Unter dem Eindruck schwerster Frostschäden in den Weinbergen daheim stellten 191 VDP-Winzer bei der 50. Weinbörse in Mainz den neuen Jahrgang vor. Die Jubiläumsparty zum Auftakt verlief gedämpft. Doch schon im Laufe des ersten Ausstellungstages gewannen die meisten ihr Lächeln zurück. Mainz ist halt viel mehr als eine geschäftliche Veranstaltung. Es ist der Deutschlandkongress der Weinbekloppten.
‚Dem nächsten Privatkunden der auf meinen Hof kommt und mir vorschwärmt, ich hätte einen Traumberuf, muss ich leider Gewalt antun.‘ Dieses Zitat vom Samstagabend, das sicher nicht zur Veröffentlichung gedacht war und daher ohne Quelle bleibt, fasste die Grundstimmung zu Beginn der Weinbörse ganz gut zusammen. Der zerknirschte Winzer gehörte allerdings zu den besonders betroffenen und wird 2024 die dritte Missernte binnen fünf Jahren einfahren. Viele Winzer zeigten sich demütig und verwiesen auf Kollegen, die es viel schlimmer erwischt habe, weswegen man doch nicht zu laut jammern wolle. Mancherorts gab es Galgenhumor: ‚Präg Dir die Scheurebe gut ein, die wird es nächstes Jahr nicht geben.‘ Doch am Ende haben die meisten Winzer schon einen Plan, wie sie durch die Frostkrise kommen werden.
Über 1600 Weine standen auf dem Probenzettel. Ich habe 340 probiert. Was hier nicht auftaucht, ist also nicht zwangsläufig schwach, sondern vermutlich nicht in meinem Glas gewesen. Meinen Probenplan habe ich zum einen aus persönlicher Neugier und eigenen Vorlieben heraus gestaltet, zum anderen betätige ich mich in Mainz als Verkostungsmuli für Steady-Unterstützer. Diese können mir aus dem Katalog bis zu fünf Weine nennen, die ich dann für sie probiere. So kann es sein, dass ich bei Weingütern nur ein oder zwei Weine verkoste. Wenn hier also Einzelstücke auftauchen, sollte niemand daraus schließen, die anderen Weine des Erzeugers hätten mich nicht überzeugt. Ich habe sie eventuell gar nicht probiert.
Fazit, wir wollen ein Fazit
Die Güte eines deutschen Jahrgangs kann man ganz gut im Oktober des zweiten Jahres nach der Ernte einschätzen, bei Rotweinen noch etwas später. Die meisten Gutsweine sind dann ausgetrunken. Also lohnt sich eine Güteeinschätzung nach Kategorie. Die Gutsweine des Jahrgangs 2023 sind ‚lecker‘ – moderate Säure, eher geringe Phenolik, nicht zu schwer, bei den meisten Winzern angenehm trocken, aber fast immer etwas fruchtiger als im langjährigen Mittel. Ich denke, so ähnlich müssen die Weinbörsen 2006 bis 2008, 2010, 2013 und 2016 geschmeckt haben. Die dort präsentierten Jahrgänge waren allesamt reif, warm, lecker. 2006 übrigens auch, allerdings nur für eine begrenzte Zeit. Der damals nötige Einsatz von Aktivkohle zehrte arg an der Langlebigkeit der Weine. Im Frühjahr 2007 schmeckbar war er aber (häufig) nicht. Auch 2023 hat es mancherorts in die Ernte geregnet, war Fäulnis hier und da ein Thema und ist nicht auszuschließen, dass bei den Basisqualitäten die eine oder andere Schönung zum Einsatz kam. Schmecken kann man (ich) das zu diesem Zeitpunkt nicht.
Nachdem die Erste Lage nun fast flächendeckend in Deutschland eingeführt ist, sind viele Ortsweine so etwas wie Gutsweine Deluxe mit etwas Herkunft und längerer Lebensdauer. Auch sie präsentieren sich offen und trinkreif. Bei den höherwertigen Ortsweinen und den Ersten Lagen ergab sich mir ein gemischtes Bild, auch weil noch viele Fassproben dabei waren. Von offen mit mittlerer Reifeprognose zu halbverschlossen mit erheblicher Potenzialandeutung war alles dabei.
