist ein Sekt, zwei sind Spätburgunder und sieben sind Rieslinge. Über das Wieso, Weshalb, Warum hat der Verband zwar gelegentlich Auskunft erteilt, aber so richtig herumgesprochen hat sich das noch nicht (außerdem widerspricht sich der Verband gelegentlich selbst). Hier also die ultimative Erklärung.
Wein, wie er früher war
Fangen wir mit dem Was an. Was ist eine VDP.Auktion.Réserve? Der Versteigerungskatalog erklärt, es handele sich ‚um trockene oder feinherbe Weine in gehobener Ortsweinqualität, die an die weltberühmten Rheingauer Weine dieser Kategorie des 19. Jahrhunderts anknüpfen.’ Die Weine tragen allerdings meist eine Gutsweinkapsel oder die VDP.Gutswein-Bezeichnung auf dem Etikett und sind ausnahmslos trocken. Aber das kann uns Verbrauchern total egal sein, denn worum es eigentlich geht, ist die alte Machart, angewandt auf ‚normales‘ Traubenmaterial, produziert in einer ordentlichen Stückzahl. Der Stil ist bei den Rieslingen etwas oxidativer, weil die meisten auf großes Holz setzen, die Textur ist etwas stoffiger, erzeugt durch ein langes Hefelager. Dafür wird der Wein auch ein Jahr später gefüllt. Aktuell dreht es sich also um den Jahrgang 2021, wenn am 11. März der Hammer fällt.
Kommen wir zu den Ausnahmen: Prinz’ Riesling hat einen Eigennamen ‚Le Coeur’ und ist immer noch ein Jahr älter, liegt mithin zwei Jahre auf der Hefe, das gilt dieses Jahr auch für die Reserve des Weinguts Georg-Müller-Stiftung, der bisher ein Jahr alt war, künftig aber eher zwei (die Entscheidung ist nicht final gefallen). Der Wein von Allendorf kommt derzeit im neunten Jahr nach der Ernte, dieses Jahr also als 2014er und trägt den Namen ‚Sakrileg‘ (er hatte letztes Jahr als 2013er Premiere). Die Reserve des Weinguts Barth ist ein Sekt. Eine halbe Ausnahme ist die korrekt betitelte – allerdings mit einer Goldkapsel verzierte – Auktionsreserve von Kloster Eberbach wenn man über die mehr oder weniger geheime Information verfügt, dass es sich um ein nicht für das GG berücksichtigtes Fass aus dem Assmannshäuser Höllenberg handelt (jetzt wissen Sie’s). Das sind ziemlich viele Ausnahmen für so ein junges Konzept, aber wer sich an die Anfangsjahre des GGs erinnert, den wundert das nicht. Eigentlich halten sich nur die Weingüter Robert Weil, August Eser und Johannishof Eser seit Anbeginn an die Spielregeln, Kesseler feiert mit dem Pinot-regel-konformen 20er Spätburgunder dieses Jahr seinen Reserve-Einstand.
Die Pyramide hat Pause
Vielen Lesern stellt sich jetzt vermutlich die Frage: ‚Aber wie passt das in die Qualitätspyramide?‘ Die Antwort ist: Wen juckt’s? Wir sind mittlerweile so weit, dass bei berühmten Erzeugern der Kabi mehr kostet als die Spätlese. Auf den letzten Auktionen brachten Kabis generell mehr als Spätlesen und die wieder mehr als Auslesen. Wir haben Betriebe, da ist die Auslese der erste Wein mit Botrytis und bei anderen ist sie der letzte ohne. Da wird doch so ein kleiner Gutswein Deluxe in einer Auflage von 300 Flaschen die Welt nicht aus den Angeln heben, zumal er – anders als die beschriebenen Auslesen – einem einheitlichen önologischem Grundgedanken folgt.