Mein erster Eindruck lautet also, dass 2023 ein warmes Jahr war, in dem die mühelose Traubenreife manchmal etwas zu ausladende Weine ergeben hat, in der es aber kaum bis keine Hitzespitzen gab, die negative Inhaltsstoffbildung in den Trauben auslöste. Im Glas erinnert mich der Jahrgang bisher an 2007, der manchen zu warm erschien, während er mir ein Lieblingsjahrgang wurde. Es lohnt sich ein paar Weine für den raschen Konsum zu kaufen, vielleicht ein paar mehr, denn einige der Weine wird es nächstes Jahr nicht geben.
Mosel
Den Oberemmeler Ortsriesling von von Hövel hatte ich schon in Berlin verkostet und geliebt. Die zweite Begegnung hat den Eindruck der ersten bestätigt. Sehr typische Nase, offen wie ein Scheunentor, schöne reife Aprikose, nix Überreifes und am Ende auch ein fester Kern für weiteres Potenzial, was zu erkunden schwer fallen dürfte, bis dahin ist der Zauberstoff schon ausgetrunken. Bei Peter Lauer hat der Kabinett #8 aus der Ayler Kupp phänomenales Spiel, während die Versteigerungsvariante #5 aus gleicher Lage noch unglaubliche Substanz darunter legt. Auch die Auslese #10 muss sich nicht verstecken.
Bei Fritz Haag gab es einiges zu bestaunen. Der moseltrockene Gutsriesling legt gut vor, Brauneberg ‚J‘ paart saftiges Kernobst im Antrunk mit feiner Phenolik im Abgang. Auch der feinherbe Gutswein ist im Abgang wunderbar griffig. Die Juffer feinherb ist ein Wein zum Schwelgen, herrlicher Schmelz und verhaltene 14 Gramm Restzucker wirken schon jetzt sehr harmonisch. Der Juffer Kabi ist verschlossen, aber vielversprechend, die Juffer Sonnenuhr Spätlese hat diese magische Textur wirklich guter Spätlesen und die Auslese aus gleicher Lage ist botrytisfrei und das steht ihr unheimlich gut zu Gesicht. Tolle Kollektion.
Bei Knebel gab es 2022er und der ‚Von den Terrassen‘ ist ein besonderer Wein. Eher fruchtfern, Gärungsaromen (hat ewig gegoren), trotzdem eine Gletscherwassertextur und dann im Abgang wieder sehr würzig. Das 22er Röttgen GG kannte ich noch nicht, weswegen ich es probiert habe und sehr mochte. Schmeckt derzeit (wohl auch durch das lange Hefelager) süßer als sonst, hat aber nicht mehr Zucker. Der glockenklare Kabi aus gleicher Lage ist einfach sehr sehr gut. Das Heldenstück von Schloss Lieser macht seinem Namen Ehre: Startet offen wie ein Scheunentor mit leichter Rauchnote und einem kleinen (hübschen) Stinker, nach hinten raus dann doch noch verschlossen und weiteres Potential andeutend. ‚Toller Zug und große Tiefe. Ein Wein für den Geburtsjahrgang’ notiere ich zum Niederberg Helden feinherb und mache hoffentlich alle werdenden Väter auf diesen Wein aufmerksam. Der Kabi aus gleicher Lage ist superwürzig und trotzdem strahlend, der aus der Wehlener Sonnenuhr vibrierend ohne Ende und sehr fein.