Womit wir beim Wieso wären.Vor einigen Jahren war die Rheingauer Versteigerung eine ziemlich langweilige Veranstaltung. Ein paar Distinktionskäufer und Großgastronomen scharten sich um ein paar Kommissionäre, die noch ein paar Gebote einiger Überseemilliardäre in den Blöcken hatten und dann wurden ein paar Raritäten aufgeteilt. Ambitionierte Weinfreunde mit mittlerem Budget, die gerne im zweistelligen Preissegment kaufen, hatten wenig Wein zur Auswahl. Der Handel hatte überhaupt keinen Grund, sich bei der Auktion zu engagieren. Die Umsätze waren zwar ordentlich, aber der Aufwand der Auktion ist enorm. Die Veranstaltung, so fanden zumindest die teilnehmenden Weingüter, muss sich an alle Kundengruppen richten und auch in allen Gruppen Resonanz hervorrufen, sonst läuft sie sich tot. Ein Spaßwein mit integriertem Preisdeckel und einer Auflage, die auch Wiederverkäufer anspricht, sollte es richten. Es entstand das Konzept der Auktionsreserve.
Wie viele Ausnahmen sind zu viel?
Das erklärt vielleicht, warum mich der etwas holprige Start nicht aufzuregen vermag. Die Idee ist eine sehr bodenständige. Die Weine sind ein bisschen Premium und ziemlich rar, aber sie sind so deutlich als Gutswein gekennzeichnet, dass die Preise sich im Idealfall beim Doppelten bis Dreifachen des Gutsweines einpendeln. Damit das klappt, war eigentlich Vorgabe, dass jeder Winzer 300 Flaschen anstellt. Das machen im Moment nur die Weingüter Robert Weil und Georg-Müller-Stiftung. Von Allendorf gibt es gerade einmal 24 Flaschen. Und so kommt auch der optimistischste Betrachter nicht umhin zu konstatieren, dass die Umsetzung des theoretisch vielversprechenden Konzepts so schlampig verfolgt wird, dass der Erfolg keineswegs sicher ist.
In der Zwischenzeit bedeutet das aber, dass sich etliche Weinfreunde einen Traum erfüllen können, ohne sich finanziell nackig machen zu müssen: Einen besonderen Wein bei einer Auktion ersteigern, von dem es eine winzige Menge gibt und der in seiner Machart schmeckbar speziell ist. Das ist ein Wein, der auch inklusive der zu addierenden Steuern und Gebühren günstiger als die allermeisten GGs ist, zu dem man als Gastgeber aber eine besondere Geschichte erzählen kann, die kaum einer je gehört hat. Also trommle ich dieses Jahr ein bisschen für die Auktionsreserve. Ich habe eine Geschichte in Meiningers Weinwirtschaft geschrieben (Zielgruppe Fachhandel) und ich stelle das Konzept hier vor. Dazu habe ich mit Team Blindflug und Team Planet Wein die Stillweine verkostet, den Sekt habe ich in einer gesonderten Runde verkostet (den wollte ich nicht über mehrere Tage offen lassen).
VDP.Auktion.Réserve – die Verkostung
Die Ergebnisse unterscheiden sich teilweise von den in der Weinwirtschaft veröffentlichten. Hier im Blog gibt es auch keine Punkte, sondern eher Einschätzungen, für wen sich welcher Wein anbietet. Wie man einen Wein ersteigert, habe ich hier erklärt, die Kommissionäre etc. finden Sie hier. Im Folgenden also unsere Tipps und meine Einschätzungen. ich bin mal gespannt, was aus meinen Prognosen wird und mache dann im März den Realitäts-Check. In Klammern die Zahl der Eintel-Flaschen, die zum Ausruf kommen.
Anmerkung: Bei allen Weinen mit einem Angebot von 61 und mehr Flaschen, muss das Gebot auf 12 Flaschen lauten. Da gilt es dann im Freundeskreis eine Sammelbestellung zusammenzustellen, oder hinterher beim VDP zu erfragen, welche Händler ein Kontingent der jeweiligen Weine ersteigert haben und dort Einzelflaschen zu kaufen. Es kostet aber auch nichts, vorher beim Kommissionär anzufragen, ob er ein Gebot für weniger Flaschen abwickeln würde.
Die Regulären
August Eser, Riesling VDP.Auktion.Réserve 2021 (120 Fl.). Desirée Eser zu Knyphausen bedient seit Jahren verlässlich die Ansprüche ihrer Kundschaft, die Riesling gerne etwas weicher mögen, haut aber auch gelegentlich einen Wein raus, der zeigt, sie kann auch Freakstoff (zuletzt beim 20er Wisselbrunnen GG). Hier ist ihr vorzüglich der Spagat zwischen Klassik und Purismus gelungen. Schmelzig, nicht furchtbar trocken, leicht kräutrig, typische Rieslingfrucht, guter Druck in schöner Balance. Das erfüllt alle Ansprüche an einen Riesling dieser Kategorie. Da ihre Stammkundschaft im Vorjahr den Preis schon auf 22 Euro getrieben hat, erwarte ich in diesem Jahr eine Ausweitung der Interessentenschaar und einen Zuschlag eher bei 24 Euro. Steigempfehlung: 24 Euro , vielleicht auch 50 für eine Magnum, gereicht beim runden Geburtstag, wenn Tante Frieda auf die Hardcore-Weinfreunde trifft.
Robert Weil Riesling VDP.Auktion.Réserve 2021 (300 Fl.). Deutlich das Thema getroffen, die Leichtigkeit des Gutsweins bewahrt und die Welt der Reserve betreten. Fantastisch in Textur, Druck und Komplexität. Wilhelm Weils Wein hat nur mit zuletzt 31 Euro schon ein Niveau erreicht, bei dem ich persönlich lieber zu seiner Ersten Lage aus dem Turmberg greife. Andererseits hat es für viele sicher etwas Magisches, einen Versteigerungswein vom Kiedricher Traditionsweingut zu besitzen. Die sollten sich auf einen Zuschlagpreis von 35 Euro einstellen.
Johannishof/Eser Riesling VDP.Auktion.Réserve 2021 (120 Fl.). Denk ich an den Johannishof, denke ich an reifes Lesegut und die Erwartung wird auch hier erfüllt: reif, süße Frucht, aber flankiert von kräftiger Säure, im Abgang leicht malzig. Das vereint den Hausstil mit der Philosophie der Reserve, ist üppig, aber nicht mopsig. Sehr gut. Steigempfehlung: Bisher immer nah am Ausrufpreis gelandet, sehe ich nicht, dass der 21er daran viel ändern wird. Anhänger des Stils sollten auf t 16 Euro Zuschlagpreis spekulieren. Landet der Wein da, sollten sie sich um zwei Flaschen bemühen, denn dieser Riesling hat Potential für weitere Jahre.
Später als spät
Georg Müller Stiftung, Riesling VDP.Auktion.Réserve 2020 (300 Fl.). Bei den bisherigen Kollektionen waren die Weine von GMS-Macher Tim Lilienström Für mich immer ganz vorne dabei – und absolute Schnäppchen. Im Feld der 21er vermag dieser 20er Riesling allerdings nicht so zu glänzen. Sehr hefig, sehr warm, nicht ganz die Spannung, mit der die jüngeren Weine punkten, eher burgundisch und mit deutlich reifer Frucht-Aromatik, aber auch so tief, dass noch Potential da ist – nur schlanker wird er vermutlich nicht. In einem Feld von 20ern beeindruckte dieser Wein sicher, hier reicht es nur zu einem Achtungserfolg. Steigempfehlung: Dank 300 Flaschen Angebot ist ein Zuschlagpreis von 15 Euro im Bereich des Möglichen. Dafür wäre der klassische Rheingauer aus warmem Jahr dann wieder ein Schnäppchen.
Prinz, Riesling VDP.Auktion.Réserve ‚Le Coeur 2020‘ (240 Fl.). Das startet als ziemlich krasser Naturwein, in der Nase etwas stechend, und gemüsig (auch die Konterflasche). Erzeugt Begeisterung bei einem dem Metier zugewandten Juror, während der Rest rätselt. Nach vier Tagen Luft allerdings schält sich ein spannender, immer noch wilder, aber kein bisschen überkandidelter Riesling mit reifer Frucht und kräftiger Säure heraus. Steigempfehlung: Nur nach vorheriger Probe (findet kurz vor der Versteigerung vor Ort statt) bieten/kaufen. Die letztjährigen 23 Euro könnten auch heuer als Zuschlagpreis herauskommen.
Allendorf, Riesling Sakrileg 2014 (24 Fl.). in der Nase erst ein wenig, mit Luft dann sehr balsamisch, am Gaumen geprägt von molliger Frucht und wundervollen Reife-Aromen, flankiert von passender Säure. Das ist perfekt gereifter Riesling – absolut auf dem Höhepunkt. Er baut nach drei Stunden ab, aber so alt wird der Wein unter normalen Bedingungen gar nicht. Steigempfehlung: Das wird kein billiges Vergnügen. 55 Euro ist meine Prognose. Hier sind Direktgebote auf Einzelflaschen möglich. Ersteigern sollte das, wer keinen Keller hat, um einen Wein selber so perfekt zur Reife zu bringen. Alle anderen investieren das Geld lieber in ein Allendorf GG und gedulden sich ein paar Jahre.