Nahe
‚Wir wollten einen Sekt kreieren, der unter 20 Euro liegt, und Easy-Drinking mit Anspruch vermählt‘, sagt Caroline Diel über den neuen Sekt Pinot de Diel. Mission accomplished, aber sowas von… Der Burg Layer Ortsriesling hat wundervolles Spiel ohne Zucker, die Erste Lage Johannisberg richtig schmirgelnden Zug. Das ist toll! Auch bei Dönnhoff gab es viel zu mögen. Das fängt mit dem Stückfass Chardonnay an, der im Holz sehr leise ist. Zwei erste Lagen mochte ich sehr: Kahlenberg rauchig-schmelzig und Höllenpfad unruhig, nicht so offen, trotzdem noch besser und mit ganz viel Potential. Die Spätlese aus der Oberhäuser Brücke ist dann ganz großes Kino, in der Textur noch besser als die Haag’sche ein Kapitel zuvor.
Bei Emrich-Schönleber fand ich dieses Jahr den Frühtau spannender als den Halgans, beide aber unbedingt empfehlenswert. Die Erste Lage aus dem Monzinger Niederberg hat GG-Qualitäten: massiv, aber nicht schwer, verschlossen aber so viel Potenzial andeutend. Bei Kruger-Rumpf gibt es einen Binger Ortsriesling aus Ersten Lagen, denn das Gut liegt zwar an der Nahe und ist auch dort im VDP Mitglied (wo es diese Weinkategorie nicht gibt), es scheint aber das Recht des Trauben-Herkunft zu gelten. Der Wein ist ganz wunderbar ausgewogen. Zeigt ein Erscheinungsbild wie aus dem Sortenhandbuch. Auch der Riesling Zweistrom und die Erste Lage aus der Bingerbrücker Abtei Rupertsberg sind empfehlenswert.
Sachsen/Saale-Unstrut
Ich tippe diese Zeilen auf dem Rückweg von einer Veranstaltung im Weingut May. Und an dessen Durchmarsch vom Neuling zum Schwergewicht im VDP binnen zehn Jahren musste ich denken, nachdem ich meine letztjährigen Mainzer Entdeckungen wieder besuchte. Was Martin Schwarz und Böhme & Töchter an Präzision zugelegt haben, wie sie ihr Profil schärfen und wie sie fantastische Qualitäten anstellen, obwohl sie noch nicht mal alle VDP-Vorgaben umgesetzt haben (es erscheinen ja immer noch Weine, die in er Vor-VDP-Zeit angesetzt worden waren, wie etwa Schwartz’ phänomenaler 17er Sekt Zero Dosage) – das ist unglaublich beeindruckend. Wer sich diese Reise nicht aus der Nähe anschaut, der verpasst etwas.
Neben dem Sekt hatte Schwarz seinen herausragenden Müller-Thurgau dabei, der auch aus 2023 Klasse hat. Riesling Gutswein Roter Granit (unter Babyspeck blitzt Klasse auf) Friedstein GG (da kommt viel Tiefe dazu) und Kapitelberg GG (Staubtrockenes Gletscherwasser mit irrer Spannung) waren alle aus 2022. Diese Granitrieslinge sind eine große Bereicherung. Chardonnay und Pinot aus dem Friedstein legen abermals Zeugnis ab, dass Schwarz ein Händchen für Holz hat.
Bei Böhme und Töchter geht es um kalkhaltige Böden und Burgundersorten, ab 2024 auch als Chardonnay GG. Derzeit ist der Chardonnay ein Freyburger Ortswein mit feinem Holz und ohne exzessives Hefelager. Beim Weißburgunder hatte ich einen Dreiklang aus Ortswein, Erster Lage und GG im Glas, der die Vorzüge der Rebsorte in der jeweiligen Gewichtsklasse herausarbeitet, wie ich das bisher nur bei Martin Reimann vom Lindenhof an der Nahe schmecken konnte. Das ist Kunst und das GG ein Meisterstück. Auch das Riesling GG aus dem Edelacker ist eine Sensation: am Gaumen so konzentriert und intensiv und dicht und trotzdem schwebend.
Franken
Beim Bürgerspital gefielen mir beide Würzburger Ortsweine, Riesling wie Silvaner. Fünf sehr gute Erste Lagen gehörten auch zum Parcours: aus 2023 Riesling Abtsleite (sehr würzige Nase, viel Frucht am Gaumen) und Teufelskeller (gelbfruchtig und kreidig, was für Anlagen!) und aus 2022 Silvaner Innere Leiste (frische Säure, Kernobst, im Abgang sehr würzig) Riesling Würzburger Stein (fruchtig, trocken, balanciert) sowie aus gleicher Lage ein extrem charmanter Blaufränkisch mit feinem Holz. Bei Rudolf Fürst gab es mit dem Astheim Chardonnay R ein ganz großes Werk zu bestaunen. Feines Holz in der Nase, was für eine Eleganz am Gaumen; komplex, leise, tief – groß!
Überzeugend auch Glaser-Himmelstoss mit angenehm trockener, aber trotzdem bunter Scheu, karg-kreidigem Silvaner und besonders gutem, weil strahlenden Weißburgunder (alle Dettelbacher Ortswein). Wie eigentlich immer war hier das Highlight der Silvaner aus dem Dettelbacher Berg-Rondell, der nun doch irgendwann mal in den GG-Rang erhoben werden könnte.
Bei Zehnthof Luckert notierte ich: ‚Wow, viel süße Frucht und etwas Silvanerwürze, mächtig Stoff.‘ Zum Ausdruck bringen sollte das Begeisterung für den Sulzfelder Ortswein ‚Alte Reben‘. Die Erste Lage aus dem Sulzfelder Berg ist ebenfalls beachtlich.
2022er ‚Der Schäfer‘ vom Weingut May: Super saftig, hat das Holz schon total eingebaut. Was für ein Wein! ‚Der Schäfer Reserve‘: Etwas mehr Holz, etwas mehr Potenzial. Und schließlich ‚Kniebrecher‘. Über den Wein ganz bald mehr. Das ist ein Monument. Randersacker Silvaner Ortswein von Schmitt’s Kinder hatte eine typische Nase auf der fruchtigen Seite; sehr seriöser Gaumen, kreidig, ganz trocken, saustark. Marsberg Erste Lage Fassprobe: Frucht, Heu&Stroh, was für eine schöne Textur: saftig, ölig, dann frisch, dann kernig – Klasse! Gregor Schwabs Scheurebe Ortswein hat etwas Gemüse in der Nase, ist am Gaumen aber ganz klar, mit schöner Frucht und feiner Würze. 2021, der neue Jahrgang des Pinot Blanc Sekt ist noch mal wieder eine Weiterentwicklung dieses schönen Pricklers, den ich im vergangenen Jahr diverse Male genossen habe. Das hat Gesicht.
Bubbles von Format auch bei Schloss Sommerhausen. Mein Favorit ist der Le Grand Rosé 2018: 2,5 Gramm Dosage, 50 Monate Hefelager. Oh Wow: In der Nase verführerische Frucht, am Gaumen ‚süße‘ Beeren (ohne Zucker), leicht würzig, balanciert, elegant. Toll Toll Toll! Ähnlich begeistert bin ich von der ‚Bückware‘ bei Rainer Sauer – das sind die Weine, die nicht im Katalog stehen und früher unter dem Tisch standen, während das heute etwas weniger geheim gehandhabt wird. Ab Ovo Silvaner 2022. Leicht röstige Nase, Gletscherwassertextur, tief, sensationell. Aber auch die reguläre Ware mag ich sehr. Escherndorfer Ortswein ‚Muschelkalk‘ hat eine etwas strenge Nase, aber ganz klaren Gaumen mit viel Heu&Stroh, spannend. Der Lump Erste Lage hat viel Frucht, viel Substanz, ist sehr trocken und auch in diesem Jahr einer der solidesten Weinwerte in der Mittelklasse – wie eigentlich jedes Jahr.