Spätburgunder und Sekt
Kloster Eberbach, VDP.Auktion.Réserve Pinot Noir Goldkapsel 2020 (240 Fl.). Der Wein strahlt zunächst und wird dann auf anziehende Art immer dunkler. Mit 12 Stunden Luft hat das einen Hauch von (sehr gutem) jungem Nebbiolo, allerdings ist das Tannin charmanter. Wirklich toller, würziger Pinot mit feiner Waldbeerenfrucht und erdigen Noten. Steigempfehlung: Letztes Jahr fiel der Hammer bei 21 Euro. Das wäre hier ein Witz und sollte den Erwerb von drei Flaschen triggern. Bis 27 Euro bemühen Sie sich um 2 Flaschen und wenn es 32 Euro werden, besorgen Sie sich eine.
August Kesseler, VDP.Auktion.Réserve Pinot Noir 2020 (120 Fl.). Betörende Nase mit Waldbeeren und Erdbeere, im Antrunk noble Frucht, im Abgang dann für mich zu süß bei ordentlicher Tanninstruktur, die angenehme Unruhe in das leicht cremige Mundgefühl einstreut. Das ist für Fans des Weinguts eine großartige Gelegenheit, einen besonderen Wein zu ergattern. 35 Euro sollte man aber wohl einplanen.
Barth Riesling Sekt Brut VDP.Auktion.Reserve 2018. Auf Anraten des Winzers etwas belüftet, trotzdem zeigt sich der Sekt zunächst unruhig. Kräftige, dezent grüne Säure, leicht warme Aromatik, dann kantige Phenolik. Zeigt aber, wie ein Verkoster es formuliert, sofort ‚viel Anspruch und das Bestreben, etwas Besonderes zu sein‘. Mit insgesamt zwei Stunden Luft, verweben sich die Komponenten zu einem fantastischen Rieslingsekt mit einerseits viel Frucht, gestützt von wohldosierten 4,4 Gramm Zucker, lebendiger Säure (7,2 Gramm) und mit einem fantastisch langen Abgang – ziemlich große Oper.
Steigempfehlung: Der Sekt hat Luxusprobleme, denn er ist erstens zu gut für das Sujet und zweitens der einzige Versteigerungssekt Deutschlands. Das zieht eine besondere Klientel an, nämlich die, die unbedingt Deutschlands einzigen Versteigerungssekt besitzen wollen. So ergab sich im letzten Jahr ein Zuschlagpreis von 55 Euro. Ich erwarte dieses Jahr noch einmal eine deutliche Steigerung und es wäre der Sache wohl dienlich, wenn Mark Barth künftige zwei Sekte zur Versteigerung stellt: eine Grand Cuvée für die Disktinktionskäufer und einen etwas einfacheren in großer Auflage als Auktionsreserve. Kaufempfehlung bis dahin: 65 Euro einplanen für ein Pülleken vom Hammersekt (pun intended).
Lieber Felix, vielen Dank für den Beitrag und die EInschätzung der Weine. Vor 2 Jahren hatte ich basierend auf Deiner und Saschas Online-Verkostung bei der VDP-Auktion gesteigert und mit Coer und GMS zwei wirklich tolle Exemplare bekommen. Du gibts in Deinem Text ja Preis und Flaschenempfelungen an. Die Anzahl der Flaschen ist aber doch abhängig vom Angebot, so das bei einigen Empfehlungen die Mindestmengen es nicht möglich machen auf drei oder weniger Flaschen zu bieten. Oder hat sich daran in diesem Jahr etwas geändert (was ich tatsächlich sehr gut finden würde).
Viele Grüße
Michael
Au ja, stimmt, theoretisch muss man ja 6 oder 12 Flaschen ersteigern, außer beim Sakrileg. Ich weiß gar nicht, ob die Kommissionäre da Ausnahmen machen und Gebote bündeln. Das habe ich schlicht verschwitzt. Ich werde den Text entsprechend ergänzen.