Die besten Ersten Lagen des Jahrgangs sind so (weitgehend unabhängig von Rebsorte und Anbaugebiet): starten offen wie ein Scheunentor mit viel Sortentypizität auf der fruchtigen Seite und im Abgang ziehen sie sich dann etwas zusammen und deuten noch zusätzliches Potential an. Bei Paul Weltners Küchenmeister Sylvaner Erste Lage kommt noch so eine kreidige Phenolik im Mittelbau dazu, die ihn noch eine Stufe höher trägt. Wunderbar. Den gibt es aktuell als 2014er auch aus der Schatzkammer für 30 Euro: großartige Reifearomen, tolle Gelegenheit. Bei Hans Wirsching sticht der Erste-Lage-Silvaner aus dem Iphöfer Kalb mit seiner würzig-fruchtigen Tiefe. Die Kollektion ist insgesamt stark und an der Spitze strahlt mal wieder die Scheurebe Erste Lage aus dem Iphöfer Kronsberg mit betörender Cassis-Nase. Das wird mal eine Granate.
Rheinhessen
Der Eisquell von Battenfeld-Spanier ist ein feiner Gutswein – auch im Jahrgang 2023. Die 1G-Rieslinge aus Hohen-Sülzen (viel süße Frucht, aber kreidiger Abgang) und Mölsheim (funky Schießpulvernase und viel Frucht am Gaumen) sind schön, der 2015er Blanc de Blancs Sekt ist fein und anspruchsvoll. Bei Kühling-Gillot stechen die Chardonnays heraus. Die Reserve hat viel süße Frucht und schönes Holz. Die Alten Reben hauen auf die Pauke. Leise geht anders, aber manchmal ist laut ja dringend geboten. Bei Gunderloch ist der 1G-Riesling ‚Roter Hang‘ absolut ‚in der Mitte‘ aller Riesling-Varianten, also irgendwo zwischen gelbfruchtig und kernobstig, zwischen knackig und mürbe, zwischen säurebetont und cremig, saftig und kreidig und 100 Prozent Riesling und erobert schon mit dem ersten Probeschluck mein Herz. Mag ich! Sehr!
Der Gutsriesling von Wagner-Stempel startet fruchtig, endet steinig. Gut. Eigentlich sind alle Gutsweine sehr gelungen (Weißburgunder, Scheu, Silvaner). Unter den 1G Rieslingen ist mir der Porphyr der liebste. Der ist sooo lebendig! ‚Startet fruchtig und dann kommt die Felswand‘, finde ich bei Wittmann gleich zwei Mal. Zunächst beim Gutswein ‚vom Kalkstein‘ (light) und dann beim Westhofener 1G (heavy). Tolle, reife Frucht und feiner Schmelz im Steingrube Chardonnay. Wirkt erst etwas zu cremig und ölig, aber dann kriecht da diese wahnsinnig feine Phenolik hervor. Super. Auch bei Knewitz ist der 22er Chardonnay eine Wucht: Holz, Rauch und reife Frucht in Nase und am Gaumen, tolle Säure, feine Phenolik.
Rheingau
Ich habe nur ganz kurz in den Rheingau geschaut. Die Ausbeute ist also kein Qualitätsindikator. Bei Prinz habe ich nur den Hallgartener Hendelberg probiert und das ist einer der üppigen Vertreter des Jahrgangs mit reifer Frucht, Aloe Vera und sogar etwas Malz, aber dankenswerterweise nicht (zu) süß und daher in seiner vollmundigen Art sehr schön. Der 22er Riesling Erste Lage aus dem Oestricher Klosterberg von Peter Jakob Kühn ist dagegen auf der feinfruchtigen Schiene unterwegs mit feinem Gerbstoff im Tender. Ganz wunderbar.
Pfalz
Die Fassproben bei Bürklin-Wolf fand ich dieses Jahr zu unruhig für ein valides Urteil. Ausnahme Rechbächel PC, trotz Hefeschleier ist das Urteil hier klar: leicht würzig, reife Frucht, aber ganz viel Struktur, feine Säure, ganz toll. Bei Christmann probierte ich Spätburgunder, weil Kollege Scholl von der Vinum das befahl. Drei Erste Lagen standen auf dem Tisch. Eselshaut (verhaltene Nase, rohes Fleisch und Kräuter am Gaumen, super!) und Biengarten (weniger über die Aromatik und mehr über die tolle Phenolik und Tanninstruktur kommend. Auch wow!) waren schon bemerkenswert. Beim Ölberg schlug mein Herz dann noch etwas schneller: In der Nase Frucht und Blut, am Gaumen tolle Säure, fleischig, feiner Gerbstoff, genau mein Beuteschema.
Ganz ähnlich erging es mir bei Jülgs Spätburgunder Erste Lage Sonnenberg WB, zu dem ich mir notierte ‚das hat rohes Fleisch und ich liebe rohes Fleisch‘. Hier habe ich alles probiert und alles gemocht. Der satt-saftige Schweigener Ortsriesling macht jetzt schon Spaß, Springberg Riesling Erste Lage ist auch schon zugänglich, aber mit viel Substanz für die Zukunft ausgestattet. Spätburgunder Guts- und Ortswein, Chardonnay Ortswein und Erste Lage, Blanc de Noirs Sekt 2020 – alles empfehlenswert, aber alles für mich etwas überstrahlt vom Rechtenbacher Pfarrwingert Weißburgunder Erste Lage. Tolle Säure, wunderbare Textur – blind wäre ich wohl bei einem Chardonnay der gehobenen Liga. Super!
Bei Knipser probierte ich einen Dreiklang aus 2019er Chardonnay. Der Fumé verbindet Frucht und schöne Säure mit viel Holz. Mag ich. Der *** hat etwas weniger Holz, ist etwas cremiger. Ich mag das Zupackende vom Fumé derzeit lieber. Aber langfristig? Bei der Reserve ist das Holz ganz dezent, finde ich große Feinheit und viel Potenzial. Kranz’ vom Landschneckenkalk sind auch 2023 Kandidaten für höchste PLV-Weihen. Der Weißburgunder hat viel Substanz, ist derzeit aber noch etwas verschlossen. Der Riesling bietet in der Nase und am Gaumen sehr viel Frucht. Das hat richtig Bumms, ist aber glücklicherweise nicht süß. Braucht auch noch Zeit.
Letztes Jahr verfiel ich in Schnappatmung angesichts der Phalanx von Rebholz’ Riesling Ortsweinen. Dieses Jahr bin ich ruhiger geblieben, aber die Weine sind schon sehr gut. Der Buntsandstein wirkt am molligsten, der vom Schiefer am zackigsten, der vom Rotliegenden saftig-klassisch und der vom Muschelkalk etwas parfümiert, blumig, aber mit der ausgeprägtesten Phenolik im Abgang. Der Chardonnay ‚R‘ war mein letzter Wein des ersten Tage und ich notierte ‚Begeisterung ohne Beschreibung‘. Dann ging es zum Abendessen.
Bei Rings mochte ich besonders den Riesling Kallstadter Steinacker. Etwas wild in der Nase aber wow, was für ein Grip und was für eine Frische am Gaumen. Sensationell. Beim Spätburgunder war der Kallstadter Ortswein mein Favorit.
Ahr
Spätburgunder ergibt eher leichte Weine und deswegen trinke ich kaum Gutsweine vom Spätburgunder – da wird es mir dann meist zu leicht. Dieses Jahr würde ich gleich zwei Ausnahmen machen, denn sowohl Adeneuer mit dem 2022er ‚Purist‘ (weich und schmeichelnd, aber nicht plüschig) als auch der Deutzerhof mit dem 21er Gutswein (leicht blutige Nase, tolle knackige Frucht) bieten Bemerkenswertes. In der tollen Adeneuer-Kollektion stach noch besonders der ‚No. 1’ (hat viel feinen Zug dank toller Säure und feinster Tannine. Knackige Frucht) aus 2021 heraus. Beim Deutzerhof war der 21er Neuenahrer Ortswein ‚Balthasar‘ mein Favorit: dezentes Holz (2. und 3. Belegung), rohes Fleisch, etwas blumig, toller Zug.
Baden
Der Ihringer Ortswein vom Weißburgunder bei Dr. Heger startet weich, mit bunter Frucht und etwas Holz, sehr schmelzig, aber dann kommt phenolischer Grip. Spannender Ritt. Tolle Klarheit und feine Würze im Chardonnay Erste Lage aus dem Winklerberg. Der ist saftig und spannend. Das Weingut Bernhard Huber kann auch Sekt und das war mir nicht bewusst. Bis jetzt. Der 2017 Blanc de Blancs brut nature bringt viel Frische und Präzision plus tolle, reife Komplexität. Wieder was gelernt. Der Malterdinger Spätburgunder Rosé ist ein cremiges Träumchen, dass man einfach nicht als Rosé trinken sollte, sondern als wunderbaren Chardonnay. Das klingt ziemlich doof, aber wer den Wein ins Glas kriegt, versteht hoffentlich sofort, was ich meine. Malterdinger Spätburgunder: Die Nase etwas grün, der Gaumen nicht. So geht das mit dem Reifezeitpunkt! Straff, viel Biss, großer Spaß. Ortswein ‚Alte Reben‘: Etwas weniger Zug, etwas mehr Tiefe, braucht noch Flaschenreife. In der Zwischenzeit trinken wir den Malterdinger. Sehr ähnlich präsentieren sich die gleichnamigen Chardonnays.
Lernte ich bei Huber von dessen Sekt-Kompetenz, nahm ich bei Andreas Laible die Erkenntnis mit, dass das Gut auch Chardonnay kann. Recht klare, fruchtige Nase, toller Saft am Gaumen, wunderbare Textur – so präsentierte sich der Durbacher Plauelrain Erste Lage Chardonnay. Dass die Scheu und Riesling können, war mir hingegen hinlänglich bekannt. Auch die Spätburgunder werden immer bemerkenswerter. Vier tolle Erste Lagen. Kleine Zeitreise dann bei Salwey, hier standen die Jahrgänge 2020 und 2021 auf dem Tisch. Der Oberrottweiler Grauburgunder Ortswein 2020 ist eine Sensation: Deutlich Holz und Zündplättchen in der Nase. Was für eine schöne Struktur am Gaumen – und diese Säure. Das überstrahlte die folgenden Weine.
Württemberg
Erst am nächsten Stand konnte ein Wein neue Akzente setzen: Graf Adelmanns 20er Riesling ‚Neben Neben Frank‘ (heißt wirklich so) entstand im Holzfass unter Zugabe ganzer Beeren und das hat dem Wein viel Struktur mitgegeben. Für den 2017 brut nature hat Aldinger die Grundweine im Holz ausgebaut. Er riecht ein bisschen nach Dörrfleisch und ist am Gaumen sehr fein. Dann fächert er aromatisch enorm auf. Finde ich extrem spannend. Der 22er Chardonnay Erste Lage aus dem Gips hat eine sehr schöne Feuersteinnase und am Gaumen so viel Grip durch Säure und Phenolik, das zieht Speichel ohne Ende. Toll. Bei Dautel gefiel mir vieles, doch nichts so sehr wie der 22er Bönnigheimer Ortswein Lemberger. Knackige Beeren und feines Tannin. Will ich drin baden.
Bubbly Bubbles bei Schnaitmann mit dem Reserve Blanc de Noir aus Pinot Meunier. Standesgemäße Brausepulvernase, am Gaumen aber ganz fein und mit wunderbar integrierter Säure. Der 22er Riesling aus dem Beutelsbacher Altenberg ist dann zum guten Schluss eines von diesen Wow-1Gs. Also diese Ersten Lagen, die dem GG zusetzen, weil sie fast so komplex sind, aber nicht immer die ungeteilte Aufmerksamkeit beanspruchen. Für eben jene danke ich jetzt am Ende dieses Textes.
Wie üblich geht es für Steady-Unterstützer hier noch ein bisschen weiter. Ihr findet im Anhang meine Notizen zu allen 340 Weinen. Die sind manchmal recht kurz. Die Abkürzung ‚Man müsste mal …‘ bedeutet … diesen Wein über eine längere Zeit im Glas haben, um ihn richtig beurteilen zu können. Und um die nahe liegende Frage zu beantworten: flintig, Zündplättchen, Schießpulver und Feuerstein beschreibt mehr oder weniger die gleiche Aromatik. Die Datei ist nur für Euch bestimmt und ich bitte Euch, sie weder zu teilen, noch einzelne Meinungen an andere weiterzugeben.
Hallo Gero,
Danke für Deinen Kommentar.
Es handelt sich bei dem Wein um den Nierstein Riesling der als Beinamen seine Herkunft “Roter Hang” kommuniziert. Den Nackenheim Riesling haben wir dieses Jahr aufgrund der sehr geringen Menge nicht produziert. Deshalb enthält der Nierstein Riesling “Roter Hang” auch einen Hauch Rothenberg (deutlich weniger als die erlaubten 15%).
Lieber Johannes, Danke für die Klarstellung.
cheers
Felix
Ich finds immer wieder erstaunlich, wie du es schaffst, so viele Weine zu probieren und dann noch für über die Hälfte dir Notizen machst. Aus meiner Perspektive würde ich ja sagen du bist ein Langstreckenläufer, aber bei der Menge an Wein eher wie ein Sprinter auf einem Marathon der einfach durchzieht 🏃♂️
Zum Jahrgang generell, finde ich dass die (präsentierten) Weine besser sind als die 22er. Während ich 22 eher warm und Säureleicht empfunden habe, sind die 23er definitiv auf der frischeren Seite. In Kombination mit der bunten Frucht ein dickes W. Da hat sich das aussortieren schon gelohnt.
Das gibt mir dann auch genug Hoffnung, dass es bei den GGs ebenfalls gut abschneiden sollten.
Ich nehme an, wir sprechen vor allem über die Rieslinge? Dann bin ich halbwegs bei Dir. In 22 gab es mehr Weine, die Hitzespitzen oder Trockenstress abbekommen haben. Ob die Säurewerte so anders waren, weiß ich nicht. Aber es gab in 22 auch Lagen, die davon nichts abbekommen haben und da sind die Weine teilweise sehr gut. Wenn ich meinen Probenzettel anschaue, waren von 340 Weinen 140 Rieslinge (inklusive Sekt und süß). Den Jahrgang würde ich also auch an anderen Parametern messen. Aromasorten waren zwar wirklich anstrengend für die Winzer, das Ergebnis ist aber toll. Burgundersorten ähnlich. Die Silvaner sind auch sehr schön.
Gunderlochs Riesling „Roter Hang“ 1G bietet doch sicher viel neuen Denkstoff. Also einerseits, dass hier Rothenberg und Pettental (und Hipping) vermält wurden, was ja mal in Folge 117 kritisch betrachtet wurde wegen der großen Unterscheide zwischen gelbfruchtigem Pettenthal und braun-malzigem Rothenberg. Scheinbar geht’s ja doch 🙂 Darüber hinaus müsste das doch theoretisch bedeuten, dass 1G (Premier Cru) doch nicht mehr an den Ort gebunden ist (Nierstein + Nackenheim). Da gab es doch auch die Analogie zum Montrachet, der sich über Puligny und Chassagne streckt, wohingegen das beim Premier Cru nicht geht. Vielleicht bring ich jetzt aber auch schon wieder ein paar Dinge durcheinander.
Da war ich einmal zu faul, den Ort dazu zu schreiben … Sorry. Ist ein Niersteiner Ortsriesling. Es ist also kein Rothenberg drin.
Okay, jetzt bin ich endgültig verwirrt. Auf der Webseite des Weinguts wird er auch als „Niersteiner“ geführt, aber in der Beschreibung wird gleichzeitig davon geschrieben, dass Rothenberg mit drin ist. „Auch wenn der Anteil des Rothenbergs kleiner ist, zusammen ist es ein wunderbarer Dreiklang.“ Gibt es vielleicht so etwas wie einen bezeichnungsunschädlichen Verschnitt bei Ortsweinen aus Ersten Lagen?
Oh, vielen lieben Dank für die Klarstellung. Das mit den 15% war mir so gar nicht bewusst. Schöne Feiertage 🙂